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Sie haben "mich wieder zum Dichter gemacht"

Ein Buch, das im Wesentlichen eine affirmative Fortschreibung der großen Goethe-Schiller-Legende ist. Das Denkmal, an dem nach 1968 viel herumgeklopft und -gekrittelt wurde, soll restauriert und zugleich entstaubt werden. Es soll im Glanz neobürgerlicher Bildungsfreude erstrahlen. Dagegen ist nichts einzuwenden - meint Rezensent Wolfgang Schneider.

Eine Besprechung von Wolfgang Schneider |
    "Wenn wir immer vorsichtig genug wären und uns mit Freunden nur von einer Seite verbänden, von der sie wirklich mit uns harmonieren, und ihr übriges Wesen weiter nicht in Anspruch nähmen, so würden die Freundschaften weit dauerhafter und ununterbrochner sein. Gewöhnlich aber ist es ein Jugendfehler, den wir selbst im Alter nicht ablegen, dass wir verlangen, der Freund solle gleichsam ein anderes Ich sein, solle mit uns nur ein Ganzes ausmachen, worüber wir uns denn eine Zeit lang täuschen, das aber nicht lange dauern kann."

    Goethe und Schiller waren nicht unbedingt zur Freundschaft geschaffen: Goethe, ein Jahrzehnt älter, hatte einen großen Vorsprung an Lebenserfahrung und war bereits durch den "Werther" ein international berühmter, auch von Schiller bewunderter Kult-Autor; der Karlsschüler musste da erst einmal viel aufholen. Er tat dies, indem er Goethes jungmännliche Poetik des Sturm und Drang mit dem Skandalstück "Die Räuber" noch einmal überbot und geradezu ins Groteske trieb. Für Goethe waren solche Kopfgeburten eher eine Verlegenheit; zu diesem Zeitpunkt war er schon in gemäßigtes Fahrwasser gekommen. Der Lärm um den Räuber-Schiller bedeutete für ihn eine ungute Erinnerung an die überwundenen Jugendsünden des ungebändigten Genietreibens.

    Schiller hegte seinerseits Ressentiments gegenüber dem Meister aus Weimar. Nach seinem ersten Besuch in der Stadt bezichtigte er ihn in Briefen an Freund Körner des "Egoismus in ungewöhnlichem Grade". Liebe und Hass drängen da stürmisch durcheinander: Goethe hat es in den Augen des Leistungsethikers Schillers immer allzu leicht gehabt, wurde von seinem Schicksal und Genie getragen, während er selbst sich aus dem Elend herauskämpfen und fortgesetzt Widerstände überwinden musste. Kaum erstaunlich deshalb, dass er auch die "Überwindung" Goethes fantasiert. In einem riskanten Bild denkt er ihn sich als Frau, der es männlich beizukommen gelte: "Ich betrachte ihn wie eine stolze Prüde, der man ein Kind machen muss, um sie vor der Welt zu demütigen." Goethe herunter-, um sich selbst hinaufzuziehen. Umso erstaunlicher, dass diese beiden bald an einem Strang ziehen.

    Goethe kann die 1794 ausgesprochene Einladung, bei Schillers Zeitschrift "Die Horen" mitzuarbeiten, nicht ausschlagen – er braucht dringend Stimulation, sein Werk stagniert, Gedichte wollen kaum noch gelingen, die literarische Welt scheint sich von ihm abzukehren, von der achtbändigen Werkausgabe 1790 bei Göschen gab es nicht einen einzigen Raubdruck; ein übles Zeichen. Er fühlt sich isoliert und abgehängt; da kommt ihm der wirkungsbewusste Schiller als Kollaborateur gerade recht – Schiller mit seinem künstlerischen Willen zur Macht, ein Berufsschriftsteller, der die Gesetze des neuen Literaturmarkts genau zu kennen scheint.

