"Jetzt wird das Thema Zeit für Familien immer wichtiger. Denn der Wunsch nach mehr Zeit für Familie, der eint alle Familien und der ist noch stärker ausgeprägt als der Wunsch nach mehr Geld oder besserer Kinderbetreuung. Und deswegen sage ich: nicht Geld, sondern Zeit ist die Leitwährung moderner Familienpolitik."
Mit diesem Diktum hat die Bundesfamilienministerin Kristina Schröder schon im November vergangenen Jahres versucht, eine Richtung vorzugeben. Weg von der Scheuklappen-Diskussion: "Kita oder Betreuungsgeld" hin zur Einsicht, dass Eltern vor allem Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen. Zeit sei wichtiger als Geld. Bis zum heutigen Tag allerdings lässt der Gesetzentwurf aus ihrem Ministerium zum Betreuungsgeld auf sich warten.
Dabei ist eigentlich schon seit vergangenen November alles klar: Im Koalitionsausschuss hatten sich die Spitzen von Schwarz-Gelb auf ein Betreuungsgeld verständigt. Damals war auf Drängen der CSU vereinbart worden, dass Eltern, die ihr Kleinkind zuhause erziehen und nicht in die Krippe geben, finanzielle Unterstützung erfahren: Ihnen soll ab 2013 zunächst 100 Euro monatlich für Kinder im zweiten Lebensjahr und ab 2014 150 Euro für Kinder im zweiten und dritten Lebensjahr gezahlt werden. Den Staat wird das mindestens 1,2 Milliarden Euro pro Jahr kosten.
Seitdem ist ein halbes Jahr vergangen. Und passiert ist – jedenfalls aus Sicht von CSU-Chef Horst Seehofer – nichts. Nach dem Desaster für die CDU bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen platzte dem bayerischen Ministerpräsidenten schließlich der Kragen: Er drohte damit, weitere Treffen mit seinen Koalitionspartnern zu boykottieren, solange das – in seinen Augen - längst vereinbarte Betreuungsgeld nicht umgesetzt ist. Der polternde Bayer weiß natürlich, dass die FDP sowie Teile der CDU der geplanten Leistung skeptisch gegenüber stehen; weshalb Seehofer darauf drängt, das umstrittene Gesetz möglichst bald, noch vor der Sommerpause durch den Bundestag zu boxen. Ein Sechs-Augen-Gespräch der drei Parteivorsitzenden Angela Merkel, Philipp Rösler und Seehofer soll nun noch in dieser Woche Klärung schaffen.
Um die Mittagszeit herum macht sich Müdigkeit breit im Familienzentrum in Oberhausen-Lirich. Die Kleinen quengeln – nicht nur sie sind erschöpft, die Mütter sind es auch. Viele von ihnen stehen mit dem anderen Bein im Berufsleben, weil sie gerne arbeiten wollen oder müssen, wenn auch nur in einem 400 Euro-Job. Ein Betreuungsgeld helfe da nicht weiter – weder ihnen, den Müttern noch den Kindern:
"Das ist absoluter Quatsch, denn ich denke, das, was die Kinder im Kindergarten lernen, kriegen sie nicht zuhause beigebracht. Und dafür Eltern Geld zu zahlen, da halte ich gar nichts von. Gar nichts. "
Sagt Jasmin Markgraf, während sie ihrem sechsjährigen Sohn die Schuhe bindet. Vom Streit ums Betreuungsgeld haben die Mütter in dieser Kita wenig mitbekommen. Jetzt aber nicken sie alle übereinstimmend: Geld statt Kita, das wolle hier niemand:
"Nein, nicht eine. Also da wurde hier auch noch nie drüber gesprochen. Ich glaube, das ist hier gar kein Thema."
Väter sind kaum zu sehen in der Kita. Wie so oft sind Erziehung und Betreuung auch in dieser Gegend vor allem Frauensache. Lirich ist keine reiche Gemeinde, Oberhausen gar die ärmste Stadt Deutschlands. Das Jahrzehnte lange Zechensterben hat hier zum Verlust von mehreren Tausenden industriellen Arbeitsplätzen geführt. Mit dem Strukturwandel ist aus dem Stadtteil ein sozialer Brennpunkt geworden.
"Das impliziert ja schon und sagt ja schon ganz deutlich, dass hier viele Hartz IV-Empfänger sind oder eben so wenig verdienen, dass sie noch zusätzliche Leistungen bekommen. Und ein relativ hoher Migrantenanteil, und so entsteht das halt, dass wir ein Brennpunkt sind."
Thorsten Krause ist Leiter des Liricher Familienzentrums. Er hat Verständnis für Mütter, die ihre Kleinkinder zuhause erziehen wollen. Und gleichzeitig warnt der 44-Jährige davor, sozial schwache Familien unter Generalverdacht zu stellen. Gleichwohl hat Krause den Missbrauch staatlicher Leistungen selbst schon beobachtet. Die Gefahr sei groß, dass Eltern das Betreuungsgeld für alles Mögliche, aber nicht zum Wohle ihrer Kinder ausgeben. Für ihn, als Fachmann und Angestellten der Stadt, ist das Thema heikel, und so bemüht sich Krause um eine diplomatische Antwort.
"Ich glaube, dass wir in unserer Einrichtung solche Fälle aus der Praxis auch kennen, wobei ich Ihnen niemals sagen würde, die und die Familie tut das. Weil es ist letzten Endes immer die Entscheidung auch der Familie, und es ist einfach auch Elternrecht bis zu einem gewissen Grad."
