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Sicherheit in Bayern
Zwischen blinder Hysterie und rotem Alarmknopf

Nach der Silvesternacht steht die Polizei deutschlandweit unter Druck. Bedrohungssituationen der Öffentlichkeit zu vermitteln, ist für sie zu einem sensiblen Feld geworden. Sie bewegen sich zwischen Fehlalarm und zurückgehaltenen Informationen. Außerdem müssen bei der Öffentlichkeitsarbeit auch die Kompetenzen von Landes- und Bundespolizei beachtet werden.

Von Michael Watzke |
    Beschreibung:Polizisten stehen am 19.04.2016 in München (Bayern) an einem Einsatzort auf der Straße. Vermutlich ein Beziehungsdrama hat in München einen Großeinsatz der Polizei ausgelöst. Foto: Sven Hoppe/dpa
    Polizisten stehen in München an einem Einsatzort auf der Straße. (Sven Hoppe)
    Pressekonferenz im Bayerischen Landeskriminalamt München. 100 Journalisten wollen Neues über den Messer-Attentäter von Grafing erfahren. Aus einem Vorstadt-Verbrechen mit einem Toten und drei Verletzten ist plötzlich das Top-Thema der deutschen Medien geworden:
    "Schock und Entsetzen herrschen seit heute Morgen!"
    "Wir stehen direkt vor dem Bahnhof, vor dem Tatort!"
    "Einer schwebt noch in Lebensgefahr!"
    "Er hat möglicherweise ‚Allah ist groß‘ gerufen!"
    "Was könnten die Motive sein?"
    "Wir können jetzt natürlich nur spekulieren…"

    Und das tun viele Medienvertreter ausführlich. "Täter wahrscheinlich ein Islamist" titelt ein Online-Magazin. "Staatsanwaltschaft verhängt Nachrichtensperre" behaupten die deutsch-türkischen Nachrichten. Der Münchner Polizeisprecher Marcus da Gloria Martins beobachtet die Pressekonferenz kopfschüttelnd.
    "Manchmal habe ich das Gefühl, dass bei dem einen oder anderen Medienvertreter dieser Druck zulasten der Qualität geht."
    Die Öffentlichkeitsarbeiter in Uniform
    Den Druck spürte die Münchner Polizei in der Silvesternacht 2016. Damals befand sich Polizeisprecher Martins in einer schwierigen Situation: Am Münchner Hauptbahnhof sollten Islamisten angeblich einen Terroranschlag planen. Das hatte zumindest eine Geheimdienst-Quelle berichtet.
    "Diese Quellen, die uns diese Dinge berichten, sind sehr vage. Wenn ich irgendwo einen Raubüberfall habe, weiß ich: Ich habe einen Täter, der hat vielleicht eine Pistole. Und ich weiß ganz genau, wie meine Bekämpfungs- und Festnahme-Strategie ausschaut. Das funktioniert bei einer Bedrohungslage nur sehr eingeschränkt. Das befriedigt den Schutzmann nicht so sehr. Und den Öffentlichkeitsarbeiter in Uniform noch viel weniger."
    Vor allem dann, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass die Terrorlage eine Fehlinformation war. Auf Anfrage des Deutschlandfunks stellt der zuständige Kriminalkommissar fest:
    "… dass wir trotz umfangreichster Ermittlungen keine konkreten Personen ermitteln konnten. Dass es sich hier wohl um eine Information handelt, die von einer – wie wir das bezeichnen – "Quelle" eben entsprechend an verschiedenen Stellen eingespeist wurde. Das Ermittlungsverfahren ist zwischenzeitlich eingestellt."

