Die Diskussion um den Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki zieht weite Kreise. Zuletzt hatte der Vatikan Woelkis Verhalten bei der Aufklärung von Fällen sexuellen Missbrauchs im Erzbistum Köln verteidigt - was mehrere Kirchenrechtler erstaunt. Kritiker werfen dem 64-Jährigen vor, den Aufarbeitungs-Prozess zu verschleppen. Selbst der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing, hat inzwischen zu verstehen gegeben, dass er Woelkis Vorgehen nicht gut heißt.
Neuanfang würde Erschütterung des ganzen Systems bedeuten
Was in Köln derzeit geschehe, entblöße nur "das hässliche Gesicht der Kirche", sagte Lisa Kötter, Mitinitiatorin der Bewegung Maria 2.0, einer Protesbewegung von Frauen in der katholischen Kirche. Denn es sei nicht nur Kardinal Woelki, der mauere. Es sei das System, das derzeit genau zeige, wie es funktioniere. Die katholische Kirche sei ein autoritäres System, das sich nicht in der Begründungspflicht sehe. Schweigen sei eine mächtige Waffe der Kirche, mit dem Ziel, Gras über die Sache wachsen zu lassen. "Die Kirche hat ja viel Zeit."
Selbst wenn Woelki zurückträte, wäre dies nur symbolhaft. "Vielleicht wäre es für viele Betroffene eine Genugtuung", am System würde es aber nichts ändern, betonte Kötter. Das zeige auch die verteidigende Reaktion aus Rom.
Ein Neuanfang bei der Aufarbeitung von Missbrauch würde eine Erschütterung des ganzen jahrhundertealten Systems der Kirche bedeuten. Doch dies "wäre ein absoluter Machtverlust derer, die jetzt Macht haben", machte Kötter deutlich. Dabei ginge es auch um unglaublich viel Geld: "In Deutschland haben Bischöfe Macht und Geld und Einfluss zu verlieren".
Die Kirche verharre weiter in einem monarchischen System des 19 Jahrhunderts. "Da gibt es keine Transparenz. Da gibt es ein System von Autorität und Gehorsam. Die Loyalitätspflicht ist gegen das eigenen Gewissen zu wahren. Das verlangt die Kirche." Nur langsam werde man nun mutiger in der Kirche, weil man merke, dass die Öffentlichkeit schütze.
Das Interview mit Lisa Kötter im Wortlaut:
Rainer Brandes: Wir hätten gerne Herrn Woelki dazu befragt, doch er zog es vor zu schweigen. Nicht mehr schweigen möchte Lisa Kötter, sie hat die Bewegung Maria 2.0 mitgegründet, die hat mit einem Kirchenstreik durch Frauen Aufsehen erregt. Demnächst erscheint ein Buch von Lisa Kötter mit dem Titel "Schweigen war gestern". Wozu wollen Sie nicht mehr schweigen?
Lisa Kötter: Ja, das, was jetzt gerade in Köln passiert, ist im Grunde wie ein Theaterstück dessen, was wir anklagen. Da krempelt sich etwas nach außen, da entblößt sich etwas, was, sagen wir mal, das hässliche Gesicht der Kirche ist. Sie haben in der Anmoderation gesagt, Woelki mauert. Im Grunde ist es nicht allein Herr Woelki, wir können das nicht auf diese eine arme Person beziehen, was da passiert, es ist das System, was gerade genau zeigt, wie es funktioniert.
Es ist ein System, das sich autoritär sich gebärdet und sich überhaupt nicht in der Begründungspflicht im Grunde fühlt, darum auch das Schweigen. Schweigen ist da eine mächtige Waffe, die die Kirche schon immer geführt hat, wenn sie gehofft hat, die Zeit lässt Gras wachsen, das ist ja eine Methode der Kirche, die hat ja viel Zeit.
Rücktritt von Woelki würde nichts am System ändern
Brandes: Wenn es so ist, wie Sie sagen, dass es eben nicht nur an Rainer Maria Woelki liegt, sondern das ganze System verantwortlich dafür ist, wäre es dann mit einem Rücktritt von Herrn Woelki getan, wie es jetzt viele gefordert haben?
Kötter: Das glaube ich nicht. Ich glaube, das wäre symbolhaft und mehr nicht, im Grunde. Ob Herr Woelki geht oder nicht, ist mir jetzt persönlich … Vielleicht wäre es für viele Betroffene eine Genugtuung, das kann sein. Darum will ich die Wirkung auch nicht schmälern, die das vielleicht hätte, aber an dem System würde es erst mal nichts ändern.
