Die Performance-Gruppe She She Pop wird im Rahmen des Theatertreffens mit dem "Theaterpreis Berlin" der Stiftung Preußische Seehandlung ausgezeichnet. Zum Interview in den "Kulturfragen" kommen zwei Mitglieder der Gruppe, auch dieses Gespräch wird also kollektiv geführt. She She Pop wurde in den 90er Jahren am Gießener Institut für Angewandte Theaterwissenschaften gegründet und feierte im vergangenen Jahr 25. Geburtstag. Dass die Grenzen zwischen freier Szene und Stadttheater durchlässiger geworden seien, nehmen sie so nicht so wahr. Zu schwerfällig sei das hierarchische Gefüge dort. Ein Stadttheater funktioniere im Prinzip "wie ein feudales kleines Dorf".
Theaterarbeit als ständiger Aushandlungsprozess
"Im Stadttheater ist es immer noch üblich, dass Schauspieler zugewiesen werden einer Produktion und kein Mitspracherecht haben zu sagen 'das ist ein Thema oder ein Projekt, bei dem ich gerne dabei wäre' - das ist einfach nicht vorgesehen, und das finden wir problematisch", sagt Johanna Freiburg. In der freien Gruppe gibt es hingegen ausschließlich gemeinsame Verabredungen und lange freiwillige Arbeitsbeziehungen. Lisa Lucassen: "Wir haben damals ja nicht nur selbst erfunden, wie unsere Themen und unsere Ästhetik aussieht, sondern auch, wie wir zusammen arbeiten wollen. Das ist natürlich ein Prozess, der niemals abgeschlossen ist. Sondern unsere Verabredungen müssen immer wieder bestätigt oder umgeworfen und neu gemacht werden."
Eigentum stellt Gleichheit infrage
Die Themen der Performance-Gruppe sind oft biographisch inspiriert. In "Oratorium" - das Stück wird beim Berliner Theatertreffen als eine der bemerkenswerten Inszenierungen gezeigt - geht es viel um Eigentum. Das Thema teile zunehmend den Bekanntenkreis, so Johanna Freiburg: "Da gibt es die, die erben, schon geerbt haben oder ein Erbe zu erwarten haben und auf einmal in einer schönen Eigentumswohnung wohnen; und es gibt welche, die das nicht tun, vielleicht aus dem Osten kommen, und die dann auch von Entmietung betroffen sind. Das ist etwas, was eine Gemeinschaft wie die unsrige sehr herausfordert. Geld ist plötzlich etwas, das diese Gleichheit herausfordert."
Brechts Lehrstücktheorie
Sprechen, Aussprechen beziehungsweise Kommunikation ist eines der wichtigsten Stilmittel von She She Pop. Hilfreich für "Oratorium" war die Lehrstücktheorie von Bertolt Brecht, dem es darum ging, durch Anprobieren von Haltungen zu Haltung zu kommen. In "Oratorium" formiert das Publikum einen Chor. Johanna Freiburg: "Man ordnet sich quasi spontan zu zum 'Chor der jungen Männer ohne festes Einkommen' oder den 'Müttern ohne Altersabsicherung'. Da passiert ganz viel im Inneren der Einzelnen. Wir sehen die Bühne eben als Ort utopischer Kommunikation; als einen Ort, wo Sprechen möglich ist mit anderen Regeln." Lisa Lucassen: "Wir behandeln besonders gerne Themen, die tabu sind; über die man nicht unbedingt freiwillig spricht, wenn man nicht muss; und auch dann nicht spricht, wenn es eigentlich gut wäre. Wir haben festgestellt: Immobilienbesitz ist ein totales Tabuthema, weil man sich damit natürlich auch angreifbar macht."
"Widersprüche zulassen und begrüßen"
Kollektive Autorschaft bedeutet für She She Pop, dass man eben nicht die künstlerische Vision eines Genies auf die Bühne bringt. Kollektive Autorschaft heißt polyphones Sprechen, und: Widersprüche zuzulassen und zu begrüßen: "Wir freuen uns, wenn wir uneins sind, wenn wir auf eine Frage mehrere Antworten haben", so Lisa Lucassen. "Und eins unserer Motti, die man mal auf einen Ring gravieren sollten, ist: 'Was wir machen ist, eine Frage stellen, die man alleine nicht beantworten kann.' Und wir hoffen, dass wir dadurch validere Aussagen treffen können als eine Einzelperson über das Leben in dieser komplizierten Welt."
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.