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Sexueller Missbrauch in katholischer Kirche
"Die Schuldigen sitzen nach wie vor auf ihren Bischofsstühlen"

Matthias Katsch, Sprecher der Opfer-Initiative "Eckiger Tisch", hat die Entschädigungsangebote der katholischen Bischöfe für Opfer sexuellen Missbrauchs als kleinmütig kritisiert. Die Bischöfe würden sich natürlich vor der Aufarbeitung der Fälle fürchten. Sie hätten auch allen Grund dazu, sagte Katsch im Dlf.

Matthias Katsch im Gespräch mit Christoph Heinemann |
Matthias Katsch, ehemaliger Schüler des Canisius-Kollegs; vor der Jesuitenschule in Berlin. In dem Gebäude fanden viele der sexuellen Übergriffe auf Schüler statt.
Matthias Katsch, ehemaliger Schüler des Canisius-Kollegs: "Die Bischöfe haben sich offensichtlich mit Juristen eingelassen" (dpa / picture alliance / Stephanie Pilick)
Bis Donnerstag (24.09.2020) tagt in Fulda die Herbstvollversammlung der katholischen Deutschen Bischofskonferenz. Sie befasst sich auch mit den Entschädigungen für Missbrauchsopfer. Ihr Vorsitzender Georg Bätzing strebt an, bis Ende des Jahres eine Lösung zu finden.
Bislang erhalten Opfer durchschnittlich eine Zahlung von 5.000 Euro, in Härtefällen auch mehr. Eine von der Bischofskonferenz eingesetzte unabhängige Arbeitsgruppe, zu der auch der ehemaligie Canisius-Schüler Matthias Katsch gehörte, schlug hingegen Summen bis zu 400.000 Euro vor. Denn es gehe laut Matthias Katsch nicht um Entschädigungen, sondern um Menschen, die seit Jahrzehnten versuchen, von der Kirche Aufklärung, Aufarbeitung zu bekommen und einen Ausgleich für das, was in ihrem Leben angerichtet worden ist.
Dutzende Bischöfe stehen in violetten Gewändern in den Gebetsbänken.
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Christoph Heinemann: Herr Katsch, warum befinden Sie sich gerade in Fulda?
Matthias Katsch: Weil wir daran erinnern wollen, dass mehr als 5.000 Betroffene bekannter Weise in der Katholischen Kirche durch Priester oder Kleriker missbraucht worden sind, und nicht nur in der Kirche missbraucht, sondern durch diese Kirche Opfer geworden sind von Vertuschung und Verheimlichung und von Schweigen. Das wollen wir den Bischöfen noch mal vor Augen führen, weil wir glauben, dass sie jetzt wieder zurückgerudert sind gegenüber dem, was wir bereits erreicht hatten vor einem Jahr, und nicht mehr von Entschädigung, nicht mehr von Schmerzensgeld, sondern wieder von Anerkennung, also von symbolischen Zahlungen sprechen.
Katsch: Empfehlungen zur Grundlage von Gesprächen machen
Heinemann: Was fordern Sie?
Katsch: Wir fordern, dass die Empfehlungen, die im letzten Jahr vorgelegt worden sind, die erarbeitet worden sind von über 30 Expertinnen und Experten, dass die zur Grundlage von Gesprächen gemacht werden. Wir haben seit einem Jahr keinen Kontakt mehr mit der Bischofskonferenz über diese Entschädigungsfrage und werden jetzt wieder konfrontiert mit einem Beschluss, den wir akzeptieren müssen oder akzeptieren sollen, ohne einbezogen worden zu sein. Da waren wir schon mal weiter. Wir fordern Gespräche auf der Grundlage dieser Empfehlungen.
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Heinemann: Wären für Sie Zahlungen im Rahmen von 5.000 bis 50.000 Euro pro Opfer zu wenig?
Katsch: Ja, natürlich, weil es handelt sich genau nicht um Entschädigungen. Da muss man auch bei den Bischöfen ganz genau lesen. Die haben sich offensichtlich mit Juristen eingelassen, die ihnen das haarklein vorbuchstabieren. Es sind keine Entschädigungen für die Folgen, die lebenslangen Folgen von sexuellem Missbrauch in der Biographie der Opfer, sondern es soll sich orientieren an dem, was aktuell in einem Strafverfahren, wenn der Täter verurteilt wurde und danach das Gericht ein Schmerzensgeld festlegt, üblicherweise in Fällen von sexueller Gewalt von den Gerichten festgesetzt wird. Nur das ist hier nicht der Fall. Es geht hier um Menschen, die seit Jahrzehnten versuchen, von der Kirche Aufklärung, Aufarbeitung zu bekommen und einen Ausgleich für das, was in ihrem Leben angerichtet worden ist, und insofern ist das eine Finte der Bischöfe. Sie tun so, als ob sie großzügig wären, aber eigentlich rudern sie zurück hinter das, was bereits erreicht wurde.
"Ich fürchte, hier wird bei der Kirche auf Zeit gespielt"
Heinemann: Herr Katsch, welches Interesse hätte die Katholische Kirche, auf Zeit zu spielen? Die Schlagzeilen über die Sexualtäter nutzen der Kirche doch überhaupt nicht.
Katsch: Wir werden gleich auf dem Domplatz mit einer symbolischen Aktion versuchen, diese 5.000 Menschen – in der Zwischenzeit sind noch mal 1.412 Opfer durch die Orden ermittelt worden in ihren eigenen Akten, die zu den 3.677 dazuzurechnen wären -, wir werden versuchen, diese 5.000 Menschen gegenwärtig zu machen mit großen weißen Ballons, auf denen "ausgleichende Gerechtigkeit" steht. Dazwischen werden Sie auf den Bildern dann auch kleine schwarze Ballons sehen und diese kleinen schwarzen Ballons erinnern an diejenigen von uns, die es nicht geschafft haben, die nicht mehr unter uns sind, und das werden leider immer mehr. Wenn jemand in den 50er- oder 60er-Jahren im Heim war, der ist bald nicht mehr, um irgendetwas entgegenzunehmen, und ich fürchte wirklich, hier wird bei der Kirche auf Zeit gespielt. Viele Betroffene haben diese Zeit nicht mehr.
