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Shakespeares blutigstes Drama

"Titus Andronicus" gilt als besonders schwer spielbar. Der polnische Regisseur Jan Klata lässt in seiner Inszenierung für die Bühnen des Teatr Polski Wroclaw und des Dresdner Staatsschauspiels deutsche Schauspieler als Römer und polnische Darsteller als Goten aufeinander losgehen.

Von Hartmut Krug |
    In Shakespeares Frühwerk "Titus Andronicus" kommen vierzehn Personen auf der Bühne durch vielerlei Spielarten des Mordens und Verstümmelns, des Schändens und unfreiwilligen Kannibalismus zu Tode. Denn hier treffen nach einem Krieg mit den Römern und Goten zwei gewalttätige Kulturen aufeinander. Nachdem die gotische Königin Tamora, obwohl Kriegsbeute der Römer, von deren neuem Kaiser zur Frau genommen wird, rächt sie sich mit ihrem schwarzen Geliebten für den rituellen Mord der Römer an einem ihrer Söhne. Nun dreht sich unaufhaltsam eine Gewaltspirale, der auch sie zum 0pfer fällt.

    Das Staatsschauspiel Dresden, das dieses als schwer spielbar geltende Stück innerhalb seines Festprogramms zu seinem einhundertjährigen Bestehen auf die Bühne bringt, versteht seine Stückwahl als "interkulturellen Austausch". Denn in einer deutsch-polnischen Koproduktion der Bühnen des Teatr Polski Wroclaw und des Dresdner Staatsschauspiels geben deutsche Schauspieler die Römer und polnische Darsteller die Goten. Die Polen also als die Barbaren, sagt und fragt die Inszenierung mit einem kritischen Frage- oder Ausrufezeichen.

    Zwei Sprachen sind zu hören, und je nachdem, ob die jeweilige Aufführung in Wroclaw oder in Dresden stattfindet, werden die polnischen oder die deutschen Texte auf einer die Rückwand der Bühne bedeckenden weißen Stoffbahn übersetzt.

    Die Premiere in Wroclaw fand, weil das Teatr Polski derzeit renoviert wird, in einem Fernsehstudio statt. Bis an den Rand der dunklen, offenen Bühne quetschte sich das Publikum im überfüllten Raum, denn der 1973 geborene Jan Klata, der im nächsten Jahr die Leitung des Stary Teatr Kraków übernimmt, gilt als innovativer Regiestar des polnischen Theaters.

    Klata zeigt, trotz aller Dramaturgenklischees im Programmheft, kein Lehrstück über das Aufeinandertreffen zweier Kulturen, ob römischer und gotischer oder gar polnischer und deutscher, sondern er vergegenwärtigt die Mechanik von Grausamkeiten in von Krieg und Rache bestimmter Zeit. Zu Beginn stehen zwei Söhne des siegreichen römischen Feldherrn Titus Andronicus im leeren Raum nebeneinander und fordern den Thron des verstorbenen Kaisers. Titus´ Bruder Marcus krabbelt, die Hände auf dem Rücken wie festgezurrt, auf den Knien in die Szene und sucht verzweifelt die Situation zu beruhigen. Während die Römer auf der Stelle marschieren, wuchtet Titus zwanzig Minuten lang die Särge seiner elf im Krieg gefallenen Söhne zu einem lauten metallischen Dröhnen auf die Bühne. Wenn Titus einen der beiden zum Kaiser bestimmt, beginnt ein neuer Kampf.

    In dieser Inszenierung steht nicht die Sprache im Mittelpunkt, auch wenn Shakespeare, Ovid und Heiner Müller-Zitate aus dessen Übermalung des Shakespeare-Stückes ertönen. Der Regisseur erklärt und psychologisiert nicht, sondern er stellt expressiv aus - seine Schauspieler und die Handlung. Mit vielen technischen Effekten und lauter atmosphärischer Musik - Discosound der Achtziger Jahre für die Römer, Heavy Metall für die Goten - und mit den vielfältig verwendbaren großen Metallkästen schafft er eine zugleich kräftige wie mechanisch wirkende Inszenierung. Doch bei Klata bestürzt oder berührt uns die Ausweglosigkeit der Geschichte mit ihrem Selbstlauf der Gewalttaten nicht. Wir erleben sie nur als Folge von Effekten und Nummern, die sich zu statischen Körper- und Gruppenbildern reihen. Bei ihnen zittern die Figuren oft von innen heraus. Leider kommt die Handlung dabei viel zu oft zum Stillstand. Trotz des erstaunlich homogenen polnisch-deutschen Ensembles wird die Aufführung, weil ohne Rhythmus und Timing, spätestens nach der Hälfte ihrer pausenlosen zweidreiviertel Stunden eher langweilig. Denn es reihen sich die Regieeinfälle, ohne stärkere Wirkungstreffer zu erzeugen.

    Da zieht die sinnliche und aufreizende Tamora einen Eisblock am Bande hinter sich her. Da wird die junge Lavinia zu ihrer Schändung mit durchsichtiger Folie an einen aufrecht stehenden Kasten gefesselt. Da kommt der Mohr Aaron als Tamoras Geliebter, von dessen tiefer Schwärze die Farbe abblättert, mit einem Doppelhorn und einem überdimensionalem Penis als Klischee eines sogenannten "Negers" daher. Und Tamoras Söhne spielen in Hawaiihemden und modischen Hosen Luftgitarre. Alles ganz munter, doch damit entwickelt die Aufführung weder eine innere Dynamik, noch fühlt sich der Zuschauer betroffen oder provoziert. Alles ist irgendwie Spiel, denn Gewalt ist machbar auf der Bühne, weil sie ganz beiläufig als gemachte gezeigt wird. Und so sehen wir dem düster bunten Treiben zu und sagen uns nur: Apokalypse, wow. Oder stimmen dem ehrwürdigen Ulrich Bräker zu: "Pfui, Pfui, fort mit den schröcklichen Mördereien."

    Sicher, Didaktik wäre noch schlimmer gewesen als diese Illustration einer Sinnleere. So aber sitzt man in dieser Aufführung und sagt sich: Gut, alles klar, oder nicht? Dunkel ist die Gewalt, und wir wollen es hell machen. Wie auch immer. So war das Publikum am Ende vor allem erschöpft.