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Sie lieben die Nacht, den Mond und die Sterne

Sie starren oft stundenlang in den Himmel. Ihre Motivation: die mögliche Entdeckung des großen Unbekannten. Ob noch unentdeckte Asteroiden oder Spuren extraterrestrischen Lebens – Amateurastronomen suchen auch von Deutschland aus unnachgiebig das All ab.

Von Marieke Degen |
    "Jupiter sendet im Wesentlichen zwei Programme. Wenn er richtig gut drauf ist. Das eine hört sich so an wie Meeresrauschen."

    Sie lieben die Sonne, den Mond und die Sterne.

    "Und das andere Programm könnte man so beschreiben, sie haben sicher schon mal selbst Popcorn gemacht. So Maiskörner in einen Topf, und wenn die dann explodieren, das gibt so ein trockenes Geräusch. Und das ist das andere Geräusch, das Jupiter macht."

    Vom himmlischen Treiben der Amateurastronomen. Aus der Reihe Hobbyforscher in der Wissenschaft .

    Von Marieke Degen.

    Bernd Thinius steht auf dem Dach seines Einfamilienhauses in Potsdam-Bornim. Über ihn wölbt sich eine weiße Sternwartenkuppel. Er zieht an einer dünnen Schnur, die Kuppel öffnet sich einen Spalt und gibt die Sicht zum Nachthimmel frei.

    "Na, was sehen wir, es schneit draußen, das ist nicht so toll zum Beobachten, aber man hat eben doch schon ein bisschen das Gefühl, dem Himmel näher zu sein."

    Auf einer Säule in der Mitte der Kuppel thront das Herzstück, das Teleskop.

    "Hat 36 Zentimeter Spiegeldurchmesser, das ist so ein Maß, wo der Privatmann sagt, naja, kann man sich noch leisten."

    Die Sternwarte auf dem Dach hat er selbst gebaut, und wenn die Sicht klar ist, verbringt er jede Nacht hier oben. Alles läuft hier voll automatisch. Das Teleskop ist mit einer Spezialkamera ausgestattet und mit einem Notebook verbunden, auf dem eine Sternkartensoftware läuft. Bernd Thinius muss nur ein paar Koordinaten in ein Suchfeld eintippen, schon richtet sich das Teleskop am Himmel aus. Das spart Zeit.

    "Früher hat man also die Objekte gesucht, indem man von Stern zu Stern gesprungen ist, mithilfe einer Karte, und heute übernehmen wir die Daten dort vom PC und das besondere ist eben, dass ich diese Software hier gekoppelt habe mit der Steuerung des Teleskops – er hat eben gepiept – das heißt also, er ist an der Position angekommen, und wenn wir jetzt eine Aufnahme machen würden, würden wir jetzt die Andromedagalaxie sehen."

    Bernd Thinius interessiert sich nicht für den Mond, für den Saturn mit seinen Ringen, oder für Milliarden Lichtjahre entfernte Galaxien. Der Potsdamer spürt Asteroiden auf, Kleinplaneten; Brocken mit einem Durchmesser von ein paar Kilometern. Nacht für Nacht fotografiert er dafür den Himmel ab, schwarze Bilder mit unzähligen winzigen Pünktchen darauf.

    "Völlig langweilig, es hüpft ein Klecks da über die Aufnahmen, was ist da toll dran? Wenn man anfängt, Astronomie – Sonne, Mond und Sterne. Klar. Tolle Sache, wirklich auch toll, das mal mit den eigenen Augen zu sehen. Aber dann fängt es irgendwann an, wenn Sie den Mond zum 100. Mal angeschaut haben und in allen Phasen, Krater von der Seite, unten, oben, rechts, links oder die Planeten, denn ähnelt sich das. Denn möchte man mehr schaffen."

    Heute fällt die Aufnahme aus. Dichte Schneewolken versperren die Sicht ins All.

    "So, jetzt ist die Kuppel wieder zu."

