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Sichere Deiche

An der Ostsee schützen Deiche Menschen und ihr Hab und Gut. Und hier müssen die Küstenschützer dafür sorgen, dass die Bollwerke sicher sind. Das ist derzeit aktueller denn je. Denn nach Angaben von Meereswissenschaftlern steigt der Meeresspiegel der Ostsee immer schneller.

Von Annette Eversberg |
    Die Sturmfluten der Vergangenheit dienen den Küstenschützern als Grundlage für die Bemessung ihrer Deiche an der Ostsee - auf 640 Kilometern Küstenlinie. Teilweise werden sie deutlich höher gebaut als das höchste Hochwasser, das es jemals gab. Peter Beismann vom schleswig-holsteinischen Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz:

    "Die Sturmflut 1872 war bisher das Maß aller Dinge, weil dieser Sturmflutwasserstand bisher nie wieder erreicht wurde. Man hat mit Sturmflutmodellen versucht, nachzuvollziehen, welche Windrichtung, welche Winddauer, welche Wasserstände dort vorhanden gewesen sein mussten, um diese Sturmflut zu erzeugen. Und man geht eigentlich davon aus, dass das ein aktueller Wert ist, den wir als Bemessungsgrundlage nehmen."

    Damals stieg der Meeresspiegel der Ostsee mehr als drei Meter über Normal an. 270 Menschen starben, Tausende von Tieren ertranken. Zahlreiche Schiffe versanken in den Ostseefluten. Zur Sicherheit berücksichtigen die Küstenschützer auch an der Ostsee die Prognosen des Weltklimarates. Danach soll der Meeresspiegel weltweit zwischen 20 und 60 Zentimeter ansteigen. Peter Beismann sieht jedoch auch die Mängel solcher Prognosen:

    "Dieser Wert wird ja nicht auf die regionalen Gegebenheiten herunter gebrochen bisher. Wir gehen davon aus, dass wir mit der Sicherheit von 30 Zentimetern an der Ostseeküste uns einen Sicherheitspuffer geschaffen haben und damit dann abwarten können, wie tatsächlich der Meeresspiegelanstieg sich regional auswirkt, um dann die entsprechende Planung machen zu können, wie die Deiche in Zukunft dann verstärkt werden müssen."

    Mehr Klarheit für die Ostsee ergibt sich durch neue Berechnungen des Instituts für Planetare Geodäsie an der Technischen Universität Dresden. In einer Studie hat Andreas Groh festgestellt, dass der Meeresspiegel der Ostsee tatsächlich gestiegen ist und weiter steigt:

    "Wir haben mit Hilfe der Pegelmessung diesen Meeresspiegelanstieg für den Zeitraum von 100 Jahren, für die Periode von 1903 bis 2004 bestimmt. Und in der Ostsee liegt dieser Meeresspiegelanstieg bei rund 1,5 mm pro Jahr."

    Der Meeresspiegel der Ostsee ist also in 100 Jahren um 15 Zentimeter gestiegen. In den letzten 20 Jahren ist der Anstieg sogar doppelt so schnell. Für diese neue Aussage hat man Pegel, die entlang der Küste an der Ostsee stehen, abgelesen und durch Satellitenmessungen abgesichert. Dabei muss man berücksichtigen, dass sich die Erde im Ostseeraum hebt und senkt. Andreas Groh:

    "Im Bereich der Ostsee ist die Erdkruste so wichtig, da während der letzten Eiszeit vor rund 10.000 Jahren große Eismassen über Skandinavien lagen und damit die Erdkruste um mehrere 100 Meter deformiert wurde. Sie wurde unter den Eismassen eingedrückt und nach dem Abschmelzen des Eises hat sich die Erdkruste sozusagen entspannt."

    Die Küste hebt sich in Nordschweden. Nach Schleswig-Holstein hin nimmt dies immer mehr ab. Die Küsten werden flacher. Flache Küsten sind gefährdet. Es kommt zu Abbrüchen. Küstenschützer Peter Beismann:

    "Das sind immer die Bereiche, wo ich eine geringe Geländehöhe habe. Das sind im Bereich Ostholstein der Oldenburger Graben, im Bereich Grömitz Kellenhusen und die Insel Fehmarn. Und dort haben wir Geländehöhen, mindestens unter der Sturmfluthöhe, die 1872 eingetreten sind."

    Auf Fehmarn sind schon heute die Deichhöhen mit mehr als sechs Metern am höchsten. Das ist fast doppelt so viel wie der höchste Hochwasserstand. Das ist wichtig. Denn selbst wenn die Sturmfluten der letzten Jahre nicht so hoch aufliefen wie an der Nordseeküste: Sie dauern länger, weil hier der Flut keine Ebbe folgt, bei der das Wasser nach ein paar Stunden wieder abläuft. Es kann im Gegenteil stunden- und tagelang auf die Deiche drücken. Die Höhe der Sturmflut hängt vom Meeresspiegel ab. Insofern bestätigen die Messungen der Dresdner Forscher die Deichverstärkungen der letzten Jahre. Doch es bleibt für Peter Beismann noch eine große Unbekannte. Die Windverhältnisse:

    "Man hat natürlich langfristige Aufzeichnungen über die Windverhältnisse und hat auch versucht zu ermitteln, wie dieser Wasserstand von 1872 zustande gekommen ist. Nur welcher Trend sich in dem Bereich Windrichtung, Windstärke, Winddauer durchsetzen wird, das hat die Wissenschaft noch nicht ermitteln können. Und da ist noch Forschungsbedarf. "