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Sexuelle Gewalt in Hollywood
Anne Wizorek: Skandal um Weinstein hätte genauso in Deutschland geschehen können

Sexuelle Gewalt sei auch in Deutschland noch immer extrem tabuisiert, kritisierte die Aktivistin und Medienberaterin Anne Wizorek im Dlf. Frauen werde oft nicht geglaubt, wenn sie solche Taten schilderten. Von daher sei es schon ein Fortschritt, wenn wie im Fall Weinstein darüber gesprochen werde.

Anne Wizorek im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Porträtfoto von Anne Wizorek, Aktivistin und Medienberaterin.
    Aktivistin Anne Wizorek über sexuelle Gewalt in Deutschland: Wir haben in Deutschland ein Unsichtbarkeitsproblem. (imago stock&people)
    Jasper Barenberg: Er hat in den USA Filme wie "Pulp Fiction" und "Der englische Patient" produziert. Er setzte sich ein für ein unabhängiges, für ein künstlerisch herausforderndes Kino. Er ist vielfach mit Preisen bedacht worden. Über viele Jahre aber soll Harvey Weinstein auch Schauspielerinnen und Models drangsaliert und begrapscht haben. Drei Frauen sagen, er habe sie vergewaltigt. Immer mehr von ihnen berichten von traumatischen Erfahrungen mit dem Produzenten. Auch Weinstein selbst versinkt immer tiefer im Morast seines Skandals.
    In Hollywood, in den USA haben die Berichte ein Beben ausgelöst und auch eine Debatte über das Fehlverhalten mächtiger Männer in der Unterhaltungsbranche. – Ist das alles weit weg, oder betrifft uns das vielleicht mehr als ein Skandal im fernen Kalifornien auf den ersten Blick vermuten lässt? Sexismus und sexualisierte Gewalt ist ein Thema, mit dem sich die Aktivistin und Medienberaterin Anne Wizorek schon lange beschäftigt. Große Beachtung fand ihr Hashtag "Aufschrei" 2013. Unter dem Schlagwort haben damals viele Frauen ihre persönlichen Erfahrungen geteilt. Anne Wizorek ist jetzt am Telefon. Guten Morgen!
    Anne Wizorek: Guten Morgen!
    Barenberg: Wie weit ist denn der Skandal in Hollywood um Harvey Weinstein vom Alltag bei uns entfernt?
    Wizorek: Er ist natürlich insofern vergleichbar, oder man sieht ja wichtige Dynamiken, die wir auch besprechen müssen für die deutsche Gesellschaft, dass es ganz klar ist, wie dort eine Machtstruktur, eine Machtposition ausgenutzt wurde. Bei Sexismus und sexueller Belästigung geht es ja am Ende immer auch um eine Machtdemonstration. Es geht gar nicht um die sexuelle Anbahnung an sich auf einer gleichen Ebene, auf einer respektvollen Ebene, sondern um eine Machtdemonstration, und da ist der Weinstein-Fall natürlich wirklich ein ganz extremer davon.
    "Obwohl die Zahlen so hoch sind, reden wir gar nicht so viel und so intensiv darüber"
    Barenberg: Denn es geht um Taten, um Gewalt, um sexuelle Gewalt über viele Jahre, um einen Täter, der ein bekannter und in seiner Branche ein mächtiger Mann jedenfalls lange war. Wäre das hier überhaupt vorstellbar, so ein Fall?
    Wizorek: Da bin ich relativ sicher, dass das hier genauso vorstellbar ist, weil leider genau dieselben Dynamiken greifen. Wenn wir uns mal bestimmte Bereiche angucken: Für Deutschland zum Beispiel gibt es ja die Zahl vom Bundesfamilienministerium, das eine Studie gemacht hat zu Sicherheit und Gesundheit und Leben von Frauen, die darauf gekommen ist, dass circa 58,2 Prozent von Mädchen und Frauen ab dem 16. Lebensjahr schon sexuelle Belästigung im eigenen Umfeld, am Arbeitsplatz, in der Öffentlichkeit erlebt haben. Das ist eine extrem hohe Zahl und das ist aber trotzdem ein Problem.
