Hoch über der Stadt, herabblickend auf die Dächer schmalbrüstiger Häuser, hockt ein Dämon auf einem gotischen Sims von Notre Dame, eine teuflische, zum hämischen Grinsen verzogene Fratze, auf nackte Ellenbogen gestützt. Das von Raben umschwirrte Wesen hat krumme Hörner, auf seinem Rücken bleiche Flügel. Am meisten aber beunruhigt, dass dieses Nachtwesen obszön seine Zunge zeigt, also der Stadt Paris gleichsam eine Nase zieht. Das kleine Porträt dieser Groteske – gefasst in ein ovales Medaillon – gehört zu den berühmtesten Werken des Pariser Radierkünstlers Charles Meryon. Zur Zeit hängt es im Mittelpunkt einer Ausstellung der Hamburger Kunsthalle.
"Eine Interpretation, ist dass er sich da auch selbst porträtiert, einer der melancholisch auf diese Stadt hinabblickt, die ja letztlich auch sein Lebenswerk ist, gleichzeitig auch isoliert, abgehoben. Andrerseits hat man diese Figur auch im symbolischen Sinne verstehen wollen, eine Personifikation Napoleons III., der wie ein Vampir das letzte Blut aus diese Stadt saugt, über die er sich erhoben hat."
Jonas Beyer, Kurator der Hamburger Schau, ordnet den scheinbaren Einzelgänger Meryon ein ins Kontinuum der grafischen Entwicklung des 19. Jahrhunderts. Für ihn ist Meryon ohne die dunkle Vorarbeit von Delacroix oder Géricault , ohne die atmosphärischen Zeichner der Schule von Barbizon kaum denkbar. Wo diese aber in die freie Natur gingen, konzentrierte sich Meryon auf das dunkle, schattige Herz der Stadt an der Seine, rund um die Ile de France, das Quartier Latin. Hier war er unterwegs – zwischen bröckelndem mittelalterlichen Gemäuer, unter den düsteren Brücken, in den lichtlosen Gassen – als Flaneur, Herumtreiber und Fantast, aber mit sezierendem, visionären Blick, der ihn zu singulären Ansichten führte, Ansichten einer Stadt, die sich damals, unter der Ägide des Stadterneuerers Baron Haussmann, in atemberaubendem Tempo modernisierte. Jonas Beyer möchte daher,
"dass man die Werke nicht mehr als ein Psychogramm zu deuten sucht, indem man viel von seiner historisch belegten Geisteskrankheit hineinliest, sondern versteht, dass er mit seinen Parisansichten den Nerv der Zeit getroffen hat, denn sie waren ein beliebtes Motiv, um den Abriss der Stadt zu zeigen, damit für Baron Haussmann die neuen Boulevards entstehen konnten."
Besonders abgründig sind die Ansichten der einst unordentlich ausfransenden Uferzonen an der Seine: Stumm wie verwunschene Kulissen warten die Gebäude darauf, dass sich die Stadt verwandle. Der tiefschwarze Schatten unter den Brückenbögen scheint eine Woge aus schwarzer Jauche über die Boote und Staffage-Figürchen auszugießen. Nun war Meryon keineswegs ein Gegner der Aufklärung, er war Republikaner. Aber als Radierer, der mit jedem Strich, jeder Schraffur der Druckplatte mehr Dunkelheit entlockte, befand er sich in einem unauflöslichen Widerspruch: Je intensiver er sich mit seinem Motiv beschäftigte, umso schwärzer das Ergebnis. So kontrastiert der Glanz der historischen Stadt oft mit den Vorzeichen ihres drohenden Verfalls. Man hat Meryon deswegen schon damals als den "Piranesi von Paris" bezeichnet.
"Das ist sein sehr persönlicher Blick auf Paris, immer wieder persönlich aufgeladen, dramatisiert. Er arbeitet mit sehr starken Hell-Dunkel-Effekten, verdichtet einzelne Bauwerke, zieht verschiedene Perspektiven zusammen; all das sind Gestaltungsmerkmale, die dafür sprechen, dass er einen sehr individuellen Blick auf diese Stadt einnimmt."
Bei Meryons Veduten handelt es sich um die letzten authentischen Ansichten des mittelalterlichen Paris. Zugleich bevölkert er gern den Himmel über der Stadt mit Wolkengebirgen und dunklen Vogelschwärmen, auch mit Luftschiffen und anderen fantastischen fliegenden Wesen. Die erschöpfte Stadt Paris an der Schwelle zu einer modernen Metropole glänzt und erlischt gleichzeitig in einem visionären Dämmerlicht. Mit seinen eigenwilligen, verzauberten Motivwelten wurde der viel zu früh verstorbene Charles Meryon zum geheimen Vorbild für die heraufziehende neue Konjunktur der Radierkunst in Frankreich. Die Hamburger Ausstellung betont dies, indem sie ausklingt mit kongenialen Blättern von Whistler, Pissarro und Degas.
