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Shintoismus
Auf dem Weg der Götter

Shinto ist die traditionelle Religion Japans. Doch in Deutschland muss man lange suchen, um Menschen zu finden, die sich am Shinto orientieren. Denn Japanerinnen und Japanern sei ihre Shinto-Prägung oft gar nicht bewusst, meint ein Shinto-Musiker aus Augsburg.

Von Christian Röther |
Eine Frau geht durch eine Reihe Torii, Eingangstore eines Shinto-Schreins
Eine Frau geht durch eine Reihe Torii, Eingangstore eines Shinto-Schreins (imago stock&people / Mint Images)
Shinto wird oft bezeichnet als die japanische Urreligion. Ihre Anfänge verlieren sich in der schriftlosen Vorzeit vor ein paar Tausend Jahren. Zehntausende Shinto-Schreine gibt es in Japan, heilige Orte für eine unüberschaubare Zahl von Göttinnen und Göttern, Geistern und Ahnen. Doch gibt es Shinto auch außerhalb Japans? Geht das überhaupt, oder endet Shinto an den japanischen Landesgrenzen?
In Deutschland sucht man lange vergeblich. Japanische Kultureinrichtungen hierzulande pflegen offenbar nur den Buddhismus, die Wissenschaft zuckt mit den Schultern, und sogar bei der japanischen Botschaft heißt es auf Anfrage:
"Leider haben wir keine Kenntnisse darüber, ob in Deutschland überhaupt der Shinto-Glaube praktiziert wird und wenn, durch wen."
Reihe "Wir sind die Sonstigen – kleine Religionen in Deutschland"
In Deutschland leben Christinnen und Christen, Konfessionslose und Religionsfreie, Muslime und Jüdinnen, Buddhistinnen und Hindus. Und "Sonstige". So werden kleinere Religionsgemeinschaften in Statistiken oft bezeichnet. Doch wer verbirgt sich dahinter? Wir haben Drusen und Jainas getroffen, ein daoistisches Zentrum und einen Sikh-Tempel besucht, mit Mandäern, Jesidinnen und Bahá’i gesprochen – und nach langer Suche sogar jemanden gefunden, der sein Leben am Shintoismus ausrichtet.
Shinto in Augsburg
Rat weiß dann aber die Deutsch-Japanische Gesellschaft in Erfurt. Sie kennt jemanden, der sich auch in Deutschland am Shinto orientiert:
"Ich heiße Takuro Okada, ich bin Cellist sowie Musikpädagoge. Und neben meiner musikalischen Tätigkeit halte ich Vorträge über japanische Kultur."
Takuro Okada wurde 1987 im japanischen Osaka geboren. Dort studierte er Musik, dann setzte er sein Studium in Deutschland fort. Er lebt in Augsburg und spielt dort Cello in einem Klaviertrio, dem Talistrio. In Vorträgen über die japanische Kultur spricht Takuro Okada auch über Shinto:
"Shinto ist eine Naturreligion, die sich im Prinzip nur in Japan befindet."
Ein Wahrzeichen Japans: das Torii vor dem Itsukushima-Schrein auf der Insel Miyajima bei Hiroshima
Welche Rolle spielen Schreine im Shintoismus?
In Japan soll es rund 100.000 Shinto-Schreine geben. Dort werden jeweils einzelne oder mehrere Götter oder Geister verehrt – oder auch die japanische Kaiserfamilie. Auch der Verstorbenen wird an Schreinen gedacht. Die Priesterinnen und Priester sind einzelnen Schreinen zugeordnet, und die Bevölkerung besucht die Schreine meist zu rituellen Festen oder besonderen Anlässen. Jede Region hat eigene Schreine mit lokalen Gottheiten, die dort besonders wichtig sind.

Können auch nicht-japanische Menschen dem Shintoismus angehören?
Der Shintoismus ist eng mit Japan verknüpft und wird fast ausschließlich dort oder von japanisch-stämmigen Menschen praktiziert. Einige Aufmerksamkeit erregte vor einigen Jahren allerdings der Österreicher Florian Wiltschko. Er gilt als erster und bislang einziger Ausländer, der sich erfolgreich zum Shinto-Priester ausbilden ließ. Wiltschko ist an einem Schrein in Tokio tätig.

