Wissenschaft, das ist Hingabe.
"Schnecken sind solche ungeliebten Tiere von vielen Menschen, als Schädlinge verschrien, und ich quatsch jeden voll über Schnecken und versuch sie gut zu machen."
Wissenschaft ist Abenteuer.
"Die krasseste Dusche und Toilette? Das kann ich hier glaub ich nicht in Worte fassen."
Wissenschaft ist die schönste Nebensache der Welt.
"Wenn Du als Lehrer die Nase voll hast, dann gehst Du in den Wald und sammelst Käfer, und hinterher geht es Dir besser. Selbst wenn Du keine findest."
Der Käfersaal im Museum für Naturkunde in Berlin. Hellbraune Schränke stapeln sich bis fast unter die Decke.
"So, was haben wir denn hier noch schönes."
Stephan Gottwald zieht einen quadratischen Holzkasten aus dem Schrank.
"Insektenkästen, die sind mit einem Glasdeckel versehen, damit man sehen kann, was da drin ist. Ansonsten sieht man hier die präparierten Käfer, die größeren sind genadelt mit einer Insektennadel, durch die rechte Flügeldecke, und jeder Käfer sollte auch ein Fundortetikett tragen, damit man weiß, woher er kommt, genauer Fundort, wann gesammelt, das ist beim alten Material nicht immer vorhanden, heute macht man das moderner mit GPS-Geräten und so weiter."
Die Käfersammlung des Naturkundemuseums umfasst sechs Million Exemplare. Sie zählt zu den größten der Welt.
"Hier einmal etwas fürs Auge, wenn man schon von Prachtkäfern redet, die haben ihren Namen nicht umsonst. Es gibt im indomalaiischen Raum Gattungen, die grün metallisch schillern in allen Farben, relativ große Tiere, das ist natürlich für Laien und Besucher besonders spektakulär."
Stephan Gottwald trägt Jeans, ein schwarzes Jackett und Turnschuhe, die dunklen Haare sind verstrubbelt. Gottwald ist Mitglied bei Orion, der entomologischen Gesellschaft von Berlin, und ist Experte für Prachtkäfer. Regelmäßig streift er mit Käscher und Klopfschirm durch Felder und Wälder, um sich einen Überblick über die Prachtkäfervielfalt zu verschaffen - in Berlin und Brandenburg, aber auch in Australien, Mexiko und Venezuela.
"Bei diesen Expeditionen nach Südamerika, da passieren schon diverseste Sachen, man kommt in bestimmte Winkel der Erde, wo man als normaler Tourist nicht hinkommt. Die krasseste Dusche oder Toilette, das kann man hier, glaube ich, nicht in Worte fassen. Die Sanitäreinrichtungen und Duschen in den Ländern sind mir in guter Erinnerung geblieben. Nicht in guter, sondern in stetiger Erinnerung geblieben."
Jeden Dienstag Nachmittag bringt Stephan Gottwald die Prachtkäfer-Sammlung des Naturkundemuseums auf Vordermann. Im Laufe der Jahre hat sich hier ziemlich viel Material von Expeditionen und Schenkungen angesammelt.
"Man muss also die Sachen aus verschiedenen Quellen zusammenführen, teilweise überprüfen, ob die Bestimmung stimmt, Sachen sortieren, neu etikettieren, das ist sehr wichtig, viele der alten Kästen sind in einem schlechten Zustand, und das muss in neue Kästen überführt werden, und dann muss das auch EDV-mäßig erfasst werden, damit nachvollzogen werden kann, was ist da und wie viel und wo."
Geld bekommt Stephan Gottwald nicht. Er ist eigentlich Künstler. Käfer sind sein Hobby.
"Ich beschreibe hier gerade Käferarten aus dem Iran und aus der Türkei."
Im Büro direkt neben dem Käfersaal zeichnet Johannes Frisch die Genitalorgane von Kurzflügelkäfern.
"Denn die äußere Form bietet nicht genug Merkmale, um die Arten sicher trennen zu können. Also man arbeitet da genitalmorphologisch. So ein Genitalorgan hat 0,2 mm Größe. Also winzige Objekte, die ich hier bei 600-facher Vergrößerung zeichne."
Auch Johannes Frisch hat sich als Teenager in Käfer verliebt. Damals war er 13. Heute ist er als Kurator im Museum für Naturkunde angestellt. Eine glückliche Fügung, sagt er. Professionelle Käfertaxonomen kann man in Deutschland an zwei Händen abzählen. Ehrenamtliche gibt es mehrere hundert, das Spektrum reicht von interessierten Laien bis hin zu promovierten Biologen. Frisch:
"Diese Leute sind ganz einfach darum wichtig, weil sie als Spezialisten bestimmter Tiergruppen, in unserem Fall Käfergruppen, Wissen haben, von dem wir profitieren können. Wissen, das wir als Professionelle hier nicht haben. Sie müssen sich vorstellen, 450.000 Käferarten sind beschrieben, man kann aber als Wissenschaftler in seiner Lebenszeit, sagt man, etwa 5000 Arten beherrschen, kennen, mehr ist das nicht."
Das restliche Fachwissen über Verbreitung und Verhalten einzelner Käferarten steuern die Ehrenamtlichen bei. Das Material auch. Ein Drittel der Berliner Käfersammlung stammt von wissenschaftlichen Privatsammlungen. Viele Käfer werden überhaupt erst von Hobbyforschern aufgespürt. Stephan Gottwalds jüngste Neuentdeckung: ein bronzefarbener Prachtkäfer aus Venezuela.
Dass Forscher für ihre Arbeit bezahlt werden, ist ein relativ junges Phänomen. Lange Zeit war es völlig normal, sich naturwissenschaftlichen Fragen ausschließlich in der Freizeit zu widmen. Pierre de Fermat schrieb mit seinem Letzen Satz Mathematikgeschichte, arbeitete aber als Richter. Benjamin Franklin, der Erfinder des Blitzableiters, hat seinen Lebensunterhalt als Verleger und Politiker verdient. Und Charles Darwin musste als unbezahlter Geselle auf der Beagle anheuern. Erst seit etwas mehr als 100 Jahren wird Forscherdrang auch finanziell entlohnt. Hobbyforscher gibt es immer noch, in fast allen Fachgebieten. Allein in Deutschland sind Zehntausende für Museen, Naturschutzorganisationen und Umweltbehörden im Einsatz.
"Ohne Freizeitforscher würde im Bereich ökologische Freilandarbeit fast gar nichts laufen. Und das gilt deutschlandweit."