    Im Sommer 1794 kommt es schließlich zum ersten ausgiebigen Gespräch nach einer Abendveranstaltung in der Jenaer Naturforschenden Gesellschaft. Und bald nimmt die Freundschaft gute Fahrt auf. Es begann ein Unternehmen zur gegenseitigen Förderung, das viel Rücksichtnahme erforderte – und aus Rücksicht wurde schließlich beinahe Liebe:

    "Zuerst war ihm Schiller vom Aussehen her durchaus nicht sympathisch gewesen, dieser lang aufgeschossene, hagere Mann mit den roten Flecken auf den Wangen. Ausgezehrt, in den Bewegungen nachdrücklich, aber ungelenk. Das Haar sorgfältig frisiert, aber dünn. Oft übernächtigt, mit Ringen unter den Augen. Dann die gelben Tabakflecken unter der scharfgeschnittenen Nase. Distanziertes Auftreten, mehr Würde als Anmut. Die Lebensführung ganz das Gegenteil der seinen. Nachtarbeit, Schlaf bis zum Mittag ... Unablässig Stimulanzien, Kaffee, Wein, Arrak oder die berühmten fauligen Äpfel in der Schublade. Als Goethe sie eines Tages zu riechen bekommt, stürzt er zum Fenster, um frische Luft zu schnappen. Überhaupt war der Geruch von Krankheit immer um Schiller, der ahnte, dass dies nicht nach Goethes Geschmack war. Deshalb hatte er ihm vor seinem ersten längeren Besuch auch geschrieben: 'Ich bitte bloß um die leidige Freiheit, bei Ihnen krank sein zu dürfen. Doch Goethe respektierte das nicht nur, er nahm geradezu liebevoll Rücksicht darauf."

    Goethe ist dankbar. Bald schreibt er dem Freund: "Sie haben mir eine zweite Jugend verschafft und mich wieder zum Dichter gemacht, welches zu sein ich so gut als aufgehört hatte."

    Safranski beherrscht die Kunst der prägnanten Formel, die komplexe Zusammenhänge knapp verdeutlicht. Es ist die antrainierte Kunst eines Autors, der um 1980 aus dem Diskursmilieu der Universitäten kam, um sich mit seinen Stoffen auf dem freien Markt als Schriftsteller zu behaupten. Das Talent zur Zuspitzung von Gegensätzen bekommt im neuen Buch das ergiebigste Exerzierfeld: Schon Schiller selbst sah sein Verhältnis mit Goethe im Zeichen der berühmten Antithese von naiver und sentimentalischer Dichtung, schon das erste briefliche Porträt, das er von Goethe anfertigte, spielt die Gegensätze des Gefühls- und des Begriffsmenschen aus. Der scharfsinnige Schiller stellt sich Goethe als Bewusstseinsspiegel zur Verfügung, in dem dieser besser mit sich selbst vertraut werden könne; im Gegenzug möchte der Intellektuelle bei Goethe das Zutrauen zur Sinnenwelt und den kreativen Potentialen des Unbewussten erlernen.

    Goethe ist Schiller nach dessen Tod bei der strategischen Darstellung des klassischen Bündnisses gefolgt. Arbeit am Mythos also schon bei den Autoren selbst, fortgeführt von Schriftstellern wie Heine und den Germanisten des 19. Jahrhunderts: Schiller und Goethe immer wieder als wundersam komplementäres Gegensatzpaar. Vollends in den Essays Thomas Manns, der stets mit antagonistischen Begriffsarsenalen und Leitmotivkonstruktionen zu arbeiten pflegte, wird der Schiller-Goethe-Antagonismus zelebriert: Goethes Naturvertrauen gegen Schillers Körperfeindschaft, Erfahrung gegen Reflexion, Naturgesetz versus Freiheit, Wissenschaft kontra Philosophie und wie die Gegensätze oder Scheingegensätze noch lauten mögen. Manns Roman "Lotte in Weimar" machte die Polaritäten, die zu seiner Zeit bereits etwas von feierlichen Kulturklischees hatten, erzählerisch fruchtbar.

    Safranski greift viele dieser typologischen Unterscheidungen auf, gewinnt ihnen frischen Reiz ab und setzt die Antithesenwirtschaft selbst nach Kräften fort. Aus dieser gekonnt durchgehaltenen Spannung bezieht das Buch seinen Reiz auch für Leser, die mit den klassischen Biografien bereits gut vertraut sind. Schon vor den Jahren der Freundschaft, bevor sie sich überhaupt ins erste Gespräch verstricken, wirken Goethe und Schiller in Safranskis Darstellung bereits so, als gälte es, Gegensätze zu inszenieren.

    "Schiller und Charlotte, Goethe und Christiane. Goethe verliebt und bindet sich sozial nach unten, Schiller nach oben ... Schiller ist dabei, sich an ein Leben in besseren Kreisen zu gewöhnen, mit Sitte, Anstand und Häuslichkeit. Ganz anders Goethe. Er brüskiert die gute Gesellschaft."