Unterm Strich – daran lässt der Pädagoge keinen Zweifel - hält er die Kindertagesstätte oder den Kindergarten für die bessere Alternative, wegen der sozialen Gemeinschaft und – ganz wichtig in einem Viertel wie Lirich mit vielen Zuwanderern - wegen der Sprachförderung. Doch geht es nach den Plänen der schwarz-gelben Bundesregierung, könnten ausgerechnet Hartz-IV-Empfänger, und damit auch viele Migranten beim geplanten Betreuungsgeld leer ausgehen. Thorsten Krause ist enttäuscht:
"Das ist immer das Problem, dass die Politik so abgehoben wahrscheinlich ist, dass sie gar nicht weiß, was in der Realität, oder in den einzelnen Stadtteilen oder in den einzelnen Sozialräumen passiert. Ich glaube, das ist das Problem. Denn man redet ja nicht nur von einer Stadt wie Düsseldorf, der es sehr gut geht, sondern es gibt ja auch so Städte wie Oberhausen und Duisburg mit großen Strukturschwierigkeiten."
Die Praktiker kommen in der erbittert geführten Debatte um das Betreuungsgeld kaum zu Wort, die Eltern ebenso wenig. Es ist ein Streit, der auf der Berliner Bühne und in Talkshows ausgefochten wird.
Dabei ist es ein Thema, das alle politischen Ebenen tangiert – zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen. Die meisten der gut 400 Städte und Gemeinden im bevölkerungsreichsten Bundesland drohen zu kollabieren, weil die Kassen leer sind. Die kommunale Finanznot zeigt sich zum Beispiel in geschlossenen Schwimmbädern, zusammengestrichenen Busfahrplänen und fehlender Straßenbeleuchtung. Und natürlich wirken sich leere kommunale Kassen auch auf den Ausbau der Kinderbetreuung aus:
"Das macht sich deutlich bemerkbar, weil wir nicht so schnell zum Beispiel die U3-Betreuung sicherstellen können."
Also die Betreuung der Unter-Drei-Jährigen, erklärt Apostolos Tsalastras, Kämmerer der Stadt Oberhausen.
"Das ist das eine, das andere ist, dass wir bei uns in der Kindertagesstättenlandschaft sehr hohe Elternbeiträge haben, was natürlich auch so eine Landschaft nicht besonders attraktiv macht. Und auch des Weiteren merken wir schon, dass die gesamte Diskussion um die Kinderbetreuung uns natürlich auch an der Stadtkasse zu schaffen macht. Was da an Mehrkosten entstanden ist, das ist schon dramatisch."
Wegen seines griechischen Namens muss sich der oberste Kassenwart viel Spott anhören. Doch zum Lachen ist Tsalastras nicht zumute. Die Finanznot und die fehlende Chancengleichheit schon im Kindesalter wurmen den Kämmerer. Er ist SPD-Mitglied. Gelegentlich bekommt er Post von Eltern:
"Es gibt schon an der einen oder anderen Stelle Beschwerden über die hohen Kita-Beiträge. Das sind so Ungerechtigkeiten, die natürlich bei der Bevölkerung schon wahrgenommen werden. Die wissen zwar sehr gut, wie unsere Finanzsituation ist, aber die Gesamtsituation ist natürlich für die unbefriedigend."
Zusätzlich sitzt dem Kämmerer eine Frist im Nacken. Ab August 2013 gilt in Deutschland der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz für unter Dreijährige. Doch Oberhausen und viele andere Kommunen hinken beim U3-Ausbau weit hinterher. In ganz Nordrhein-Westfalen fehlen derzeit 44.000 Betreuungsplätze. Jahrzehntelang haben Landesregierungen aller Couleur den Ausbau im bevölkerungsreichsten Bundesland schleifen lassen. Auch unter der rot-grünen Minderheitsregierung gab es trotz einer kräftigen Finanzspritze keinen nennenswerten Fortschritt. Stattdessen strichen SPD und Grüne in der letzten Legislaturperiode die Gebühren für das dritte Kindergartenjahr.
Doch was nützt die Gebührenfreiheit, wenn es gar nicht genügend Plätze gibt, monieren Fachleute. Sie nennen außerdem zwei weitere Gründe für den Mangel an U3-Plätzen: Ausufernde Bürokratie und – vor allem – fehlendes Geld. Zwar fließen sowohl vom Bund als auch vom Land Zuschüsse an die Kommunen, doch sie reichen bei Weitem nicht aus. Umso mehr ärgert sich Apostolos Tsalastras über das geplante Betreuungsgeld:
"Also, das ist absoluter Blödsinn. Gerade in solchen Regionen wie hier im Ruhrgebiet, wo wir sehr viele bildungsferne Kinder haben, ist das völlig kontraproduktiv."