Das sieht man ja auch an der Reaktion aus Rom. Da wird einfach gesagt, er hat nichts Schlimmes getan, es gibt mehrere Kirchenrechtler, die darüber sehr erstaunt sind. Herr Lüdecke aus Bonn, Professor für Kirchenrecht, sagt sogar, wer Verlässlichkeit und Rechtssicherheit sucht, hat im katholischen Kirchenrecht ein Problem. Das zeigt im Grunde, dass es nicht um diese eine Person Woelki geht. Er hat auch Weihbischöfe, er hat einen Generalvikar, die haben alle in Zeiten gewirkt schon, als viel passiert ist, das wissen wir alle.
Brandes: Es gibt aber auch die andere Sichtweise. Zum Beispiel hat der ehemalige Bundesrichter Thomas Fischer jetzt gesagt, die Kritik an Woelki sei eine Hysterisierung. Die Öffentlichkeit suche da nach einem Sündenbock, denn tatsächlich sei es ja so, dass Woelki weiterhin Aufklärung verspricht, er verspricht auch, dass er mit dem neuen Gutachten dann auch Namen nennen wird. Dem müsste man jetzt erst mal vertrauen. Ist da nicht etwas dran?
Kötter: Na ja, das mit dem Vertrauen ist halt schwierig, wenn wir wissen, dass seit 2010, als der sogenannte Skandal hochkam, die Skandalisierung hat ja schon viel früher stattgefunden, dass jetzt inzwischen elf Jahre vergangen sind. Und wenn wir uns anschauen, was wirklich passiert ist, und wenn wir uns Gutachten, die veröffentlicht worden sind, anschauen, wo also lebende Menschen kaum benannt werden, sondern die meisten, die benannt werden, verstorben sind oder zumindest nicht mehr in Amt und sogenannten Würden, dann ist das mit dem Vertrauen eben schwierig. Und Herr Fischer ist meines Wissens kein Kirchenrechtler, also beleuchtet er vielleicht da etwas, was in der weltlichen Juristerei eine Rolle spielt, aber vielleicht nicht das, was auf dem hohen Ross einer jesuanischen, christlichen Institution steht, die sich in einer Nachfolge eines Mannes aus Nazareth sieht.
"Es geht auch um unglaublich viel Geld"
Brandes: Es ist ja tatsächlich auffällig, dass wir jetzt seit zehn Jahren über diese Thematik sprechen und immer noch tun sich zumindest Teile der katholischen Kirche damit sehr schwer, da einen Schlussstrich zu ziehen und wirklich einen Neuanfang zu wagen. Warum ist das so?
Kötter: Weil ein Neuanfang eine Erschütterung des ganzen Systems bedeuten würde. Es wäre ein absoluter Machtverlust derer, die jetzt Macht haben. Sie müssen ja auch bedenken, die katholische Kirche ist nicht nur mächtig im Sinne von: Ich habe etwas zu sagen, und andere sind mir zu Gehorsam verpflichtet. Es geht auch um unglaublich viel Geld. Und in Deutschland haben Bischöfe Macht und Geld und Einfluss zu verlieren.
Sie haben ja auch hier ein bestimmtes Staats- und Kirchensystem, das diese Machtfülle nicht unbedingt schmälert, das muss man auch bedenken. Also, die haben viel zu verlieren. Und eine wirkliche Aufarbeitung dessen, was da passiert - wahrscheinlich seit Jahrhunderten, Jahrtausenden -, würde ja das System wirklich von Grund auf infrage stellen. Und das ja auch das, was wir sagen, das ganze System muss wirklich erschüttert werden.
"Wir brauchen Demokratie in der Kirche"
Brandes: Sie sagen, das System muss erschüttert werden. Und sie fordern ja tatsächlich radikale Reformen, Sie sagen, es geht nicht nur um die Zulassung von Frauen zu allen Ämtern und einer Abschaffung des Zölibats, sondern eigentlich ein Ende aller hierarchischer Strukturen. Sie sprechen sogar von einer Abschaffung des Priestertums als herausgehobene Klasse. Glauben Sie, dass das wirklich etwas daran ändern würde, dass es dann kein missbräuchliches Verhalten mehr geben würde?
Kötter: Ich glaube, dass es da, wo es Menschen gibt, immer missbräuchliches Verhalten gibt, aber wir lernen es ja schon dadurch, dass wir seit 100 Jahren ungefähr Demokratien kennen, in anderen Erdteilen schon länger, dass, je mehr Demokratie gewagt wird, um mit Willy Brandt zu sprechen, desto mehr Transparenz gibt es eben auch. Das ist ja auch ganz klar, sobald wir einen Klüngel etwas lüften und dazwischen andere Menschen stellen, die die Arme weiter ausbreiten, entstehen Lücken - und man kann durchgucken. Wir müssen gläserner werden, und die Kirche verweigert sich dem.
