Christine Heuer: Über die deutsche und europäische Sicherheitspolitik möchte ich jetzt mit Wolfgang Bosbach sprechen. Der CDU-Innenpolitiker hat letzte Woche seine Abschiedsrede im Bundestag gehalten, aber noch ist er Bundestagsabgeordneter und wir können ihn nach seiner Meinung fragen. Guten Morgen, Herr Bosbach.
Wolfgang Bosbach: Guten Morgen, Frau Heuer.
Heuer: Welches Gesetz hätte den Anschlag in London verhindern können?
Bosbach: Ein Gesetz kann überhaupt keine Straftaten, auch keine Anschläge verhindern, denn gehen Sie mal durch das Strafgesetzbuch; wir registrieren pro Jahr etwa gut sechs Millionen Straftaten, das Dunkelfeld dürfte viel höher sein. Also mit Strafvorschriften können wir Straftaten ahnden, aber wir können sie nicht verhindern. Dafür brauchen wir eine angemessene Personalausstattung bei der Polizei. Wir brauchen eine moderne technische Ausstattung unserer Sicherheitsbehörden und den richtigen rechtlichen Rahmen, die richtigen Ermittlungs- und Eingriffsbefugnisse, damit Straftaten rechtzeitig erkannt und verhindert werden können.
"Ein wirksames Mittel gegen Gefährder in unserem Land"
Heuer: Trotzdem werden in Deutschland ja beinahe wöchentlich neue Anti-Terror-Maßnahmen diskutiert, die dann in Gesetzesform gegossen werden. Ist das alles umsonst?
Bosbach: Nein, nein!
Heuer: Wenn man ehrlich ist, Herr Bosbach?
Bosbach: Nein, nein, das ist nicht alles umsonst, denn zur Ehrlichkeit gehört ja nicht nur, dass wir (siehe Breitscheidplatz) auch in Deutschland schon bittere Erfahrungen mit dem internationalen Terror gemacht haben, sondern dass auch eine ganze Reihe von Anschlägen erfolgreich vereitelt werden konnte. Denken Sie alleine an den dramatischen Fall der Sauerland-Gruppe. Da waren mehrere hundert Beamte über viele Monate im Einsatz und die Täter sind ja zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden.
Heuer: Aber ist es nicht so, wie wir es gerade im Gespräch mit Peter Neumann gehört haben? Jeder verhinderte Anschlag ist gut, aber der Fall Anis Amri, der Breitscheidplatz hat ja gezeigt, da war ein Gefährder bekannt und die Behörden haben einfach schwere Fehler gemacht.
Bosbach: Ja, das bringt mich zu einem anderen Gedanken, nämlich zu der Frage, wie weit wir eigentlich konsequent überprüfen, wie mögliche rechtliche Möglichkeiten konsequent angewandt werden. Es ist noch nicht lange her, ich glaube, es war Sonntagmittag in der "Phoenix"-Runde, bei der ich ja auch war, da hat der Kollege Ströbele voller Stolz erzählt, es gäbe Vorschriften beim Anti-Terror-Kampf, die noch nie angewandt worden seien. Nehmen Sie einmal den hier im Fall Amri relevanten Paragrafen 58a. Das ist die Abschiebungsanordnung. Ein wirksames Mittel gegen Gefährder in unserem Land. Ich glaube, es hat zwei Fälle gegeben in den letzten zwölf Jahren, wo diese Vorschrift angewandt worden ist. Im Falle Amri hätte man sie meiner Überzeugung nach ebenfalls nicht nur anwenden können, sondern auch anwenden müssen.
"Im Moment sind die Messenger-Dienste das größere Problem als das Internet"
Heuer: Aber wenn das so ist, Herr Bosbach, wenn sich eigentlich alle in dieser Diagnose einig sind, auch über Landesgrenzen in Europa hinweg, dann wäre es doch ehrlicher, den Bürgern und den Wählern auch zu sagen, Leute, wir brauchen jetzt eigentlich gar keine neuen Gesetze, wir brauchen mehr Personal, wir brauchen mehr Geld und wir brauchen vor allen Dingen eine bessere Zusammenarbeit und funktionierende Behörden. Dann tun Sie das doch hier und heute.
Bosbach: Ich habe überhaupt nicht nach neuen Gesetzen gerufen in unserem Gespräch.
Heuer: Nein, das nicht. Aber die Union gehört ja zu denen, die wirklich ständig neue Vorschläge machen. Am Wochenende haben wir gehört, Joachim Herrmann schlägt vor, auch Kinder notfalls zu überwachen.
Bosbach: Da hat er Recht! Wir müssen doch, wenn es moderne technische Möglichkeiten der Kommunikation gibt, die dem Staat die Möglichkeit verwehren, auch terroristische Kommunikation zu überwachen. Im Moment sind die Messenger-Dienste das größere Problem als das Internet. Dann wird ja Joachim Herrmann sofort dafür kritisiert, wenn er sagt, wir müssen auch diese Form der Kommunikation bei Gefährdern überwachen können.
"Wir müssen doch wissen, wer zu uns kommt"
Heuer: Aber ist es nicht so, Herr Bosbach, dass diese Republik ständig über neue Maßnahmen diskutiert? Ich will jetzt gar nicht mit Ihnen darüber streiten, ob der Vorschlag von Herrn Herrmann sinnvoll ist oder nicht. Aber dass es im Grundsatz so ist, wir reden immer über neue Maßnahmen, aber die wahren Probleme liegen in der Umsetzung?
Bosbach: Nein, Frau Heuer, das würde ich so nicht unterschreiben. Wir reden nicht nur über neue Maßnahmen. Wir haben das Personal beim Bundeskriminalamt, bei der Bundespolizei, beim Verfassungsschutz deutlich aufgestockt. 3.000 Stellen mehr alleine bei der Bundespolizei. Der Etat des Bundesministers des Innern ist in den letzten vier Jahren um knapp 50 Prozent gestiegen. Wir haben Beweis- und Festnahmeeinheiten für den Anti-Terror-Kampf bei der Bundespolizei. Es geht nicht nur um neue Gesetze. Es geht übrigens meiner Überzeugung nach auch um etwas anderes, dass wir niemanden mehr in unser Land lassen mit völlig ungeklärter Identität und völlig ungeklärter Nationalität. Einer der Täter von London war unter zwei Namen bekannt, zwei Geburtsdaten und zwei verschiedenen Nationalitäten. Ich bin auch jetzt der Meinung, wir müssen wissen, wer in unser Land kommt.
Heuer: Die Attentäter in Großbritannien, die waren ja nun Briten. Die waren nicht britischstämmig, aber das waren Briten, das waren britische Staatsangehörige.
Bosbach: Ja! Aber das ändert doch nichts an unklarer Identität. Wir müssen doch wissen, wer zu uns kommt. Aber wehe dem, der das ganz offen sagt. Dasselbe gilt übrigens für die Koran-Verteilungsaktion "lies!". Es war in London wohl ein radikaler Prediger. Wir nehmen die Koran-Verteilungsaktion "lies!" hin. Wir wissen, dass im Zusammenhang damit auch sogenannte Spontanbekehrungen zum Islam stattfinden, dass es Kontakte gibt zu radikalen Predigern. Und wehe dem, der sagt, so geht das nicht; der kommt sofort in die islamophobe Ecke.
Heuer: Wolfgang Bosbach, CDU-Innenpolitiker, im Interview mit dem Deutschlandfunk. Herr Bosbach, danke schön!
Bosbach: Einen schönen Tag.
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