So im Kreuzfeuer der Kritik wie das Betreuungsgeld stand schon lange keine staatliche Leistung mehr. Der Verdacht liegt dann auch nahe, dass die Bundesregierung hofft, damit den Run auf deutsche Kindertagesstätten etwas abzufedern, wenn ab August 2013 der Rechtsanspruch für unter Dreijährige gilt. Manch unentschlossenes Elternpaar könnte sich dafür entscheiden, den Platz nicht in Anspruch zu nehmen, das Geld zu kassieren und dafür anderen den Vortritt zu lassen. Weil schon jetzt absehbar ist, dass es bis 2013 nicht gelingt, für alle, die einen Anspruch haben, auch einen Platz zur Verfügung zu stellen, wäre dies ein eleganter Ausweg. Gerd Landsberg, der Hauptgeschäftsführer des deutschen Städte- und Gemeindebundes, macht jedenfalls bereits deutlich, aus eigener Kraft werden die Kommunen den Krippenausbau nicht schaffen können. Und auch mit finanzieller Hilfe des Bundes sei es höchst fraglich.
"Es fehlen nach meiner Schätzung noch 200.000 Plätze bis zum 1. August 2013, das ist nicht mehr lang. Wir brauchen mehr Tagesmütter. Wir brauchen zusätzliche Hilfskräfte im Bundesfreiwilligendienst, auch die Wirtschaft ist gefordert, Betriebskindergärten auszuweiten. Aber wir müssen eben auch gegenüber den Eltern ehrlich sein. Rechtsanspruch heißt ja nicht, dass ich eine Betreuung direkt um die Ecke den ganzen Tag habe."
Auf Berliner Ebene tobt derweil ein ganz anderer Streit, eine Art Glaubenskrieg zwischen Befürwortern und Gegnern des Betreuungsgeldes, beklagt der CSU-Bundestagsabgeordnete Norbert Geis. Dabei ist es seine Partei, für die das Betreuungsgeld Prestigeprojekt ist. Längst gehe es nicht mehr um die Betroffenen selbst, sagt er, sondern um pure Ideologie.
"Wir haben ganz klare Umfragen. Dass die 18- bis 39-Jährigen mit über absoluter Mehrheit das Betreuungsgeld haben wollen, weil sie ihr Kind nicht in die Krippe geben wollen. Das müssen Sie doch respektieren. Das muss ich doch zumindest mal zur Kenntnis nehmen."
Zur Kenntnis nimmt die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, Dagmar Ziegler, aber auch die Absicht der CSU, sich mit dieser familienpolitischen Leistung vor allem bei der eigenen wertkonservativen Wählerklientel zu profilieren
"Dafür ist eigentlich nur die CSU. Sie glaubt offenbar, vorm Landtagswahlkampf im kommenden Jahr noch mal ihr konservatives Klientel bedienen zu müssen. Und dafür sollen wir hier herhalten und bezahlen."
Während sich die SPD in ihrer ablehnenden Haltung einig ist, haben sich die Grünen entschieden, den diffamierenden Begriff der Herdprämie nicht weiter zu verwenden. Das sagt jedenfalls der Vorsitzende der Grünen, Cem Özdemir - selbst junger Vater. Seine Kinder zu Hause zu erziehen, bedeute nicht automatisch, dass damit ein erzkonservatives Familienbild befördert wird, so Özdemirs Begründung. Als zaghafter Schritt darf dies gewertet werden in Richtung der von der Kanzlerin als allgemeingültig postulierten Haltung: Die jungen Familien sollen die Möglichkeit haben, ihren eigenen Weg zu finden. Angela Merkels Sprecher, Steffen Seibert, wird nicht müde zu betonen, dass es bei Betreuungsgeld und Kita-Ausbau kein Entweder-Oder gibt, sondern nur ein Sowohl-als-auch.
"Für die Kanzlerin sind das Betreuungsgeld und der in Aussicht gestellte Ausbau der Kinderbetreuung für unter Dreijährige zwei Seiten einer Medaille, die da heißt: Wahlfreiheit."
Die Kanzlerin schickt dann auch diejenigen im Bundestag in die Redeschlacht, die nachweislich keine Freunde des Betreuungsgeldes sind; deren Job es aber ist, auch solche Kurskorrekturen der Bundesregierung als logisch zu verkaufen, die es nicht sind. Hermann Gröhe, Generalsekretär der CDU, appelliert an die Toleranz.
"Es muss endlich vorbei sein, Lebensentwürfe gegeneinander auszuspielen. Nicht die einen, die früher die Rabenmutter, die berufstätig war, verteufelt haben oder das Heimchen am Herd, das sich angeblich nur um die Kinder kümmert verteufelt haben. Nein, wir unterstützen Familie insgesamt und zwar in ihrer jeweiligen Lebenssituation."
Wer glaubt, dass sich Gröhes Appell nur an die Opposition richtete, der irrt. Seit 40 weibliche Abgeordnete der CDU, die sogenannte Gruppe der Frauen, öffentlich aufgestanden sind gegen die Art, wie die Doppelstrategie Betreuungsgeld – Kitaausbau durchgesetzt werden soll, muss die Kanzlerin ausgleichend nach innen wirken. Denn selbst die als gemäßigt geltenden Frauen in der CDU drohen ihr von der Fahne zu gehen. So hat beispielsweise Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen jüngst gefordert, die Zahlung des Betreuungsgeldes regelmäßig auf den Prüfstand zu stellen. Prompt warf Bayerns Familienministerin Christine Haderthauer von der CSU von der Leyen vor, einen Überwachungsstaat anzustreben. Die Wogen glätten musste einmal mehr Peter Altmaier, noch in seiner Funktion als Parlamentarischer Geschäftsführer.
