Es ist wie immer bei Sibylle Berg: Ein erbarmungsloser Text, in dem fast jeder sein Fett ab kriegt, in dem jedes gesellschaftliche Debattenthema der letzten Jahre vorkommt, auf gnadenlos direkte Art vorgebracht, von einem Mann. Dieser Mann spricht für eine neue Spezies. Vor Kurzem noch gehörte er zu den Gewinnern, aber jetzt ist da nur noch dieses Missverständnis:
"Alle haben das Gefühl, ihnen stünden eine gute Behandlung zu, weil die Alten, also ich, die Welt ruiniert haben mit meinen Aktienfonds, ich lache!, mit meinem Raubbau am Meeresboden und den Atomkraftwerken, die ich nicht verhindern konnte. Ich bin schuld an der Klimaänderung und der Integrationskrise. Oder heißt es jetzt politisch korrekt Migrationskrise?"
Der Mann ist nicht dumm, er ist nicht faul, er hat nichts falsch gemacht, er ist normale Mittelklasse, er hat Frau und Kind, jetzt aber hat er nichts mehr als eine neue, nicht abbezahlte Küche, in der er ein Menü kochen will. Und jetzt stört ihn alles:
"Auch so ein Null-Beruf, Immobilienmakler! Ein Beruf, den keiner braucht. Ein Beruf für Leute die kein anderes Ziel haben im Leben, in kleinen Golfwägen über Gelände in Kenia zu eiern und zu sagen, 'beim Golf bin ich der Natur so nahe!' Von draußen ein Vogel: Das ist lustig, das glaubt ja keiner mehr, dass in der Stadt ohne Gasmaske noch was lebt..."
Politische Unkorrektheit kommt nicht eifernd daher
Sibylle Berg hat kein Stück mit Rollen geschrieben, sondern eine monologisierende Bestandsaufnahme der "Krise Mann", die in Köln auf fünf Männer und einen Musiker verteilt ist, die alle Hemd und karierte Hosen tragen. Und die Regisseur Rafael Sanchez in der Mitte zweier Zuschauerblöcke in zwei durch eine hohe weiße Sperrholzwand getrennten Räumen spielen lässt. Auf der einen Seite spinnt der Mann sich mithilfe eines Fadens in seine enger gewordene Welt ein. Auf der anderen liefern vier bärtige Typen mit Hornbrillen eine Choreografie ab, die an die Aktionen in Selbsthilfegruppen erinnern. Sie sprechen abwechselnd und denken ähnlich, wobei das Radikale depressiv untergründet ist und die politische Unkorrektheit nicht eifernd daher kommt. Eher eifersüchtig.
"Zuerst kamen kleine Boutiquen mit Cremes für Schwangere. Dann kamen Friseursalons, dann kamen Cafés mit Wasserpfeifen, dann kamen die Presslufthämmer. Dann wird das Nachbarhaus eingerüstet. Die Straße wird verbreitet, damit BMW-Geländewagen passieren können. Das ist wegen der Sicherheit der Kinder. Damit die jungen Mütter, in Klammern dreiundvierzig, mit ihren hormonersatztherapiebedingten Zwillingen ins Café fahren können, vor denen die teuren Kinderwagen geparkt sind."
So geht es weiter: nach den Schwangeren vom Prenzlauer Berg geht es gegen Schwule, Künstler, IT-Nerds, Veganer oder Feministinnen. Gegen Arbeitslose, Ausländer, Flüchtlinge. Es geht um das eigene eingerüstete Haus, das entweder zu unbezahlbaren Loft-Wohnungen umgebaut wird oder dessen Bewohner einem Asylantenheim weichen müssen.
Nerv getroffen
Das alles hätte schnell eine Anhäufung von Klischees werden können, aber Sibylle Berg formuliert so, dass diese Männer immer exakt auf dem schmalen Grat balancieren zwischen der Not, die aus ihren Sätzen spricht, und dem Zynismus, den sie beinhalten. Und es gibt einen zweiten schmalen Grat, auf der Metaebene, auf dem das Stück gekonnt herum tänzelt. Den zwischen "Das kannst du so doch nicht sagen!" und "Das muss man aber doch noch sagen dürfen!", also genau jene Linie, deren Überschreitung Thilo Sarrazin für einen notwendigen Tabubruch hält und die politisch korrekte Mehrheitsgesellschaft für Rassismus. Ja, vieles klingt reaktionär oder sozialfaschistisch. Trotzdem fällt es schwer, sich davon zu distanzieren. Was zeigt, wie der Nerv getroffen ist, den Frau Berg kitzelt. "Ich bin wütend. Ich bin so wütend. Ich habe Angst" lauten die letzten Worte.