    Obwohl die Zahlen so hoch sind, reden wir gar nicht so viel und so intensiv darüber, und vor allem auch nicht darüber, wie wir es vielleicht lösen können. Insofern haben wir da auch ein Unsichtbarkeitsproblem, denke ich.
    "Frauen wird oft eine Mitschuld gegeben"
    Barenberg: Jetzt wurde in dem Beitrag ja gerade gesagt, dass ein Problem jedenfalls bei dem Fall Weinstein war, dass es ihm leicht gemacht wurde von seiner Umgebung. Eine der Schauspielerinnen wird dieser Tage zitiert damit, dass jeder wusste, was Harvey vorhatte, und keiner etwas tat. Es sei unglaublich, dass er jahrzehntelang so handeln und trotzdem noch Karriere machen konnte. Welche Erklärung haben Sie denn dafür?
    Wizorek: Na ja, da spielt natürlich mit rein, dass wir in den USA, aber auch generell in anderen westlichen Ländern zum Beispiel im Vergleich eine Kultur haben, die Frauen nicht glaubt, wenn sie solche Taten schildern, wenn sie sagen, dass ihnen das passiert ist, und das natürlich auch Frauen sehr wohl bewusst ist, dass sie jeweils immer abwägen müssen, okay, spreche ich da jetzt überhaupt drüber, wenn ja, mit wem, wenn ja, wer glaubt mir überhaupt, weil im Zweifelsfall sowieso immer auch Frauen gerade eine Mitschuld gegeben wird.
    Wir kennen die Sprüche alle, dass dann irgendwie behauptet wird, du übertreibst, nun hab' dich mal nicht so, hast du das vielleicht selber provoziert, mit dem Ausschnitt, mit dem Rock, was auch immer, dass dann diese Faktoren eher angeguckt werden, anstatt das Täterverhalten zu kritisieren. Und das ist natürlich ein Risiko, was alle im Hinterkopf haben, gerade in einer Situation wie jetzt auch in dem Fall hier, dass es eine Arbeitsplatzsituation am Ende ja auch ist und ganz, ganz krasse Einschnitte bedeuten kann für die eigene Karriere, fürs eigene Fortkommen und natürlich damit auch für die Existenz.
    In Deutschland sind 33 Prozent der Frauen von sexueller Belästitung am Arbeitsplatz betroffen
    Barenberg: Abhängigkeit spielt eine große Rolle, finanzielle Abhängigkeit vom Job etwa, von der Zukunft in dem Job?
    Wizorek: Absolut! Für Deutschland gibt es ja speziell noch mal für den Arbeitsplatz die Zahl, dass 33 Prozent der Frauen betroffen sind von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Das ist auch noch mehr als der Durchschnitt in der EU. Und wenn dann noch andere Faktoren hinzukommen wie zum Beispiel sie sind sehr jung, sie sind in der Ausbildungsphase, sie sind vielleicht noch in einer männerdominierten Branche, dann sind sie noch mal besonders stark betroffen. Da sehen Sie auch, wie diese Machthierarchien immer wieder reinspielen und dazu führen, dass hier eine Machtposition gefestigt werden soll, dass bestehende Ungleichheiten gefestigt werden sollen, dass vielleicht auch eine gefühlte oder eine geahnte Konkurrenz ausgeschaltet werden soll. Das sind auch bewusste Taten, die da ausgeführt werden.
    Barenberg: Nun haben wir in Deutschland, wenn wir dahin schauen, seit vielen, vielen Jahren Frauenbeauftragte, Gleichstellungsbeauftragte im Bund, in den Ländern, in vielen Gemeinden, in vielen, vielen Unternehmen. Können wir uns das schenken? Haben die gar nichts bewirkt?
    Wizorek: Natürlich ist diese Arbeit immer noch wichtig. Aber wir sind ja da längst noch am Anfang. Es wurde ja auch im Beitrag zum Beispiel gesagt, dass viele Frauen jetzt auch sich melden, weil sie das Gefühl haben, da hat sich so langsam was verändert, und das ist genau der Knackpunkt.
    "Es ist wirklich ein langsamer Prozess"
    Barenberg: Was hat sich denn verändert?