Heinemann: Herr Katsch, wer bremst?
Katsch: Ich glaube, es bremsen diejenigen, die ängstlich auf das Vermögen der Kirche schauen, die bei über sechs Milliarden Kirchensteuer-Einnahmen im letzten Jahr immer noch der Meinung sind, man könne es sich nicht leisten, seine Opfer angemessen und nicht einmal großzügig, sondern wirklich angemessen zu entschädigen. Die haben offensichtlich gesiegt in den innerkirchlichen Auseinandersetzungen über jene, die begriffen haben, dass nur ein großzügiges Zugehen auf die Opfer wirklich diese Krise für die Kirche auch lösen kann. Und wir haben die Hoffnung nicht aufgegeben, dass mit Unterstützung von Öffentlichkeit, mit Unterstützung auch von Politik wir die Gutwilligen, die es ja in der Kirche gibt, dazu stärken können, dass es vielleicht doch noch zu einem Ausgleich zwischen Opfern und Betroffenen kommt.
"Karrieren von Tätern zugelassen"
Heinemann: Anerkennungszahlung oder Entschädigungszahlung, wie auch immer – dieses Geld stammt in jedem Fall von Gläubigen und oder denjenigen, die Kirchensteuern zahlen. Auf jeden Fall nicht von den Tätern. Werden damit nicht die falschen zur Kasse gebeten?
Katsch: Na ja, ich nenne Ihnen ein Beispiel, weil Sie das Canisius-Kolleg erwähnten. Da gab es zwei Serientäter, die im Laufe von drei Jahrzehnten über 100 Jungen sexuell missbraucht haben. Wie sollen diese Männer angemessen irgendetwas leisten? – Die Kirche hat zugelassen, dass in ihren Reihen solche Täter ihre Karriere machen konnten, und deswegen ist es angemessen, dass die, die die Täter geschützt haben, die sie weiterversetzt haben, auch nachdem Fälle bekannt geworden sind, die die Opfer im Unklaren gelassen haben, dass sie als Institution diese Entschädigung übernimmt.
Heinemann: Herr Katsch, viele der in Fulda versammelten Bischöfe waren früher einmal Generalvikare oder Personalverantwortliche. Wer hat bisher Verantwortung übernommen?
Katsch: Niemand! – Ganz klar. - Niemand übernimmt Verantwortung. Oder ich möchte in diesem Zusammenhang tatsächlich dieses altmodische Wort benutzen, was die Kirche sonst gerne benutzt, nämlich Schuld. Es geht hier um Schuld! Es geht hier tatsächlich um das Versagen einer Institution. Aber diese Institution besteht natürlich aus Menschen, insbesondere aus Führungskräften, die die Entscheidungen getroffen haben, Täter zu versetzen, Täter zu schützen, die Angehörigen von Opfern nicht zu informieren, und diese Schuldigen sitzen nach wie vor auf ihren Bischofsstühlen und fürchten sich natürlich vor Aufarbeitung, weil sie allen Grund dazu haben. Und wer heute Bischof ist in Deutschland, hat aller Wahrscheinlichkeit nach zuvor als Personalverantwortlicher, als Generalvikar gearbeitet. Das trifft auf jeden Fall auf sehr viele zu. Deswegen kennt er dieses System von Vertuschung und Verheimlichung aus eigener Praxis und dazu hören wir nichts. Niemand hat hier Verantwortung übernommen. Niemand hat hier seine Schuld bekannt.
"Führungsversagen von Bischöfen in Deutschland"
Heinemann: Können Sie einen Namen nennen?
Katsch: Na ja. Wir wissen, dass der Erzbischof von Hamburg zuvor Personalverantwortung getragen hat im Erzbistum Köln über viele Jahre und dass er dort konkret auch mit Missbrauchsfällen zu tun gehabt hat, die – wie soll man sagen – suboptimal aus Sicht der Opfer aufgearbeitet und aufgeklärt worden sind. Und wir kennen den Fall, der nun schon notorisch ist, des Priesters H., der von Essen nach München versetzt wurde, und wo nun schon der dritte Kardinal mit diesem Fall offensichtlich überfordert war, nach Kardinal Ratzinger, Kardinal Wetter nun auch Kardinal Marx.
Denn nicht mal die kirchenrechtliche Untersuchung ist so abgeschlossen worden, dass man das Gefühl hat, hier ist ein Täter für jahrzehntelange Missbrauchsverbrechen angemessen bestraft worden, geschweige denn, dass den Opfern geholfen wurde, dass den Pfarrgemeinden, in denen dieser Täter hin- und hergeschoben wurde, dass denen Begleitung zuteil geworden ist, dass sie diese Schmach und diese Scham irgendwie auch ertragen können.
Es ist ein Führungsversagen von Bischöfen in Deutschland und zu diesem Führungsversagen in der Aufarbeitung kommt jetzt auch noch die Kleinmütigkeit bei der Frage der Entschädigung, und ich finde, die Kirche zeigt damit, sie ist überfordert, die Bischöfe sind überfordert, und es wird Zeit, dass die Öffentlichkeit und dass die Politik auch sagt, es reicht und wir betreten jetzt das Spielfeld, wir bleiben nicht mehr am Rand und gucken uns das an, sondern wir mischen uns ein.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.