Archiv

Shana Corey/R. Gregory Christie: "John F. Kennedy - Zeit zu handeln"
Wie aus einem Mann ein Idol wurde

US-Präsident John F. Kennedy ist als Zuversicht ausstrahlende Ikone in die Geschichte eingegangen. Doch wie aus einem nachdenklichen Jungen das Idol einer ganzen Generation wurde, wissen nur wenige. Davon erzählt jetzt ein liebevoll illustriertes Bilderbuch.

Von Paul Stoop |
    John F. Kennedy beim Besuch in Berlin am 26.6.1963
    John F. Kennedy beim Besuch in Berlin am 26.6.1963 (Bild: imago, Sven Simon / Cover: NordSüd Verlag / Combo: Deutschlandradio)
    John F. Kennedys Name steht bis heute für mutige Politik, für Jugendlichkeit und Fortschritt. Nur – war er wirklich politisch-menschliche Held? Das fragen die Autorin Shana Corey und der Illustrator R. Gregory Christie in ihrem Bilderbuch "Zeit zu handeln", das um das Thema Mut kreist. Im Mittelpunkt steht Kennedys Haltung im Konflikt über die Bürgerrechte.
    Kennedy selbst spielt die eine Hauptrolle in diesem Buch. Die Zitate aus seinen Veröffentlichungen und Reden sind geschickt auf die Kernaussagen reduziert. Die zweite Hauptrolle spielen die großflächigen Bilder von R. Gregory Christie. Der erfahrene Kinderbuch-Illustrator ist für seine Arbeiten vielfach ausgezeichnet worden. Mit seinen farblich ausdrucksstarken Porträts zoomt uns Christie nahe an die Akteure heran. John F. Kennedy sehen wir zunächst als ernsten Jungen. Er wirkt blass und in sich gekehrt. In der wohlhabenden Familie Kennedy steht er eher im Hintergrund. Die Nummer eins ist nämlich sein älterer Bruder Joe, den der stolze Vater schon als künftigen Präsidenten der USA sieht.
    Kennedy spricht sich selber Mut zu
    Joe stirbt als Soldat im Zweiten Weltkrieg. Nun soll John in die Politik gehen. Er wird mit 29 Jahren Mitglied des Abgeordnetenhauses, sechs Jahre später Senator. Aber die Präsidentschaft, ist das auch zu schaffen? In einem Buch, das er über Zivilcourage schreibt, scheint Kennedy sich mit dem Leitmotiv geradezu selbst Mut zuzusprechen:
    "Zum Mut bedarf es keiner außerordentlichen Fähigkeiten. Die Gelegenheit bietet sich früher oder später für jeden von uns. Jeder von uns muss selbst entscheiden, welchen Kurs er einschlagen will."
    Der US-amerikanische Präsident John F. Kennedy bei einer Fernsehansprache
    Der US-amerikanische Präsident John F. Kennedy bei einer Fernsehansprache (epa afp)
    Kennedy, der inzwischen als JFK berühmt ist, tritt an. Er spielt seine Politikerrolle im Wahlkampf gekonnt, aber wir sehen ihn hier auch immer noch als ernsten Jungen mit müdem Gesichtsausdruck. Eine elegant gekleidete alte Dame schaut auf diesen jungen Mann herab, den Zeigefinger überlang und mahnend gehoben. Nein, die einflussreiche ehemalige First Lady Eleanor Roosevelt ist skeptisch. Noch nie ist ein so junger Mann ins höchste Amt gewählt worden, und auch noch nie ein Katholik. Roosevelt sieht die Kandidatur als Machwerk des reichen Kennedy-Clans.
    Die schwarze Bürgerrechtsbewegung geht auf die Straße
    JFK schafft es, er wird knapp zum Präsidenten gewählt. Das wichtigste innenpolitische Thema ist die Lage der schwarzen Bevölkerung, die um Gleichberechtigung kämpft und dafür im Süden des Landes auf die Straße geht. Gregorys Bilder wirken jetzt düster. Schwarze werden aus Schulen und Hochschulen herausgehalten. In Gaststätten sind sie nicht willkommen. Der Bürgerrechtler Martin Luther King hofft auf das Einschreiten des jungen Präsidenten. Kennedy erinnerte doch bei seinem Amtsantritt an die Sklavenbefreiung und die große Rede von Präsident Lincoln. Dieser hatte hundert Jahre zuvor den Schutz der Menschenrechte als ein noch nicht eingelöstes Versprechen bezeichnet.
