Das Reformwerk der UCI ist beachtlich. Sowohl Fahrer als auch Veranstalter müssen sich anpassen. Der Verband hat zum Beispiel den sogenannten Super Tuck verboten, bei dem die Fahrer tief geduckt praktisch unterm Sattel sitzen - sehr aerodynamisch und deswegen sehr gefährlich, weil die Fahrer schneller werden, aber weniger Kontrolle haben. Und die Veranstalter werden zum Beispiel von der UCI verpflichtend, stabilere Gitter aufzustellen.
Gerade diese Maßnahme ist die Folge von Fabio Jakobsens Sturz bei der Polenrundfahrt vergangenen August. Der niederländische Radprofi Dylan Groenewegen hatte seinen Landsmann Fabio Jakobsen im Zielsprint gegen die Bande gedrängt. Die Bande hielt nicht stand. Jakobsen erlitt mehrere Brüche im Gesicht und schwebte in Lebensgefahr.
Das Problem mit den instabilen Banden ist jetzt gelöst, konstatiert befriedigt Jakobsens Teamchef Patrick Lefevere:
"Ich sehe, dass sogar die Leute von der Polenrundfahrt jetzt zuhören. Sie haben jetzt die gleiche Art von Sicherheitsvorkehrungen wie bei den belgischen Klassikern. Man kann nur glücklich darüber sein."
Skepsis bei kleineren Rennen
Jens Zemke, sportlicher Leiter bei Bora hansgrohe, ist noch ein bisschen vorsichtiger, zumindest in Hinblick auf die kleineren Rennen:
Es gibt sicher noch ein paar Veranstalter, bei denen man mit den Absperrgittern etwas zu bemängeln haben muss. Aber ich denke, ASO, RCS, die großen Organisationen, bei denen auch dementsprechend Geld dahinter steckt, die machen schon einen sehr guten Job."
Zemke hebt auch die Matratzen hervor, die gefährliche Stellen abpolstern sowie Warntafeln, die blinken und akustische Signale vor Hindernissen aussenden.
Das allerdings klappt nicht immer. Der Spanier Mikel Landa rast beim Giro trotz Vorwarnung in einen Streckenposten, der auf einer Verkehrsinsel eine gelbe Flagge schwenkt und bricht sich das Schlüsselbein:
"Es war wirklich ein unglücklicher Zufall. Er war markiert, es stand noch ein Ordner da mit einer Trillerpfeife und einer Fahne. Es kann irgendwo immer passieren, wenn man unter den ersten drei Reihen ist, da ist es extrem schwer, alles was auf der Straße kommt, zu sehen", schätzt Niklas Arndt, Radprofi bei Team Sunweb ein. Nur warnen reicht für Arndt allerdings nicht:
"Aber da muss man beim Streckenverlauf in Zukunft darauf achten, so wenig wie möglich Gefahrenstellen im Finale zu haben, um so etwas dann auch noch zu verhindern." Ins gleiche Horn stößt Profikollege Roger Kluge. Der Berliner ist Anfahrer des Giro-Etappensiegers Caleb Ewan.
"Die Banden sind ok, da gab es keine negativen Auswirkungen. Aber sicherlich, den Poller, an dem Landa stürzt, das muss halt nicht sein. Sollen sie ihn abflexen, wegnehmen und danach wieder hinbauen. Aber so etwas in einem Finale gehört sich nicht."
Kleine Veränderungen beim Verhalten der Fahrer
Das wäre die drastische Lösung: Die Straßen von den Hindernissen befreien, damit die Profis freie Fahrt haben. Zumindest im Finale, wenn das Adrenalin hochschießt, der Kampf Mann gegen Mann beginnt und die Geschwindigkeit so hoch wird, dass die Fahrer Hindernissen nur noch schwer ausweichen können. Dieser Kampf ist die Essenz des Radsports. Da hat sich auch nach dem schlimmen Sturz bei der Polenrundfahrt im letzten Jahr wenig geändert. Radprofis fahren Rennen, um sie zu gewinnen, nicht, um sich höflich den Vortritt zu lassen
"Es ist Radrennen. Jeder will vorne fahren, jeder kämpft um die Positionen. Es ist jetzt nicht so, dass jeder sagt: Heute darfst du, dafür lässt du mich morgen wieder bitte vor. Wir fahren immer noch Radrennen und kein Training", meint Kluge.
Kleine Änderungen im Verhalten hat Kollege Arndt immerhin wahrgenommen:
"Aber grundsätzklich habe ich mitbekommen, wir sind immer noch sehr nervös und hektisch gefahren, aber wir sind alle sehr gut duchgekommen. Ich weiß nicht, ob vielleicht doch jeder im Hinterkopf hat, ja ich bremse lieber einmal mehr als einmal weniger."
Fahrer wollen beim Streckenverlauf mitreden
Sturzverursacher Groenewegen ist nach seiner neunmonatigen Sperre ausgerechnet bei diesem Giro in den Wettkampfbetrieb zurückgekehrt. Seine Aufnahme im Peloton war gemischt. Die Teamkollegen von Sturzopfer Jakobsen waren verärgert. Die meisten halten es aber wie Roger Kluge:
"Gut, er hat seine Strafe gehabt, hat sie abgesessen und ist jetzt wieder zurück. Er darf wieder reinriechen."
Kluge hofft aber auch, dass Groenewegen selbst die richtigen Konsequenzen aus seinem Verhalten gezogen hat – und nicht nur auf die jetzt sichereren Banden bei den Rennen spekuliert:
"Hoffen wir, dass er diese Fahrlinienverlassen-Dinger nicht mehr macht. Bis jetzt habe ich davon nichts gesehen. Ich hoffe, er hat daraus gelernt, auch wenn er jetzt wieder dabei ist."
Aber nicht nur das Verhalten der Radprofis und stabilere Gitter können die Sicherheit bei Radrennen erhöhen. Die Fahrer und Teams würden zum Beispiel gerne auch bei der Planung des Streckenverlaufs verstärkt eingebunden werden. Da gibt es noch Luft nach oben, aber beim Giro auch Fortschritte. Als die Fahrer vor der Königsetappe in den Dolomiten Sorge vor einem Wetterumschwung hatten, setzen sich die die Organisatoren mit Fahrervertretern zusammen – und verkürzten die Etappe. Im letzten Jahr konnten die Fahrer ihre Sicherheitsinteressen beim Giro nur mit einem Streik durchsetzen. Eine gute Entwicklung also.