    Bernd Thinius hat ein eigenes Ingenieurbüro, tagsüber konstruiert er Messgeräte für Wetterstationen. Auf Asteroidenjagd geht er erst nach Feierabend. Thinius ist Hobbyastronom, Mitglied in der Vereinigung der Sternfreunde, dem größten Verband für Amateurastronomen in Deutschland, wo er sich mit Gleichgesinnten zur Arbeitsgruppe Asteroiden zusammengeschlossen hat. Auch als Amateur will Bernd Thinius wissenschaftlich arbeiten, seine Leidenschaft für Kleinplaneten hat einen praktischen Hintergrund.

    "Weil es eine bestimmte Gruppe von Kleinplaneten gibt, die da oben rumschwirren, die der Erde gefährlich nahe kommen. Das sind sogenannte Erdbahnenkreuzer, die innerhalb der Erdbahn und außerhalb der Erdbahn sich befinden, aber die Erdbahn kreuzen, das heißt, es besteht eine potentielle Gefahr, dass irgendwann mal gerade die Konstellation passt, dass einer auf die Erde kracht."

    Bernd Thinius ist einer von etwa 1000 Hobbyastronomen weltweit, die Asteroiden beobachten und deren Position im Weltraum mithilfe einer Software bestimmen. Die Daten schicken sie in die USA, ans Zentrum für Kleinplaneten, dem Minor Planet Center in Cambridge, Massachusetts. Dank der vielen verschiedenen Daten können die Wissenschaftler dort die Umlaufbahn der Asteroiden präzisieren - und abschätzen, ob sie der Erde gefährlich nahe kommen könnten. Wie der Asteroid 99942 Apophis:

    "Dieser hat die höchste Wahrscheinlichkeit für einen Zusammenstoß mit der Erde, man hat also auch den Termin, ist der 13. April 2029, ausgerechnet. Da kommt er der Erde bis auf 30.000 Kilometer nahe, es wird also kein Zusammenstoß stattfinden, was man durch solche Beobachtungen übrigens feststellt, man beobachtet, präzisiert die Bahn immer wieder neu, die verändert sich auch leicht über die Jahre, deshalb muss man immer wieder dranbleiben an den Objekten."

    Und wenn Bernd Thinius Glück hat, taucht auf seinen Himmelsaufnahmen auch mal ein bislang unbekanntes Pünktchen auf. Zwei Asteroiden hat er offiziell schon entdeckt: Sie heißen 2008-CE120 und 2009-UQ4.

    "Das ist natürlich dann das größte irgendwie, wenn man einen neuen Himmelskörper findet, den noch kein anderer Mensch beobachtet hat."

    Um sicher zu gehen, dass es sich tatsächlich um einen neuen Kleinplaneten handelt, muss das Objekt aber mindestens zwei Nächte hintereinander zu sehen sein.

    "Dann wird’s natürlich ganz spannend, wenn man sowas hat, dann hofft man den ganzen Tag über, wird's denn wieder klar heute Nacht?"

    Beim Asteroiden 2009-UQ4 war Potsdam in der zweiten Nacht wolkenverhangen. Trotzdem hatte Bernd Thinius Glück.

    "Dann hab ich also mit einem Kollegen gesprochen in Essen, und der hat die Möglichkeit, mit einem robotischen Teleskop in New Mexiko, USA, zu beobachten, und der hat dann also von den USA aus auf dieses neue Objekt 2009-UQ4 draufgehalten und eine Parallelbeobachtung gegeben."

    Es wird noch ein paar Jahre dauern, bis die Bahn seiner Asteroiden vollständig berechnet ist. Erst dann darf er ihnen Namen geben. Einer soll auf jeden Fall Bornim heißen, wie der Potsdamer Stadtteil, in dem Bernd Thinius lebt.

    Es gibt hierzulande mehr als einhundert Volkssternwarten. Die Vereinigung der Sternfreunde zählt 4000 Mitglieder, die wiederum in 18 verschiedenen Fachgruppen organisiert sind, von Planeten bis Sternschnuppen. Rund 50.000 Menschen in Deutschland besitzen ein Fernrohr.

    Die Bandbreite der Hobbyastronomen ist enorm. Sie reicht von Sternenguckern, die alle paar Monate mal ihr Teleskop herausholen, bis hin zu Amateuren, die die wissenschaftliche Fleißarbeit erledigen, sagt Michael Geffert, Profiastronom vom Argelander-Institut der Universität Bonn.