"Der Staat hat sehr viel getan für den Ausbau von Kindertagesstätten. Es gibt aber auch Familien, die ihre Kinder zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr selbst erziehen und selbst betreuen. Und wir wollen die Erziehungsleistung dieser Familien anerkennen. Wir haben uns darüber mit der CSU verständigt, der dieses Problem besonders am Herzen liegt, und es gibt eine klare Festlegung im Koalitionsvertrag und deshalb wollen wir die auch umsetzen."
Letztendlich ist es das Argument der Vertragstreue, das auch diejenigen zur Koalitionsdisziplin zwingen soll und kann, die dem Betreuungsgeld nachweislich keine Träne nachweinen würden. Denn, so sagt es auch Bundesbildungsministerin Annette Schavan, auch wenn es uns nicht gefällt: pacta sunt servanda, Verträge müssen eingehalten werden.
"Ich gehöre zu den Mitgliedern des Kabinetts und auch des Präsidiums der CDU, die sagen: Wenn ich etwas vereinbart habe, kann ich nicht zwei Jahre später so tun, als hätte ich kompletten Blödsinn vereinbart."
Und die FDP? Die Liberalen, das bestreitet auch ihr Fraktionschef Rainer Brüderle nicht, werden für das Betreuungsgeld votieren, obwohl sie dagegen sind.
"Ich sehe mit Interesse, dass bei der Herdprämie bei der CDU der Ofen längst aus ist, die CSU steht in der kalten Küche. Das sollen jetzt die beiden christlichen Schwestern und Brüder unter sich austragen. Wenn sie wissen, was sie wollen, können wir miteinander reden."
Die Zeit aber drängt: Um das Betreuungsgeld noch vor der Sommerpause durch Bundestag und Bundesrat zu bringen, muss noch in dieser Woche ein Gesetzentwurf das Familienministerium verlassen. Der Druck auf Ministerin Kristina Schröder ist groß. Sie muss der Kanzlerin eine Abstimmungsniederlage ersparen. Weshalb sie sich bewusst darüber ist, dass sie den skeptischen Frauen in der CDU etwas anbieten muss, damit das ungeliebte Betreuungsgeld von ihnen abgesegnet wird. Schröder hat daher angekündigt, den Ausbau der Krippen, der Betreuungsplätze für unter Dreijährige, massiv voranzutreiben.
"Das kommende Jahr muss das Jahr des Kitaausbaus werden. Denn am 1. August 2013 interessiert es niemanden mehr, wer von SPD und Grünen hier im Mai 2012 welche Showeinlage abgeliefert hat. Sondern da interessiert nur, dass ein bedarfsgerechtes Betreuungsangebot in Deutschland zur Verfügung steht. Die Eltern vertrauen darauf, und wir sollten gemeinsam alles tun, um sie in diesem Vertrauen nicht zu enttäuschen."
Mit vier Milliarden Euro unterstützt die Bundesregierung die Kommunen nach eigenem Bekunden dort, wo es hakt. Es sollen ungenutzte Betreuungspotenziale gehoben werden, beispielsweise bei den Betriebskitas und der Kindertagespflege. Ähnlich wohlklingend wie "Das Jahr des Kita-Ausbaus" ist das, was die Ministerin noch in diesem Monat veröffentlichen will: Ein Zehnpunkteprogramm zum Krippenausbau soll am 23., spätestens am 30. Mai auf den Tisch gelegt werden. Es ist zwar nicht zwangsläufig an den Gesetzentwurf zum Betreuungsgeld gebunden, die junge CDU-Ministerin tut aber gut daran, einen Zusammenhang glaubhaft herzustellen. Was genau in diesem Papier stehen wird, darüber hüllt sich das Ministerium noch in Schweigen – Kristina Schröders Sprecherin Katja Laubinger versichert nur gebetsmühlenhaft, dass alles in bester Ordnung und im Zeitplan sei.
"Die Ministerin und die Kanzlerin sind seit Wochen in enger Abstimmung darüber, wie der Kita-Ausbau zum Ziel geführt werden kann und der Rechtsanspruch verwirklicht werden kann, in zuverlässiger Weise. Wir haben von Anfang an gesagt, vor der Sommerpause wird es den Gesetzentwurf zum Betreuungsgeld geben, daran hat sich auch nichts geändert. Wenn Sie von der Sommerpause zurückrechnen, dann müssten im Mai die letzten Arbeiten abgeschlossen sein."
Dem Vernehmen nach könnte sich das Programm auf wohlfeile Ankündungen und Aufforderungen beschränken. So hat Kristina Schröder die Unternehmen bereits aufgerufen, mehr Betriebskrippen zu schaffen. An die Länder und Kommunen appellierte sie, auf bestimmte Bauvorschriften wie Vorgaben für Deckenhöhen zu verzichten, da die Umsetzung des Rechtsanspruchs vielerorts auch durch zu strenge Baunormen behindert wird. Alles andere ruht noch in den Schubladen des Ministeriums, wenige Tage, bevor es ernst wird. Die Kommunen haben den Glauben längst verloren, dass alles termingerecht fertig wird. Und Irene Vorholz vom Deutschen Landkreistag sieht weitere Probleme auf die Gemeinden zukommen, die durch das Betreuungsgeld erst geschaffen werden.
"Wenn zum nächsten Sommer aber ein Betreuungsgeld in Kraft tritt, das das Gegenteil einer Krippe bewirkt, wie sollen wir das dann zusammenbringen?"