    Mit anderen Worten: falscher Alarm. Ein großes Problem für die Polizei. Wenn sie zu oft ohne Grund warnt, nehmen die Bürger sie nicht mehr ernst. Warnt sie allerdings nicht, und es passiert etwas – ist das Vertrauen der Bürger erst recht erschüttert. Polizeisprecher Martins‘ Aufgabe ist es…

    "… das auch in der Bevölkerung so zu transportieren, dass man sagt: Wir machen hier nicht blinde Hysterie, wir gehen abgestuft vor. Aber wenn wir den großen roten Alarmknopf drücken, liebe Münchner, dann ist da auch was dran. Das ist oft schwierig und bedarf ganz viel Glaubwürdigkeit."
    Polizei nutzt soziale Medien
    Eine große Hilfe sind Martins und seinen Kollegen dabei die sozialen Medien. Die Polizei nutzt immer häufiger Direkt-Kanäle wie Facebook. Die Münchner starteten gar eine Twitter-Offensive.
    "Damit können wir direkt mit unserer Kernzielgruppe, nämlich dem Münchner Bürger, interagieren. Das ist ja ein wichtiger Bereich der Öffentlichkeitsarbeit, auch in so einer Lage. Und da muss man die Waage finden zwischen dem drängenden Medienansturm und dem Anspruch, den Münchnern auch Infos aus erster Hand zu liefern."
    München setzt auf Maßnahmenkonzept mit Bundespolizei
    Mittlerweile berät Martins auch andere bayerische Polizei-Ämter beim Aufbau von Direkt-Kanälen. Er half beispielsweise, die Pressekonferenz nach der Grafinger Messerattacke im Internet zu streamen. Das ist nicht ganz einfach, weil die Polizei dabei viele rechtliche Fallstricke beachten muss. So dürfen die Kriminaler häufig nicht in direkten Kontakt mit Online-Usern treten, die Kommentare posten oder Fragen stellen. Aus Datenschutzgründen. Und dann ist da noch der Kompetenz-Dschungel der verschiedenen Behörden. Ein Beispiel: Wie auch in Köln ist am Münchner Hauptbahnhof die Bundespolizei für den Innenraum zuständig, die Landespolizei für den Außenbereich. Nicht nur der Münchner Polizeipräsident Hubertus Andrä fand das verwirrend.
    "Deswegen haben wir seit einiger Zeit ein abgestimmtes Maßnahmenkonzept. Auch zusammen mit der Bundespolizei. Wir führen ja seit Mai gemeinsame Streifen mit der Bundespolizei durch. Wir sind aber auch mit Einsatzhundertschaften auch mit Unterstützung der Bereitschaftspolizei in Uniform sichtbar präsent."
    Abgestimmtes Maßnahmenkonzept heißt – die Landespolizei darf in bestimmten Fällen auch Aufgaben der Bundespolizei übernehmen. Etwa Festnahmen im Hauptbahnhof. Ganz reibungslos läuft das noch nicht. Im Fall Grafing gab es hinter den Kulissen Zuständigkeits-Rangeleien. Eigentlich ermittelt bei der Messerattacke eines Einzeltäters die örtliche Polizeidienststelle. Diesmal aber übernahm das LKA, sagt Vizepräsidentin Petra Sandles.
    "Das Landeskriminalamt ist zuständig für Ermittlungen, bei denen ein Terrorverdacht zugrunde liegt. Wir haben daher in Absprache mit dem Bundeskriminalamt die Ermittlungen im LKA übernommen."
    Dabei war vielen Polizisten von Anfang an klar – in diesem Fall ging es nicht um Islamisten, sondern einen psychisch kranken Drogen-Abhängigen. Auch wenn der "Allahu akbar" schrie. Im Umgang mit den Medien profitierte die Polizei dabei aus den Erfahrungen der Silvesternacht.
    "Wir haben sehr viele Erfahrungen da noch rausgeholt. Auch was die extrem hohe Dynamik einer solchen Lage angeht. Allein dieses völlige überrannt Werden von Heerscharen von Medienvertretern."
    Nach dieser Erfahrung ist Polizeisprecher Martins nicht mehr leicht aus der Ruhe zu bringen. Auch nicht, wenn eine Bedrohungslage irgendwann tatsächlich einmal ernst werden sollte.