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Nach dem Tod von Shinzo Abe
Mord am Olympiamacher

Als am Freitag der ehemalige japanische Premierminister Shinzo Abe erschossen wurde, verlor das Land einen seiner wichtigsten Sportdiplomaten. Ohne Abe hätte Tokio kaum die Olympischen Spiele im letzten Sommer veranstalten können. Vom IOC wurde er dafür geehrt, von vielen Menschen in Japan zuletzt abgelehnt.

Von Felix Lill |
Japans damaliger Premierminister Shinzo Abe posiert vor einen Foto, welches ihn als "Super Mario" während der Schlussfeier der Olympischen Sommerspiele in Rio 2016 zeigt.
Japans ermorderter Premierminister Shinzo Abe setzte sich für den Sport ein. Vor allem Olympia in Tokio wollte er mit aller Macht ins Land holen. (dpa / picture alliance / POOL Tokyo Shimbun)
"Einige von Ihnen mögen sich Sorgen machen wegen Fukushima. Aber lassen Sie mich Ihnen versichern: Die Situation ist unter Kontrolle."
Sportpolitisch waren dies wohl die berühmt-berüchtigtsten Worte, die Shinzo Abe in seinem Leben ausgesprochen hat. Der damalige japanische Premierminister sagte sie am 7. September 2013, als in Buenos Aires das Internationale Olympische Komitee zu seiner Generalversammlung tagte.

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Eine Lüge als Lösung

Für Abe stand viel auf dem Spiel: Als Vertreter Tokios bewarb er sich gegen die Mitfinalisten aus Madrid und Istanbul, um das Austragungsrecht der Sommerspiele 2020. Tokio galt als finanzstärkster Kandidat, kämpfte aber zweieinhalb Jahre nach einer Atomkatastrophe im 250 Kilometer nördlich gelegenen Fukushima mit einem Makel: Der Frage nach der Sicherheit.
Shinzo Abe hatte eine Lösung parat. Er erklärte die Lage im Katastrophengebiet, wo wegen der hohen radioaktiven Strahlung ganze Orte evakuiert waren, kurzerhand für unbedenklich:
"Sie hat nie und wird auch niemals irgendwelchen Schaden in Tokio anrichten."

Das steckte hinter der Lüge

Für diese oft als Lüge bezeichnete Behauptung über die Sicherheitslage in Fukushima sollte er bald von seinen Kritikern gescholten werden. Diverse Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Wirtschaft aber jubelten. Denn IOC-Präsident Jacques Rogge erklärte kurz nach der japanischen Bewerbungsrede:
"Das Internationale Olympische Komitee hat die Ehre zu verkünden, dass die Spiele der 22. Olympiade im Jahr 2020 an die Stadt… Tokio gehen!"
Olympia in Tokio sollte für den Sportpolitiker Abe der große Wurf werden. Mit seinem Amtsantritt ein knappes Jahr zuvor hatte der Nationalist seinem Land einen neuen Wirtschaftsboom versprochen. Die nach ihm selbst benannte Strategie „Abenomics“ – eine Kombination aus lockerer Geldpolitik, hohen Staatsausgaben und Strukturreformen – sollte in den Sommerspielen münden. Dann nämlich würde auch ein Tourismusboom die Einnahmen zum Sprudeln bringen.

Alles kam anders

Doch „Tokyo 2020“ entwickelte sich wie so viele Projekte des Shinzo Abe: Sie wurden groß angekündigt, verwirklichten sich aber nicht so recht. Bald wurden die Tokioter Spiele um ein Vielfaches teurer als anfangs veranschlagt. Als sich die Pandemie auszubreiten begann, verschloss Abe wochenlang die Augen vor den Gefahren. Bis er Ende März 2020 dann verkündete:
"Ich habe vorgeschlagen, die Olympischen Spiele um ungefähr ein Jahr zu verschieben. Und IOC-Präsident Bach hat zu 100 Prozent zugestimmt."
Da grassierte das Virus in Japan längst und mehrere Nationale Olympische Komitees hatten schon angekündigt, in jenem Sommer keine Athleten nach Japan zu schicken. Als die Spiele dann mit einem Jahr Verspätung stattfanden, konnte „Tokyo 2020“ – auch wegen der Pandemie – keines seiner Versprechen halten: Bei Spielen ohne Zuschauer in den Stadien gab es keine Tourismuseinnahmen; auch der Austausch mit der Welt blieb aus. Anders als angekündigt wurden zudem die Steuerzahler stark belastet. Es wurden unbeliebte Spiele – wohl auch deshalb war Shinzo Abe schon im August 2020 zurückgetreten.

Betroffenheit über tragisches Ende überwiegt

Am Freitag wurde der ehemalige Premierminister, der Olympia nach Japan holte, um das Sportereignis zu einem wirtschaftspolitischen und patriotischen Ereignis zu machen, auf offener Straße erschossen. In den Augen seiner Befürworter ist damit der wichtigste Politiker Japans der letzten Jahre gestorben. Seine Kritiker werden sich aber auch daran erinnern, wie er inmitten mehrerer Kontroversen – von Vetternwirtschaft über die illegitime Verwendung von Steuergeldern bis zu Olympia – es mit der Wahrheit manchmal nicht genau nahm.
IOC-Chef Thomas Bach fand am Tag seines tragischen Tods in einer Presseerklärung diese Worte:
"Shinzo Abe war ein Mann mit Vision voller Bestimmtheit und grenzenloser Energie, um seine Vision umzusetzen. Was ich an ihm am meisten geschätzt habe, ist, dass er ein Mann war, der zu seinem Wort stand."
In Japan überwiegt kurz nach dem Tod Shinzo Abes nicht die Kritik an seiner Person. Sondern Betroffenheit über das tragische Ende eines Politikers, der sein Land über die letzten Jahre sogar im Sport so sehr geprägt hat wie kein anderer.