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Shahla Lahiji - ein Radioporträt

Schon der erste Eindruck ist aufschlussreich: Shahla Lahiji wirkt nämlich nicht gerade, als habe sie verinnerlicht, was iranische Traditionalisten über Frauen denken: dass sie niedere Wesen seien, auf Erden dazu da, dem Manne zu dienen. Lahiji widerspricht vielmehr jedem Klischeebild der iranischen Frau. Genüsslich an ihrer Zigarette ziehend, sieht sie Besucher ihres Standes auf der Frankfurter Buchmesse selbstbewusst und fast ein wenig herausfordernd an. So, als wollte sie sagen, das hättet ihr nicht gedacht, ihr Westler, dass ich in Iran als Frau einen Verlag leiten kann.

Katajun Amirpur |
    Mein Institut gibt es seit achtzehn Jahren, ich bin die erste Verlegerin Irans. In diesen 18 Jahren haben wir über dreihundert Titel herausgebracht. Die meisten von ihnen behandeln Frauenthemen, sind Sachbücher, ein Großteil ist aber einfach Literatur, Gedichte und Romane von Frauen. Ich würde aber jedes Buch drucken, außer Frauen werden darin als niederes Wesen gezeichnet. Das ist auch eine Art von Fanatismus, macht aber nichts. Lassen wir auch mich doch ein wenig fanatisch sein.

    Schon lange ist Lahiji nicht mehr die einzige Frau im iranischen Verlagsgeschäft. Dreihundert Frauen würden heute diesen Job machen - und zwar in führender Position. Und erklärt dann, was die Arbeit ihres Verlages ausmacht.

    Mein Institut ist in Wirklichkeit ein Verlag und ein Forschungsinstitut. Ich bin als Verlegerin auch Direktorin dieses Frauenforschungsinstituts. Wir lassen über die Situation der Frauen forschen, die Texte, die wir herausbringen, spiegeln die Bedürfnisse unserer Gesellschaft wider. Deshalb kommen alle, die über Frauen forschen wollen zuerst zu uns. Und interessant ist, dass - und zwar vielleicht infolge unserer Präsenz - an zwei iranischen Universitäten das Studienfach women studies eingerichtet worden ist. Noch ist das Niveau nicht berauschend, aber allein, dass es das Fach jetzt gibt, ist gut.

    Der Lebensweg von Shahla Ladiji ist sicher nicht typisch zu nennen. Sie stammt aus einer Akademikerfamilie, ihr Vater hatte in Europa studiert, ihre Mutter gehörte zu den ersten Frauen, die in Iran in den Staatsdienst aufgenommen wurden. Schon früh zeigte sich, welche intellektuellen Neigungen Shahla selbst hatte. Sie begann mit fünfzehn Jahren Beiträge für Zeitungen und Zeitschriften zu schreiben. Mit sechzehn ging sie zum Rundfunk, übernahm eine verantwortungsvolle Position beim Nationalen Frauenrat und wurde als jüngstes Mitglied in den internationalen Verein der Schriftstellerinnnen und Journalistinnen aufgenommen. 1962 legte sie jedoch aus Protest gegen eine Reform des Frauenrechts, die sie als Scheinreform bezeichnete, alle ihre öffentlichen Ämter nieder. Lahiji begann ein Soziologie-Studium und widmete sich nach dessen Abschluss der Forschung. Sie untersuchte die Situation in den sogenannten Hurenvierteln verschiedener Städte Irans. Daraus entstand ein größeres Werk mit dem Titel "Die organisierte Prostitution." Nach der iranischen Revolution von 1978/79 machte sich Lahiji als profilierte Kritikerin der Unterdrückung der Frau einen Namen. Im Gegensatz zu der im Westen vorherrschenden Meinung betrachtet sie jedoch nicht das Kopftuch als das Hauptproblem der iranischen Frau.

    Das Kopftuch ist nicht unser wichtigstes Problem. Unser wichtigstes Problem ist, dass man uns als Mensch für gleichwertig hält. Deshalb wollen wir, dass das Zivilrecht geändert wird. Es muss den heutigen Umständen angepasst werden. Vielleicht waren die herrschenden Gesetze gut für die Umstände, die vor hundert Jahren herrschten, damals, als nur die Männer für den finanziellen Unterhalt der Familie verantwortlich waren und der Chef der Familie waren. Aber in einer Gesellschaft, wo die Frau arbeitet und zum Familienunterhalt beiträgt, taugen solche Gesetze oder solch ein Gesellschaftsvertrag nicht mehr.