    "Ich erinnere mich da an einen Pater in Australien, der mit seinem Fernglas die Galaxien angeguckt hat, von Galaxie zu Galaxie, um zu gucken, ob dort eine Supernova zu finden ist, und das ist extrem wichtig für die Entfernungsbestimmung, dass man solche Objekte sehr, sehr früh findet, und der hatte die Galaxien so im Kopf, dass er nur angucken musste und wusste, da ist ein neuer oder da ist nicht ein neuer."

    Auch das Minor Planet Center, das Kleinplanetenzentrum in den USA, ist auf die Daten von Amateuren wie Bernd Thinius angewiesen.

    "Alle sammeln Daten, mit den verschiedensten Instrumenten, mit den verschiedensten Möglichkeiten, es gibt eine direkte Zusammenarbeit, weil auch die großen Sky-Surveys nichts anderes tun. Sie nehmen Fotografien vom Himmel mit den Kleinplaneten ab und bestimmen die Bahnen. Das ist exakt das gleiche."

    Amateure und Profis arbeiten mit derselben Software, sie nutzen aber unterschiedlich starke Teleskope. Forscher mit extrem lichtstarken Instrumenten, die Nacht für Nacht den Himmel abrastern, entdecken ständig neue Asteroiden. Für Hobbyastronomen wie Bernd Thinius bleibt das die große Ausnahme. Fünf unbekannte Asteroiden hat er bislang aufgespürt, aber nur zwei wurden ihm offiziell zugeschrieben. Die anderen drei Pünktchen waren schon auf Fotos von Großteleskopen zu sehen, die eine Woche früher gemacht wurden. Und inzwischen werden immer mehr Großteleskope allein für die Beobachtung von Asteroiden gebaut.

    "Und die nächsten werden jetzt in den nächsten ein, zwei Jahren in Betrieb genommen, so dass also auch für mich der Spielraum deutlich enger wird, ein neues Objekt noch zu finden."

    Mit gerade einmal sechs Jahren hat Bernd Thinius sein erstes Fernrohr gebaut. Die Tüftelei an Teleskopen ist für viele der Einstieg in die Amateurastronomie; die Technik hier unten begeistert sie fast mehr als die Sterne da oben. Gleichzeitig ist es die technische Ausstattung, die den Amateurastronomen immer wieder Grenzen aufzeigen, sagt Michael Geffert von der Universität Bonn.

    "Also ein Hubble-Teleskop, das kann kein Amateur betreiben, und auch die großen Fernrohre, wie sie jetzt von den großen Institutionen betrieben werden, wie ESO und andere, das schafft ein Amateurastronom nicht."

    "So, Sie müssen also hier rum reinkommen, sonst kommen Sie nicht durch die Tür durch."

    Die Wintersonne scheint fahl durch die Fenster. Auf dem Boden ein zerlegtes Getriebe. Es riecht nach Lack und Öl.

    "Jetzt müssen wir dort dran vorbei und hoch, und da müssen Sie hier raufsteigen und dann auf die Treppe."

    Es geht senkrecht durch eine meterlange, knallrot lackierte Stahlröhre. Schmale Leitern führen im Zickzack nach oben, auf der rechten Seite ein dünnes Geländer zum festhalten. Peter Kalberla und Peter Ille setzen routiniert einen Stiefel vor den anderen.

    "Es gibt viele Leute, die sagen, dass die Konstruktionsdetails von diesem Teil des Teleskops schlicht und einfach abgeguckt sind von den Innereien eines U-Boots. Es ist ja auch unmittelbar nach dem Ende des Krieges gebaut worden."

    Die Astronomen, die hier mal gearbeitet haben, wollten nicht in den Weltraum schauen. Sie haben den Weltraum belauscht. Kalberla und Ille, beide Mitglieder im Förderverein Astropeiler, klettern durch das Innere des ältesten Radioteleskops Deutschlands: der Radiosternwarte Stockert bei Bad Münstereifel, Baujahr 1956. Das Gebäude ist ein achteckiger Kegel, weiß mit hellblauen Fensterrahmen. Die Antenne auf seiner Spitze sieht aus wie eine überdimensionierte Satelliten-Schüssel.