Matthias Freude leitet das Landesumweltamt Brandenburg. Zu seinem Amt gehören 120 ehrenamtliche Säugetierspezialisten, die Fledermäuse, Fischotter oder Biber zählen. 200 Freiwillige kartieren Pflanzen. Und mehr als 500 Vogelkundler erfassen den Status von Spatz, Schwalbe und Feldlerche.
"Und da kommt man zum Teil zu ganz dramatischen Ergebnissen, wie schlecht es zum Beispiel der Feldlerche geht in weiten Teilen, mittlerweile in beiden Teilen Deutschlands, das ist dank ehrenamtlicher Forschungsergebnisse so zu erkennen gewesen. Und da kann man was dagegen tun."
Daten, die etwa den Roten Listen gefährdeter Arten zugrunde liegen - festangestellte Wissenschaftler der Behörden könnten solche Mengen niemals alleine zusammentragen. Freude:
"Die EU gibt uns vor, erst einmal über de Bestände gerade über die besonders bedrohten Arten Auskunft zu geben, das ist ganz wichtig, dass man europaweit weiß, wie läuft es denn, und vor allem aber über die Veränderungen dieser Bestände, also ein Monitoring zu machen. Wenn wir die Ehrenamtler nicht hätten, müssten wir uns welche erfinden, oder aber sehr, sehr viel Geld in die Hand nehmen, um die Datenbasis zu bringen, die unsere Ehrenamtler freiwillig liefern."
Brutvögel in Brandenburg, Glühwürmchen in Sachsen, Schmetterlinge im ganzen Bundesgebiet. Gezählt wird alles. Die Liste an Projekten für Freizeitforscher ist lang, und gerade das Internet birgt ungeahnte Möglichkeiten. Nie war es so einfach für Wissenschaftler, Daten zu sammeln und zu verwalten. Und nie war es so einfach für Hobbyforscher, ihre Daten den Wissenschaftlern zur Verfügung zu stellen. Darauf bauen auch die Erfinder des Evolution Megalab, einem europaweiten Großprojekt, das im Darwinjahr 2009 die Menschen dazu animieren wollte, Evolution auf eigene Faust zu erforschen. Und zwar direkt vor der Haustür an Bänderschnecken. Christian Anton, Biologe vom Umweltforschungszentrum in Halle, hat das Projekt für Deutschland koordiniert.
"Die Leute leisten einen Beitrag zu einer aktuellen wissenschaftlichen Fragestellung. Und die lautet bei dem Evolution Megalab, ob sich die Bänderschnecken an die veränderten Umweltbedingungen angepasst haben."
Veränderte Umweltbedingungen bedeutet in diesem Fall: Höhere Temperaturen durch den Klimawandel. Die Häuschen der Bänderschnecken gibt es nämlich in vielen verschiedenen Farben, die sich ganz grob in gelb, braun und rot einteilen lassen. Viele Häuschen zieren dunkle Bänder, wie Querstreifen. Gelbe Häuschen reflektieren Sonnenstrahlen am besten, die Schnecken trocknen nicht so schnell aus. Gibt es heute also mehr gelbe Schneckenhäuschen als noch vor 30 Jahren? Anton:
"Die Idee war dann einfach rauszugehen an irgendeinen Ort, das kann der Park sein oder der Garten oder die Ostseedüne, und auf einer Fläche von 20 mal 20 Metern nach den Bänderschnecken zu suchen. Die Leute sollten dann genau aufschreiben, wie viele sie von jedem Typ gefunden haben."
Die Erfassungsbögen gab es im Internet zum Herunterladen, dazu eine fünfseitige Anleitung. Die Ergebnisse sollten wiederum auf der Website hochgeladen werden. Direkten Kontakt mit den Teilnehmern hatte Christian Anton deshalb nur selten.
"Oft kam es dann auch vor, dass sich Leute hingesetzt haben und mit großer Mühe Briefe geschrieben haben und also ständig auf dem Laufenden gehalten haben über die Funde in ihrem Garten, und dann beinahe im 2-Wochen-Rhythmus uns mit Briefen versorgt haben über die Schneckensituation in ihrem Garten."
"Man sieht sie nicht so leicht, und sie sitzen vor allem auch nicht überall. Aber da sitzt eine! Ha! Da sitzen sogar zwei an dem Strauch."
Die meterlange graue Beton-Mauer in Berlin-Dahlem ist ein Geheimtipp. Wenn man Bänderschnecken finden will, dann hier.
"Siehst Du das? Hier, dieser Busch, der da vorne steht?"
"Ja!"
"Da sitzen auf halber Höhe, also auf gleicher Höhe eigentlich, siehst Du die?"
"Ja, Bänderschnecken."
"Natürlich Bänderschnecken."
"Zwei Stück – das sind drei!"
"Wo ist die dritte?"
Mikaela Brugsch hat sich die blonden Haare lose zusammengebunden; ein schwarzes Tuch um die Schultern, Kuhfellclogs. In ihrer gefärbten Armeetasche stecken eine Digitalkamera, Pinzetten, und ein Bestimmungsbuch für die Schnecken Mitteleuropas. Mikaela Brugsch und Robert Nordsieck haben sich im Frühjahr auf einem Treffen der Deutschen Malakozoologischen Gesellschaft kennengelernt, hierzulande die größte Vereinigung von Schneckenkundlern. Seitdem verabreden sie sich ab und zu, und selbstverständlich haben die beiden auch beim Evolution Megalab mitgemacht. Nordsieck:
"Eines etwas ferneren Tages bin ich hier in Berlin gewesen, sind wir diese Mauer langgegangen – alles voller Schnecken, in allen Ritzen saßen sie, in allen Farben und Bänderkombinationen, und wir die Taschen abgesucht. Haben wir einen Zettel dabei, weil natürlich haben wir den tollen Zettel vom Evolution Megalab nicht dabei, weil dafür hätte man ja vorbereitet sein müssen. Dann haben wir irgendwelche Fresszettel in der Tasche gehabt. Und dann haben wir angefangen. Stricheln. Und sie hat gezählt wie eine Wilde, und sie hat überall was gefunden, die hat alle Schnecken gefunden, die hier irgendwo saßen, da war noch alles voller Efeu, das heißt die Viecher saßen unter den Blättern drunter und sie hat sie alle gefunden und ich habe mir ernsthaft die Finger krumm gestrichelt, und es wurden immer mehr. Wir haben hier über 200 Schnecken gezählt, also richtig, richtig viele."
