Schule darf kein Tatort mehr sein, Schule muss vielmehr zu einem Schutzort werden. So lautet das Ziel der Initiative "Schule gegen sexuelle Gewalt", die heute vom Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, in Berlin vorgestellt wurde. Zwei Jahre benötigten Bund und die sechszehn Kultusministerien, der Elternrat, die Lehrerverbände und Gewerkschaften, um sich auf ein gemeinsames Handlungskonzept zu einigen, das jetzt allen 30.000 Schulen vorgelegt werden soll. Die Sensibilität für das Thema sei seit den Missbrauchsskandalen am Canisius-Kolleg, der Odenwaldschule, oder dem Kloster Ettal zwar deutlich gewachsen, sagte Rörig:
"Aber es ist immer noch ein Tabu und vielen fehlt die Sprache und auch das Know-how, Präventionsmaßnahmen in Gang zu setzen. Wir haben in Deutschland eine riesen Dimension bezogen auf sexuelle Gewalt gegen Minderjährige. Wir haben weiterhin jedes Jahr 12.000 Ermittlungs- und Strafverfahren, auch 400 Fälle von sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen. Und wichtig ist, dass man sich vor Augen führt, dass in jeder Schulklasse ein bis zwei Mädchen und Jungen sind, die sexuelle Gewalt erlitten haben oder aktuell erleiden."
Die offene Kommunikation innerhalb der Schule ist wichtig
Eine neue Infomappe soll Lehrerinnen und Lehrern helfen, auf Signale aus der Schülerschaft künftig besser reagieren zu könne. Darin wird unter anderem erklärt, welche Bestandteile ein Schutzkonzept enthalten soll. Welche Schritte notwendig sind, um das Thema im Kollegium und mit den Eltern und Kindern anzusprechen. Oder wie Lehrer zum Thema sexuelle Gewalt fortgebildet werden müssen. Das Handlungskonzept sei eine Art Leitfaden, sagte Rörig. Niemand bekomme etwas aufoktroyiert. Ein neues Internet-Fachportal biete noch mehr Informationen und den Schulen die Chance, sich besser zu vernetzen, so der Missbrauchsbeauftragte:
"Aber das ersetzt natürlich nicht die Kommunikation in der Schule. Es ist auch wichtig, dass das Kollegium über dieses Thema gemeinsam spricht, das Widerstände, die beispielsweise im Kollegium gegen die Präventionsaktivitäten entstehen könnten, dass die diskutiert werden. Das gesamte Kollegium muss dahin kommen, dass klar ist, hier geht es nicht um einen Generalverdacht gegen die eigene Schule, nicht um einen Generalverdacht gegen einzelne Lehrer, sondern dass Kindern geholfen werden kann, die sexuelle Gewalt erlitten haben oder aktuell erleiden."
Catharina Beuster wurde in der Schule Opfer sexuellen Missbrauchs. Bis heute erschüttere und empöre sie die stumme Hilflosigkeit, die ihr als Mädchen von den Lehrern entgegenschlug. Als Erwachsene, Erziehungswissenschaftlerin und Mitglied im Betroffenenrat will auch sie dafür sorgen, dass sich etwas ändert. Sie lobt das Konzept, doch um es an den 33.000 Schulen in Deutschland auch nachhaltig umsetzen zu können, müsste vor allem das Hilfesystem finanziell besser ausgestattet werden:
Schulpsychologen und Sozialarbeiter sind den Bundesländern zu teuer
"In dem Moment, wo man Kindern und Jugendlichen auch die Botschaft übermittelt: Wenn euch sexuelle Gewalt angetan wird oder wurde, dann könnt ihr uns ansprechen und dann gibt es Hilfe - dann muss auch Hilfe da sein. Die Fachberatungsstellen, die es im Moment gibt, die die Schulen beraten können, die Fortbildungen geben können, die auf der anderen Seite aber auch Betroffene beraten können und weiter zu vermitteln, die sind schlecht bis teilweise null finanziert."
Die Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Marlis Tepe, gibt ihr Recht. Würden die Bundesländer ausreichend Schulpsychologen und Schulsozialarbeiter einstellen, würde sie das allerdings teuer zu stehen kommen. Allein ein Psychologe pro 5.000 Schüler koste die Länder insgesamt 23 Millionen Euro und ein Sozialarbeiter pro 150 Schüler sogar 2,3 Milliarden Euro, rechnete Tepe vor. Solange also eine flächendeckende Infrastruktur fehlt, kann auch keine noch so gute Initiative etwas gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern ausrichten.