    "Wir dürfen keinesfalls vergessen, dass die Fackel weitergereicht wurde an eine neue Generation von Amerikanern, die nicht bereit sind, tatenlos einer schleichenden Aushöhlung jener Menschenrechte zuzusehen, denen diese Nation immer verpflichtet war. Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann – fragt, was ihr für euer Land tun könnt."
    Die schwarze Bürgerrechtsbewegung und ihr berühmtester Redner, Martin Luther King, 1963 bei einer Demonstration in Washington
    Die schwarze Bürgerrechtsbewegung und ihr berühmtester Redner, Martin Luther King, 1963 bei einer Demonstration in Washington (AFP )
    Reden ist eine Sache, Handeln eine viel schwierigere. JFK zögert. Er weiß, dass viele Bürger die Schwarzen nicht als gleichberechtigt ansehen und fürchtet um deren Reaktionen auf ein Gleichstellungsgesetz. Ein Bild, das Kennedy im Weißen Haus mit Martin Luther King und zwei schwarzen Mitstreitern zeigt, lässt uns den Kern dieses inneren Konflikts spüren. Die schwarzen Gäste sind selbstbewusst, sie sprechen, vertreten ihre Sache. Kennedy dagegen scheint sich nicht wohl zu fühlen. Er wirkt abwesend und verschließt sich dem Appell.
    Vom ernsten Jungen zum entschlossenen Präsidenten
    Die großartigen Bilder zeigen uns nun das, was ganz Amerika damals anschaute und was am Ende die Wende brachte: hunderte singender Kinder gehen in Birmingham auf die Straße und werden verhaftet. Zwei jungen Schwarzen versperrt die Polizei den Weg in die Uni. Erst jetzt entschließt sich Kennedy einzugreifen. Er befiehlt der Nationalgarde, die beiden jungen Männer in die Uni zu geleiten und wendet sich noch am selben Tag in einer Fernsehansprache an sein Volk. Nun sehen wir im ganzseitigen Porträt nicht mehr den Jungen, sondern einen entschlossenen Präsidenten, den Blick auf Millionen Fernsehzuschauer gerichtet:
    "Diese Nation wird erst dann in jeglicher Hinsicht frei sein, wenn diese Freiheit für alle Bürger dieser Nation gilt. Für unsere Nation ist es jetzt an der Zeit, ihr Versprechen einzulösen. Diejenigen, die nichts unternehmen, rufen Schande und Gewalt hervor. Aber diejenigen, die mutig Handeln, erkennen Recht und Realität an. Nächste Woche werde ich den Kongress der Vereinigten Staaten zum Handeln auffordern."
    Eine gelungene Geschichtserzählung - trotz kleinerer Mängel
    Wenige Tage nach seiner beeindruckenden Rede legt Kennedy dem Kongress den Entwurf für ein Gesetz gegen Diskriminierung vor. Niemand soll mehr im öffentlichen Raum, am Arbeitsplatz oder in Gaststätten benachteiligt werden. Nach dem Mord an Kennedy wird der Civil Rights Act von dessen Nachfolger Lyndon B. Johnson unterzeichnet.
    Shana Corey hat eine ehrliche Geschichte geschrieben, die glaubhaft Kennedys inneren Konflikt zeigt. Christies starke Bilder vermitteln die Dramatik der damaligen Lage, die eine Wende brachte. Man hätte dem Buch schon ein besseres Lektorat gewünscht. Die Übersetzung ist hier und da ungelenk. Da wird eine "Mondlandung durchgeführt" und "liegt ein Fokus" auf der Außenpolitik. Manche Details sind verwirrend oder falsch dargestellt. Einmal wird JFK ins Repräsentantenhaus gewählt, dann heißt es über dieselbe Wahl, Kennedy sei "in den Kongress von Massachusetts" gekommen. Den peinlichen Fehler im Original, Kennedy habe seine große Berliner Rede an der Mauer und nicht vor dem Rathaus Schöneberg gehalten, hat der Verlag nicht korrigiert – während Gregorys Bild den richtigen Ort zeigt.
    "Zeit zu handeln" ist aber insgesamt eine gelungene Geschichtserzählung. Politik, ist eine wichtige Botschaft, fordert den ganzen Menschen. Der mag zögern, mag Fehler machen, aber hat immer noch eine weitere Chance, doch mutig zu sein.
    Shana Corey und R. Gregory Christie: "John F. Kennedy - Zeit zu handeln", Übersetzt von Elisa Martins, NordSüd Verlag, 53 Seiten, 18 Euro.