    "So, wir kommen hier aus der Messkabine raus, auf die Bühne, wenn wir schönes Wetter hätten, könnten wir bis Köln schauen."

    Im Sommer könne man hier oben auch schön frühstücken. Heute pfeift den beiden ein eiskalter Wind um die Ohren.

    "Wir stehen unter der Schüssel, die Schüssel ist eine 25-Meter-Schüssel aus Lochblech, im inneren Teil haben wir einen Aluminiumkern, der äußere Teil ist aus Eisen, und dort hatten wir auch Probleme mit dem Rost, das ist für recht viel Geld repariert worden, ist entrostet worden und neu gestrichen, und somit ist die Schüssel wieder voll einsatzfähig."

    "Wir sind auf 30 Metern Höhe, und das ist schon relativ ungemütlich. Sie merken es ja selber, es ist kalt und wir sollten dann wieder reingehen."

    In den 60er- und 70er-Jahren haben Astronomen von der Universität Bonn hier Radiowellen aus dem Weltraum empfangen. In diesem Strahlungsbereich sind bei Sternen und Galaxien ganz andere Phänomene zu sehen als im sichtbaren Licht. Doch dann hatte die Radiosternwarte ausgedient. Die Schüssel war zu klein, die Empfindlichkeit zu gering; die Wissenschaftler wanderten ab zum neuen Radioteleskop nach Effelsberg, mit seiner 100-Meter-Schüssel jahrzehntelang das größte bewegliche Radioteleskop der Welt.

    Mitte der 90er-Jahre hat sich die Universität Bonn ganz vom Stockert zurückgezogen. Die Radiosternwarte drohte zu verfallen, sollte sogar abgerissen werden. Vor fünf Jahren hat sie die NRW-Stiftung gekauft, eine Stiftung für Kultur- und Naturschutz in Nordrhein-Westfalen. Und die Mitglieder des Fördervereins Astropeiler Stockert e.V. bringen das Teleskop jetzt wieder auf Vordermann.

    "In dieser grünen Kiste hier haben wir die Steuerungseinheit für den Empfänger, ansonsten können wir hier sehr schön den Antrieb für die Elevation, also Hoch-Runter-Bewegung des Teleskops sehen."

    "Es ist auch eine Kurbel dran, zur Not ist es möglich, das Teleskop von Hand zu fahren, da muss dieser Hebel umgeworfen werden, und hier mit dieser roten Kurbel ist dann ein Handfahrbetrieb möglich, aber das dauert eine ganze Zeit."

    Die Schüssel beginnt sich zu drehen.

    "Wenn jemand arbeitet, es könnte ja sein, dass jemand im Teleskop ist, dann ist der gewarnt, dass das Teleskop jetzt in Betrieb genommen wird, und dann muss er natürlich sehen, dass er sich von allen bewegten Teilen weg begibt, dass er sich selbst schützt."

    Der Förderverein Astropeiler plant mit der Radiosternwarte Stockert das erste und einzige Radioteleskop in Deutschland, das ehrenamtlich betrieben wird, und das von Hobbyastronomen und Schülergruppen genutzt werden kann. Ein Museum zum Anfassen.

    "Es soll gezeigt werden, wie die Messungen funktionieren. Vom Prinzip her also die Bündelung der Wellen im Spiegel, der Weg durch den Empfänger, dann die Auswertung die Darstellung im Computer, das soll alles für die Besucher nachvollziehbar sein, und die Idee ist es schon, ein Messprotokoll zu erstellen, das können sich die Leute dann mit nach Hause nehmen und vielleicht an die Wand hängen, wenn das besonders schön war, die Messung."

    Jedes Wochenende finden sich hier Vereinsmitglieder ein, tüfteln, basteln, schrauben. Noch in diesem Jahr soll das Teleskop den Museumsbetrieb aufnehmen.

