Vor drei Monaten watete König Heinrich der Fünfte in Bonn noch durch Schaumstoffschädel. Nun sind sie ordentlich im Schrank verstaut. Sicherheitshalber ist Plastikfolie um die Holzwände des Palastes gewickelt, dann kann man die Blutfontänen besser abwaschen. Die bestehen in Alice Buddebergs Inszenierung von Shakespeares letzten vier Königsdramen allerdings aus Matsch. Tief drinnen ist der Mensch eben auch nur eine vegetative, temporäre Zellansammlung, in schlammige Erde kehrt er stets zurück. Dieser Gedanken hat ja vielleicht sogar etwas Tröstliches.
Sexuelles Begehren erwacht
Die York-Trilogie um Heinrich VI. und Richard III. beginnt mit einem Kind: Als ein Baby von neun Monaten wird Heinrich VI. zu Beginn auf den Thron gesetzt und bleibt zeitlebens ein schwacher Herrscher, der sich nach Ruhe sehnt. Erst als er zur besseren Kontrolle mit der älteren Margaret verheiratet wird, erwacht das sexuelle Begehren in ihm - das zugleich auch schon die Todesahnung ist.
"Ich weiß nicht woher es kommt... ob aus dem Fieber deiner Worte oder weil meine Jugend von Leidenschaften der Liebe noch unberührt war. Was ich weiß: Hier ist ein Riss, der mir senkrecht durch die Brust jetzt geht!"
Laszive, ledergeschnürte Frau
Am Theater Bonn ist Heinrich VI ein Milchbubi in gestreiftem Matrosenhemd und Strumpfhose, Margaret eine laszive, ledergeschnürte Frau mit Pistolengürtel und üppigem Ausschnitt, die sich viel lieber von Lord Suffolk die Ohren lecken lässt. Doch mit dem Ehedrama der beiden hält sich Alice Buddeberg nicht lange auf. Flugs müssen erst Heinrichs, dann Margrets engste Vertraute am Hof um die Ecke gebracht werden. Aus Rache folgen die Kinder des Verschwörers York, dann York selbst, der aussieht wie Frankenstein im Morgenmantel.
Schließlich muss das grotesk aussehende Schaumstoff-Kind von Margret und Heinrich selbst dran glauben. Eine endlose, verwirrende Reihung, für Trauerarbeit ist kaum Zeit. Meist wird wie im Wilden Westen mit kleinen Revolvern getötet. Später werden die Todesarten vielfältiger, mit Fertigsahne im Gesicht, Prinzenrollen-Keksen oder Wassereimern. Die Toten rollen ins Plastikgrab in der Mitte und erstehen kurze Zeit später als andere Figuren wieder auf. Das alles ist zwar sehr ideenreich und deutlich weniger klamaukig als im ersten Teil, wirkt aber zunehmend zusammenhangslos.
Sinnloser Kreislauf des Mordens
Wozu Shakespeares "Königsdramen" überhaupt inszenieren, außer, um zu zeigen, dass Geschichte ein sinnloser Kreislauf des Mordens ist? Eine Antwort erhält man allerdings nach der Pause, als endlich Richard III. seine Bösartigkeit entfalten darf. Er wird gespielt von einer Frau. Laura Sundermann im schlichten weißen Unterhemd und schwarzer Hose, ganz ohne Buckel, wirkt kindlich, schmal und schmächtig - und dabei äußerst bedrohlich.
"Jetzt ist dieser Frustwinter endlich in glanzgeilen Sommer umgeschlagen. Ich, grobgewirkt und ohne Liebe, ich ohne alle Proportionen und von der Natur um mein Äußeres betrogen. Und da ich also nicht als Liebhaber durchgeh in dieser bös verschwatzten Zeit, bin ich also dazu bestimmt, ein Böser zu sein."
Höhepunkt der Sinnlosigkeit
Auf die Frage, warum er bei Shakespeare so ein Monster ist, antwortet sie in vielen Facetten. Wie ein gruseliges, listiges Kind in hyperaktivem Tatendrang testet sie die eigenen Grenzen aus mit herrlich erstauntem Blick, wenn sie den eigenen Bruder im Wassereimer ertränkt: Mehr neugierig, wie weit sie gehen kann, als böse. Jedes Zögern eines Untergebenen aktiviert allenfalls ein wenig Ehrgeiz. Ein Nerd, amoralisch berauscht vom eigenen Können, eine gierige Süchtige ohne Ziel. Da ist nur folgerichtig, dass nach ihr kein weiteres Königsdrama mehr kommen kann: Sie ist der einsame, verlorene Höhepunkt der Sinnlosigkeit. Und so kommt der Wahnsinn des Bonner Unternehmens "Königsdramen" schließlich doch noch zum überzeugenden Schluss: Die Geschichte vernichtet sich am Ende selbst, die jahrzehntelange mörderische Jagd nach der Krone hat ins absolute Nichts geführt.