Robert Nordsieck entstammt einer Schneckenkundler-Dynastie. Sein Großvater Fritz hat Standardwerke über Meeresschnecken verfasst, sein Vater, Experte auf dem Gebiet der Schließmundschnecken, hat im Senckenbergmuseum in Frankfurt gearbeitet. Robert Nordsieck ist Hotelrezeptionist in Bad Kreuznach. Als diplomierter Biologe hat er keine Stelle bekommen. Jetzt betreibt Nordsieck eine eigene Internetseite über Schnecken und schreibt Kapitel für Lehrbücher. Bei Mikaela Brugsch begann die Leidenschaft mit einer Babyschnecke, die an ein paar Schnittblumen geklebt hat. Die Schnecke blieb. Inzwischen leben in Mikaela Brugschs Wohnung mehr als 1000 Tiere in Terrarien und Einmachgläsern. Die Studentin interessiert vor allem ihr Verhalten. Liebevoll balanciert sie drei Bänderschnecken auf ihrer Hand.
"Ich finde die Bewegungen außerordentlich hübsch, weil sie sich sehr geschmeidig und langsam bewegen, und es sieht immer anmutig aus, und sie sind halt, zumindest Bänderschnecken, die meisten Schnecken sind Pflanzenfresser, außerordentlich unaggressiv in ihrem Verhalten. Ich find das sehr beruhigend, für mich hat das so Aquariumeffekt. Viele finden ein Aquarium sehr beruhigend, wenn sie da rein gucken, für mich auch, aber Schnecken sind mindestens genauso schön."
Doch selbst für Profis wie Mikaela Brugsch und Robert Nordsieck ist es nicht so leicht, die Farbe der Bänderschneckenhäuschen zweifelsfrei zu bestimmen.
"Die ist ja cool..mal sehn..an der Schnecke kann man mal wieder wunderbar sehen: Farbbestimmung – ich weiß nicht. Abgesehen davon, dass jeder Farben anders wahrnimmt, könnte ich die jetzt absolut nicht zuordnen. Ich finde sie ist nicht gelb, braun auch nicht, rot."
"So gelb-rötlich würde ich sagen, oder grünlich fast."
"Also ich finde sie eher beige. Welche Farbe soll das sein, beige?"
"Und das Problem ist vom Evolution Megalab, wenn man die Schnecken zählt, gibt es drei Farben, die an ankreuzen kann. Das ist gelb, rosa und braun."
"Rot, nicht rosa. Und alles, was dazwischen liegt – ich kann kein Kreuz zwischen den Kästen machen, ich muss mich jetzt entscheiden,ist das Gelb oder nicht. Oder wo gehört das jetzt am ehesten hin."
1800 Deutsche haben für das Evolution Megalab Bänderschnecken gezählt und ein Fünftel aller europäischen Daten geliefert. Im Herbst wurde das Projekt beendet, jetzt läuft die Auswertung. Um die Qualität der Daten einschätzen zu können, haben die Forscher ein Quiz auf die Website gestellt, mit dem die Teilnehmer freiwillig ihre Bänderschnecken-Kenntnisse überprüfen können. Wer zu schlecht abschneidet, dessen Daten werden aussortiert. Schließlich soll die Schnecken-Studie 2010 in einem Fachjournal veröffentlicht werden. Christian Anton:
"Wir wissen gerade überhaupt gar nicht, wie diese Daten in der wissenschaftlichen Welt aufgenommen werden. Ob dann die Gutachter dieser Arbeit sagen werden, Ihr kennt doch gar nicht mal die Leute, die daran teilgenommen haben, wie wollt Ihr denn da die Datenqualität beurteilen oder wie könnt Ihr uns versichern, dass das, was Ihr an Informationen und Ergebnissen abliefert, wirklich stimmt, und das wird sich dann zeigen, inwieweit wir in Verbindung mit dem Quiz, bei dem die Leute mitgemacht haben, da eine verlässliche Qualitätskontrolle haben, die in der Wissenschaft auch wirklich akzeptiert wird."
Kinder, interessierte Laien, Experten mit jahrelanger Erfahrung. Das Spektrum der Freizeitforscher ist groß. Wieviel Anleitung ist nötig, um auch Anfängern nicht den Spaß zu nehmen, aber gleichzeitig präzise Daten zu bekommen? Die Ergebnisse müssen verlässlich sein, sonst sind sie nichts wert. Vogelkundler zum Beispiel müssen sich an ein festes Regelwerk halten, das von professionellen Ornithologen erstellt und europaweit abgeglichen worden ist. Alle Daten, die in den Umweltbehörden eingehen, werden außerdem auf ihre Plausibilität hin überprüft. Sind die Zahlen, die Beobachtungen tatsächlich möglich?
"In der Ornithologie gibt es eine richtige Seltenheitskommission. Wenn einer kommt, der gerade einen australischen Blauschwanz gesehen hat, da guckt man dann schon ein bisschen genauer: Ist es eine Verwechslung, ist der aus dem Zoo entfleucht, oder, oder, oder."
Matthias Freude vom Landesumweltamt Brandenburg geht mit seinen Freizeitforschern immer mal wieder selbst ins Feld, um sich ein Bild von ihrem Wissensstand zu machen. Johannes Frisch, der Kurator am Berliner Museum für Naturkunde, setzt auf eine Art Selbstkontrolle in der Käferszene. Man kennt sich einfach.
"Man weiß, wer gut arbeitet, man weiß, wer auf einem hohen wissenschaftlichen Level arbeitet, man weiß, wem man Material zur Bearbeitung anvertrauen kann. Und es kommt auch immer wieder vor, dass man entscheidet, dem einen oder anderen vielleicht nichts mehr zur Ausleihe zu geben, weil es eben Probleme gegeben hat. Aber das sind ganz große Ausnahmen, das muss ich klarstellen."
Beide sind sich, was ihren Forschungsbereich angeht, einig: Die Arbeit von professionellen und nicht-professionellen Fachleuten ist gleichwertig. Fehler passieren - auf beiden Seiten.
"Was jetzt ganz witzig ist mit der Agapanthia Palatia, der Stefan hat die tatsächlich gefunden jetzt an der Oder in Brandenburg, ganz oben im Norden, an der mecklenburgischen Grenze, es gibt ja jetzt keine Eigenfunde in Brandenburg, wohl aber aus dem angrenzenden Mecklenburg. Gerade da! So hoch im Norden! Das war ja da."
