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"Sicherheit hat immer Vorrang"

Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) lehnt eine Aufweichung der Null-Toleranz-Regelung für genmanipulierte Lebensmittel ab. Wenn es um nicht zugelassene, gentechnisch veränderte Organismen gehe, müsse Sicherheit bei Lebensmitteln immer oberste Priorität haben.

Ilse Aigner im Gespräch mit Bettina Klein |
    Bettina Klein: Freiheit von gentechnisch veränderten Produkten, das ist ein hohes Gut gerade in Deutschland, durchaus im Unterschied zu anderen Staaten wie etwa in Asien oder auch im Unterschied zu den USA. Bisher galt auf europäischer Ebene die Null-Prozent-Regelung, die ist inzwischen ein wenig aufgeweicht bei Futtermitteln, die nun bis zu 0,1 Prozent gentechnisch veränderte Produkte enthalten dürfen, und diese 0,1 Prozent, also ein Ende der Null-Toleranz-Politik, wird nun von der EU-Kommission auch bei Nahrungsmitteln angestrebt. Alles andere, so die Begründung, sei angesichts weltweiter Handelsströme und verfeinerter Analysen schlicht nicht mehr praktikabel. Aber das trifft unter anderem in Deutschland auf wenig Verständnis.
    Die Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner will dies also verhindern, sie will sich den Bestrebungen auf europäischer Ebene entgegenstellen, und damit zeichnet sich auch der nächste koalitionsinterne Konflikt ab, zum Beispiel zwischen dem Verbraucher- und dem Wirtschaftsministerium. Schönen guten Morgen, Frau Aigner.

    Ilse Aigner: Schönen guten Morgen.

    Klein: Beginnen wir mal ganz inhaltlich. Was ist so dramatisch, was ist so gefährlich an 0,1 Prozent gentechnisch veränderten Produkten?

    Aigner: Hier geht es nicht um generell gentechnisch veränderte Produkte, sondern von Konstrukten, die in Europa nicht zugelassen sind, also noch keiner Sicherheitsprüfung unterzogen worden sind. Um diese Konstrukte geht es, und da gilt für mich 0,0, und das hat auch gezeigt, dass der Europäische Gerichtshof zum Beispiel dahinter steht bei dem Urteil über Honig beziehungsweise Pollen im Honig.

    Klein: Die agrarpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Happach-Kasan, wirft Ihnen dabei vor, die Linie des gemeinsamen Koalitionsvertrages zu verlassen, und sie sagt nebenbei eben auch, die geringsten Beimengungen von gentechnischen Produkten sind für die Verbraucher völlig unbedenklich. Das ist natürlich für den Verbraucher jetzt verwirrend. Hat Ihre Kollegin die falschen Daten oder Studien, oder weshalb kommen Sie zu einer völlig anderen Bewertung?

    Aigner: Also es ist ein Unterschied für meine Begriffe, ob es sich um Futtermittel handelt oder um Lebensmittel, und wie gesagt, es geht um nicht zugelassene Konstrukte, die hier letztendlich bei einer 0,0-Toleranz ganz ausgeschlossen werden sollen. Das Zweite ist die Frage zum Koalitionsvertrag. Da ist in der Tat noch ein anderer Punkt offen, nämlich dass wir im Koalitionsvertrag beschlossen haben, dass die Bundesländer eigenständig über die Abstandsflächen beim Anbau von Gentechnik entscheiden können. Das ist bisher auch am Koalitionspartner im Wesentlichen gescheitert.

    Klein: Aber die FDP sagt auch, im Koalitionsvertrag ist auch vereinbart eine praktikable Umsetzung der Null-Toleranz sei dort vereinbart worden und Sie würden an der Stelle den Koalitionsvertrag brechen.

    Aigner: Praktikabel ist es vor allem, wenn es ums Futtermittel geht. Das habe ich schon gesagt, das ist ein Unterschied, und hier ist der größte Bereich letztendlich abzudecken. Und Lebensmittel sind für mich anders zu beurteilen als Futtermittel.

    Klein: Sie haben jetzt mehrfach von Konstrukten gesprochen, Frau Aigner. Vielleicht können Sie noch mal erklären, was genau Sie damit meinen.

    Aigner: Es geht letztendlich im Wesentlichen um Soja und um Mais, der im Futtermittel beigemischt wird und zugleich auch bei Lebensmitteln verwendet werden kann. Im Wesentlichen geht es um diese beiden.

    Klein: Zu Verunreinigungen kommt es etwa schon, wenn für den Transport verwendete Tanks nicht ausreichend von Spuren gentechnisch veränderter Produkte gereinigt wurden. Weshalb zählt für Sie das Argument nicht, dass es zunehmend schwieriger wird, das in der Praxis zu gewährleisten?

    Aigner: Ich meine, dass Sicherheit immer den Vorrang hat, und wenn es sich um nicht zugelassene GVO [Gentechnisch veränderte Organismen] letztendlich handelt, muss Sicherheit die oberste Priorität gerade bei Lebensmitteln haben.

    Klein: Ein weiteres Argument der FDP lautet, weltweit werden auf 160 Millionen Hektar Land gentechnisch veränderte Lebensmittel angebaut. Das ist das Zehnfache der Anbaufläche in Deutschland. Gentechnik ist Alltag, sagt die FDP. Muss sich Deutschland da den Gegebenheiten fügen?

    Aigner: Es ist trotzdem die Entscheidung des Verbrauchers, ob er es will oder nicht, und deshalb ist genau bei dieser Frage die Transparenz das Entscheidende und für die setze ich mich hier ein.

    Klein: Jetzt schauen wir mal auf den Konflikt mit dem Koalitionspartner. Sie werfen sich gegenseitig vor, nicht dem Koalitionsvertrag zu folgen. Sehen Sie hier Kompromissmöglichkeiten?