Die Kirche verharrt in einer monarchischen Struktur des 19. Jahrhunderts, da gibt es eben keine Transparenz, da gibt es ein System von Autorität und Gehorsam. Die Loyalitätspflicht ist selbst gegen das eigene Gewissen zu wahren. Das verlangt die Kirche, das hat auch das Erzbistum von seinen Priestern verlangt. Die werden jetzt mutiger, im Erzbistum haben sich 35 Priester ungefähr, glaube ich, öffentlich gemeldet, dass sie nicht einverstanden sind mit der Politik. Die merken jetzt: Öffentlichkeit schützt. Diese Öffentlichkeit schützt aber nur, weil sie in einer Demokratie stattfindet. Davon ist die Kirche noch weit entfernt. Wir brauchen Demokratie in der Kirche.
"Das Volk ist gefährlich"
Brandes: Dazu passt ja auch, dass die "FAZ" jetzt berichtet, dass die Römische Glaubenskongregation, das ist die Nachfolge der heiligen Inquisition, dass die ihre Bewegung, Maria 2.0, jetzt beobachte. Man könnte Ihnen am Ende Abfall von der kirchlichen Lehre vorwerfen, die Exkommunikation könnte Ihnen drohen. Was macht Sie so gefährlich?
Kötter: Gefährlich macht uns, glaube ich, dass wir keine Vereinigung von Theologen sind, die darüber diskutieren, wie viele Engel auf die Kirchenspitze passen, sondern dass die Bewegung Maria 2.0 tatsächlich aus der Mitte der Gemeinden kam. Das sind Frauen, die jahrzehntelang teilweise ihre Dienste in der Kirche ehrenamtlich versehen haben, wir haben zwar auch Theologinnen, viele studierte Frauen, in der Bewegung.
Aber im Grunde sprechen wir mit der Stimme derer, die sich einfach auf das Evangelium berufen und diese ganzen Machtspielchen nicht mitmachen. Und das ist gefährlich, das Volk ist gefährlich, wenn es sich zusammentut und mit einer Stimme spricht und vor allen Dingen mit einer einfachen Sprache spricht. Wir sprechen mit einfacher Sprache und nicht mit theologischer Sprache. Das ist gefährlich.
Brandes: Es gibt ja auch diejenigen, die sagen, das lohnt sich alles nicht, die katholische Kirche wird in dem Punkt nicht reformierbar sein. Sie könnten ja einfach austreten. Das tun ja auch viele, in Köln kann man bis Mai zum Beispiel nicht mehr aus der Kirche austreten, weil die Termine am Amtsgericht ausgebucht sind. Ist das nicht der eigentlich konsequente Weg?
Kötter: Ja, das ist für viele eine Option, und die will ich auch nicht ausschließen. Das Drinbleiben ist in erster Linie … Oder sagen wir mal so: Das Weiterarbeiten an diesem Thema ist in erster Linie ein Zeichen auch der Solidarität. Denn wir sind Weltkirche und wir wissen, dass es vielen Frauen nicht so geht wie uns, die sich unabhängig machen können von den Sitten der geweihten Männer und tun können, was sie wollen, sondern in vielen Gesellschaften dieser Welt können die Frauen das nicht. Und vielen Frauen in allen Religionen geht es schlecht, weil die Religionen weiter die Mär darüber verbreiten, dass Frauen minderwertig sind. Dieses Narrativ ist ja nicht eine katholische Erzählung, die ist viel älter und wabert eben durch die Märchen aller Religionen.
Und diese Solidarität, die haben gerade wir Frauen, deswegen sind wir auch inzwischen weltweit vernetzt und vernetzen uns immer weiter. Und wir hoffen, auch mit Frauen aus anderen Religionen in Zukunft. Denn dieses Narrativ müssen wir aufbrechen. Die Religionen wirken in die Gesellschaften hinein, auch die katholische Kirche fast überall auf der Welt. Darum sind wir auch so sauer, weil wir sagen: Wenn die katholische Kirche da etwas ändern würde und den Frauen wirklich auf Augenhöhe begegnet – im Sinne von gleiche Würde, gleiche Rechte –, würde sich für die Frauen und Kinder der Welt unglaublich viel verändern.
Wenn sich nichts ändert, wir die Kirche verdunsten
Brandes: Der Historiker Martin Kaufhold sieht die katholische Kirche in ihrer Existenz bedroht und gibt ihr nur noch 20 Jahre. Das hat er in der "Augsburger Allgemeinen" gesagt. Wie viele geben Sie ihr noch?
Kötter: Das bezieht sich auf Deutschland, und ich glaube, dass in Deutschland die katholische Kirche, die römische Kirche, wenn sich nichts grundlegend verändert, wenn sie nicht sich in ihren Festen erschüttert, dann wird so noch eher verdunsten. Es wird ein heiliger Rest übrigbleiben, es wird sektiererisch werden, davon bin ich überzeugt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.