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Shakespeare heute
Der Übersetzer Frank Günther im Porträt

"Ein Witz, der 450 Jahre alt ist, ist nicht mehr unbedingt einer der frischesten." Doch es ist gerade diese Erkenntnis, die den Shakespeare-Übersetzer Frank Günther dazu anspornt, auch aus vergangenem Scherz einen Lacher zu machen.

Von Christian Gampert |
    In einer alten mechanischen Schreibmaschine steckt ein Blatt Papier.
    Innerhalb von zwei Wochen übersetzte Frank Günther in den 80er-Jahren "Viel Lärm um Nichts" - bei zugezogenen Vorhängen und ausgestöpseltem Telefon. (picture alliance/dpa-Zentralbild - Matthias Tödt)
    Arme Engländer! Sie haben immer nur diesen einen Shakespeare-Text, dieses schwierige alte Original. Wir dagegen, wir Deutschen, haben ziemlich viele Shakespeare-Übersetzungen unterschiedlichster Qualität, und das macht die Sache natürlich spannend. Wieland war der erste, er konnte allerdings kaum Englisch und übersetzte noch in Prosa. Kanonisch die Schlegel-Tieck-Übersetzung, die wahrscheinlich noch bei jedem heutigen Neu-Übersetzer unter dem Kopfkissen liegt. Fast jeder Theatermann, der auf sich hält, hat einmal Shakespeare übersetzt, nicht unbedingt textgenau, aber eben nach eigenem Gusto und für eine eigene Aufführung – das bringt nebenbei übrigens viel Geld. Was aber ist eine gute Übersetzung? Wie kann man Shakespeare in die Gegenwart holen, ohne den alten Text zu verraten? Der Münchner Anglist Tobias Döring, Vorsitzender der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft:
    "Jede Übersetzung ist eine Interpretation, und sie sollte den Zuschauern der neuen Sprache das zugänglich machen, was ein Shakespeare-Publikum seinerzeit erlebt hat."
    Wieland übersetzte in Biberach; ein paar Kilometer weiter, in Rot an der Rot, lebt heute auf einem alten Bauernhof Frank Günther, der wahrscheinlich beste und am meisten gespielte deutsche Shakespeare-Übersetzer. Günther ist Anglist, hat aber lange als Regisseur am Theater gearbeitet. Gute Voraussetzungen für lebendige Dialoge. In den 1980er-Jahren übersetzte er innerhalb von zwei Wochen, bei zugezogenen Vorhängen und ausgestöpseltem Telefon, "Viel Lärm um Nichts".
    "Ein Blankvers ist ein Blankvers ist ein Blankvers"
    Damals, sagt Frank Günther, erfand er sich für Shakespeares komplexe Sprache eine deutsche Poetologie; damals wurden alle Entscheidungen getroffen, die auch für seine späteren Übertragungen maßgeblich werden sollten. Welche sind das? Günther hat zwei Grundregeln.
    "Ein Blankvers ist ein Blankvers ist ein Blankvers. Und ein Witz ist ein Witz ist ein Witz. Ein Witz, der 450 Jahre alt ist, ist nicht mehr unbedingt einer der frischesten. Den trotzdem zu einem spontan möglichen Lacher zu machen, ist die Aufgabe. ... Wo damals ersichtlich gelacht wurde, wo ein Kalauer, ein Witz gemeint war, muss wieder einer stehen, und der muss auch heute wieder funktionieren –sprachlich."
    Damals, in den 1980er-Jahren, waren die an Schlegel gewöhnten Zuschauer empört: Shakespeare konnte doch nicht so obszön und so witzig gewesen sein wie in dieser Übersetzung. Heute verlangt man eher noch mehr Unanständigkeiten auf der Bühne. Für Frank Günther ist allerdings etwas ganz anderes entscheidend.
    "Der Blankvers ist ja eine völlig überholte, nicht mehr genutzte lyrische Form, aber ich dachte, dass die Sprache eine andere Qualität bekommt, wenn sie über ein rhythmisches Metrum läuft. So war die andere Aufgabe: Wie schreibe ich einen Blankvers, der nicht klingt wie "O reichet den Revolver mir?"