    Aigner: Ich werfe es nicht vor, ich stelle es nur fest, dass ich seit Beginn dieser Legislaturperiode – das war ein harter Kompromiss letztendlich auch in den Koalitionsverhandlungen – um diese Öffnungsklausel für die Bundesländer kämpfe. Es ist bisher gescheitert, das stelle ich einfach fest, das werfe ich nicht vor.

    Klein: Im Bundeswirtschaftsministerium, geführt von der FDP, herrscht auch die Auffassung vor, dass die Gentechnik für Wachstum und Wohlstand sorge. Das sei nur möglich, wenn man auf neue Technologien setzt. Das klingt nach einem sehr deutlichen Dissens.

    Aigner: Ich glaube, mir kann an sich keiner vorwerfen, dass ich gegen Technologie bin. Ich bin von Beruf Elektrotechniker. Aber nicht jede Technologie ist zwingend von größerem Nutzen. Ich kann ihn hier gerade bei der grünen Gentechnik für uns in Deutschland und in Europa nicht erkennen.

    Klein: Dann schauen wir mal, wie Sie in Brüssel Ihre Macht entfalten wollen, wenn es innerhalb der Koalition noch nicht mal Einigkeit gibt.

    Aigner: Es gibt erst einmal einen Abstimmungsprozess natürlich innerhalb der Bundesregierung, da gibt es klare Regularien. Und in Europa ist es ähnlich wie in Deutschland, dass es sehr unterschiedliche Meinungen dazu gibt. Das ist üblich.

    Klein: Ja sicherlich. Aber Sie müssten natürlich schon innerhalb der Bundesregierung jetzt zu einer Art von Kompromiss oder Konsens kommen. Wie könnte der erreicht werden, wie könnte der aussehen?

    Aigner: Wir werden jetzt mit Sicherheit in Gespräche gehen. Wenn es keine Einigung gibt, dann gibt es ganz klare Regularien, wie sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene dann verhält.

    Klein: Und wie heißen die mit Blick auf die Gentechnik?

    Aigner: Enthaltung. Wenn es keine Einigung gibt, gibt es eine Enthaltung.

    Klein: Das heißt, Sie haben noch etwas Hoffnung, dass Sie da durchkommen? Wie groß ist diese Hoffnung?

    Aigner: Ich werde auf alle Fälle mit meinem Koalitionspartner über diese Frage ganz intensiv diskutieren, wie ich es bisher auch schon gemacht habe. Mit Sicherheit! Es lohnt sich, hierfür zu kämpfen.

    Klein: Sie sagen, Sie werden diskutieren und hoffen, dass Sie die FDP an der Stelle überzeugen können?

    Aigner: Ich versuche es, auf alle Fälle!

    Klein: Haben Sie Druckmittel in der Hand, Möglichkeiten, wie Sie die FDP da umstimmen können?

    Aigner: Die Argumente letztendlich. Es geht wirklich hier um die Lebensmittel und um den Verbraucherschutz, und deshalb werde ich mit ihnen diskutieren. Und ob es zwingend auch notwendig ist? Ich meine, bisher hat es auch funktioniert, ohne die Null-Toleranz aufzuweichen.

    Klein: Es gibt natürlich auch noch das Argument, um ein weiteres anzuführen, wo Sie wahrscheinlich auch Gegenargumente dann finden müssen, dass es im Prinzip dazu führt, dass man eigentlich noch verwendbare Lebensmittel im großen Maßstab vernichten muss, wenn sie mit Spuren von gentechnisch veränderten Pflanzen kontaminiert sind, und dass dies eben auch große wirtschaftliche Auswirkungen haben kann oder auch schon hat auf die Landwirte und auf die Lebensmittelindustrie. Was halten Sie dem entgegen?

    Aigner: Die mir bekannten Proben aus den letzten Jahren waren nicht so, dass viel vernichtet werden musste, sondern die Proben haben gezeigt, dass es sehr wohl möglich ist, dieses auch zu trennen. Abgesehen davon gibt es ja auch diese Konstrukte in anderen Ländern, man muss es nicht vernichten, man kann es in anderen Ländern verwenden, wo es zugelassen ist.

    Klein: Welche Kompromissmöglichkeiten sehen Sie auf europäischer Ebene jetzt?

    Aigner: Auf europäischer Ebene müssen wir wirklich hier in Verhandlungen gehen. Erst mal steht in der Bundesregierung die Abstimmung auf der Tagesordnung.

    Klein: Von welchen Zeiträumen gehen Sie da aus?

    Aigner: Dalli muss ja erst mal den Vorschlag konkret vorlegen im Rat und bis dahin gibt es eine Ressortabstimmung. Also der Kommissar Dalli – Entschuldigung.

    Klein: Wie viel Unterstützung haben Sie denn aus anderen europäischen Staaten? Wir haben gerade einige Beispiele von Ländern gehört, die Sie an Ihrer Seite wissen. Ist das ausreichend?

    Aigner: Das war ein ganz anderer Sachverhalt. Hier ist es um den Anbau gegangen. Das Beispiel, das Sie angebracht haben, da ist es um den Anbau von GVO gegangen. Die andere Frage über die Null-Toleranz, das wird sich jetzt herausstellen in den Verhandlungen.

    Klein: Da wissen Sie noch nicht genau zu sagen, wie groß die Unterstützung ist?

    Aigner: Genau.

    Klein: Herzlichen Dank zunächst mal für das Interview. Das war Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner von der CSU.

    Aigner: Herzlichen Dank und einen schönen Tag.

    Klein: Ihnen auch.

    Aigner: Danke! Tschüß!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.