    "Ohne Hobbyastronomen geht hier überhaupt nichts, denn um einen professionellen Messbetrieb wie an einer Forschungsstation machen zu können, dann braucht man Operateure. Man braucht einen Stab an Mitarbeitern auf den technischen Gebieten, die schlicht und einfach die Kiste am Laufen halten. Die sich um den Empfänger kümmern, die sich um die Antriebe kümmern, und das alles wird von Amateuren gemacht."

    Amateure bedeutet aber lediglich, dass die Leute hier für ihre Arbeit nicht bezahlt werden. Peter Kalberla ist professioneller Radioastronom, Peter Ille Nachrichtentechniker. Am Stockert sind hoch spezialisierte Profis am Werk, Elektroniker, Mechantroniker, Ingenieure.

    "Haben wir drüben noch Schlüsselschalter?"

    "Was für Schalter?"

    "Schlüsselschalter?"

    "Gesehen hab ich keinen. Kannst du nicht einfach überbrücken und den drinnen lassen?"

    Der Schaltraum, eine Etage tiefer. Ein Pult mit Drehreglern, bunten Knöpfen und Anzeigenfeldern, die die Ausrichtung der Schüssel anzeigen. Daneben ein Papierschreiber aus den 70er-Jahren, der die Signale aus dem All aufzeichnet. Auf dem Boden das offene Gehäuse eines Steuerungsrechners.

    "Da drüben ist doch ein Schalter. Da oben mit dem roten? Habt ihr den auch vom Schrott?"

    "So ähnlich."

    Der Hobby-Radioastronom Kurt Weier schaut auf das Steuerungspult mit all seinen Knöpfen und Reglern. Zu Hause lauscht er auf sehr viel einfachere Weise ins All: Mit einem Kurzwellenempfänger, einer einfachen Drahtantenne, im 15-Meter-Amateurband.

    "Und wenn Sie Glück haben, hören Sie dann das Programm von Radio Jupiter."

    Nebenher könne man gut die Steuererklärung machen oder Klassenarbeiten korrigieren, sagt er. Kurt Weier ist Mathe- und Physiklehrer.

    "Jupiter sendet im Wesentlichen zwei Programme. Wenn er richtig gut drauf ist. Das eine hört sich so an wie Meeresrauschen, Sie stehen irgendwo am Mittelmeer und hören die Brandung rauschen. Und das andere Programm könnte man so beschreiben, sie haben sicher schonmal selbst Popcorn gemacht. So Maiskörner in einen Topf, und wenn die dann explodieren, das gibt so ein trockenes Geräusch. Und das ist das andere Geräusch, das Jupiter macht."

    Auch seine Schüler hat er längst in die Geheimnisse der Radioastronomie eingeweiht. Vor 13 Jahren haben sie am Gymnasium in Rheinbach ein kleines Radioteleskop gebaut, eine Schüssel mit zwei Metern Durchmesser. Seitdem steht die Antenne auf dem Schuldach und empfängt die Radiostrahlen der Sonne.

    "Beim letzten Sonnenfleckenmaximum kam plötzlich ein Schüler in meinen Unterricht reingelaufen, ein kleiner Schüler war das, der war zwölf, und der hat an diesem Tag die Sonne gemessen, kam er rein und meinte, Herr Weiher, die Sonne explodiert, kommen Sie mal schnell. Und dann hatte er zufällig eine Sonneneruption mitbekommen. Das heißt einen ganz kräftigen Rauschanstieg."

    In der Radiosternwarte könnte er mit seinen Schülern neue wissenschaftliche Projekte in Angriff nehmen, endlich mal ins Zentrum der Milchstraße reinhören. Kurt Weier plant schon eine Projektwoche auf dem Stockert – diesen Sommer.

    Es gibt gerade zwei professionelle Radioteleskope in Deutschland, und die sind permanent überbucht. Für Profiastronomen ist es schon schwierig, Messzeiten zu bekommen; für Amateure oder Schülergruppen ist das praktisch unmöglich. Nur in Ausnahmefällen wird eine Stunde Beobachtungszeit geopfert, alle vier, fünf Jahre kommt das mal vor. Eine Lücke, die die Radiosternwarte Stockert ein wenig schließen will.

