Berlin im November 2014: Vor der mexikanischen Botschaft veranstalten deutsche und mexikanische Aktivisten eine 43-stündige Mahnwache: In Anlehnung an die 43 Studenten, die im September in Mexiko festgenommen wurden und von denen wochenlang jede Spur fehlte.
Jeden einzelnen Namen der der 43 Verschwundenen verlesen sie, verbunden mit der Forderung: "Lebend wollen wir sie zurück". Doch legen die Ermittlungen mittlerweile nahe, dass die Studenten von der mexikanischen Polizei an ein Drogenkartell ausgeliefert und ermordet wurden. Immer wieder gehen in deutschen Großstädten Aktivisten auf die Straße, Wochen später in Berlin auch mit Unterstützung aus dem Bundestag:
"Wir haben seit Jahren Straflosigkeit, wir haben offiziell über 20.000 Verschwundene. Es gibt eine Systematik des gewaltsamen Verschwindenlassens. Und das muss endlich international angeprangert werden!"
Heike Hänsel von der Linkspartei war kurz zuvor mit einer Bundestagsdelegation in Mexiko gewesen, sie hat sich den Aktivisten angeschlossen, denen es mittlerweile um viel mehr als die Solidarität geht:
"Die Bundesregierung hat eine Verantwortung, wenn sie plant, das Sicherheitsabkommen zwischen mexikanischer und deutscher Polizei abzuschließen, dann ist das Beihilfe zu diesen Verbrechen, die in Mexiko passieren und zu den Menschenrechtsverletzungen!"
Polizei und Militär in Korruption und Menschenrechtsverbrechen verstrickt
Seit 2011 verhandeln die deutsche und die mexikanische Regierung über ein Sicherheitsabkommen, das in diesem Jahr zum Abschluss kommen soll. Darin geht es um polizeiliche Zusammenarbeit, Schulungen, technische Unterstützung und Informationsaustausch bei der Verbrechensbekämpfung. NGOs wie die deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko sehen das kritisch. Auch Peter Clausing vom Verein México via Berlin gehört diesem Netzwerk an:
"Dahinter sehen wir ein Entgegenkommen gegenüber der mexikanischen Regierung, die sich gerne als glaubwürdiger, rechtsstaatlicher Partner repräsentieren möchte mit diesem Abkommen, welches sie nicht ist."
Seit Ende 2006 wurden im mexikanischen Drogenkrieg mehrere zehntausend Menschen ermordet oder gelten als "verschwunden". Das Massaker an den Studenten hat einmal mehr offenbart, dass die Gewalt in Mexiko ein systemisches Problem ist. Genau deswegen müsse man die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich intensivieren, argumentiert die Bundesregierung. Bei einer Fragestunde im Bundestag sagte die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Maria Böhmer:
"Die Bundesregierung hält an der Absicht fest, das in Verhandlungen befindliche Sicherheitsabkommen mit Mexiko zum Abschluss zu bringen. Ziel des Abkommens ist die Verbesserung der Zusammenarbeit mit der mexikanischen Bundesregierung - ich betone: Bund - und deren Unterstützung bei der Bekämpfung schwerer und organisierter Kriminalität. Das schreckliche Verbrechen im Bundesstaat Guerrero unterstreicht die Richtigkeit der Zielrichtung dieses Abkommens."
Allerdings: Polizei und Militär sind bis in die höchsten Kreise in Korruption und Menschenrechtsverbrechen verstrickt. Darauf weist Andrej Hunko von der Linkspartei hin, der bereits versucht hat, bei der Bundesregierung Details über das geplante Abkommen zu erfragen:
"Das Grundproblem ist, dass der ganze mexikanische Sicherheitsapparat von oben bis unten korrupt ist und auch zum Beispiel Folter systematisch und straffrei einsetzt. Und wir sagen halt, unter diesen Voraussetzungen würde ein Sicherheitsabkommen zu einer Legitimierung der mexikanischen Sicherheitsbehörden führen."
"Günstige Bedingungen für Investitionen"
Deutschland mache sich zum Komplizen, sagt Hunko. Im Zuge der Ermittlungen in Mexiko sollen auch Waffen des deutschen Herstellers "Heckler und Koch" aufgetaucht sein. Die Bundesregierung hatte den Deal in der Vergangenheit genehmigt. Bedingung: keine Lieferung in mexikanische Unruheregionen. Kontrolliert wurde das aber offenbar nicht:
"Die Angehörigen dieser 43 Studenten haben vor der deutschen Botschaft demonstriert vor wenigen Tagen, weil die Waffen, mit denen ihre Kinder, ihre Brüder erschossen worden sind, aus Deutschland kamen. Aber auch wenn es ein Abkommen gibt, ohne dass sich die Situation in den mexikanischen Sicherheitsbehörden ändert, dann würde sich Deutschland zum Komplizen machen."
Welche Interessen hat die Bundesregierung? Peter Clausing hat dafür eine einfache Erklärung:
"Die Bundesregierung sieht über die gravierenden Probleme hinweg, die bei der mexikanischen Polizei existieren, im Sinne von absoluter Straflosigkeit bei Menschenrechtsverletzungen, Zusammenarbeit und Infiltration durch die organisierte Kriminalität und lässt sich auf der anderen Seite auf ein Abkommen zu dieser Zusammenarbeit ein, und hofft - nach meiner Interpretation - dass die mexikanische Regierung günstige Bedingungen für Investitionen bietet."
Die Linke hat im Bundestag beantragt, die Verhandlungen über das Sicherheitsabkommen auszusetzen, darüber soll in den kommenden Wochen entschieden werden. Derweil gehen Aktivisten in Berlin und Mexiko weiter auf die Straße und hoffen, dass wenigstens einige der Verschwundenen doch noch irgendwann zurück nach Hause kommen.