Daniel Heinrich: Das politische Berlin streitet sich über die Vorschläge Thomas de Maizières zur Sicherheitsstruktur, Theo Geers berichtete. Am Telefon ist Raphael Bossong von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Herr Bossong, würde eine zentrale Sicherheitsbehörde weitere Terrorattacken in Deutschland verhindern?
Raphael Bossong: So pauschal kann man das sicherlich nicht sagen. Die Debatte zur Zusammenlegung der Verfassungsschutzämter ist ja jetzt nicht neu, sondern insbesondere im Nachgang des NSU-Skandals problematisiert worden. Und da wurden nach Abschluss des Berichts des Untersuchungsausschusses ja entsprechende Vorschläge zur stärkeren Koordination gemacht, die auch ins Gesetz eingeflossen sind. Und da kann man nun unterschiedlicher Meinung sein, ob die bis jetzt durchgeführten Verbesserungen zum Datenaustausch mit dem gemeinsamen Datenbanksystem nun ausreichen oder ob man dann sagen kann, nun dann eben ganz eine Zentralstelle. Soweit bis jetzt von dem Bundesinnenministerium argumentiert wurde, ist jetzt keine eindeutige neue Argumentation ins Feld geführt worden, warum der bisherige Koordinationsaufwuchs nicht hinreichend ist. Also, so gesehen, ich würde jetzt nicht sagen, diese Vorschläge sind per se abzulehnen, wie das im politischen Diskurs ja schon gelaufen ist teilweise, aber so an und für sich genommen kann man das nicht sagen, dass das jetzt die entscheidende Stellschraube wäre, zumindest nicht auch in Bezug auf den letzten Anschlag.
Heinrich: Halten Sie den Vorstoß von Thomas de Maizière zum jetzigen Zeitpunkt für sinnvoll?
"Das Innenministerium versucht, diese Debatte auch selbst zu gestalten"
Bossong: Ich kann mir als externer wissenschaftlicher Beobachter jetzt nicht erlauben, die genauere parteipolitische Kalkulation, die dahintersteht, zu bewerten.
Heinrich: Sie denken, es steckt eine strategische Überlegung dahinter?
Bossong: Also, auf jeden Fall gibt es natürlich die strategische Überlegung, dass man jetzt im Nachgang des Anschlags und im Rahmen der allgemeineren größeren Diskussion zur deutschen Sicherheit sicherlich nicht einfach so weitermachen kann wie bisher. Und dass das Innenministerium versucht, diese Debatte auch selbst zu gestalten, ist sicherlich sinnvoll, und auch dann mit der CDU und nicht dann nur von entweder der Opposition oder eben von anderen Parteien, wie wir jetzt ja heute auch in der CSU wieder gehört haben. Also, insofern, denke ich, ist es sinnvoll, dass da ein Vorschlag kommt. Aber ob man jetzt jeden einzelnen dieser Vorschläge unterstützen muss, ist wieder eine andere Frage. Ich würde auch darauf hinweisen, dass das Papier oder der Beitrag, von de Maizière doch umfassender war, als jetzt einige … nur dieser Punkt zum Verfassungsschutz.
Heinrich: Ich höre aber bei Ihrer Antwort raus, dass der Weg schon zu einer Zentralisierung führen soll. Richtig?
"Es gibt gute Gründe, an der Agenda der Zentralisierung weiterzuarbeiten"
Bossong: Also, insgesamt ist der Trend schon so, dass auf verschiedenen Kanälen, sei es jetzt nun der Verfassungsschutz, sei es jetzt die polizeilichen Kompetenzen, also die Rolle des BKAs, in Bezug auf den islamistischen Terrorismus zunehmend zentralistischer arbeiten oder zumindest mehr national und auch europäisch koordinieren. Und das ist schon … Also, es gibt gute Gründe natürlich, nah an der Szene jeweils auch in, sagen wir mal, eher abgelegenen Orten zu sein. Also, nicht alles passiert in Berlin. Andererseits ist es nichts grundsätzlich Neues, das Terrorismus transnational agiert, aber hier jetzt natürlich besonders ausgeprägt. Und deswegen bietet es sich natürlich auch an, da weiterzuarbeiten an dieser Agenda der weiteren Zentralisierung oder besseren Austauschs über Landesgrenzen hinweg.
Heinrich: Ich hake mal nach: Also, Sie sagen, nicht unbedingt nationale Zentralisierung, sondern Zentralisierung auf europäischer Ebene?