    Der hagere Schiller wirkte da noch als schlecht bezahlter Professor in Jena und dozierte über Geschichte. Goethe dagegen erfuhr die Geschichte am eigenen, inzwischen zu leichter Korpulenz neigenden Leib. 1792 machte er den ersten Kriegszug der Alliierten gegen das revolutionäre Frankreich mit, erlebte die Belagerung von Mainz und die Kanonade von Valmy, eine grauenvolle Materialschlacht. Zehntausende kamen um im Schlamm. Goethe spricht von einem "bösen Traum", "der mich zwischen Kot und Not, Mangel und Sorge, Gefahr und Qual, zwischen Trümmern, Leichen, Äsern und Scheißhaufen gefangen hielt."

    So wurden für Goethe Literatur, Wissenschaft und Kunst zu Asylen gegen die horriblen Zumutungen der Geschichte; Schiller dagegen brachte Geschichte auf die Bühne und verhandelte die politischen Herausforderungen in seinen Werken. Mit einer Safranski-Formel: "Für Goethe ist die Kunst eine Zuflucht vor der Revolution, für Schiller ist sie das Spielfeld für eine Revolution, die diesen Namen erst wahrhaft verdient."

    Wie war es, wenn diese beiden eigentlich so grundverschiedenen Männer zu langen Gesprächen zusammenkamen? Safranski erzählt es, als hätte er selbst hinter dem Vorhang gestanden:

    "Bei seinen Aufenthalten in Jena war Goethe häufig zu Besuch bei Schiller. Gewöhnlich kam er am späten Nachmittag und blieb bis in den Abend, manchmal sogar bis tief in die Nacht. Oft brachte er ein kleines Geschenk für die Küche mit, einen Hecht, Erdbeeren, Gemüse oder einen Hasen; auch Spielsachen für den Kleinen. Einmal sogar eine Spielzeugguillotine. Goethe benötigte immer eine gewisse Anlaufzeit. Zunächst verhielt er sich schweigsam, nahm sich ein Buch vor oder zeichnete. Wenn ihn die Kinder umlärmten, spielte er mit ihnen. So taute er auf. Tee wurde gereicht, später Wein. Dann konnte der Diskurs beginnen. Schiller schritt mächtig aus, Goethe stand lieber. Wurde es laut, schloss Charlotte die Fenster. In der Erregung des Gesprächs kam Schiller zu Kräften. Dann merkte man nichts von seinen Leiden und Krankheiten. Nur wenn es zu heftig zuging, verließ er für kurze Zeit den Raum, um sich zu beruhigen, vielleicht auch, um irgend ein Mittel einzunehmen."
    Schiller wird von Safranski als Mann des Dialogs gezeichnet, der Gedanken gern in gemeinsamer Scharfsinnsanstrengung entwickelt. Goethe dagegen monologisiert lieber, inspirierend auch für die Zuhörer, hört aber nicht gern zu, verliert leicht die Geduld. Der dialogbedürftige Schiller verlässt auf Wochen und Monate allerdings kaum seine Schreibklause; der Monologist Goethe hingegen pflegt Kontakte und spielt seine Rollen. Er hat "zuviel Welt", fühlt sich herumgezogen von den Ansprüchen seiner alltäglichen Geschäfte, leidet unter der Doppelbelastung als Pegasus und Amtsschimmel. Schiller dagegen klagt über "Mangel an Welt". Goethe genießt den Ruhm und die Ehrehrbietung der Menschen mit erhobenem Haupt, Schiller eher mit eingezogenem Kopf, eingeschüchtert von der begeisterten Menge.

    Safranski gewinnt dem viel behandelten Stoff subtile Momente der Interpretation und manche überraschende Pointe ab. Mit seiner analytisch-biografischen Lesart bemerkt er die leichten Missklänge im großen Freundschaftskonzert, etwa bei Schillers höflicher, aber verdächtig hartnäckiger Kritik an Goethes Roman "Wilhelm Meisters Lehrjahre": Auch dieser Wilhelm weiß nicht, was Freiheit und Willensanstrengung ist, auch er wird getragen von seinem Glück, von Zufall, Liebe und der leitenden Hand einer Turmgesellschaft. Kurz: Diese Romanfigur enthält zu viel von dem, was Schiller an dem Freund anfangs irritierte und das er sich bei Goethe in Person inzwischen zu lieben entschlossen hat.