Vielleicht gibt das Sechs-Augen-Gespräch der Parteivorsitzenden Antwort auch auf diese Frage. Sicher ist jedenfalls: Angela Merkel, Horst Seehofer und Philipp Rösler haben viel zu besprechen.
Mit diesem Diktum hat die Bundesfamilienministerin Kristina Schröder schon im November vergangenen Jahres versucht, eine Richtung vorzugeben. Weg von der Scheuklappen-Diskussion: "Kita oder Betreuungsgeld" hin zur Einsicht, dass Eltern vor allem Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen. Zeit sei wichtiger als Geld. Bis zum heutigen Tag allerdings lässt der Gesetzentwurf aus ihrem Ministerium zum Betreuungsgeld auf sich warten.
Dabei ist eigentlich schon seit vergangenen November alles klar: Im Koalitionsausschuss hatten sich die Spitzen von Schwarz-Gelb auf ein Betreuungsgeld verständigt. Damals war auf Drängen der CSU vereinbart worden, dass Eltern, die ihr Kleinkind zuhause erziehen und nicht in die Krippe geben, finanzielle Unterstützung erfahren: Ihnen soll ab 2013 zunächst 100 Euro monatlich für Kinder im zweiten Lebensjahr und ab 2014 150 Euro für Kinder im zweiten und dritten Lebensjahr gezahlt werden. Den Staat wird das mindestens 1,2 Milliarden Euro pro Jahr kosten.
Seitdem ist ein halbes Jahr vergangen. Und passiert ist – jedenfalls aus Sicht von CSU-Chef Horst Seehofer – nichts. Nach dem Desaster für die CDU bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen platzte dem bayerischen Ministerpräsidenten schließlich der Kragen: Er drohte damit, weitere Treffen mit seinen Koalitionspartnern zu boykottieren, solange das – in seinen Augen - längst vereinbarte Betreuungsgeld nicht umgesetzt ist. Der polternde Bayer weiß natürlich, dass die FDP sowie Teile der CDU der geplanten Leistung skeptisch gegenüber stehen; weshalb Seehofer darauf drängt, das umstrittene Gesetz möglichst bald, noch vor der Sommerpause durch den Bundestag zu boxen. Ein Sechs-Augen-Gespräch der drei Parteivorsitzenden Angela Merkel, Philipp Rösler und Seehofer soll nun noch in dieser Woche Klärung schaffen.
Um die Mittagszeit herum macht sich Müdigkeit breit im Familienzentrum in Oberhausen-Lirich. Die Kleinen quengeln – nicht nur sie sind erschöpft, die Mütter sind es auch. Viele von ihnen stehen mit dem anderen Bein im Berufsleben, weil sie gerne arbeiten wollen oder müssen, wenn auch nur in einem 400 Euro-Job. Ein Betreuungsgeld helfe da nicht weiter – weder ihnen, den Müttern noch den Kindern:
"Das ist absoluter Quatsch, denn ich denke, das, was die Kinder im Kindergarten lernen, kriegen sie nicht zuhause beigebracht. Und dafür Eltern Geld zu zahlen, da halte ich gar nichts von. Gar nichts. "
Sagt Jasmin Markgraf, während sie ihrem sechsjährigen Sohn die Schuhe bindet. Vom Streit ums Betreuungsgeld haben die Mütter in dieser Kita wenig mitbekommen. Jetzt aber nicken sie alle übereinstimmend: Geld statt Kita, das wolle hier niemand:
"Nein, nicht eine. Also da wurde hier auch noch nie drüber gesprochen. Ich glaube, das ist hier gar kein Thema."
Väter sind kaum zu sehen in der Kita. Wie so oft sind Erziehung und Betreuung auch in dieser Gegend vor allem Frauensache. Lirich ist keine reiche Gemeinde, Oberhausen gar die ärmste Stadt Deutschlands. Das Jahrzehnte lange Zechensterben hat hier zum Verlust von mehreren Tausenden industriellen Arbeitsplätzen geführt. Mit dem Strukturwandel ist aus dem Stadtteil ein sozialer Brennpunkt geworden.
"Das impliziert ja schon und sagt ja schon ganz deutlich, dass hier viele Hartz IV-Empfänger sind oder eben so wenig verdienen, dass sie noch zusätzliche Leistungen bekommen. Und ein relativ hoher Migrantenanteil, und so entsteht das halt, dass wir ein Brennpunkt sind."
Thorsten Krause ist Leiter des Liricher Familienzentrums. Er hat Verständnis für Mütter, die ihre Kleinkinder zuhause erziehen wollen. Und gleichzeitig warnt der 44-Jährige davor, sozial schwache Familien unter Generalverdacht zu stellen. Gleichwohl hat Krause den Missbrauch staatlicher Leistungen selbst schon beobachtet. Die Gefahr sei groß, dass Eltern das Betreuungsgeld für alles Mögliche, aber nicht zum Wohle ihrer Kinder ausgeben. Für ihn, als Fachmann und Angestellten der Stadt, ist das Thema heikel, und so bemüht sich Krause um eine diplomatische Antwort.
"Ich glaube, dass wir in unserer Einrichtung solche Fälle aus der Praxis auch kennen, wobei ich Ihnen niemals sagen würde, die und die Familie tut das. Weil es ist letzten Endes immer die Entscheidung auch der Familie, und es ist einfach auch Elternrecht bis zu einem gewissen Grad."