Wofür ist der Shintoismus bekannt?
Das Bild des Shintoismus ist geprägt von den Toren der Schreine. Sie werden Torii genannt und aus Holz oder Stein gebaut. Typisch sind zwei Querbalken, die auch ein Dach haben können, sowie die rote Farbe der Tore. Die Torii sind symbolische Eingänge in die Welt der Göttinnen und Götter. In vielen Messenger-Diensten gibt es inzwischen neben Kirchen und Tempeln auch ein Torii-Emoji ⛩️.
"Weg der Götter"
Shinto, das wird zumeist übersetzt mit "Weg der Götter".
Okada: "Beim Shinto gibt es acht Millionen Götter. Und beim Shinto versucht man, mit diesen unheimlich vielen Göttern aufrichtig zu kommunizieren und freundlich zu leben."
Der Cellist und Shintoist Takuro Okada
Der Cellist und Shintoist Takuro Okada (Zsuzsánna Barabas)
Auf Japanisch heißen diese Götter "Kami". Ihre gesicherten historischen Spuren reichen zwei- bis dreitausend Jahre zurück. Sie wurden also bereits verehrt, als der Buddhismus Japan erreichte.
Okada: "Das Verhältnis von Shinto und dem Buddhismus ist etwas schwierig zu erklären. Seitdem der Buddhismus im 6. Jahrhundert nach Japan kam, waren der Shinto und der Buddhismus über 1000 Jahre hinweg vermischt und verschmolzen. Und im 19. Jahrhundert erst wurden sie aufgrund einer politischen Änderung knallhart getrennt. Insofern unterscheiden die Japaner gefühlsmäßig diese zwei Religionen gar nicht so richtig."
Shinto-Prägung erst in Deutschland bemerkt
Sie richten sich gerne nach beiden Lehren. Oft heißt es: Shinto ist für das Diesseits zuständig und der Buddhismus für das Jenseits.
Okada: "Viele Japaner besuchen bei der Neujahrsfeier die Shinto-Schreine, während sie zum Beispiel eine Beerdigung in einem buddhistischen Stil veranstalten."
Marie Kondo: Aufräumen als Weg zur Selbsterkenntnis
Die Japanerin Marie Kondo macht Aufräumen zum lukrativen Geschäftsmodell, unter anderem auf Netflix. Für sie ist Aussortieren ein Weg zu Selbsterkenntnis und einem erfüllteren Leben. In ihren Ritualen der Entrümpelung finden sich Bezüge zum Shintoismus.
Wie sehr er selbst vom Shinto geprägt ist, sagt Takuro Okada, das sei ihm erst in der Fremde klargeworden:
"Das habe ich erst richtig nachvollzogen, als ich nach Deutschland kam und in einem christlichen Kontext gelebt habe. Dann habe ich meine absolute Fremdheit selber wahrgenommen und woher das kam. Das habe ich nämlich letzten Endes nachträglich in Deutschland erkannt, dass es aus Shinto kommt."
Die Götter verleihen den Worten Macht
Es fällt Takuro Okada gar nicht so leicht, diese Shinto-Prägung in Worte zu fassen. Doch an einer Stelle wurde sie für ihn besonders deutlich: Die Deutschen erschienen ihm anfangs oft sehr direkt oder sogar schroff. In Japan hingegen würden sich die Menschen viel rücksichtsvoller ausdrücken:
"Japaner glauben mehr oder weniger unbewusst, dass die Worte eine eigene Macht haben. Und diese Kraft wird von den Göttern hinzugefügt. Deshalb muss man in der Gesellschaft immer vorsichtig umgehen mit den Worten."
So bekommt man eine Ahnung davon, was Shinto ist und welche Rolle er in Japan spielt. Doch Shinto ist nicht leicht zu beschreiben. Es gibt keine Stifterfigur, keine Offenbarung, keine allgemeingültige Lehre. Prägend sind die vielen Schreine mit den dazugehörigen Priesterinnen und Priestern. Früher waren es wohl mehrheitlich Frauen, heute sind es mehr Männer, die die Verehrung der Göttinnen und Götter anleiten.