    Die Zeit ist knapp, die Forscher haben genug mit ihren eigenen Projekten zu tun. Das ist der Alltag an professionellen Sternwarten. Und so wird die Öffentlichkeitsarbeit nur zu gerne den Hobbyastronomen überlassen.

    Das Jahr der Astronomie 2009 - ohne das Engagement der Hobbyforscher undenkbar, sagt Michael Geffert vom Argelander-Institut der Universität Bonn.

    "Wenn Sie ins Saarland gehen, dort gibt es nicht eine richtig professionelle Sternwarte, aber es gibt Amateurastronomen, die da sehr viel gemacht haben. Wo man dann Amateure fand, die mit ihrem Fernrohr dastanden, und angeboten haben, dass die Leute mal durchgucken. Das ist etwas, was Profiastronomen nicht leisten können. Und auch nicht leisten wollen."
    Für die Bildung der breiten Bevölkerung seien Volkssternwarten und Amateurastronomen unersetzlich, sagt Geffert. Leute wie Bernd Thinius in Potsdam, bei dem regelmäßig das Telefon klingelt: Freunde, Nachbarn, auch Fremde, die vorbeikommen und sich seine Sternwarte anschauen wollen.

    "Wir hatten letzte Woche auch wieder eine Gruppe da aus dem Bornimer Umfeld, die natürlich gesehen haben, was auf dem Haus drauf ist, sich gefragt haben, was macht der da, und ich denke, es ist einfach auch die Pflicht, dass man da mal beschreibt, was los ist. Und der Höhepunkt ist natürlich, wenn die mal durch ein Teleskop schauen können."

    Bernd Thinius freut sich, wenn er seinen Besuchern die Krater auf dem Mond zeigen darf, oder die Ringe des Saturn. Wer macht's denn heute noch, sagt er.
    "Das berührt in der Tat einen ziemlich ernsten Nerv, das muss ich schon sagen, die Frage, wie wir Profiastronomen die Öffentlichkeit sehen und das, was in der Öffentlichkeit passiert, das ist eine Frage, über die man eigentlich viel nachdenken müsste, vielmehr, als ich das je gemacht habe. Es gibt eine gewisse Scheu der Profiastronomen, was die Öffentlichkeit angeht. Und das hängt zum Beispiel mit solchen Themen zusammen wie den Ufos, weil sie dann am Telefon wirklich alles kriegen."

    "Das ist ein Raumschiff! Das ist ein Raumschiff, seht ihr, das sind die Flügel! Seht Ihr das nicht?"

    "Ufomeldestelle Walter, bitte? Ja, hallo. Und wann haben Sie ihre Beobachtung da gemacht?"

    Eine Neubausiedlung in Mannheim-Vogelstang.

    "Ja war das tagsüber oder abends, nachts? Jaa...lautloses Gebilde? Und wie lang konnten Sie das insgesamt in der Nacht sehen? War das so im Sekundenbereich oder Minutenbereich? Langer Minutenbereich. Und von der Geschwindigkeit her, wie würden Sie das einschätzen, Sie kenne ja Fugzeuge Hubschrauber, sowas am Himmel. Also nicht unbedingt ein Düsenflieger oder so?"

    Ein Schreibtisch mit Bergen von Papier, dazwischen ein alter Macintosh-Computer mit Perry-Rhodan-Aufklebern. Eine Pritsche für Nachtschichten. Das Büro von Werner Walter ist gerade einmal zehn Quadratmeter groß. Düstere Tapeten an den Wänden, Poster von Akte X und dem Hubble-Teleskop.

    "Und die Farbe hauptsächlich? War das weißlich oder eher rötlich-orangen-gelb oder wie würden Sie das so sagen? Eher rötlich, ja."

    Werner Walter leitet die einzige UFO-Meldestelle Deutschlands. Berichte über seltsame rote Lichter am Nachthimmel bekommt er seit einiger Zeit täglich.