Unterm Strich – daran lässt der Pädagoge keinen Zweifel - hält er die Kindertagesstätte oder den Kindergarten für die bessere Alternative, wegen der sozialen Gemeinschaft und – ganz wichtig in einem Viertel wie Lirich mit vielen Zuwanderern - wegen der Sprachförderung. Doch geht es nach den Plänen der schwarz-gelben Bundesregierung, könnten ausgerechnet Hartz-IV-Empfänger, und damit auch viele Migranten beim geplanten Betreuungsgeld leer ausgehen. Thorsten Krause ist enttäuscht:
"Das ist immer das Problem, dass die Politik so abgehoben wahrscheinlich ist, dass sie gar nicht weiß, was in der Realität, oder in den einzelnen Stadtteilen oder in den einzelnen Sozialräumen passiert. Ich glaube, das ist das Problem. Denn man redet ja nicht nur von einer Stadt wie Düsseldorf, der es sehr gut geht, sondern es gibt ja auch so Städte wie Oberhausen und Duisburg mit großen Strukturschwierigkeiten."
Die Praktiker kommen in der erbittert geführten Debatte um das Betreuungsgeld kaum zu Wort, die Eltern ebenso wenig. Es ist ein Streit, der auf der Berliner Bühne und in Talkshows ausgefochten wird.
Dabei ist es ein Thema, das alle politischen Ebenen tangiert – zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen. Die meisten der gut 400 Städte und Gemeinden im bevölkerungsreichsten Bundesland drohen zu kollabieren, weil die Kassen leer sind. Die kommunale Finanznot zeigt sich zum Beispiel in geschlossenen Schwimmbädern, zusammengestrichenen Busfahrplänen und fehlender Straßenbeleuchtung. Und natürlich wirken sich leere kommunale Kassen auch auf den Ausbau der Kinderbetreuung aus:
"Das macht sich deutlich bemerkbar, weil wir nicht so schnell zum Beispiel die U3-Betreuung sicherstellen können."
Also die Betreuung der Unter-Drei-Jährigen, erklärt Apostolos Tsalastras, Kämmerer der Stadt Oberhausen.
"Das ist das eine, das andere ist, dass wir bei uns in der Kindertagesstättenlandschaft sehr hohe Elternbeiträge haben, was natürlich auch so eine Landschaft nicht besonders attraktiv macht. Und auch des Weiteren merken wir schon, dass die gesamte Diskussion um die Kinderbetreuung uns natürlich auch an der Stadtkasse zu schaffen macht. Was da an Mehrkosten entstanden ist, das ist schon dramatisch."
Wegen seines griechischen Namens muss sich der oberste Kassenwart viel Spott anhören. Doch zum Lachen ist Tsalastras nicht zumute. Die Finanznot und die fehlende Chancengleichheit schon im Kindesalter wurmen den Kämmerer. Er ist SPD-Mitglied. Gelegentlich bekommt er Post von Eltern:
"Es gibt schon an der einen oder anderen Stelle Beschwerden über die hohen Kita-Beiträge. Das sind so Ungerechtigkeiten, die natürlich bei der Bevölkerung schon wahrgenommen werden. Die wissen zwar sehr gut, wie unsere Finanzsituation ist, aber die Gesamtsituation ist natürlich für die unbefriedigend."
Zusätzlich sitzt dem Kämmerer eine Frist im Nacken. Ab August 2013 gilt in Deutschland der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz für unter Dreijährige. Doch Oberhausen und viele andere Kommunen hinken beim U3-Ausbau weit hinterher. In ganz Nordrhein-Westfalen fehlen derzeit 44.000 Betreuungsplätze. Jahrzehntelang haben Landesregierungen aller Couleur den Ausbau im bevölkerungsreichsten Bundesland schleifen lassen. Auch unter der rot-grünen Minderheitsregierung gab es trotz einer kräftigen Finanzspritze keinen nennenswerten Fortschritt. Stattdessen strichen SPD und Grüne in der letzten Legislaturperiode die Gebühren für das dritte Kindergartenjahr.
Doch was nützt die Gebührenfreiheit, wenn es gar nicht genügend Plätze gibt, monieren Fachleute. Sie nennen außerdem zwei weitere Gründe für den Mangel an U3-Plätzen: Ausufernde Bürokratie und – vor allem – fehlendes Geld. Zwar fließen sowohl vom Bund als auch vom Land Zuschüsse an die Kommunen, doch sie reichen bei Weitem nicht aus. Umso mehr ärgert sich Apostolos Tsalastras über das geplante Betreuungsgeld:
"Also, das ist absoluter Blödsinn. Gerade in solchen Regionen wie hier im Ruhrgebiet, wo wir sehr viele bildungsferne Kinder haben, ist das völlig kontraproduktiv."
So im Kreuzfeuer der Kritik wie das Betreuungsgeld stand schon lange keine staatliche Leistung mehr. Der Verdacht liegt dann auch nahe, dass die Bundesregierung hofft, damit den Run auf deutsche Kindertagesstätten etwas abzufedern, wenn ab August 2013 der Rechtsanspruch für unter Dreijährige gilt. Manch unentschlossenes Elternpaar könnte sich dafür entscheiden, den Platz nicht in Anspruch zu nehmen, das Geld zu kassieren und dafür anderen den Vortritt zu lassen. Weil schon jetzt absehbar ist, dass es bis 2013 nicht gelingt, für alle, die einen Anspruch haben, auch einen Platz zur Verfügung zu stellen, wäre dies ein eleganter Ausweg. Gerd Landsberg, der Hauptgeschäftsführer des deutschen Städte- und Gemeindebundes, macht jedenfalls bereits deutlich, aus eigener Kraft werden die Kommunen den Krippenausbau nicht schaffen können. Und auch mit finanzieller Hilfe des Bundes sei es höchst fraglich.