    Umgekehrt nimmt Goethe die hehren Ideen von Schillers "Ästhetischer Erziehung" des Menschengeschlechts mit leichter Ironie auf. Nicht schöne Worte, sondern das Leben bilde den Mann, schreibt er, und vertraut selbst nicht auf theoretische Konzepte, sondern auf die heilsame Wirkung von Höflichkeit und Rücksichtnahme. Untergründig sieht Safranski aber auch bei diesem Gegensatz eine verdeckte Parallele: Ein Spieltheoretiker ist nicht nur Schiller, der im Reich ästhetischen Scheins und Spiels den Menschen politische Kultur beibringen möchte, auf dass die Gräuel gewaltsamer Revolutionen überflüssig würden. Auch Goethes Höflichkeit erscheint als Gesellschaftsspiel: Man tut dabei nur so, als ob. Authentisch muss es nicht sein. Mit wohldosierten Ausdrucksformen gleitet man über Abgründe.

    Unaufdringlich bringt Safranski seine ausgezeichnete Kenntnis der klassisch-romantischen Epoche ein. Goethe und Schiller waren ja nicht nur das Duett auf dem Olymp; sie agierten vor dem Hintergrund eines kulminierenden Geisteslebens. Da gab es vielfältige Interessen, Rivalitäten und Eifersüchteleien, die in ihren prominenten Bund hineinspielten und bisweilen wie Störfrequenzen wirkten. Zu den Brüdern Schlegel etwa hatte Schiller ein sehr angespanntes Verhältnis, das Safranski mit psychologischem Scharfblick beschreibt:

    "Die Ironie der Geschichte will es, dass Friedrich Schlegel ausgerechnet durch Schiller vom Klassizisten, der er trotz seiner Liebe zur 'Anarchie' immer noch war, zu jenem wilden Denker und subjektiv-ironischen Romantiker wurde, den Schiller nicht leiden konnte und über den er an Goethe schreibt: 'mir macht diese naseweise, schneidende und einseitige Manier physisch wehe.' Für Schiller war Friedrich Schlegel eine Karikatur des 'Sentimentalischen', er verkörperte für ihn die Unnatur, bei der die Poesie durch Reflexion abgetötet wird. Da Schiller aber nur zu genau wusste, dass auch bei ihm selbst diese Gefahr bestand, galt ihm Schlegel fast als ein missratener jüngerer Bruder, an dem die eigenen Gefährdungen zur Kenntlichkeit verzerrt hervortraten. Daher auch Schillers außergewöhnliche Gereiztheit."

    Goethe dagegen ließ sich die Schmeicheleien der Schlegels gefallen und führte gegen Schillers Rat 1802 gleich zwei Theaterstücke der Brüder in Weimar auf. Safranski weiß ein schönes Zitat von August Wilhelm Schlegel einzufügen, das die mitunter komödienhaften Spannungen im klassischen Geistesleben verdeutlicht:

    "Überhaupt trat Goethe auf eine sehr liebenswürdige Weise vermittelnd ein. Seine sorgsame Schonung für Schiller, welche der eines zärtlichen Ehemanns für seine nervenschwache Frau glich, hielt ihn nicht ab, mit uns auf freundschaftlichstem Fuß fortzuleben."

    Oft stehen Schriftsteller-Biografien wacklig auf einem Bein. Das Leben wird erzählt, aber die Werke bleiben außen vor. Elegant und leichthändig verbindet dagegen Safranski die Lebens- mit der Ideengeschichte und versteht es, die Dramen, Balladen und Romane so auf den Punkt zu bringen, dass sie wie maßgefertigte Beiträge im großen Goethe-Schiller-Dialog wirken. Er liest die Werke im Zeichen der "Parallelaktion", wie sein Zauberwort lautet. Allerorten findet er Anklänge und Korrespondenzen, Antworten und Antithesen. Und er zitiert, paraphrasiert und erläutert die Werke so, dass Konzentrate aus Lebensphilosophie entstehen – etwa wenn es um Wallenstein als Möglichkeitsmenschen geht.