    Wizorek: Es ist wirklich ein langsamer Prozess. Wenn wir überlegen: "Aufschrei" ist 2013 gewesen. Das ist jetzt vergleichsmäßig noch nicht so lange her. Wenn wir zurückgucken in eine Zeit, wo es einfach ganz normal war, dass noch nicht mal vielleicht Frauen am Arbeitsplatz überhaupt vorhanden waren, und dann vielleicht nur als diese Kriterien, der man mal auf den Hintern haut.
    Da einen Kulturwandel tatsächlich zu erreichen, ist leider immer weitaus langsamer als das, was wir dann tatsächlich in der Realität sehen. Insofern ist es umso wichtiger, diese Arbeit auch voranzutreiben und vor allem aber auch Betroffenen zu vermitteln, dass sie nicht schuld daran haben, dass sie sich Hilfe suchen dürfen, zum Beispiel im Fall von einer Arbeitsplatzbelästigung bei der Anti-Diskriminierungsstelle des Bundes, und sich Verbündete auch suchen sollten vor Ort, zum Beispiel die Sachen dokumentieren sollten und auch wirklich eine Beratungsstelle aufsuchen sollten.
    "Gesellschaftlicher Wandel fängt immer damit an, ein Problem überhaupt erst mal benennen zu können"
    Barenberg: Wo würden Sie denn sagen gibt es tatsächlich einen kulturellen Wandel, eine Verbesserung?
    Wizorek: Na ja, dass wir darüber sprechen, dass jetzt solche Extremfälle wie den Weinstein-Fall auch wirklich als Anlass genommen wird, eine große Debatte anzustoßen, zu gucken, okay, was ist denn eigentlich der Status quo, wo stehen wir denn da. Das finde ich sehr, sehr wertvoll, weil gesellschaftlicher Wandel fängt immer damit an, ein Problem überhaupt erst mal benennen zu können.
    Gerade sexualisierte Gewalt, wo ja sexuelle Belästigung drunter fällt, ist einfach immer noch extrem tabuisiert. Das ist immer noch mit sehr viel Scham verbunden, was dann dazu führt, dass die betroffenen Personen die Schuld erst mal bei sich suchen, überlegen, okay, wer glaubt mir da jetzt eigentlich und kann ich das überhaupt irgendwie vermitteln, was mir da passiert ist. Diese Schambesetzung dieses Problems, die ist immer noch sehr, sehr stark, und deswegen haben wir ja auch leider genauso für Deutschland auch immer noch eine extrem hohe Dunkelziffer. Die meisten Taten, die passieren, die werden ja noch nicht mal zur Sprache, geschweige denn zur Anzeige gebracht.
    Barenberg: Wenn wir jetzt nach und nach jedenfalls immer mehr Frauen auch in Führungspositionen haben, müssen wir dann auch damit rechnen, wenn Sie sagen, es ginge um Machtdemonstration, dass es auch mehr Fälle von sexueller Belästigung von Männern gibt, die ja auch dokumentiert sind inzwischen?
    Wizorek: Sie meinen, wo Männer die Betroffenen sind?
    Barenberg: Richtig.
    Wizorek: Das ist nicht auszuschließen, wobei wenn man sich die Zahlen jetzt anguckt, auch wenn Männer die Betroffenen sind, tatsächlich sie auch von Männern belästigt werden. Das heißt nicht, dass Frauen das nicht tun, aber es ist schon noch so, dass die große Zahl der Täter dann wirklich auch männlich sind.
    Insofern müssen wir dann auch genauso darüber sprechen, was ist das eigentlich für ein Männlichkeitskonzept, was dahinter steckt, was immer noch sehr darauf bedacht ist, die eigene Machtposition zu sichern, anstatt zum Beispiel in einem Team zu arbeiten, und gerade auch Sexualität und sexualisierte Gewalt dann als direktes Machtmittel einsetzt.
    Das ist auch ein Teil der gesellschaftlichen Debatte. Da sind wir leider noch nicht so richtig an dem Punkt, aber da müssen wir tatsächlich hinkommen.
    Barenberg: Sagt die Aktivistin und Medienberaterin Anne Wizorek heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch!
    Wizorek: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.