Dienstag Abend im Museum für Naturkunde, Berlin. Vereinstreffen des Orion, der entomologischen Gesellschaft der Hauptstadt. Ältere Männer beugen sich über Insektenkästen und fachsimpeln.
"Genau- 30 Jahre. Und dann muss Manfred den ganzen Kasten wieder umbauen, weil er uns damals nicht glauben wollte. Dann müsst Ihr mich aber erstmal wieder ausbuddeln. Aber wir buddeln Dich nur aus, wenn es sich lohnt, wenn genügend Käfer dran sind."
Auf den Tischen stehen Binokulare, auf dem Boden liegen Jutetaschen. Den Verein gibt es seit 1890. Er verfügt über eine Bibliothek und eine beachtliche Insektensammlung: Käfer, Schmetterlinge, Libellen, Wanzen. 40 Mitglieder zählt Orion, heute sind aber nur sieben gekommen. Lehrer, Holzfachmänner, Mechaniker sind darunter, die meisten von ihnen pensioniert.
"Das ist praktisch eine reine Männerdomäne. Wir haben auch manchmal eine Kollegin hier, die anwesend ist, nicht, Jörg, Du kennst sie, und gelegentlich auch da ist, aber als ständige Mitglieder im Verein haben wir nur Männer."
Später am Abend wird das Treffen in eine Kneipe verlagert.
"Also, ich kann es mir nicht erklären, warum das so ist, das müssten Sie eigentlich mal die Frauen fragen. Die sind ja manchmal ein bisschen eklig, wenn es also um Spinnen oder um Käfer geht, nicht, da sagen sie igittigitt, aber wir haben da gar keine Hemmungen in der Beziehung."
Worin liegt die Faszination der Käfer? Jens Esser muss nicht lang überlegen.
"Wenn man hier für die Fauna von Berlin-Brandenburg eine Art wiederentdeckt, die ewig verschollen ist, das ist mir letztes Jahr passiert, eine Art, die 1784 beschrieben wurde, nach Tieren, die hier in Berlin gefunden wurden und seitdem nie wieder gefunden wurden. Und das ist einfach toll."
Andere sammeln Modellautos oder Briefmarken, die Männer vom Orion sammeln Käfer.
"Es gibt sicherlich auch eine gewisse Befriedigung, wenn man in einen Sammlungskasten guckt und der ist gefüllt mit tollen, schönen, seltenen Arten, das wäre gelogen, wenn man sagen würde, Sammelleidenschaft spielt keine Rolle."
Der Hauptschullehrer Jens Esser ist mit Ende dreißig der jüngste im Verein, zweiter Vorsitzender und Kassenwart. Ämterhäufung, weil es im Moment zu wenige gibt, die solche Ämter bekleiden wollen. Orion plagen Nachwuchssorgen, sagt Michael Woelky, seit 30 Jahren erster Vorsitzender.
"Die Probleme liegen eigentlich darin, dass alle naturwissenschaftlichen Vereine irgendwie überaltert sind. Und die Interessen werden also kaum noch von der Schule weiter gegeben, es fehlt ja auch das Studienfach Entomologie, also es ist ja recht schwierig jetzt, wenn es um Mitgliederwerbung geht."
Ein Problem, das auch Naturschutzorganisationen kennen. Das Freizeitangebot für Kinder und Jugendliche ist groß wie nie. Internet, Computerspiele, Sportvereine, Jugendprojekte. Wer begeistert sich da schon für winzige Tiere, die nicht mal einen Zentimeter Kantenlänge haben. Michael Woelky:
"Nun haben wir das neue Internet auch entdeckt für uns und eine eigene Webseite, und das, muss ich sagen, ist die einzige und beste Werbung, die man zur Zeit anbieten kann und die auch angenommen wird."
Jens Esser:
"Also, es ist nicht so, dass sich keine Jugendlichen für Insekten interessieren würden. Was ich so beobachte in meinem kleinen Feld, ist, dass sich viele für Insekten oder andere Tiere als Terrarientiere interessieren. Ich hab zu Hause auch ein paar, und ich denke mir immer, na ja, das ist vielleicht auch ein Zugang. Wenn zum Beispiel Schüler von mir [sich] interessieren, irgendwas zu halten, müssen ja nicht erst einmal Insekten sein, dann wäre da ja mal so ne Gelegenheit, wo man im Laufe der Schulzeit infiltrieren kann und sagen, na ja, hast Du denn schon mal so Insekten, und vielleicht? Das ist auf jeden Fall eine Möglichkeit."
Die entomologische Gesellschaft Orion Berlin ist 119 Jahre alt. Ein neues Mitglied pro Jahr würde dem Verein die Zukunft sichern. Wenn neue Mitglieder ausbleiben, wird die vereinseigene Sammlung und die Bibliothek irgendwann dem Naturkundemuseum übereignet werden müssen. So ist es in der Vereinssatzung festgeschrieben.
Es gibt zehntausende Hobbyforscher in Deutschland. Das Spektrum reicht von interessierten Laien, die sich vielleicht mal an einem Projekt beteiligen, bis hin zu Spezialisten. Sie steuern das Fachwissen bei, das den Museen fehlt. Sie liefern Millionen von Daten über die Tier- und Pflanzenwelt, ohne die die Behörden nicht arbeiten könnten. Sie engagieren sich für den Natur- und Umweltschutz. Sie verfügen über jahrelange Expertise. Aber was, wenn keiner mehr nachrückt? Die festangestellten Wissenschaftler sind einfach zu wenige, die öffentlichen Gelder zu knapp. Das Aussterben der Hobbyforscher – für Museen, Universitäten, Naturschutzorganisationen und Behörden wäre das eine Katastrophe. Matthias Freude:
"Wir haben weniger Wissen, und vor allem kein aktuelles Wissen mehr, und vor allem kein Wissen, was draußen aus der Fläche und aus der Landschaft kommt. Das ist ja das ganz, ganz große Plus, das Freizeitforscher haben, die sind eben nicht nur in den Großstädten verteilt, die hat man im günstigsten Fall über das ganze Land. Wenn das weg wäre – ich mag noch gar nicht dran denken."
Hinweis:
Teil 2 der Reihe können Sie am Sonntag, 31. Januar, 16:30 Uhr, in "Wissenschaft im Brennpunkt" hören. Titel: Sie lieben zu graben und zu kleben. Hobbyforscher in der Archäologie
Teil 3 wird am Sonntag, 28. Februar, 16:30 Uhr, ausgestrahlt. Titel: Sie lieben die Nacht, den Mond und die Sterne. Vom himmlischen Treiben der Amateurastronomen
"Schnecken sind solche ungeliebten Tiere von vielen Menschen, als Schädlinge verschrien, und ich quatsch jeden voll über Schnecken und versuch sie gut zu machen."
