Schachtjor Donezk ist schon länger ein heimatloser Fußballverein. Der ukrainische Serienmeister muss im Jahr 2014 aufgrund des bewaffneten Konflikts in der Ostukraine die eigene Stadt verlassen. Das Trainingsgelände wird von Artillerie getroffen, genauso wie die Donbass Arena, in der 2012 noch EM-Spiele stattgefunden haben.
Schachtjor flieht damals erst nach Lwiw, dann nach Charkiw, später nach Kiew. Aber seit der Invasion russischer Truppen im Februar ist auch die ukrainische Hauptstadt nicht mehr sicher für die Spieler und alle anderen Angehörigen von Schachtjor. In den ersten Tagen des Angriffs verstecken sich manche Spieler in einem Hotel in Kiew. Inzwischen sind viele der ausländischen Profis in ihre Heimat zurückgekehrt.
Einige Jugendspieler blieben nach Kriegsbeginn in der Akademie
Doch die Sorgen drehen sich nicht nur um die Profispieler, sondern beispielsweise auch um die Jugendteams. Bei Shakhtar wird ein Teil der Jugendkicker zu Beginn des Krieges nach Hause geschickt, wie Jugendakademieleiter Edgar Cardoso berichtet:
"Als der Krieg startete, wurden die Spieler darum gebeten, unverzüglich in ihre Heimat zu gehen. Natürlich waren einige Spieler aufgrund der russischen Truppenbewegungen schlicht nicht in der Lage, nach Hause zu gelangen. Also Spieler aus Charkiw, eine der ersten Städte, die angegriffen wurde, und aus dem Donbass. Wir haben natürlich einen größeren Teil von Spielern aus der Donbass-Region. Die konnten nicht nach Hause gehen. Es war zu diesem Zeitpunkt nicht sicher. Sie blieben in der Akademie, eine Gruppe von 25 bis 30 Spielern."
Als sich die Lage allerdings auch rund Kiew zuspitzt, müssen die Verantwortlichen von Schachtjor eine Lösung finden. Sportdirektor Darijo Srna nutzt als ehemaliger kroatischer Nationalmannschaftskapitän seine Kontakte in der Heimat und organisiert eine Ausreise nach Zagreb.
"Natürlich waren die meisten Spieler daran interessiert, dieses gefährliche Land zu verlassen und in die Sicherheit zu reisen. Zunächst ging es aber nicht um Fußball, sondern um humanitäre Angelegenheiten: Wie evakuiert man alle? Wie gelangt man in Sicherheit? Plötzlich fanden wir uns dann mit 85 Spielern in Split wieder, da wir Zagreb nach einer Woche verlassen haben", erinnert sich der Portugiese Edgar Cardoso.
Trainerin in Split: "Das sind nicht irgendwelche Kinder. Nun sind es meine"
Und in Split befinden sich die Jugendteams von Shakhtar bis heute – mehr als 1.500 Kilometer entfernt von Kiew. Dort können sie unter verhältnismäßig normalen Bedingungen trainieren und ihrer Fußballleidenschaft nachgehen. Aber die ersten Wochen sind trotzdem von großer Sorge geprägt. Denn zunächst besteht keine Verbindung zu den Angehörigen in der Ukraine.
"Als sie dann Kontakt aufnehmen konnten, habe ich Weinen, Lachen, Grinsen, Schreien und Brüllen alles zur gleichen Zeit vernommen", erinnert sich Inna Desyuk. Sie gehört zum Trainerteam von Schachtjor, das in Split tätig ist. Im Gespräch vor Ort berichtet Desyuk, dass sie eigentlich Mädchenteams und Hockeymannschaften trainiert. Aber da nicht alle männlichen Trainer ausreisen dürfen, entscheidet sie sich dazu, mit nach Kroatien zu kommen und sich um die Jungs zu kümmern.
"Das sind nicht einfach irgendwelche Kinder. Nun sind das meine. Ich behandle sie genauso wie mein eigenes Kind. Denn ich kann genau nachvollziehen, was jede einzelne Mutter in diesem Moment fühlen muss, da sie sich weit weg von ihrem Kind befindet."
Bekannte aktive Profifußballer nicht an Kämpfen beteiligt
Natürlich ist das Schicksal der Schachtjor-Jugendteams nur eines von sehr vielen im Ukraine-Krieg. Nicht wenige Ukrainer trifft es noch bedeutend schwerer und sie müssen die Flucht ganz alleine antreten. Trotzdem ist der Fußball ein wichtiges Symbol im Land, weshalb auch die ukrainischen Profispieler das Land trotz Mobilmachung verlassen dürfen – mit einer Sondergenehmigung.
"Die versucht man natürlich auch in einer gewissen Weise zu schützen, weil die sollen ja später noch Fußball spielen. Die sind dann im Ausland. Und bekannte aktive Profifußballer sind, soweit ich weiß, also zumindest aus der Premjer-Liha, nicht aktiv an den Kämpfen beteiligt", sagt Osteuropa-Experte Ingo Petz.
Die Spieler helfen anderweitig: Wie Dynamo Kiew absolviert auch Schachtjor jetzt Freundschaftsspiele in Europa, um Geld für Geflüchtete zu sammeln. Nach dem Kriegsende sollen sie den Landsleuten wieder zu Hause Freude bereiten.
Und in ein paar Jahren dann auch die heutigen Jugendkicker von Schachtjor, die momentan, wie Edgar Cardoso berichtet, zumindest auf dem Rasen vieles ausblenden können: "Ich denke, Fußball ist der einzige Grund für sie, zufrieden und glücklich zu sein in dieser Zeit. Denn wenn sie nicht trainieren oder Fußball spielen würden, würden sie jeden Tag daran denken, was in der Ukraine geschieht."