Regina Brinkmann: Wenn ein Sicherheitsdienst in einer Schule anrückt, dann muss schon so einiges passiert sein: An einer Grundschule im Berliner Stadtteil Schöneberg war das der Fall. Laut Schulleitung gab es dort seit Schuljahresbeginn etwa 30 gewalttätige Vorfälle. Das Aggressionspotenzial an der Schule sei hoch und das Unterrichten schwierig. Der letzte Ausweg in dieser verfahrenen Situation: Die Schule bestellt einen privaten Sicherheitsdienst. Der solle zu einem, so wörtlich, entspannteren Klima verhelfen, so die Hoffnung der Schulleiterin.
Was ist von dieser Strategie zu halten? Reden wir drüber mit Mirko Allwinn vom Institut Psychologie und Bedrohungsmanagement. Er berät Schulen in Sachen Gewaltprävention. Guten Tag, Herr Allwinn!
Mirko Allwinn: Guten Tag!
Brinkmann: Herr Allwinn, inwieweit kann ein Sicherheitsdienst in dieser Situation zu einem entspannteren Klima beitragen?
Allwinn: Wichtig ist hier zu sagen, dass eine solche Intervention eine Akutintervention ist, und die Frage nach einem entspannteren Klima ist kritisch zu bewerten. Stellen Sie sich vor, Sie blicken auf ein Gebäude, die Fenster sind verbarrikadiert, Metalldetektoren befinden sich am Eingang, vielleicht sogar auch uniformierte Sicherheitskräfte patrouillieren davor. Solche Bilder kennen wir eigentlich eher dann von Gefängnissen oder auch an Schulen aus den USA, aber weniger von deutschen Schulen. Und letztendlich das Bild, was da entsteht, ist, okay, hier herrscht Unsicherheit, es suggeriert, wir brauchen Security, weil wir uns hier auf einem gefährlichen Pflaster befinden.
Und es kann als Akutintervention vielleicht einer der letzten Schritte sein mitunter, aber wir empfehlen dann hier, auch auf andere, auf pädagogische und psychologische Maßnahmen mehr zu setzen.
"Die vertrauensvolle Beziehung kann mitunter zunichte gemacht werden"
Brinkmann: Bleiben wir noch mal bei dieser Akutmaßnahme: Kann die im schlimmsten Fall auch bewirken, selbst wenn sie kurzfristig nur eingesetzt wird, dass sämtliche anderen pädagogischen Präventionsmaßnahmen noch weiter in den Hintergrund rücken?
Allwinn: Absolut, vielleicht bis hin zur Unwirksamkeit. Alles, was dann an klassischen pädagogischen Maßnahmen … Man hat ein großes Repertoire mitunter, und das wissen Pädagogen am besten. Und diese verlieren an Wirkung, und die vertrauensvolle Beziehung kann mitunter zunichte gemacht werden – wenn es denn eine vorher gab, das wäre wünschenswert. Und damit zeigt man, okay, wir wissen uns nicht anders zu helfen, als einen Sicherheitsdienst einzuschalten.
"Lehrer sind mit vielen neuen Herausforderungen konfrontiert"
Brinkmann: Es gibt Sicherheitsdienste an weiterführenden Schulen in Berlin-Neukölln, insofern nichts Neues, aber jetzt neu eben auch schon an einer Grundschule in Berlin. Das zeigt doch eine extreme Hilflosigkeit der Lehrer, wie ich finde. Wie beurteilen Sie das, wie kommt es zu dieser Hilflosigkeit?
Allwinn: Lehrer und auch Pädagogen im Allgemeinen sind mit vielen neuen Herausforderungen konfrontiert in der letzten Zeit. Man hat mitunter mit ganz unterschiedlichen Konflikten zu tun, es kommen vielleicht auch Sprachbarrieren hinzu, und hier wäre es eben dann auch - das zeigt auch die Hilflosigkeit, dass man sich hier um Kurz- und Schnellmaßnahmen abseits des Lehrplans vielleicht auch nicht zu helfen weiß. Also welche kleinen Maßnahmen gibt es, um Gespräche nicht eskalieren zu lassen, ja, und dann eben auch im besten Fall sich auch die Schüler, die vielleicht in einer Situation eskaliert haben, zur Seite zu nehmen, sich auch Zeit zu nehmen und zu versuchen, die Situation zu begreifen, also auch wirklich mit der Haltung herangehen, ich will verstehen, weshalb sich eben die Schüler in die Jahre gekriegt haben oder zu Gewalt gegriffen haben.
Brinkmann: Sie sind in engem Kontakt mit Schulen, beraten sie in Fragen der Gewaltprävention. Wird das Gewaltpotenzial, das es auch schon an Grundschulen geben kann und offensichtlich auch gibt, unterschätzt?
Allwinn: Das glaube ich nicht. Mein Eindruck ist tatsächlich im Moment, dass hier eine große … Also die Aufmerksamkeit ist da, und jetzt eben die Suche nach Möglichkeiten, und dass auch viele schon frühzeitig merken, okay, es verändert sich was, es könnte Probleme geben, was können wir jetzt tun, also versuchen, rechtzeitig einzugreifen. Hier ist meiner Meinung nach ein großes Bewusstsein da.
Von außen gut erkennbar, wie das Schulklima ist
Brinkmann: Ist der Zeitpunkt auch wichtig? Sie sagen rechtzeitig – wie erkenne ich diesen richtigen Zeitpunkt und was sind so erste Maßnahmen, die ich ergreifen kann, damit die Gewalt auch nicht eskaliert?
Allwinn: Von außen ist es manchmal gar nicht so schwer zu erkennen, wie das Schulklima beispielsweise beschaffen ist, also wie findet die Kommunikation statt in den Räumen, wie sind die Dinge angeordnet, wie bewegen sich die Schüler mit welcher Leichtigkeit oder auch mit welcher Schwere über den Schulhof. Das kann man von außen manchmal sehr schnell auch erkennen. Wenn man natürlich in dem Prozess ist, dann verpasst man manchmal den Augenblick, wo vielleicht dann auch die Situation sich verändert und das Schulklima schlechter wird.
Brinkmann: Und da setzen Sie ja dann an, eine Außensicht zu schaffen. Was erfordert es darüber hinaus, was für Rückmeldungen bekommen Sie von Lehrern, die mit Gewalt zu tun haben in ihrem Schulalltag?
Allwinn: Als Erstes, man kann auch sicherer und besser kommunizieren, wenn man selbst natürlich mehr Handlungssicherheit hat, also praktische Übungen, Trainings, problematische Situationen durchspielen – im besten Falle dann, wenn es die noch so eskaliert gegeben hat und wenn man weiß, okay, es gab diesen Konflikt letzte Woche auf dem Schulhof, dass man das nachspielt und schaut, wie kann man intervenieren, also Handlungssicherheit bekommen. Diese strahlt man dann nach außen auch aus und wirkt dann auch und Schüler beruhigen sich schneller.
Brinkmann: An einer Berliner Brennpunktschule muss ein privater Wachdienst helfen, die Gewalt einzudämmen. Für den Psychologen und Berater Mirko Allwinn ist das, wenn überhaupt, nur ein akutes Mittel, zu einem besseren Schulklima führt es aber langfristig nicht, so seine Einschätzung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.