Wissenschaft ist Abenteuer.
"Die krasseste Dusche und Toilette? Das kann ich hier glaub ich nicht in Worte fassen."
Wissenschaft ist die schönste Nebensache der Welt.
"Wenn Du als Lehrer die Nase voll hast, dann gehst Du in den Wald und sammelst Käfer, und hinterher geht es Dir besser. Selbst wenn Du keine findest."
Der Käfersaal im Museum für Naturkunde in Berlin. Hellbraune Schränke stapeln sich bis fast unter die Decke.
"So, was haben wir denn hier noch schönes."
Stephan Gottwald zieht einen quadratischen Holzkasten aus dem Schrank.
"Insektenkästen, die sind mit einem Glasdeckel versehen, damit man sehen kann, was da drin ist. Ansonsten sieht man hier die präparierten Käfer, die größeren sind genadelt mit einer Insektennadel, durch die rechte Flügeldecke, und jeder Käfer sollte auch ein Fundortetikett tragen, damit man weiß, woher er kommt, genauer Fundort, wann gesammelt, das ist beim alten Material nicht immer vorhanden, heute macht man das moderner mit GPS-Geräten und so weiter."
Die Käfersammlung des Naturkundemuseums umfasst sechs Million Exemplare. Sie zählt zu den größten der Welt.
"Hier einmal etwas fürs Auge, wenn man schon von Prachtkäfern redet, die haben ihren Namen nicht umsonst. Es gibt im indomalaiischen Raum Gattungen, die grün metallisch schillern in allen Farben, relativ große Tiere, das ist natürlich für Laien und Besucher besonders spektakulär."
Stephan Gottwald trägt Jeans, ein schwarzes Jackett und Turnschuhe, die dunklen Haare sind verstrubbelt. Gottwald ist Mitglied bei Orion, der entomologischen Gesellschaft von Berlin, und ist Experte für Prachtkäfer. Regelmäßig streift er mit Käscher und Klopfschirm durch Felder und Wälder, um sich einen Überblick über die Prachtkäfervielfalt zu verschaffen - in Berlin und Brandenburg, aber auch in Australien, Mexiko und Venezuela.
"Bei diesen Expeditionen nach Südamerika, da passieren schon diverseste Sachen, man kommt in bestimmte Winkel der Erde, wo man als normaler Tourist nicht hinkommt. Die krasseste Dusche oder Toilette, das kann man hier, glaube ich, nicht in Worte fassen. Die Sanitäreinrichtungen und Duschen in den Ländern sind mir in guter Erinnerung geblieben. Nicht in guter, sondern in stetiger Erinnerung geblieben."
Jeden Dienstag Nachmittag bringt Stephan Gottwald die Prachtkäfer-Sammlung des Naturkundemuseums auf Vordermann. Im Laufe der Jahre hat sich hier ziemlich viel Material von Expeditionen und Schenkungen angesammelt.
"Man muss also die Sachen aus verschiedenen Quellen zusammenführen, teilweise überprüfen, ob die Bestimmung stimmt, Sachen sortieren, neu etikettieren, das ist sehr wichtig, viele der alten Kästen sind in einem schlechten Zustand, und das muss in neue Kästen überführt werden, und dann muss das auch EDV-mäßig erfasst werden, damit nachvollzogen werden kann, was ist da und wie viel und wo."
Geld bekommt Stephan Gottwald nicht. Er ist eigentlich Künstler. Käfer sind sein Hobby.
"Ich beschreibe hier gerade Käferarten aus dem Iran und aus der Türkei."
Im Büro direkt neben dem Käfersaal zeichnet Johannes Frisch die Genitalorgane von Kurzflügelkäfern.
"Denn die äußere Form bietet nicht genug Merkmale, um die Arten sicher trennen zu können. Also man arbeitet da genitalmorphologisch. So ein Genitalorgan hat 0,2 mm Größe. Also winzige Objekte, die ich hier bei 600-facher Vergrößerung zeichne."
Auch Johannes Frisch hat sich als Teenager in Käfer verliebt. Damals war er 13. Heute ist er als Kurator im Museum für Naturkunde angestellt. Eine glückliche Fügung, sagt er. Professionelle Käfertaxonomen kann man in Deutschland an zwei Händen abzählen. Ehrenamtliche gibt es mehrere hundert, das Spektrum reicht von interessierten Laien bis hin zu promovierten Biologen. Frisch:
"Diese Leute sind ganz einfach darum wichtig, weil sie als Spezialisten bestimmter Tiergruppen, in unserem Fall Käfergruppen, Wissen haben, von dem wir profitieren können. Wissen, das wir als Professionelle hier nicht haben. Sie müssen sich vorstellen, 450.000 Käferarten sind beschrieben, man kann aber als Wissenschaftler in seiner Lebenszeit, sagt man, etwa 5000 Arten beherrschen, kennen, mehr ist das nicht."
Das restliche Fachwissen über Verbreitung und Verhalten einzelner Käferarten steuern die Ehrenamtlichen bei. Das Material auch. Ein Drittel der Berliner Käfersammlung stammt von wissenschaftlichen Privatsammlungen. Viele Käfer werden überhaupt erst von Hobbyforschern aufgespürt. Stephan Gottwalds jüngste Neuentdeckung: ein bronzefarbener Prachtkäfer aus Venezuela.
Dass Forscher für ihre Arbeit bezahlt werden, ist ein relativ junges Phänomen. Lange Zeit war es völlig normal, sich naturwissenschaftlichen Fragen ausschließlich in der Freizeit zu widmen. Pierre de Fermat schrieb mit seinem Letzen Satz Mathematikgeschichte, arbeitete aber als Richter. Benjamin Franklin, der Erfinder des Blitzableiters, hat seinen Lebensunterhalt als Verleger und Politiker verdient. Und Charles Darwin musste als unbezahlter Geselle auf der Beagle anheuern. Erst seit etwas mehr als 100 Jahren wird Forscherdrang auch finanziell entlohnt. Hobbyforscher gibt es immer noch, in fast allen Fachgebieten. Allein in Deutschland sind Zehntausende für Museen, Naturschutzorganisationen und Umweltbehörden im Einsatz.
"Ohne Freizeitforscher würde im Bereich ökologische Freilandarbeit fast gar nichts laufen. Und das gilt deutschlandweit."