Okada: "Es gibt in jeder Region einen Regionalgott. Aber die Einwohner dürfen natürlich auch andere Götter von anderen Regionen besuchen. Oder einen buddhistischen Tempel oder auch eine Kirche."
Shinto, Politik und Nationalismus
Die wichtigste Shinto-Göttin heißt Amaterasu. Sie symbolisiert die Sonne, und es heißt, sie habe einst das japanische Kaiserhaus begründet.
Okada: "Innerhalb der shintoistischen Göttergesellschaft gibt es im Grunde keine Hierarchie. Aber die Vorfahrin des Kaiserhofs ist eine Ausnahme."
Das wurde und wird auch politisch genutzt. Im 19. Jahrhundert wurden mit Shinto das japanische Kaiserhaus und der Nationalstaat legitimiert. Als Nationalreligion wurde Shinto in Japan auch immer wieder nationalistisch und militaristisch vereinnahmt – besonders stark vor und während des Zweiten Weltkriegs.
Damals errichtete Japan sogar Shinto-Schreine in den besetzen Teilen Chinas und Koreas. So sollten auch die Menschen dort dem japanischen Kaiser huldigen – denn der Kaiser erhob bis 1946 offiziell den Anspruch, selbst ein Shinto-Gott zu sein.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Shinto in Japan als Staatsreligion abgeschafft. Politisch spielt er aber bis heute eine große Rolle. So wird an einem Shinto-Schrein in Tokio nicht nur der Gefallen gedacht, sondern hier werden auch Kriegsverbrecher verehrt – so lautet zumindest Kritik an der Regierung aus Japan und dem Ausland.
Beten für die Kaiserfamilie
Der japanische Kaiser, der Tenno, ist bis heute das offizielle Oberhaupt der Shinto-Religion. Deshalb betet Takuro Okada in Augsburg auch jeden Tag für die japanische Kaiserfamilie, erzählt er:
"Ich bedanke mich bei den Göttern dafür, dass ich glücklich leben kann. Oder ich bitte die Götter darum, dass unsere Kaiser und Kaiserin glücklich und gesund bleiben. Sie sind quasi unsere Eltern, sozusagen. Und letzten Endes in unserer Welt ein gemeinsamer Frieden entsteht. Um diese drei Punkte bitte ich täglich die Götter."
Shinto in Japan: Schnupperkurse gegen Priestermangel
Priestermangel, das kennen nicht nur die Kirchen in Deutschland, sondern auch die Shinto-Schreine in Japan. Nur noch jeder vierte Schrein hat einen Priester. Kasohiro Ishkawa bietet deshalb Schnupperkurse für Interessierte an – und hat großen Zulauf.
Takuro Okada hat also einen Weg gefunden, wie er den japanischen "Weg der Götter" auch in Deutschland beschreiten kann – obwohl es hier keine Shinto-Schreine gibt, die in Japan so wichtig sind:
"Manchmal vermisse ich meinen eigenen Schrein aus meiner Region."
"Shinto ist eine Empfindung"
Und auch eine Shinto-Gemeinschaft hat Takuro Okada in Deutschland bislang nicht gefunden. Das liege wohl auch daran, dass Menschen aus Japan ihre Shinto-Prägung oft kaum bewusst sei:
"Im Endeffekt wissen viele Japaner nicht, dass diese Denkart - die japanisch-typische Denkart – eigentlich aus Shinto kommt. So richtig Shinto in den Vordergrund setzen, das ist bei Japanern gar nicht so typisch, sondern man versteht Shinto ganz innerlich. Und Japanern können selber nicht so richtig klar verstehen, was Shinto ist."
Auch Takuro Okada hat erst einmal herausfinden müssen, was Shinto für ihn eigentlich ist und wie er ihn prägt. Und er ist immer noch dabei, das herauszufinden.
"Shinto ist quasi eine Betrachtung. Beziehungsweise eine Empfindung."
Shinto als Gefühl, als oft unbewusstes japanisches Lebensgefühl. Takuro Okada will sich dieses Gefühl bewusst machen – und lebt es auch mit seinem Cello aus, sagt er. Wenn er in Deutschland europäische Kammermusik spiele, dann stecke darin auch ein wenig Shinto.