    Den Text ganz selbstverständlich über das Metrum drüber laufen zu lassen, das sei die Hauptschwierigkeit, sagt Günther. Deshalb dauert das Übersetzen ja auch so lange. Die Sprache müsse sich an den Blankvers anschmiegen wie ein Handschuh. Günther sieht sich die Arbeit anderer Übersetzer durchaus an, um deren Ansatz zu verstehen, aber die wichtigste Folie, von der man sich absetzen müsse, seien immer noch Schlegel und Tieck. Aber:
    "Es gibt Sätze, die hat Schlegel so übersetzt, dass man sie niemals anders übersetzen kann – 'es ist was faul im Staate Dänemark', das kann man nicht anders übersetzen, das heißt halt so."
    Aber auch Shakespeares Sprache hat sich im Lauf der Jahre verändert.
    "Weil er jetzt diese späten Stücke macht, fällt extrem auf, dass sich seine Sprache sehr verändert hat bei den letzten Stücken. Sie ist dichter, elliptischer, es fällt viel weg. Wie hingehuscht. Die Sprache wirkt so ineinander geknäuelt, dass man mit Papier und Bleistift die Syntax nachbauen muss."
    Günther übersetzt die Stücke tatsächlich von vorn nach hinten, weil das ja alles gebaut und organisch verzahnt sei, sagt er. Es gab allerdings eine Ausnahme.
    "Einmal hab ich's anders gemacht, und das hatte einen Grund, das war beim Sommernachtstraum. Weil der Sommernachtstraum sehr viele unterschiedliche Tonlagen hat in bestimmten Figurengruppen."
    Rilke, Trakl und Goethe als Inspirationsquellen
    Es gibt die Geister und Elfen im Wald, es gibt die Verliebten, die Handwerker und schließlich "Pyramus und Thisbe", also das Stück im Stück.
    "Das sind erstaunlicherweise vier verschiedene Arten, Blankvers zu behandeln. Die Welt der Geister bewegt sich in schöner schwebender Lyrik, es perlt da so dahin."
    Und Günther verrät uns auch, woher er sich die Inspiration für die so unterschiedlichen Sprachebenen holt.
    "Für die Welt der Geister mit der perlenden Lyrik lagen dann Rilke und Trakl und Goethes Naturlyrik nebendran um zu sehen, wie das handwerklich geht."
    Von Rilke kann man nämlich lernen, wie man den Satz immer über das Versende hinauszieht, dann fängt die Sprache an zu fliegen. Für die austauschbaren Liebespaare mit ihren leicht mechanischen Versen las Günther Wilhelm Busch, das gab schön ironische Wirkungen. Für die Übersetzung der Handwerker, die ja unfreiwillig komisch sein müssen, zog Günther die unnachahmliche Lyrik der Friederike Kempner zu Rate, des schlesischen Schwans. Und so weiter.
    Aber Günther hat sich natürlich auch mit der Sozialgeschichte der Shakespeare-Zeit beschäftigt. Körperhygiene war ja nicht sehr verbreitet.
    "Der "süße Atem", der immer erwähnt wird, das lag daran, dass die Leute alle faule Zähne hatten und die furchtbar aus dem Maul gestunken haben. Wenn die süße Maid also mit einem süßen Atem ankam, war das eine Offenbarung. Also das hatte ganz einfache konkrete Gründe."
    Eine Sache allerdings kann Frank Günther gar nicht ausstehen: dass man Shakespeare unbedingt "aktualisieren" müsse, dass er "unser Zeitgenosse" sei.
    "Was heißt zeitgemäß? Es gibt ein Wort, das ich noch mehr hasse als zeitgemäß, das ist 'aktuell'. Also Shakespeare ist auch heute noch aktuell. Das ist eine der beliebtesten Standard-Hohlfloskeln. Wenn einem zu Shakespeare nichts einfällt. Shakespeare ist natürlich nicht aktuell. Aktuell ist die neue Herbstmode oder der Straßenzustandsbericht. Aber Shakespeare ist dezidiert nicht aktuell, sondern Shakespeare ist 400 Jahre alt."
    Deshalb: Keinen Jargon, bitte.
    "Wir können nicht Romeo "Ey boa Alter, echt cool krass" sagen lassen. Das ist völlig ausgeschlossen. Wir bleiben immer in der anderen Welt Shakespeares."
    Die Welt Shakespeares ist uns Mittelständlern fremd, sie ist brutal und ordinär und dann wieder so elaboriert und sophisticated, wie es heute kaum noch anzutreffen ist. Aber gerade in dieser Fremdheit können wir erkennen, worauf es eigentlich ankommt. Und diese Fremdheit sprachlich verfügbar zu machen, mit einem heutigen Firnis zu umgeben, das ist vielleicht die größte Leistung des Übersetzers Frank Günther.