    "Aha, das ist tatsächlich die Attraktion sogenannter Miniaturheißluftballons, die dafür verantwortlich sind, die werden massenhaft eingesetzt, vor allem, weil die billig für'n Appel und 'n Ei zu erwerben sind, und dann gerne überall aufgelassen werden. Also mit dem können Sie immer und immer wieder rechnen, obwohl die mittlerweile verboten sind durch den Gesetzgeber, dass man die auflässt, aber kaufen kann man die nach wie vor. Okay! Kein Problem, danke, tschüss."

    Einfache Lampignons aus Reispapier, die von einer Flamme angetrieben in die Luft steigen. 3500 Anrufe wegen Himmelslaternen in den letzten drei Jahren, einen grauen Bart habe er darüber bekommen, sagt Werner Walter. Den neuen Partyhit nennt er nur noch "die glühende Himmelspest".

    "Das ist ein Raumschiff! Das Raumschiff tarnt sich!"

    Werner Walters Karriere als Experte für ungewöhnliche Himmelsphänomene beginnt in den 70er-Jahren. Die Amerikaner sind wieder mal auf dem Mond gelandet; Star Trek flimmert über den Fernsehbildschirm, auf den Schulhöfen werden Heftchen getauscht, mit den Geschichten des Science-Fiction-Helden Perry Rhodan. Alle sind im Weltraumfieber. Auch Werner Walter, Hobbyastronom an der Sternwarte Mannheim.

    "Überall ist dasselbe Problem wie wir das auch hier in Mannheim hatten, dass man nämlich immer mal wieder gefragt wird, aus dem Publikum heraus, vom Bürger auf der Straße, was ist denn das für ein Licht gewesen gestern Abend, was ich da gesehen habe, Sie können mir sicherlich da eine Antwort drauf geben, und dann die Antwort kam meistens, jaaaa, besuchen Sie unseren nächsten Vortrag und basta und aus."

    Erklärungen gibt es keine für die Lichter am Himmel.

    "Dummerweise, mein damaliger Chef, der Professor Heinz Haber, aber auch andere Astronomen in Deutschland haben da ein großes Tabuthema draus gemacht, Fliegende Untertassen, kleine grüne Männchen und so weiter, heieiei, das kann man nicht durchgehen lassen, da wurden die Leute abgebügelt ganz einfach."

    Und so gründet Werner Walter, Einzelhandelskaufmann aus Mannheim-Vogelstang, das Centrale Erforschungsnetz Außergewöhnlicher Himmelsphänomene, kurz CENAP.

    "Die Reaktionen waren von Anfang an von diesem Kicherfaktor begleitet. Ist ja klar, wer sich mit Ufos beschäftigt, hat einen an der Klatsche. So war das damals."

    Heute hängt seine Telefonnummer am schwarzen Brett von der Europäischen Weltraumagentur ESA, in Sternwarten und Flugsicherungsstellen. Die Wissenschaftler sind dankbar dafür, dass sie die Anrufer einfach weiterleiten können. Rund 5000 Ufomeldungen ist Werner Walter in den letzten Jahrzehnten nachgegangen; die ungelösten Fälle kann er an zwei Händen abzählen. Um ein UFO zu identifizieren, sagt er, brauche man genau drei Dinge: einen Stift, ein Notizbuch, und seinen Kopf.

    "Jedes Phänomen am Himmel hat seine eigenen Parameter, danach kann man einschätzen und klassifizieren, was was ist. Nur wissen muss man das dann. Das ist das A und O an der Geschichte. Ein Stern am Himmel, oder ein Planet am Himmel? Ist einfach ein Ding, steht da oben, fertig aus. Funkelt aber toll, ja. Die ISS, die bewegt sich minutenlang, lautlos und weiß dahin. Die Himmelslaterne bewegt sich nicht weiß dahin, sondern bewegt sich goldfarben. Orangerot dahin und wackelt ein bisschen rum."

    Werner Walter zieht einen Brief aus einem Papierstapel. Eine Nonne berichtet handschriftlich von einer Engels-Erscheinung an einem Oktoberabend 2009, sogar eine Zeichnung hat sie angefertigt. Walter kann sich noch gut an die Nacht erinnern.