Matthias Freude leitet das Landesumweltamt Brandenburg. Zu seinem Amt gehören 120 ehrenamtliche Säugetierspezialisten, die Fledermäuse, Fischotter oder Biber zählen. 200 Freiwillige kartieren Pflanzen. Und mehr als 500 Vogelkundler erfassen den Status von Spatz, Schwalbe und Feldlerche.
"Und da kommt man zum Teil zu ganz dramatischen Ergebnissen, wie schlecht es zum Beispiel der Feldlerche geht in weiten Teilen, mittlerweile in beiden Teilen Deutschlands, das ist dank ehrenamtlicher Forschungsergebnisse so zu erkennen gewesen. Und da kann man was dagegen tun."
Daten, die etwa den Roten Listen gefährdeter Arten zugrunde liegen - festangestellte Wissenschaftler der Behörden könnten solche Mengen niemals alleine zusammentragen. Freude:
"Die EU gibt uns vor, erst einmal über de Bestände gerade über die besonders bedrohten Arten Auskunft zu geben, das ist ganz wichtig, dass man europaweit weiß, wie läuft es denn, und vor allem aber über die Veränderungen dieser Bestände, also ein Monitoring zu machen. Wenn wir die Ehrenamtler nicht hätten, müssten wir uns welche erfinden, oder aber sehr, sehr viel Geld in die Hand nehmen, um die Datenbasis zu bringen, die unsere Ehrenamtler freiwillig liefern."
Brutvögel in Brandenburg, Glühwürmchen in Sachsen, Schmetterlinge im ganzen Bundesgebiet. Gezählt wird alles. Die Liste an Projekten für Freizeitforscher ist lang, und gerade das Internet birgt ungeahnte Möglichkeiten. Nie war es so einfach für Wissenschaftler, Daten zu sammeln und zu verwalten. Und nie war es so einfach für Hobbyforscher, ihre Daten den Wissenschaftlern zur Verfügung zu stellen. Darauf bauen auch die Erfinder des Evolution Megalab, einem europaweiten Großprojekt, das im Darwinjahr 2009 die Menschen dazu animieren wollte, Evolution auf eigene Faust zu erforschen. Und zwar direkt vor der Haustür an Bänderschnecken. Christian Anton, Biologe vom Umweltforschungszentrum in Halle, hat das Projekt für Deutschland koordiniert.
"Die Leute leisten einen Beitrag zu einer aktuellen wissenschaftlichen Fragestellung. Und die lautet bei dem Evolution Megalab, ob sich die Bänderschnecken an die veränderten Umweltbedingungen angepasst haben."
Veränderte Umweltbedingungen bedeutet in diesem Fall: Höhere Temperaturen durch den Klimawandel. Die Häuschen der Bänderschnecken gibt es nämlich in vielen verschiedenen Farben, die sich ganz grob in gelb, braun und rot einteilen lassen. Viele Häuschen zieren dunkle Bänder, wie Querstreifen. Gelbe Häuschen reflektieren Sonnenstrahlen am besten, die Schnecken trocknen nicht so schnell aus. Gibt es heute also mehr gelbe Schneckenhäuschen als noch vor 30 Jahren? Anton:
"Die Idee war dann einfach rauszugehen an irgendeinen Ort, das kann der Park sein oder der Garten oder die Ostseedüne, und auf einer Fläche von 20 mal 20 Metern nach den Bänderschnecken zu suchen. Die Leute sollten dann genau aufschreiben, wie viele sie von jedem Typ gefunden haben."
Die Erfassungsbögen gab es im Internet zum Herunterladen, dazu eine fünfseitige Anleitung. Die Ergebnisse sollten wiederum auf der Website hochgeladen werden. Direkten Kontakt mit den Teilnehmern hatte Christian Anton deshalb nur selten.
"Oft kam es dann auch vor, dass sich Leute hingesetzt haben und mit großer Mühe Briefe geschrieben haben und also ständig auf dem Laufenden gehalten haben über die Funde in ihrem Garten, und dann beinahe im 2-Wochen-Rhythmus uns mit Briefen versorgt haben über die Schneckensituation in ihrem Garten."
"Man sieht sie nicht so leicht, und sie sitzen vor allem auch nicht überall. Aber da sitzt eine! Ha! Da sitzen sogar zwei an dem Strauch."
Die meterlange graue Beton-Mauer in Berlin-Dahlem ist ein Geheimtipp. Wenn man Bänderschnecken finden will, dann hier.
"Siehst Du das? Hier, dieser Busch, der da vorne steht?"
"Ja!"
"Da sitzen auf halber Höhe, also auf gleicher Höhe eigentlich, siehst Du die?"
"Ja, Bänderschnecken."
"Natürlich Bänderschnecken."
"Zwei Stück – das sind drei!"
"Wo ist die dritte?"
Mikaela Brugsch hat sich die blonden Haare lose zusammengebunden; ein schwarzes Tuch um die Schultern, Kuhfellclogs. In ihrer gefärbten Armeetasche stecken eine Digitalkamera, Pinzetten, und ein Bestimmungsbuch für die Schnecken Mitteleuropas. Mikaela Brugsch und Robert Nordsieck haben sich im Frühjahr auf einem Treffen der Deutschen Malakozoologischen Gesellschaft kennengelernt, hierzulande die größte Vereinigung von Schneckenkundlern. Seitdem verabreden sie sich ab und zu, und selbstverständlich haben die beiden auch beim Evolution Megalab mitgemacht. Nordsieck:
"Eines etwas ferneren Tages bin ich hier in Berlin gewesen, sind wir diese Mauer langgegangen – alles voller Schnecken, in allen Ritzen saßen sie, in allen Farben und Bänderkombinationen, und wir die Taschen abgesucht. Haben wir einen Zettel dabei, weil natürlich haben wir den tollen Zettel vom Evolution Megalab nicht dabei, weil dafür hätte man ja vorbereitet sein müssen. Dann haben wir irgendwelche Fresszettel in der Tasche gehabt. Und dann haben wir angefangen. Stricheln. Und sie hat gezählt wie eine Wilde, und sie hat überall was gefunden, die hat alle Schnecken gefunden, die hier irgendwo saßen, da war noch alles voller Efeu, das heißt die Viecher saßen unter den Blättern drunter und sie hat sie alle gefunden und ich habe mir ernsthaft die Finger krumm gestrichelt, und es wurden immer mehr. Wir haben hier über 200 Schnecken gezählt, also richtig, richtig viele."