"Es fehlen nach meiner Schätzung noch 200.000 Plätze bis zum 1. August 2013, das ist nicht mehr lang. Wir brauchen mehr Tagesmütter. Wir brauchen zusätzliche Hilfskräfte im Bundesfreiwilligendienst, auch die Wirtschaft ist gefordert, Betriebskindergärten auszuweiten. Aber wir müssen eben auch gegenüber den Eltern ehrlich sein. Rechtsanspruch heißt ja nicht, dass ich eine Betreuung direkt um die Ecke den ganzen Tag habe."
Auf Berliner Ebene tobt derweil ein ganz anderer Streit, eine Art Glaubenskrieg zwischen Befürwortern und Gegnern des Betreuungsgeldes, beklagt der CSU-Bundestagsabgeordnete Norbert Geis. Dabei ist es seine Partei, für die das Betreuungsgeld Prestigeprojekt ist. Längst gehe es nicht mehr um die Betroffenen selbst, sagt er, sondern um pure Ideologie.
"Wir haben ganz klare Umfragen. Dass die 18- bis 39-Jährigen mit über absoluter Mehrheit das Betreuungsgeld haben wollen, weil sie ihr Kind nicht in die Krippe geben wollen. Das müssen Sie doch respektieren. Das muss ich doch zumindest mal zur Kenntnis nehmen."
Zur Kenntnis nimmt die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, Dagmar Ziegler, aber auch die Absicht der CSU, sich mit dieser familienpolitischen Leistung vor allem bei der eigenen wertkonservativen Wählerklientel zu profilieren
"Dafür ist eigentlich nur die CSU. Sie glaubt offenbar, vorm Landtagswahlkampf im kommenden Jahr noch mal ihr konservatives Klientel bedienen zu müssen. Und dafür sollen wir hier herhalten und bezahlen."
Während sich die SPD in ihrer ablehnenden Haltung einig ist, haben sich die Grünen entschieden, den diffamierenden Begriff der Herdprämie nicht weiter zu verwenden. Das sagt jedenfalls der Vorsitzende der Grünen, Cem Özdemir - selbst junger Vater. Seine Kinder zu Hause zu erziehen, bedeute nicht automatisch, dass damit ein erzkonservatives Familienbild befördert wird, so Özdemirs Begründung. Als zaghafter Schritt darf dies gewertet werden in Richtung der von der Kanzlerin als allgemeingültig postulierten Haltung: Die jungen Familien sollen die Möglichkeit haben, ihren eigenen Weg zu finden. Angela Merkels Sprecher, Steffen Seibert, wird nicht müde zu betonen, dass es bei Betreuungsgeld und Kita-Ausbau kein Entweder-Oder gibt, sondern nur ein Sowohl-als-auch.
"Für die Kanzlerin sind das Betreuungsgeld und der in Aussicht gestellte Ausbau der Kinderbetreuung für unter Dreijährige zwei Seiten einer Medaille, die da heißt: Wahlfreiheit."
Die Kanzlerin schickt dann auch diejenigen im Bundestag in die Redeschlacht, die nachweislich keine Freunde des Betreuungsgeldes sind; deren Job es aber ist, auch solche Kurskorrekturen der Bundesregierung als logisch zu verkaufen, die es nicht sind. Hermann Gröhe, Generalsekretär der CDU, appelliert an die Toleranz.
"Es muss endlich vorbei sein, Lebensentwürfe gegeneinander auszuspielen. Nicht die einen, die früher die Rabenmutter, die berufstätig war, verteufelt haben oder das Heimchen am Herd, das sich angeblich nur um die Kinder kümmert verteufelt haben. Nein, wir unterstützen Familie insgesamt und zwar in ihrer jeweiligen Lebenssituation."
Wer glaubt, dass sich Gröhes Appell nur an die Opposition richtete, der irrt. Seit 40 weibliche Abgeordnete der CDU, die sogenannte Gruppe der Frauen, öffentlich aufgestanden sind gegen die Art, wie die Doppelstrategie Betreuungsgeld – Kitaausbau durchgesetzt werden soll, muss die Kanzlerin ausgleichend nach innen wirken. Denn selbst die als gemäßigt geltenden Frauen in der CDU drohen ihr von der Fahne zu gehen. So hat beispielsweise Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen jüngst gefordert, die Zahlung des Betreuungsgeldes regelmäßig auf den Prüfstand zu stellen. Prompt warf Bayerns Familienministerin Christine Haderthauer von der CSU von der Leyen vor, einen Überwachungsstaat anzustreben. Die Wogen glätten musste einmal mehr Peter Altmaier, noch in seiner Funktion als Parlamentarischer Geschäftsführer.
"Der Staat hat sehr viel getan für den Ausbau von Kindertagesstätten. Es gibt aber auch Familien, die ihre Kinder zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr selbst erziehen und selbst betreuen. Und wir wollen die Erziehungsleistung dieser Familien anerkennen. Wir haben uns darüber mit der CSU verständigt, der dieses Problem besonders am Herzen liegt, und es gibt eine klare Festlegung im Koalitionsvertrag und deshalb wollen wir die auch umsetzen."
