Ohne große Geldgeber
SGS Essen - die letzte Insel im Frauenfußball

Seit mehr als 20 Jahren spielt die SGS Essen in der Frauen-Bundesliga. Und das ohne einen großen Männerverein im Hintergrund, ohne einen Mäzen oder große Sponsoren. Stattdessen steht die Ausbildung im Vordergrund.

Von Benedikt Kaninski |
Spielerinnen der SGS Essen in einem Heimspiel gegen RB Leipzig
Spielerinnen der SGS Essen in einem Heimspiel gegen RB Leipzig (IMAGO / Fotografie73 / IMAGO / Fotografie73)
Es ist ein nasskalter Trainingsabend auf der Helmut-Rahn-Sportanlage in Essen. Bei der U19 steht Abschlusstraining auf dem Programm. Ein Schuss nach dem nächsten wird abgegeben, landet im Tor oder auch schonmal am Zaun daneben. Nur ein paar Meter weiter steht zur selben Zeit die 1. Mannschaft der SGS auf dem Platz. So haben die jüngeren Spielerinnen das Ziel klar vor Augen. Emely Joester lehnt am Zaun und muss wegen einer Fußverletzung zuschauen. Normalerweise sorgt sie als defensive Mittelfeldspielerin für Ordnung. 2019, als Emely 15 war, ist sie aus Lübeck nach Essen gekommen.
"Ich würd's nie rückgängig machen, sage ich mal. Und ich würde auch echt jedem raten, aufs Internat zu gehen, wenn es die Möglichkeit gibt, weil es war einfach eine super Zeit", sagt Joester. "Man hat mit Sportlern zusammengelebt, man konnte sich voll auf Fußball konzentrieren und auf die Schule und die Leute, die man hier bei der SGS kennengelernt hat, sind einfach mega."
Heimweh hatte Emely, als sie aus Norddeutschland in den Ruhrpott kam, nur selten. Ihre Geschichte steht für den Ausbildungsweg bei der SGS Essen. Viele Spielerinnen kommen schon in jungen Jahren und gehen zum Beispiel auf das Sport- und Teilzeitinternat am Helmholtz-Gymnasium. Der Leistungssport und die Trainingseinheiten lassen sich hier mit Hausaufgaben und dem Schulalltag verbinden.

Drittjüngster Kader der Liga

Die SGS Essen stellt mit einem Durchschnittsalter von 22,8 Jahren den drittjüngsten Kader der Liga. Fast die Hälfte des Teams ist 21 oder jünger. Ein Grund, warum die Essenerinnen seit Jahren als Underdog in die Ligaspiele gehen.
"Dadurch, dass die anderen dann meistens auch besser ausgestattet sind oder anders trainieren können als wir. Da wir Schüler haben oder Berufstätige, dass man dann immer so eine kleine Underdogrolle auch hat. Und die nehmen wir auch mit auf den Platz", sagt Joester. "Wir gehen nicht wie die anderen morgens, sondern abends alle zusammen auf den Platz. Aber jeder von uns weiß eben, dass wir es nicht für Geld machen, sondern weil wir unfassbar Bock haben Fußball zu spielen."
Gerne spricht man bei der SGS von einer "Malocherinnen-Mentalität", die für die Einsatzbereitschaft der Spielerinnen steht. Sinnbildlich dafür: fast jede Spielerin geht neben ihrer Fußballkarriere einem Beruf nach. Dadurch werden auch die Kosten für den Kader verringert.
Vor der Saison wurde Essen in den vergangenen Jahren immer wieder als Abstiegskandidat genannt und hat die Klasse immer wieder gehalten. Im vergangenen Jahr beendete die SGS die Spielzeit sogar auf dem 4. Platz. 2020 stand man im DFB-Pokalfinale.

