Sexuelle Gewalt
Aufarbeitungskommission Schwimmen gibt Empfehlungen

Es ist ein Novum im Deutschen Sport. Die Aufarbeitungskommission Schwimmen hat ihren Abschlussbericht vorgelegt. Sie sollte die Vorwürfe untersuchen, die Betroffene vor etwa zwei Jahren in einer ARD-Fernsehdokumentation öffentlich gemacht haben.

Von Andrea Schültke |
Blick in das Schwimmbecken des wiedereröffneten Stadtbads Tiergarten
Die Expertenkommission zu Missbrauchsfällen im deutschen Schwimmsport hat strukturelle Mängeln bei sexualisierter Gewalt festgestellt und einen klaren Auftrag formuliert. (IMAGO / Jochen Eckel )
„Der Bericht der Aufarbeitungskommission ist eine Zäsur für den DSV mit wichtigen Impulsen für uns“, sagt David Profit. Der neue Präsident des Deutschen Schwimmverbandes vermittelt im Gespräch mit dem Deutschlandfunk den Eindruck: Er will etwas verändern, wenn er feststellt:
„Da bin ich sehr dankbar, dass diejenigen, denen Unrecht getan wurde in der DSV-Geschichte die Kommission dabei unterstützt haben, dass wir lernen können aus der Unrechtssituation – da ist der gesamte DSV zu großem Dank verpflichtet.“
27 Personen hatten sich für Anhörungen durch die Aufarbeitungskommission zur Verfügung gestellt: Hinweisgebende, Zeugen und Betroffene.
Einer von ihnen: Jan Hempel. Seine Geschichte ist auch die einzige, bei der die öffentlich gemachte Zusammenfassung des Berichtes ein wenig detaillierter ist.
Jan Hempel, inzwischen 53 Jahre alt, hatte in der ARD-Fernsehdoku schwere Vorwürfe gegen seinen früheren Trainer erhoben.
Die Aufarbeitungskommission kommt zu dem Ergebnis:
„Dass die in der ARD-Dokumentation geschilderten Übergriffe absolut glaubhaft sind. Nach unseren Hinweisen und Informationen hat hier jahrelang schwerer sexueller Missbrauch an Jan Hempel stattgefunden“, erklärt Bettina Rulofs.
Hilfe für Betroffene von Gewalt im Sport:
Ansprechstelle "Safe Sport":
https://www.ansprechstelle-safe-sport.de
Initiative "Anlauf gegen Gewalt" von Athleten Deutschland e.V.:
https://www.anlauf-gegen-gewalt.org
Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch:
https://www.hilfe-portal-missbrauch.de/hilfe-telefon
Die Sportsoziologin hatte gemeinsam mit ihrer Fachkollegin Fabienne Bartsch, der Juristin Caroline Bechtel und dem Juristen Martin Nolte über anderthalb Jahre diverse Vorwürfe untersucht. Unterstützt von einem dreiköpfigen Beratungsgremium mit Betroffenenbeteiligung. Besonders im Fall Jan Hempel sehen sie den Deutschen Schwimmverband in der Verantwortung.
„In der Person einer Amtsträgerin war Wissen vorhanden und durch diese Person hätte bereits ein Schutz, eine Unterstützung von Jan Hempel passieren müssen“.
Ist es aber nicht. Wohl auch deshalb hat der Schwimmverband bereits vor einem Jahr der Empfehlung der Aufarbeitungskommission umgesetzt und Jan Hempel eine Entschädigung gezahlt.

Nur Zusammenfassung des Berichts öffentlich

Das steht auch nochmal in der 19-seitigen Zusammenfassung der Aufarbeitungskommission. Der komplette Bericht von 120 Seiten, ist nicht öffentlich. Unter anderem aus Datenschutzgründen, heißt es.
Die große Vorsicht hat aber auch einen anderen Grund: Ein Gericht hatte die Arbeit einer weiteren Aufarbeitungskommission gestoppt, nämlich der im Handball.
Auch in dieser Kommission arbeitet die Kölner Sportsoziologin Bettina Rulofs mit:
„Wir sehen ja auch, dass es da große rechtliche Schwierigkeiten gibt, eine solche Aufarbeitung durchzuführen und sie dann auch zu Ende bringen zu können. Und das war unser großes Ziel, nicht unterwegs gestoppt zu werden, oder bei der Veröffentlichung des Berichts gestoppt zu werden, sondern wir mussten hier einfach sehr sorgfältig arbeiten und an keiner Stelle im Grunde genommen auch Möglichkeiten für rechtliche Angriffe bieten.“
Wohl auch deshalb liest sich die Zusammenfassung - verglichen mit anderen Berichten von Aufarbeitungskommissionen - eher wie eine wissenschaftliche Abhandlung. Und nur die haben auch die 27 Personen, die sich der Kommission für eine Anhörung zur Verfügung gestellt haben. Eine herbe Enttäuschung, so beschreiben es diejenigen, mit denen wir sprechen konnten. Sie hatten große Erwartungen an den Bericht genknüpft, hatten auf umfassende Informationen gehofft, zumindest in Bezug auf ihren Fall. Die 19-seitige Zusammenfassung reicht ihnen nicht aus. Darauf angesprochen, beteuert DSV-Präsident Profit:
„Ich werde denjenigen, die Opfer einer Straftat geworden sind und im Bericht vorkommen, einen Brief schreiben und werde auch anbieten, dass sie Einblick nehmen können in das jeweilige Kapitel.“