Letztendlich ist es das Argument der Vertragstreue, das auch diejenigen zur Koalitionsdisziplin zwingen soll und kann, die dem Betreuungsgeld nachweislich keine Träne nachweinen würden. Denn, so sagt es auch Bundesbildungsministerin Annette Schavan, auch wenn es uns nicht gefällt: pacta sunt servanda, Verträge müssen eingehalten werden.
"Ich gehöre zu den Mitgliedern des Kabinetts und auch des Präsidiums der CDU, die sagen: Wenn ich etwas vereinbart habe, kann ich nicht zwei Jahre später so tun, als hätte ich kompletten Blödsinn vereinbart."
Und die FDP? Die Liberalen, das bestreitet auch ihr Fraktionschef Rainer Brüderle nicht, werden für das Betreuungsgeld votieren, obwohl sie dagegen sind.
"Ich sehe mit Interesse, dass bei der Herdprämie bei der CDU der Ofen längst aus ist, die CSU steht in der kalten Küche. Das sollen jetzt die beiden christlichen Schwestern und Brüder unter sich austragen. Wenn sie wissen, was sie wollen, können wir miteinander reden."
Die Zeit aber drängt: Um das Betreuungsgeld noch vor der Sommerpause durch Bundestag und Bundesrat zu bringen, muss noch in dieser Woche ein Gesetzentwurf das Familienministerium verlassen. Der Druck auf Ministerin Kristina Schröder ist groß. Sie muss der Kanzlerin eine Abstimmungsniederlage ersparen. Weshalb sie sich bewusst darüber ist, dass sie den skeptischen Frauen in der CDU etwas anbieten muss, damit das ungeliebte Betreuungsgeld von ihnen abgesegnet wird. Schröder hat daher angekündigt, den Ausbau der Krippen, der Betreuungsplätze für unter Dreijährige, massiv voranzutreiben.
"Das kommende Jahr muss das Jahr des Kitaausbaus werden. Denn am 1. August 2013 interessiert es niemanden mehr, wer von SPD und Grünen hier im Mai 2012 welche Showeinlage abgeliefert hat. Sondern da interessiert nur, dass ein bedarfsgerechtes Betreuungsangebot in Deutschland zur Verfügung steht. Die Eltern vertrauen darauf, und wir sollten gemeinsam alles tun, um sie in diesem Vertrauen nicht zu enttäuschen."
Mit vier Milliarden Euro unterstützt die Bundesregierung die Kommunen nach eigenem Bekunden dort, wo es hakt. Es sollen ungenutzte Betreuungspotenziale gehoben werden, beispielsweise bei den Betriebskitas und der Kindertagespflege. Ähnlich wohlklingend wie "Das Jahr des Kita-Ausbaus" ist das, was die Ministerin noch in diesem Monat veröffentlichen will: Ein Zehnpunkteprogramm zum Krippenausbau soll am 23., spätestens am 30. Mai auf den Tisch gelegt werden. Es ist zwar nicht zwangsläufig an den Gesetzentwurf zum Betreuungsgeld gebunden, die junge CDU-Ministerin tut aber gut daran, einen Zusammenhang glaubhaft herzustellen. Was genau in diesem Papier stehen wird, darüber hüllt sich das Ministerium noch in Schweigen – Kristina Schröders Sprecherin Katja Laubinger versichert nur gebetsmühlenhaft, dass alles in bester Ordnung und im Zeitplan sei.
"Die Ministerin und die Kanzlerin sind seit Wochen in enger Abstimmung darüber, wie der Kita-Ausbau zum Ziel geführt werden kann und der Rechtsanspruch verwirklicht werden kann, in zuverlässiger Weise. Wir haben von Anfang an gesagt, vor der Sommerpause wird es den Gesetzentwurf zum Betreuungsgeld geben, daran hat sich auch nichts geändert. Wenn Sie von der Sommerpause zurückrechnen, dann müssten im Mai die letzten Arbeiten abgeschlossen sein."
Dem Vernehmen nach könnte sich das Programm auf wohlfeile Ankündungen und Aufforderungen beschränken. So hat Kristina Schröder die Unternehmen bereits aufgerufen, mehr Betriebskrippen zu schaffen. An die Länder und Kommunen appellierte sie, auf bestimmte Bauvorschriften wie Vorgaben für Deckenhöhen zu verzichten, da die Umsetzung des Rechtsanspruchs vielerorts auch durch zu strenge Baunormen behindert wird. Alles andere ruht noch in den Schubladen des Ministeriums, wenige Tage, bevor es ernst wird. Die Kommunen haben den Glauben längst verloren, dass alles termingerecht fertig wird. Und Irene Vorholz vom Deutschen Landkreistag sieht weitere Probleme auf die Gemeinden zukommen, die durch das Betreuungsgeld erst geschaffen werden.
"Wenn zum nächsten Sommer aber ein Betreuungsgeld in Kraft tritt, das das Gegenteil einer Krippe bewirkt, wie sollen wir das dann zusammenbringen?"
Vielleicht gibt das Sechs-Augen-Gespräch der Parteivorsitzenden Antwort auch auf diese Frage. Sicher ist jedenfalls: Angela Merkel, Horst Seehofer und Philipp Rösler haben viel zu besprechen.