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"Sie können wirklich die Seide knistern hören"

Sie stehen für die Entdeckung der sichtbaren Welt, die sie dank einer raffinierten neuen Maltechnik, der Ölmalerei in bis dahin ungesehener kleinteiligen, realistischen Weise schilderten. Über 50 ihrer Meisterwerke wurden aus eigenem Bestand, aus Berlin und vielen Weltstädten im Frankfurter Städel zusammengetragen.

Besucht von Christiane Vielhaber |
    Christoph Schmitz: Die Landschaft, die Natur, Sonne und Licht und Luft wehten plötzlich in die Bilder der Maler, womit sie sich aus dem Mittelalter zu verabschieden begannen und die Neuzeit in ihre Ateliers ließen. Der sogenannte Meister von Flémalle, häufig mit Robert Campin gleichgesetzt, steht hierfür, aber auch Rogier van der Weyden, der um 1420 in der Campin-Werkstatt gearbeitet hat und der wie Campin aus dem damals französischen, heute belgischen Tournai stammt. Der Meister von Flémalle und Rogier van der Weyden stehen für die Entdeckung der sichtbaren Welt, die sie dank einer raffinierten neuen Maltechnik, der Ölmalerei in bis dahin ungesehener kleinteiligen, realistischen Weise schilderten. Zum ersten Mal sind die beiden Maler in einer monografischen Ausstellung zu sehen, und zwar im Städel Museum in Frankfurt. Über 50 ihrer Meisterwerke wurden aus eigenem Bestand, aus Berlin und vielen Weltstädten zusammengetragen. Christiane Vielhaber, was ist vom Meister vom Flémalle zu sehen, was von Rogier van der Weyden?

    Christiane Vielhaber: Teilweise kann man das nicht unbedingt unterscheiden, weil man sich immer noch nicht ganz sicher ist mit der Zuschreibung. Aber ich darf vorab mal sagen, man sagt so leicht hin, dass ich das noch erleben darf und meint das dann so etwas ironisch. Dass ich so was wie diese Ausstellung erleben durfte, die wohl nach mir auch keiner mehr erleben darf, das ist unglaublich, was man in Frankfurt, und im Anschluss geht diese Ausstellung nach Berlin, aber in veränderter Form, was man da sehen kann.

    Schmitz: Warum war es so unglaublich?

    Vielhaber: Diese vergleichende Schauen. Herr Schmitz, wenn ich den Cloisters in New York gewesen bin oder im Metropolitan Museum in New York, dann sehe ich einen Meister von Flémalle, ich sehe einen Rogier van der Weyden und sehe ihn gehängt zu seinen Zeitgenossen. Und dann denke ich, ja, ja, ganz ordentlich so, ganz schön und so mittelbeeindruckend. Aber wenn Sie das jetzt nebeneinander sehen, wenn Sie die Unterschiede sehen, oder wenn Sie sehen, wer was von wem übernommen hat, oder wenn Sie ein Frühwerk von dem Meister von Flémalle sehen und danach ein Spätwerk und dann sehen Sie, wie weit er die Wirklichkeit dann noch mal in sein Bild reinholt, ohne dieses ganze Sakrale, was natürlich Bildinhalt bleibt, das Heilsgeschehen. Aber das sind Menschen wie Sie und ich. Das sind Menschen von Fleisch und Blut, die sind von dieser Welt. Das ist die Mutter Christi, die wirklich Tränen heult am Kreuz oder das ist die Maria, die den kleinen Jesusknaben an der Brust hat. Der nuckelt richtig und guckt dann aber so ein bisschen nach hinten. Sie sehen seine kleine Füßchen. Sie sehen diese Gewänder. Sie haben das Gefühl, Sie können wirklich die Seide knistern hören. Sie merken irgendwo, wo so einfachere Leute, einfach nur Filsgewänder umhaben. Die sichtbare Wirklichkeit oder das, was das Licht auf der Oberfläche auf Dingen macht, was wir eigentlich den Impressionisten zusprechen, das ist da schon. Oder diese ganze Psychologie, dass Sie auch plötzlich sehen, eine alte Frau hat Falten. Das liegt an der neuen Maltechnik. Sie haben vorhin gesagt, da gibt es was Neues, das ist die Ölmalerei. Vorher hatte man Tempera, das wurde meistens angerührt mit Eigelb, und jetzt plötzlich haben Sie die ganz bunten, die ganz strahlenden Farben, die das alles wiedergeben können.

    Schmitz: Dann die Körper, die Haut, das Organische beschrieben ist mit dem Organischen der Natur. Wie wird die Natur hineingekommen ins Bild? In Einzelteilen, in Schmetterlingen, in Käfern, in Grashalmen oder die geballte große Natur, der Wald, die Wiese, die Luft?

    Vielhaber: Der Wald ist eigentlich schematisiert. Das ist was, was auffällt, das sind immer so kleine Ballonbäumchen. Aber was die Natur angeht, auf diesem Boden, auf dem sich diese Menschen bewegen, Sie können jedes einzelne Pflänzlein, Sie haben das Gefühl, da saß ein Botaniker und hat die Lupe in der Hand gehabt. Es ist wirklich unglaublich. Oder die Blicke aus dem Fenster, dass eben das Heilsgeschehen, sagen wir, wenn man Maria sagt, du wirst jetzt schwanger und du wirst den Jesus gebären, dann sieht es die nicht in irgendeiner Fantasiewelt, sondern die sitzt da, wo sie zu Hause eigentlich oder wo ein gut Bürgerlicher sitzt. Und Sie gucken aus dem Fenster und Sie sehen in mittelalterliche Städte, damals sehr moderne Städte oder Sie sehen auf Landschaften mit Architekturen, mit Menschen darin.

    Schmitz: Wie würden Sie denn die eigene Handschrift der beiden Künstler beschreiben oder sind sie doch sehr verwandt zum Verwechseln ähnlich?

    Vielhaber: Nein, das kann man so gar nicht sagen. Sie sehen zum Beispiel innerhalb von drei Altartafeln, die Rogier van der Weyden zugeschrieben werden, Sie sehen in der Mitte die Maria mit dem Jesusknaben an der Brust, Sie sehen links dann die Veronika mit dem Schweißtuch. Und wenn Sie sich nur die Hände angucken, dann sehen Sie, das war jemand in der Werkstatt. Bei Veronika, die hat richtige Wurstfinger und die Maria mit dem Jesuskind, die hat fast manieristisch überlenkte, wunderbar grazile Hände. Solche Unterschiede merken Sie überall. Oder Sie merken beim Meister von Flémalle, bei dem Frühwerk, wo er dann noch doch wirklich etwas schematisiert die Verkündigung darstellt. Und dann haben Sie diesen dreiteiligen Altar und dann sehen Sie den Josef da sitzen. Und der Josef ist ein alter Mann mit grauem Bart und Sie sehen ihn richtig als Zimmermann. Und der hat den Hobel in der Hand und haut da richtig, eine reine Werkstatt. Das Ganze ist von dieser Welt.

    Schmitz: Christiane Vielhaber über die Ausstellung der altniederländischen Maler, der Meister von Flémalle und Rogier van der Weyden im Frankfurter Städel.