    "Die Macht, an der er im Zögern festhält, ist die Fülle der Möglichkeiten vor der Entscheidung. Was aber ist die Wirklichkeit anderes als die Reduktion von Möglichkeiten? Sie zwingt einen dazu, den Reichtum der Möglichkeiten durch das Nadelöhr der Entscheidungen zu ziehen – mit unabsehbaren Verlusten. Wer wie Wallenstein seine Optionen bewahren will, scheut zurück vor der Unumkehrbarkeit des Handelns.
    Entscheidungen schaffen eine 'Mauer aus meinen Werken', sagt Wallenstein. Sie fügen den eigenen Faden in die unabsehbare Textur des Wirklichen ein und verstricken sich damit in des 'Lebens Fremde'. Wer handelt, muss sich entfremden. Niemals wird er sich in seinen Taten vollkommen wieder erkennen und schon gar nicht in den ferneren Konsequenzen, die sich daraus ergeben."


    Auch wenn sich das manchmal so liest, als wäre Safranski der Dritte im Bund der großen Männer – solche Passagen tragen zum intellektuellen Lektüre-Vergnügen bei.

    Von Goethes Schweizer Reise im Jahr 1797 stammt die Idee zu einem Wilhelm-Tell-Projekt, das Goethe gleichsam als Beute heimbrachte, die er Schiller großzügig überließ. Der machte einen seiner größten Publikumserfolge daraus – was den in jenen Jahren weniger durchschlagskräftigen Goethe nicht verdross. "Goethe sah es gerne", schreibt Safranski, "wenn Schiller gelobt und gefeiert wurde. Er war ihm gegenüber ohne Neid und seine Loyalität war groß."
    Gemeinsam setzen die beiden den hohen Ton der Weimarer Klassik gegen den "unrichtigen Begriff von Natürlichkeit" durch. "Das lange Angaffen eines Alltagsgesichts muss endlich freilich auch ermüden", schreibt Goethe und plädiert für die unalltägliche Sprache der Jamben. Dem Publikum wird mit herrischem Gestus begegnet; es soll erzogen werden. Miteinander gingen die beiden jedoch ganz entspannt um:

    "Im ersten Jahr nach Schillers Umzug nach Weimar nutzen die beiden ihre neue Nachbarschaft zu häufigen Besuchen. Noch intensiver nimmt man wechselseitig Anteil an den alltäglichen Sorgen und Vorkommnissen, ob nun das Dach bei Schiller schadhaft ist und Goethe als Leiter der Schlossbaukommission fachlichen Rat geben kann, ob Goethe seine neue Equipage mit Schiller einweihen möchte oder die Kinder gegen Blattern geimpft werden müssen, solche Angelegenheiten werden nun häufig besprochen. Als Goethe ein neues Teleskop bekommt, wird der Freund mit den Worten eingeladen: 'Es war eine Zeit, wo man den Mond nur empfinden wollte, jetzt will man ihn sehen.'"

    Gelegentlich erlaubt sich Safranski kleine Sticheleien gegen seine klassischen Idole, insbesondere Goethe. Genüsslich zitiert er Stimmen, die sich von den "Bekenntnissen einer schönen Seele" aus dem "Wilhelm Meister" oder den "Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten" eher gelangweilt zeigten. Er gönnt sich den Spott über die idealisierte "Iphigenie" und die von der Forschung auf Knien interpretierte allegorische Rätseltextur des "Märchens" – "eine Art höheres Kreuzworträtsel". Und er findet die Pointen der berühmten Xenien, mit denen Schiller und Goethe das erhabene Gelächter über den zeitgenössischen Literaturbetrieb probten, heute erstaunlich matt: Kaum nachzuvollziehen, weshalb die beiden sich dermaßen amüsierten, dass es noch draußen auf der Straße zu vernehmen war. In solchen Momenten will Safranski kritische Souveränität demonstrieren und überdecken, dass sein Buch im Wesentlichen eine affirmative Fortschreibung der großen Goethe-Schiller-Legende ist. Nichts mehr von Entmythisierung und Dekonstruktion; das Denkmal, an dem nach 1968 viel herumgeklopft und -gekrittelt wurde, soll restauriert und zugleich entstaubt werden. Es soll im Glanz neobürgerlicher Bildungsfreude erstrahlen. Dagegen ist nichts einzuwenden.

    Rüdiger Safranski: Goethe & Schiller. Geschichte einer Freundschaft. Hanser Verlag 2009, 344 S., 21,50 Euro