Robert Nordsieck entstammt einer Schneckenkundler-Dynastie. Sein Großvater Fritz hat Standardwerke über Meeresschnecken verfasst, sein Vater, Experte auf dem Gebiet der Schließmundschnecken, hat im Senckenbergmuseum in Frankfurt gearbeitet. Robert Nordsieck ist Hotelrezeptionist in Bad Kreuznach. Als diplomierter Biologe hat er keine Stelle bekommen. Jetzt betreibt Nordsieck eine eigene Internetseite über Schnecken und schreibt Kapitel für Lehrbücher. Bei Mikaela Brugsch begann die Leidenschaft mit einer Babyschnecke, die an ein paar Schnittblumen geklebt hat. Die Schnecke blieb. Inzwischen leben in Mikaela Brugschs Wohnung mehr als 1000 Tiere in Terrarien und Einmachgläsern. Die Studentin interessiert vor allem ihr Verhalten. Liebevoll balanciert sie drei Bänderschnecken auf ihrer Hand.
"Ich finde die Bewegungen außerordentlich hübsch, weil sie sich sehr geschmeidig und langsam bewegen, und es sieht immer anmutig aus, und sie sind halt, zumindest Bänderschnecken, die meisten Schnecken sind Pflanzenfresser, außerordentlich unaggressiv in ihrem Verhalten. Ich find das sehr beruhigend, für mich hat das so Aquariumeffekt. Viele finden ein Aquarium sehr beruhigend, wenn sie da rein gucken, für mich auch, aber Schnecken sind mindestens genauso schön."
Doch selbst für Profis wie Mikaela Brugsch und Robert Nordsieck ist es nicht so leicht, die Farbe der Bänderschneckenhäuschen zweifelsfrei zu bestimmen.
"Die ist ja cool..mal sehn..an der Schnecke kann man mal wieder wunderbar sehen: Farbbestimmung – ich weiß nicht. Abgesehen davon, dass jeder Farben anders wahrnimmt, könnte ich die jetzt absolut nicht zuordnen. Ich finde sie ist nicht gelb, braun auch nicht, rot."
"So gelb-rötlich würde ich sagen, oder grünlich fast."
"Also ich finde sie eher beige. Welche Farbe soll das sein, beige?"
"Und das Problem ist vom Evolution Megalab, wenn man die Schnecken zählt, gibt es drei Farben, die an ankreuzen kann. Das ist gelb, rosa und braun."
"Rot, nicht rosa. Und alles, was dazwischen liegt – ich kann kein Kreuz zwischen den Kästen machen, ich muss mich jetzt entscheiden,ist das Gelb oder nicht. Oder wo gehört das jetzt am ehesten hin."
1800 Deutsche haben für das Evolution Megalab Bänderschnecken gezählt und ein Fünftel aller europäischen Daten geliefert. Im Herbst wurde das Projekt beendet, jetzt läuft die Auswertung. Um die Qualität der Daten einschätzen zu können, haben die Forscher ein Quiz auf die Website gestellt, mit dem die Teilnehmer freiwillig ihre Bänderschnecken-Kenntnisse überprüfen können. Wer zu schlecht abschneidet, dessen Daten werden aussortiert. Schließlich soll die Schnecken-Studie 2010 in einem Fachjournal veröffentlicht werden. Christian Anton:
"Wir wissen gerade überhaupt gar nicht, wie diese Daten in der wissenschaftlichen Welt aufgenommen werden. Ob dann die Gutachter dieser Arbeit sagen werden, Ihr kennt doch gar nicht mal die Leute, die daran teilgenommen haben, wie wollt Ihr denn da die Datenqualität beurteilen oder wie könnt Ihr uns versichern, dass das, was Ihr an Informationen und Ergebnissen abliefert, wirklich stimmt, und das wird sich dann zeigen, inwieweit wir in Verbindung mit dem Quiz, bei dem die Leute mitgemacht haben, da eine verlässliche Qualitätskontrolle haben, die in der Wissenschaft auch wirklich akzeptiert wird."
Kinder, interessierte Laien, Experten mit jahrelanger Erfahrung. Das Spektrum der Freizeitforscher ist groß. Wieviel Anleitung ist nötig, um auch Anfängern nicht den Spaß zu nehmen, aber gleichzeitig präzise Daten zu bekommen? Die Ergebnisse müssen verlässlich sein, sonst sind sie nichts wert. Vogelkundler zum Beispiel müssen sich an ein festes Regelwerk halten, das von professionellen Ornithologen erstellt und europaweit abgeglichen worden ist. Alle Daten, die in den Umweltbehörden eingehen, werden außerdem auf ihre Plausibilität hin überprüft. Sind die Zahlen, die Beobachtungen tatsächlich möglich?
"In der Ornithologie gibt es eine richtige Seltenheitskommission. Wenn einer kommt, der gerade einen australischen Blauschwanz gesehen hat, da guckt man dann schon ein bisschen genauer: Ist es eine Verwechslung, ist der aus dem Zoo entfleucht, oder, oder, oder."
Matthias Freude vom Landesumweltamt Brandenburg geht mit seinen Freizeitforschern immer mal wieder selbst ins Feld, um sich ein Bild von ihrem Wissensstand zu machen. Johannes Frisch, der Kurator am Berliner Museum für Naturkunde, setzt auf eine Art Selbstkontrolle in der Käferszene. Man kennt sich einfach.
"Man weiß, wer gut arbeitet, man weiß, wer auf einem hohen wissenschaftlichen Level arbeitet, man weiß, wem man Material zur Bearbeitung anvertrauen kann. Und es kommt auch immer wieder vor, dass man entscheidet, dem einen oder anderen vielleicht nichts mehr zur Ausleihe zu geben, weil es eben Probleme gegeben hat. Aber das sind ganz große Ausnahmen, das muss ich klarstellen."
Beide sind sich, was ihren Forschungsbereich angeht, einig: Die Arbeit von professionellen und nicht-professionellen Fachleuten ist gleichwertig. Fehler passieren - auf beiden Seiten.
"Was jetzt ganz witzig ist mit der Agapanthia Palatia, der Stefan hat die tatsächlich gefunden jetzt an der Oder in Brandenburg, ganz oben im Norden, an der mecklenburgischen Grenze, es gibt ja jetzt keine Eigenfunde in Brandenburg, wohl aber aus dem angrenzenden Mecklenburg. Gerade da! So hoch im Norden! Das war ja da."