„Keine Abrechnung mit der Vergangenheit“

Die Kommission wird den Brief an die Adressatinnen und Adressaten weiterleiten. Einige erwarten unter anderem Antworten auf die Fragen: Hat die Kommission in meinem Fall Fehlverhalten von DSV-Verantwortlichen festgestellt? Wird es Konsequenzen geben?
Das scheint nach den Worten des DSV-Präsidenten eher nicht der Fall:
„Das ist eine Fehlvorstellung, dass das quasi eine – ich sag das mal in Anführungszeichen, 'Abrechnung mit der Vergangenheit ist' und herausfindet 'wer hat da was getan', sondern es ist viel stärker: Lernt daraus, stellt euch anders auf“.
Dazu gibt die Kommission dem DSV auch in der Zusammenfassung Empfehlungen. Die seien nicht neu, bestätigt Kommissionsmitglied Bettina Rulofs: „Denn wir wissen ja letztens letzten Endes, wie Sportverbände, Gewalt vermeiden können. Wir wissen, dass es dieses Prinzip einer gläsernen Sporthalle braucht, also dass ganz viel Einblicke von außen möglich sein müssen, zu verhindern, dass beispielsweise erwachsene Trainer viel zu lange mit Kindern alleine sind und in solchen Situationen Machtmissbrauch begehen."
Rulofs hat zahlreiche Studien zu physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt im Sport geleitet. Sie stellt fest, gerade im Leistungssport gelte noch sehr stark das Prinzip:
"Leistung vor Schutz der Kinder, vor Schutz der Athleten und Athletinnen. Und das ist etwas, wo ich finde, da muss der DSV nun wirklich genau hinschauen: In welchen Bereichen, gerade auch das Wettkampf und Leistungssport, gibt es noch diese Haltung, dass die Leistung jedes Mittel rechtfertigt? Da müssen wir unbedingt dran. Nicht nur im Schwimmsport, auch in anderen Sportverbänden.“

Die Folgen der Gewalt begreifen

Eine betroffene Person schildert dem Deutschlandfunk, die Anhörung vor der Kommission habe sie sehr viel Kraft gekostet. Ihr Ziel sei gewesen, die Folgen begreifbar zu machen, wenn Kinder und Jugendliche schwere physische, psychische und sexualisierte Gewalt wie hier im Schwimmsport erfahren:
„Sie hören später – es ist vorbei. Hier und jetzt sind Sie sicher. Aber Sie fühlen sich nicht mehr sicher. Ihr Inneres ist ständig im Alarmmodus, ständig im Hochstress. Und irgendwann sind Sie einfach nur noch unendlich erschöpft, haben keine Kraft mehr – nicht mehr, um Ihren persönlichen Alltag zu bewältigen, nicht mehr um zu arbeiten. Ihr Körper zieht sich in Krämpfen zusammen – durch Anspannung, durch die im Körper gespeicherten Erinnerungen. Und Sie schämen sich für alles, was war.“
Die Person wünscht sich, dass David Profit und andere Verantwortliche im DSV das wirklich begreifen. Dass der Bericht der Kommission für den DSV mehr ist, als ein weiteres Stück Papier, das in der Schublade verschwindet.
Den Menschen, die im Schwimmsport in Deutschland großes Leid erfahren haben, ist der Verband bisher nicht gerecht geworden, stellt Kommissionsmitglied Bettina Rulofs fest. Der Verband müsse regeln:
„Dass sexualisierte Gewalt verboten ist. Es muss niedergeschrieben sein, dann auch handlungsfähig zu sein. Es braucht dafür einen ganz klaren rechtlichen und normativen Rahmen, der bislang noch nicht gegeben ist. Es braucht auch Regelungen, wie solche Vorfälle zu bearbeiten oder auch zu sanktionieren sind. Und das ist alles noch nicht da.“
„Der DSV ist auf dem Weg. Und Ich hoffe, dass wir im Jahr 2025 da zu einem guten Zwischenstand und auch zu Beschlüssen in der Mitgliederversammlung und zur Umsetzung in den Strukturen kommen“, erläutert DSV-Präsident David Profit die nächsten Schritte auf dem Weg.
Im Gepäck: 120 Seiten und eine sehr, sehr große Verantwortung.