Noch sprudelt das Wasser auf dem Ebertplatz. Jeden Abend um elf Uhr ist Schluss, doch Herbert Reul, Nordrhein-Westfalens Innenminister von der CDU, ist nun ein paar Minuten früher da.
Die Krawatte hat Reul mittlerweile abgelegt, kurz vorher noch war er Gast auf einem außerordentlichen Veedelstreff in einem Brauhaus um die Ecke, nachdem hier auf dem Ebertplatz vor knapp 90 Stunden ein toter Mann lag, erstochen wurde.
"Das ist jetzt ein Symbolplatz geworden für das, was unser Anliegen ist: Wir lassen keine rechtsfreien Räume zu. Punkt. Das ist es jetzt geworden, obwohl es woanders wahrscheinlich auch solche Plätze gibt."
Ein eskalierter Streit im Drogenmilieu hat die Polizei ermittelt, ein Tatverdächtiger sitzt in Untersuchungshaft - und eine Stadt ist in Aufruhr. Denn: Die Erzählung vom Wunder vom Ebertplatz, von jener Betonwüste, die wiederbelebt wurde, sie wackelt.
Bürgerdebatte in Kölner Kneipe
Reul schaut auf den grün angestrahlten Brunnen, auf Menschen, die in der Dunkelheit in Liegestühlen sitzen. Auf all die Veränderungen seitdem im Jahr 2017, ebenfalls hier auf dem Ebertplatz, ein getöteter Menschen lag – und Köln damals wachrüttelte.
"Ich meine, das ist ja schon ein Riesenunterschied. Hier, gucken Sie mal: Als ich damals hier rumlief war es stockduster, damit fing es schon an."
Reul zeigt auf die Mitte des Platzes. Etwas weiter hinten, an der frischen Todesstelle, leuchten aufgestellte rote Kerzen.
"Dann darf ich freundlich bitten, dass wir die privaten Gespräche ein kleines bisschen zurückstellen."
Der Festsaal im Brauhaus "Em Kölsche Boor" ist brechend voll, gut 200 Menschen sind gekommen, werden hier rund zwei Stunden schwitzen – und diskutieren. Ruth Wennemar, die Sprecherin des "Bürgervereins Eigelstein" führt durch den Abend.
"Ich würde hier, in diesem Raum, nicht das akzeptieren, was ich in den letzten drei Tagen im Netz gelesen habe, das ist keine Kultur untereinander und das ist keine Kultur miteinander."
Vorne auf dem Podium sitzen mit Innenminister Reul Kölns parteiloser Oberbürgermeisterin Henriette Reker, Polizeipräsident Uwe Jacob und Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer, die geballte, staatliche Kompetenz, im Raum davor die Anwohner mit ihren Sorgen.
"Ist es so, dass es nachts doch sehr still wird von Besuchern, außer einer gewissen Klientel von Personen, die da nachts ihr Unwesen treibt. Und, was ich auch nicht verstehen kann, dass man die ganze Problematik mit den Drogen, dass man das nicht in den Griff kriegt hier in Köln."
Die Dealer waren nie weg, sagen die Anwohner
Die Entwicklungen rund um den Ebertplatz in Köln stellen auch die Frage, wie ernst die Politik und die Sicherheitsbehörden die Sorgen der Bürger nehmen, wie sie damit umgehen und wie schwer es ist, Drogenmilieus, Kleinkriminalität und deren Lösung, nicht Verdrängung, in den Griff zu bekommen.
Denn: Die Kriminalität am Ebertplatz ist wohl auch ein Ergebnis der sogenannten Kölner Silvesternacht und der danach folgenden starken Polizeipräsenz an Dom und Hauptbahnhof.
"Das ist schlagartig nach den Vorfällen, nach Silvestervorfällen ist das schlagartig ein Hotspot geworden."
Beschrieb der zuständige grüne Bezirksbürgermeister Andreas Hupke, in dessen Bereich der Ebertplatz fällt, damals die Situation. Im Jahr 2017 gab es – wie am Sonntag – einen Toten auf dem Ebertplatz, wurde erstmals reagiert: Mehr Polizei, Büsche wurden gerodet, aber vor allem gab es Versuche, den Platz – in dessen Mitte ein Springbrunnen verfiel – zu beleben.
Das Wasser sprudelte, vormittags kamen Tagesmütter mit ihren ein- oder zwei-jährigen Kindern.
"Ich glaube, dass einfach jetzt die beste Gelegenheit ist, für die Kinder einmal ein bisschen im Wasser zu spielen."
Nachmittags und abends folgten dann eher die Erwachsenen. Im Winter ersetzte eine Eisbahn den Brunnen auf dem Platz, der auch – typisch Kölsch und mit viel Ironie – besungen wurde:
"Et is hässlich, ävver mit Herz – am wunder-, wunderschönen Ebertplatz."
Nun aber sitzen die Bürger wieder beim Krisengipfel im Brauhaus, erzählen davon, dass die Drogendealer nie weg waren, dass es zuletzt aggressiver wurde.
"Ich habe ein Yoga-Studio. Im September fangen zwei Kurse an, abends ab 20 bis 21.30 Uhr und ich mache mir große Sorgen, wenn meine Teilnehmer nach Hause gehen durch die Unterführung."
Die Diskussion bleibt sachlich, auch wenn es heikel wird
Es geht um die Verschmutzung, um dreckige Ecken, vollgepisste Bereiche und auch um Rassismus. Doch trotz solcher Vorhaltungen, trotz gegenseitiger Vorwürfe und Exkurse rund um das Aufenthaltsrecht oder die Legalisierung von Cannabis, bleibt die Diskussion sachlich. Auch wenn es heikel wird.
"Da liegen die Nerven teilweise blank. Die sagt zu mir: Die zwingen uns zur Selbstjustiz, wenn du den Staat brauchst, ist er nicht da."
Die Antwort des Innenministers:
"Ich kann das verstehen. Erster Teil. Zweiter Teil: Die Antwort: Der Staat kriegt es nicht hin ist falsch. Da widerspreche ich. Sie können gerne sagen, sie kriegen es nicht schnell genug hin. Oder es gibt eine Maßnahme, die wir noch zusätzlich ergreifen sollen."
Dann könne man überlegen. Diese Probleme zeigen sich, wenn beispielsweise Polizeipräsident Jacob erklärt, warum es noch immer keine Videobeobachtung gibt.
"Wir haben jetzt schon einen Verlauf von anderthalb Jahren gehabt und da hat keiner geklüngelt oder hat das auf dem Schreibtisch liegen gehabt."
Er aber künftig – gerade nachts – für noch mehr Präsenz auch in Form von Zivilbeamten sorgen möchte. Dennoch: Ruth Wennemar, die Sprecherin des "Bürgervereins Eigelstein", hätte sich noch mehr konkrete Ergebnisse gewünscht.
"Ich weiß nicht, ob wir so zufrieden aus der Veranstaltung herausgehen können wie ich mir das erhofft hatte, aber wir sind im Gespräch und das ist wichtig."
Und das denkt auch Innenminister Reul, als er – auf dem Ebertplatz stehend – den Abend noch einmal Revue passieren lässt.
"Am Ende gab es doch einen breiten Konsens über die Frage: Wir machen da weiter und wir lassen uns da nicht aufhalten."
Seine Polizei jedenfalls hatte wenige Minuten zuvor, hier am Ebertplatz, drei Männer festgenommen.