"In Bezug auf den islamistischen Terrorismus die europäische Dimension ganz wichtig"
Bossong: Beides muss ineinandergreifen. Ich würde es vielleicht eher so sagen: Dadurch, dass keiner infrage stellt, dass gerade in Bezug auf den islamistischen Terrorismus die europäische Dimension ganz wichtig ist, gibt es natürlich auch einen gewissen Impuls, national mehr zu vereinheitlichen. Also, wenn Sie international, sagen wir mal, reibungslos koordinieren wollen, dann ist es nicht unmöglich, aber, sagen wir mal, nicht unbedingt vereinfachend, wenn dann jeweils nicht nur ein Ansprechpartner national da ist, sondern dann unterschiedliche interne nationale Koordinationsstellen davorgeschaltet werden müssen. Wenn man einen Ansprechpartner hat im Rahmen des BKAs oder dann auch eines vielleicht gestärkten Zentralamts des Verfassungsschutzes, erlaubt das natürlich auch eine reibungslosere Einspeisung von Information auf europäischer Ebene. Allgemein würde ich sagen, der gesamte Konzeptvorschlag von de Maizière zeugt doch sehr stark von dieser Linie, also einerseits dass Deutschland eine Führungsrolle in Europa wahrnehmen muss und deshalb das auch vielleicht etwas schneller und, sagen wir mal, einfacher vorangehen kann; und umgekehrt, sagen wir mal so, die Frage der deutschen Normalisierung, also, findet sich immer wieder in diesem Papier. Andere Länder machen Vergleichbares und Deutschland begeht diesen Sonderweg, und vielleicht sollte man also nach diesem Papier sich ein bisschen europäisch angleichen. So ist ein bisschen die Logik der Vorschläge.
Heinrich: Wenn wir ins Ausland blicken, wenn wir auf europäischer Ebene sind, dann lassen Sie uns doch mal kurz gen Westen blicken, nach Frankreich! Dort gibt es eine zentralisierte Sicherheitsstruktur, Terroranschläge sind deswegen trotzdem nicht verhindert worden. Also wieder doch keine Lösung?
"Frankreich hat ein anderes historisches Erbe"
Bossong: Wie ich ja eingangs sagte, die Zentralisierung an und für sich ist jetzt nicht die Lösung. Das wäre auch glaube ich falsch, das zu unterstellen, dass das jetzt in den Vorschlägen so präsentiert wird. Die französische Terrorismusbedrohung ist aus historischen Gründen, sagen wir mal, noch eine ganz besondere und auch eine schwierige. In Deutschland meinte man, wegen der anderen Zusammensetzung der Migration und eines anderen historischen Erbes und auch anderem außenpolitischen Engagement vielleicht was weniger im Unmittelbaren oder in dieser selben Weise im Fadenkreuz zu stehen. Das verändert sich jetzt schon seit einigen Jahren, aber …
Heinrich: Sie sprechen die Kolonialzeit an und damit den nordafrikanischen Einfluss?
"Man kann auch mit Zentralisierung nicht alles vermeiden"
Bossong: Nicht nur. Also, unter anderem auch, aber auch dann einfach diese … Frankreich war einerseits bis in die 90er auch ein Rückzugsgebiet für einige Dschihadisten aus dem nordafrikanischen Raum. Also, das kann man jetzt kolonial deuten oder man kann es eher so sehen, einfach aufgrund der historischen Beziehungen wanderten dann Leute eben erst mal nach Frankreich und wurden dort erst mal für eine gewisse Zeit, zumindest in die Mitte der 90er, auch nicht besonders stark verfolgt. Und dann hat sich das dann weiterentwickelt in unterschiedliche Richtungen. Also, es ist nicht nur der Kolonialkrieg im engeren Sinne, aber ja, sicherlich, da gibt es einfach andere gewachsene historische Beziehungen. Gut, also in Frankreich gibt es einfach eine höhere Bedrohungslage und jeder sagt, es gibt keine absolute Sicherheit. Also, man kann auch mit Zentralisierung jetzt nicht alles vermeiden. Also, man muss auch sagen, Frankreich hat sehr effektive Sicherheitsbehörden und Antiterrorismusbehörden, trotz dem, was in 2015 passiert ist. Und da, denke ich, kann man nicht den Umkehrschluss führen und sagen, weil Zentralismus auch mal so etwas zulässt, deswegen erübrigt sich die ganze Argumentation. So einfach ist es halt auch nicht.
Heinrich: Herr Bossong, ganz kurze Antwort zum Schluss: Hatten wir bisher in Deutschland Glück?
Bossong: Ja, sicherlich. Das sieht man ja aus den vereitelten und auch zum Teil gescheiterten Anschlägen im vergangenen Jahr, vor Berlin. Aber wie gesagt, Deutschland ist auch erst in jüngerer Zeit in vergleichbarer Weise oder in dieser Schärfe ins Fadenkreuz geraten. Deswegen, denke ich, kann man sagen, in den letzten drei, vier, fünf Jahren hatten wir vielleicht Glück, historisch ist es etwas anders gelagert.
Heinrich: Das sagt Raphael Bossong, er arbeitet für die Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Herr Bossong, vielen Dank für das Gespräch!
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