Ausbildung als Erfolgsrezept

Der Hauptgrund für die Erfolge der vergangenen Jahre ist die gute Ausbildung im Jugendbereich. Statt Transfers mit hohen Geldsummen wird auf gut ausgebildete Trainerinnen und Trainer gesetzt. Eine davon ist Kyra Densing. Sie stand in ihrer aktiven Karriere lange für Borussia Mönchengladbach auf dem Feld und trainiert in dieser Saison die U19 der SGS.
"Man merkt einfach, dass diese Durchlässigkeit nach oben da ist", sagt Densing. "Und dadurch fällt es den Mädels, auch wenn es nicht ganz so schön ist. Irgendwann kommt der Herbst und das schlechte Wetter, da mag man vielleicht nicht immer unbedingt zum Training. Aber trotzdem wissen sie ganz genau, warum sie das machen. Weil sie irgendwann die Hoffnung und den Wunsch haben auch bei der 1. Frauen-Mannschaft auflaufen zu können. Und damit steht da eine ganz andere Motivation hinter als in einem Verein, der diesen Frauen-Anspruch nicht hat."
Für viele junge Spielerinnen sei die SGS Essen inzwischen ein Begriff und habe deutschlandweit eine Strahlkraft. Das Konzept des Ausbildungsvereins funktioniere, erklärt Densing. "Am Ende wollen wir möglichst viele Spielerinnen in den Frauen-Kader bringen", sagt Densing. Tatsächlich ist mir bis jetzt nie eine Zahl genannt worden, wieviele es sein sollen. Aber am Ende ist es mein Ziel, möglichst viele. Es ist mir egal, ob es dann 2,3 oder 5 sind. Am liebsten alle früher oder später."

Viel Geld in Trainingsmöglichkeiten investiert

Vor allem für die Jugend seien die Trainingsbedingungen wichtig. Die SGS hat an dieser Stelle nachgelegt. An der Helmut Rahn-Sportanlage mit insgesamt vier Fußballplätzen entsteht ein Nachwuchsleistungszentrum. Das Gebäude soll im kommenden Jahr fertig werden und neben Schulungsräumen auch Umkleide und Duschmöglichkeiten bieten. Die Stadt Essen hat dafür 1,7 Millionen Euro in die Hand genommen.
Im Sommer folgte dann die Ausgliederung der Frauen-Abteilung aus dem Gesamtverein, die zusätzlich zur Professionalisierung beitragen soll. Als großes Signal, die Topmannschaften der Frauen-Bundesliga aufzumischen will Jonas Kaltenmaier, Leiter des Nachwuchsleistungszentrums, den Schritt aber nicht verstanden wissen.
"Wenn man viel Geld investiert, wollen sie oftmals auch den schnellen Erfolg haben", sagt Kaltenmaier. "Und wenn dann alle sagen: wir müssen in die Champions League. Wir sind stolz darauf, dass wir in der 1. Bundesliga sind, wir sind stolz darauf, dass wir gut ausbilden. Und die anderen die wollen dann halt eben mehr und mehr Prestige und höhere Platzierungen als Pflichtaufgabe sehen."

Realistisch bleiben - sportlich wie finanziell

In Essen wolle man bei sportlich realistischen Zielen bleiben. Auch finanziell – auf der Sponsorenliste der SGS finden sich neben den Hauptsponsoren "Die Wohnkompanie" und "Westenergie" vor allem kleinere und mittelständische Unternehmen.
Ein Faktor für den sportlichen Erfolg ist Cheftrainer Markus Högner, der mit einer Unterbrechung zwischen 2016 und 2019 schon 11 Jahre bei der SGS ist. In dieser Zeit sind viele junge Fußballerinnen zu Nationalspielerinnen gereift. Im aktuellen Kader der DFB-Frauen stehen 5 Spielerinnen mit SGS-Vergangenheit. Immer wieder wechseln junge Talente aus Essen nach Frankfurt, Leverkusen, den Bayern oder Wolfsburg. Für Jonas Kaltenmaier ist das aber kein Grund Frust zu schieben. 
"Wenn sie an die Hafenstraße kommen, sind sie 90 Minuten lang unsere Gegnerinnen", sagt Kaltenmaier. "Aber ansonsten wünschen wir ihnen allen Erfolg und alles Glück der Welt, weil es einfach eine Auszeichnung unserer Arbeit ist und wir den Grundstein legen für viele erfolgreiche Karrieren."
An einen Zusammenschluss mit einem größeren Herrenverein denkt man aktuell nicht nach. Auch auf die Perspektive von immer mehr Geld in der Frauen-Bundesliga oder die Bemühungen im Frauenfußball auf Schalke und beim BVB, reagiert man in Essen gelassen. Man wolle sich vollkommen auf die eigenen Aufgaben konzentrieren und alle anderen Themen ausblenden.