Dienstag Abend im Museum für Naturkunde, Berlin. Vereinstreffen des Orion, der entomologischen Gesellschaft der Hauptstadt. Ältere Männer beugen sich über Insektenkästen und fachsimpeln.
"Genau- 30 Jahre. Und dann muss Manfred den ganzen Kasten wieder umbauen, weil er uns damals nicht glauben wollte. Dann müsst Ihr mich aber erstmal wieder ausbuddeln. Aber wir buddeln Dich nur aus, wenn es sich lohnt, wenn genügend Käfer dran sind."
Auf den Tischen stehen Binokulare, auf dem Boden liegen Jutetaschen. Den Verein gibt es seit 1890. Er verfügt über eine Bibliothek und eine beachtliche Insektensammlung: Käfer, Schmetterlinge, Libellen, Wanzen. 40 Mitglieder zählt Orion, heute sind aber nur sieben gekommen. Lehrer, Holzfachmänner, Mechaniker sind darunter, die meisten von ihnen pensioniert.
"Das ist praktisch eine reine Männerdomäne. Wir haben auch manchmal eine Kollegin hier, die anwesend ist, nicht, Jörg, Du kennst sie, und gelegentlich auch da ist, aber als ständige Mitglieder im Verein haben wir nur Männer."
Später am Abend wird das Treffen in eine Kneipe verlagert.
"Also, ich kann es mir nicht erklären, warum das so ist, das müssten Sie eigentlich mal die Frauen fragen. Die sind ja manchmal ein bisschen eklig, wenn es also um Spinnen oder um Käfer geht, nicht, da sagen sie igittigitt, aber wir haben da gar keine Hemmungen in der Beziehung."
Worin liegt die Faszination der Käfer? Jens Esser muss nicht lang überlegen.
"Wenn man hier für die Fauna von Berlin-Brandenburg eine Art wiederentdeckt, die ewig verschollen ist, das ist mir letztes Jahr passiert, eine Art, die 1784 beschrieben wurde, nach Tieren, die hier in Berlin gefunden wurden und seitdem nie wieder gefunden wurden. Und das ist einfach toll."
Andere sammeln Modellautos oder Briefmarken, die Männer vom Orion sammeln Käfer.
"Es gibt sicherlich auch eine gewisse Befriedigung, wenn man in einen Sammlungskasten guckt und der ist gefüllt mit tollen, schönen, seltenen Arten, das wäre gelogen, wenn man sagen würde, Sammelleidenschaft spielt keine Rolle."
Der Hauptschullehrer Jens Esser ist mit Ende dreißig der jüngste im Verein, zweiter Vorsitzender und Kassenwart. Ämterhäufung, weil es im Moment zu wenige gibt, die solche Ämter bekleiden wollen. Orion plagen Nachwuchssorgen, sagt Michael Woelky, seit 30 Jahren erster Vorsitzender.
"Die Probleme liegen eigentlich darin, dass alle naturwissenschaftlichen Vereine irgendwie überaltert sind. Und die Interessen werden also kaum noch von der Schule weiter gegeben, es fehlt ja auch das Studienfach Entomologie, also es ist ja recht schwierig jetzt, wenn es um Mitgliederwerbung geht."
Ein Problem, das auch Naturschutzorganisationen kennen. Das Freizeitangebot für Kinder und Jugendliche ist groß wie nie. Internet, Computerspiele, Sportvereine, Jugendprojekte. Wer begeistert sich da schon für winzige Tiere, die nicht mal einen Zentimeter Kantenlänge haben. Michael Woelky:
"Nun haben wir das neue Internet auch entdeckt für uns und eine eigene Webseite, und das, muss ich sagen, ist die einzige und beste Werbung, die man zur Zeit anbieten kann und die auch angenommen wird."
Jens Esser:
"Also, es ist nicht so, dass sich keine Jugendlichen für Insekten interessieren würden. Was ich so beobachte in meinem kleinen Feld, ist, dass sich viele für Insekten oder andere Tiere als Terrarientiere interessieren. Ich hab zu Hause auch ein paar, und ich denke mir immer, na ja, das ist vielleicht auch ein Zugang. Wenn zum Beispiel Schüler von mir [sich] interessieren, irgendwas zu halten, müssen ja nicht erst einmal Insekten sein, dann wäre da ja mal so ne Gelegenheit, wo man im Laufe der Schulzeit infiltrieren kann und sagen, na ja, hast Du denn schon mal so Insekten, und vielleicht? Das ist auf jeden Fall eine Möglichkeit."
Die entomologische Gesellschaft Orion Berlin ist 119 Jahre alt. Ein neues Mitglied pro Jahr würde dem Verein die Zukunft sichern. Wenn neue Mitglieder ausbleiben, wird die vereinseigene Sammlung und die Bibliothek irgendwann dem Naturkundemuseum übereignet werden müssen. So ist es in der Vereinssatzung festgeschrieben.
Es gibt zehntausende Hobbyforscher in Deutschland. Das Spektrum reicht von interessierten Laien, die sich vielleicht mal an einem Projekt beteiligen, bis hin zu Spezialisten. Sie steuern das Fachwissen bei, das den Museen fehlt. Sie liefern Millionen von Daten über die Tier- und Pflanzenwelt, ohne die die Behörden nicht arbeiten könnten. Sie engagieren sich für den Natur- und Umweltschutz. Sie verfügen über jahrelange Expertise. Aber was, wenn keiner mehr nachrückt? Die festangestellten Wissenschaftler sind einfach zu wenige, die öffentlichen Gelder zu knapp. Das Aussterben der Hobbyforscher – für Museen, Universitäten, Naturschutzorganisationen und Behörden wäre das eine Katastrophe. Matthias Freude:
"Wir haben weniger Wissen, und vor allem kein aktuelles Wissen mehr, und vor allem kein Wissen, was draußen aus der Fläche und aus der Landschaft kommt. Das ist ja das ganz, ganz große Plus, das Freizeitforscher haben, die sind eben nicht nur in den Großstädten verteilt, die hat man im günstigsten Fall über das ganze Land. Wenn das weg wäre – ich mag noch gar nicht dran denken."
Hinweis:
Teil 2 der Reihe können Sie am Sonntag, 31. Januar, 16:30 Uhr, in "Wissenschaft im Brennpunkt" hören. Titel: Sie lieben zu graben und zu kleben. Hobbyforscher in der Archäologie
Teil 3 wird am Sonntag, 28. Februar, 16:30 Uhr, ausgestrahlt. Titel: Sie lieben die Nacht, den Mond und die Sterne. Vom himmlischen Treiben der Amateurastronomen