    "Die ganze Nacht aus ganz Deutschland Ufomeldungen bis zum Abwinken. Und auch unter den Beobachtern war die Schwester Oberin aus dem Kloster Speyer St. Magdalena, es war erst 21 Uhr, relativ früh, und plötzlich war am Himmel eine Erscheinung zu sehen, die sah aus wie ein riesiger Engel. Sah aus wie ein riesiger Engel, und zwar durchsichtig, weiß gehaltene diffuse verschwommen, in der Mitte ein kräftiges rotes Licht, und das ganze entglitt dann in den nächsten 10 bis 15 Minuten in den Himmel hinein und verschwand dort."

    Walter braucht nur ein paar Klicks auf den Internetseiten der US-amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA, um herauszufinden, was los war. In Cape Caneveral, Florida, war eine Rakete mit einem Satelliten an Bord gestartet, und genau über Deutschland hatte sich die erste Stufe der Rakete von der zweiten getrennt.

    "Und dieser Vorgang, mit dem auslaufenden Resttreibstoff aus der letzten Stufe, das dann diffundiert hat über Deutschland, im untergehenden Sonnenlicht, hat es dann eben diesen Fächer und diese Engels-Erscheinungen produziert."

    Nonnen, Polizisten, Rentnerinnen, Piloten. Den typischen Ufo-Beobachter gebe es nicht, sagt Walter, und es kann auch schonmal vorkommen, dass professionelle Astronomen seine Hilfe suchen. Wie jener Wissenschaftler aus Heidelberg, der einen explodierenden Stern wahrzunehmen glaubte: Eine Supernova.
    "Irgendwann im Mai, vor drei, vier Jahren, ging der Herr aus seinem Büro raus, wollte heimfahren, Job war Schluss, guckt er über die Rheinebene hinweg Richtung Mannheim, ausgerechnet über Mannheim, sah er ein helles Lichtobjekt, wie eine zweite helle Sonne, und die ist am Himmel explodiert – geräuschlos explodiert. Buff – und die Fetzen flogen davon. Der hat dann später auch gelacht, der hat sich nicht mehr eingekriegt, ja. Weil an das hat er nicht gedacht, zwar schon zigmal drüber geredet, auch in seinen Vorlesungen und Referaten, hat aber sowas noch nie gesehen gehabt, bloß drüber geschwätzt: Ein zerplatzender Wetterballon. Deswegen flogen eben geräuschlos die Fetzen davon. Und ein Wetterballon ist relativ groß am Himmel, erscheint wie eine zweite Sonne durch die Reflektion durch die echte Sonne, Sonnenlichtreflektion, und ist halt über Mannheim zerplatzt."

    Werner Walter ist seit anderthalb Jahren arbeitslos. Er betreibt seine UFO-Hotline ehrenamtlich, die Kosten trägt er selbst. Andere Hobbyastronomen veröffentlichen Artikel in Fachzeitschriften, bekommen für ihr Engagement das Bundesverdienstkreuz. Werner Walter wird gerne von Boulevardsendungen angefragt. Einen Meteoriten hat er mal geschenkt bekommen, das war alles an Anerkennung.

    Der Hobbyastronom ist müde geworden. Er hat keine Lust mehr auf verwackelte Handyvideos mit Himmelslaternen, den Menschen immer wieder die gleichen Phänomene erklären zu müssen.

    "Ich bin ja wieder mal, zum zweiten Mal in der Phase, adieu zu sagen, diesem ganzen Thema. Es ist nicht mehr die Erwartung heute im Jahr 2010, da kommt noch was dickes nach."

    Eine echte fliegende Untertasse mit Außerirdischen. Vor über 30 Jahren, gibt er offen zu, da habe er schon darauf gehofft, dass Außerirdische irgendwann tatsächlich die Erde besuchen würden. Er glaubt schon lange nicht mehr daran.

    Hinweis:
    Teil 1 der Reihe Sie lieben, was kriecht und krabbelt. Hobbyforscher in der Zoologie wurde am 27. Dezember 2009 gesendet,
    Teil 2 Sie lieben zu graben und zu kleben.Hobbyforscher in der Archäologie am 31. Januar 2010.