    Lahiji, die vor zwei Jahren den Friedenspreis des PEN erhielt, ist Frauenrechtlerin. Was sie fordert, eben die Verbesserung der Frauenrechte, wird in Iran häufig als schädlicher Westimport abgetan. Sie würde der westlichen kulturellen Invasion Vorschub leisten, werfen die Konservativen Lahiji vor. Dabei hält Lahiji selbst nicht allzu viel von der Übernahme des westlichen Frauenbildes oder auch nur von dem Weg, den westliche Frauenrechtlerinnen eingeschlagen haben. Vor allem die versuchte Einflussnahme des Westens verbittet sie sich.

    Wir müssen mit unseren eigenen Rezepturen geheilt werden, nicht mit den Rezepten des Westens. Deshalb habe ich mich sehr gefreut, dass eine meiner Autorinnen, in einem Buch, das demnächst herauskommen wird, die Situation der iranischen Frau aus soziologischer Perspektive betrachtet hat. Und das ist vielleicht das erste Mal, das wir unsere Probleme theoretisiert haben. Es sind unsere speziellen Probleme und mit westlichen Instrumenten können wir ihnen nicht begegnen.

    Dass er aus dem Westen stammt, ist aber nicht der einzige Grund, warum Frauen wie Lahiji sich auch nicht gerne mit dem Begriff Feministin bezeichnen lassen. Und auch nicht als Säkularistin. Der Begriff Säkularismus wird in Iran oft mit Atheismus gleichgesetzt. Und das ist ein Vorwurf, den sich niemand zuziehen möchte, nicht in einem Land, in dem alle gesellschaftlichen Sphären von der Religion bestimmt werden. Ebenso wird der Terminus "Feministin" in Iran meist falsch verstanden.

    Ich habe ein Problem in Iran und das ist: man nennt mich eine Feministin und ich sage nein. Und der Grund ist der, dass in Iran Feminismus ein Wort ist, mit dem man verurteilt. Als ich einen, der mich als Feministin bezeichnete, fragte, was Feminismus denn seiner Ansicht nach sei, sagte er, Feministinnen wollten den Männern die Rechte nehmen und sie den Frauen gebe, sie wollten den Männern die Macht nehmen und sie den Frauen geben.

    Lahiji gilt als Unterstützerin des Reformkurses von Mohammad Chatami, dem iranischen Präsidenten. Er wurde 1997 von 70% der Bevölkerung und gegen den erklärten Willen des konservativen religiösen Establishments gewählt. Besonders die Frauen und Jugendlichen konnte er mit Parolen wie Gleichheit und Freiheit für sich gewinnen. So wohl auch Lahiji. Das allerdings wurde schon bald zu einem Problem für sie. In ihrer Eigenschaft als aktiver Teil der iranischen Reformbewegung wurde Lahiji im April 2000 von der Heinrich-Böll-Stiftung zu einer Iran-Konferenz nach Berlin eingeladen. Doch die Konferenz wurde massiv von Exiliranern gestört. Sie warfen den Gästen aus Teheran Kooperation mit dem Regime vor. Ein Konferieren war daher kaum möglich. Das staatliche iranische Fernsehen jedoch witterte eine Chance. Es setze die Bilder der Konferenz neu zusammen, sodass der Eindruck entstand, die eingeladenen Mitglieder der Reformbewegung und die Exilopposition hätten in friedlichem Einvernehmen den Sturz des iranischen Systems geplant. Die Konferenz bot somit eine willkommene Gelegenheit, um einen Teil der inneriranischen Reformbewegung - darunter auch Lahiji - zum Schweigen zu bringen. Nach ihrer Rückkehr musste Lahiji - wie auch verschiedene andere der vierzehn geladenen Gäste - für mehrere Monate ins Gefängnis. Die Folgen der Berliner Konferenz galten als einer von vielen Rückschlägen, die die iranische Reformbewegung in den letzten Jahren hat hinnehmen müssen. Wie aber sieht Lahiji die Bilanz der Regierungszeit Chatamis? Hat sich - vor allem in Hinblick auf die Situation der Frauen etwas gebessert?

    Es ist schwer diese Frage zu beantworten und zwar aus einem Grund. Hinsichtlich der Errungenschaften muss ich sagen: nein. Aber hinsichtlich dessen, wie das Problem wahrgenommen wird: ja, das hat sich gebessert. Was heißt das? Vor fünfzehn Jahren, als wir über das Thema Frauen sprachen, hatten wir keine Zuhörer. Und auch die Regierenden waren nicht bereit, uns zuzuhören. Irgendwie lösten sich unsere Reden in Luft auf. Aber jetzt werden diese Fragen von den Frauen angesprochen, die in der Regierung sind oder im Parlament. Die Regierenden haben eingesehen, dass sie sich der Probleme widmen müssen. Wir haben ein Treffen arrangiert mit den Frauen, die im sechsten Parlament vertreten sind und haben ihnen klargemacht, wenn ihr unsere Stimmen wollt, dann tut etwas für uns. Ich bin optimistisch: nicht in bezug auf das, was heute ist, aber für die Zukunft.