"Eine Interpretation, ist dass er sich da auch selbst porträtiert, einer der melancholisch auf diese Stadt hinabblickt, die ja letztlich auch sein Lebenswerk ist, gleichzeitig auch isoliert, abgehoben. Andrerseits hat man diese Figur auch im symbolischen Sinne verstehen wollen, eine Personifikation Napoleons III., der wie ein Vampir das letzte Blut aus diese Stadt saugt, über die er sich erhoben hat."
Jonas Beyer, Kurator der Hamburger Schau, ordnet den scheinbaren Einzelgänger Meryon ein ins Kontinuum der grafischen Entwicklung des 19. Jahrhunderts. Für ihn ist Meryon ohne die dunkle Vorarbeit von Delacroix oder Géricault , ohne die atmosphärischen Zeichner der Schule von Barbizon kaum denkbar. Wo diese aber in die freie Natur gingen, konzentrierte sich Meryon auf das dunkle, schattige Herz der Stadt an der Seine, rund um die Ile de France, das Quartier Latin. Hier war er unterwegs – zwischen bröckelndem mittelalterlichen Gemäuer, unter den düsteren Brücken, in den lichtlosen Gassen – als Flaneur, Herumtreiber und Fantast, aber mit sezierendem, visionären Blick, der ihn zu singulären Ansichten führte, Ansichten einer Stadt, die sich damals, unter der Ägide des Stadterneuerers Baron Haussmann, in atemberaubendem Tempo modernisierte. Jonas Beyer möchte daher,
"dass man die Werke nicht mehr als ein Psychogramm zu deuten sucht, indem man viel von seiner historisch belegten Geisteskrankheit hineinliest, sondern versteht, dass er mit seinen Parisansichten den Nerv der Zeit getroffen hat, denn sie waren ein beliebtes Motiv, um den Abriss der Stadt zu zeigen, damit für Baron Haussmann die neuen Boulevards entstehen konnten."
Besonders abgründig sind die Ansichten der einst unordentlich ausfransenden Uferzonen an der Seine: Stumm wie verwunschene Kulissen warten die Gebäude darauf, dass sich die Stadt verwandle. Der tiefschwarze Schatten unter den Brückenbögen scheint eine Woge aus schwarzer Jauche über die Boote und Staffage-Figürchen auszugießen. Nun war Meryon keineswegs ein Gegner der Aufklärung, er war Republikaner. Aber als Radierer, der mit jedem Strich, jeder Schraffur der Druckplatte mehr Dunkelheit entlockte, befand er sich in einem unauflöslichen Widerspruch: Je intensiver er sich mit seinem Motiv beschäftigte, umso schwärzer das Ergebnis. So kontrastiert der Glanz der historischen Stadt oft mit den Vorzeichen ihres drohenden Verfalls. Man hat Meryon deswegen schon damals als den "Piranesi von Paris" bezeichnet.
"Das ist sein sehr persönlicher Blick auf Paris, immer wieder persönlich aufgeladen, dramatisiert. Er arbeitet mit sehr starken Hell-Dunkel-Effekten, verdichtet einzelne Bauwerke, zieht verschiedene Perspektiven zusammen; all das sind Gestaltungsmerkmale, die dafür sprechen, dass er einen sehr individuellen Blick auf diese Stadt einnimmt."
Bei Meryons Veduten handelt es sich um die letzten authentischen Ansichten des mittelalterlichen Paris. Zugleich bevölkert er gern den Himmel über der Stadt mit Wolkengebirgen und dunklen Vogelschwärmen, auch mit Luftschiffen und anderen fantastischen fliegenden Wesen. Die erschöpfte Stadt Paris an der Schwelle zu einer modernen Metropole glänzt und erlischt gleichzeitig in einem visionären Dämmerlicht. Mit seinen eigenwilligen, verzauberten Motivwelten wurde der viel zu früh verstorbene Charles Meryon zum geheimen Vorbild für die heraufziehende neue Konjunktur der Radierkunst in Frankreich. Die Hamburger Ausstellung betont dies, indem sie ausklingt mit kongenialen Blättern von Whistler, Pissarro und Degas.