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"Sie schätzte ganz besonders Rollen von starken Frauen"

Carola Neher habe in den frühen 20er-Jahren zu einem modernen Typ Schauspieler gezählt, der sehr stark körperbetont und sehr stark mimisch gewesen sei, sagt ihr Neffe Micha Neher. Er hat eine Ausstellung über seine 1942 in sowjetischer Lagerhaft gestorbene Tante zusammengestellt.

Micha Neher im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich |
    Burkhard Müller-Ullrich: Sie war schon verdammt sexy, die am 2. November vor 113 Jahren in München geborene Schauspielerin Carola Neher, der die Bayerische Landeshauptstadt jetzt eine Straße widmet. Aus diesem eher lokalpolitischen Anlass zeigt das dortige Theatermuseum jetzt eine Carola-Neher-Ausstellung, die ihr Neffe, Micha Neher, zusammengestellt hat. Herr Neher, Sie konnten sie nicht persönlich kennen, denn sie sind ja in dem Jahr geboren, in dem Ihre Tante ums Leben kam, aber sie war trotzdem präsent in ihrem Elternhaus.

    Micha Neher: Ja. Meine ältesten Erinnerungen sind als dreijähriges Kind, weil über dem Flügel meines Vaters hing immer ihr Porträt, das auch in der Ausstellung zu sehen ist, von Schlichter. Und sie war die Tante, die in Wirklichkeit nicht da war, die ich nicht besuchen konnte, und darum ist sie mir von Kindheit an als Erzählfigur geläufig. Sie war eine sehr attraktive Frau, so hat es mein Vater auch geschildert.

    Müller-Ullrich: Und sie war natürlich die Berühmtheit der Familie?

    Neher: Sie war die berühmte Frau innerhalb der Familie.

    Müller-Ullrich: Denn sie war mit Klabund verheiratet, Brecht hat um sie geworben, dass sie seine Aufführungen krönt, und sie hatte einen irren Erfolg.

    Neher: Ja, und zwar vor allem ebenso eine Blitzkarriere: innerhalb von fast nur vier Jahren von Breslau nach Berlin an die Spitze des Theaters.

    Müller-Ullrich: Jetzt haben Sie ja diese Ausstellung zusammengestellt für das Theatermuseum in München. Was haben Sie denn zum Ausstellen?

    Neher: In erster Linie hat der Sohn von Carola in den letzten 40 Jahren Unmengen an Material über sie gesammelt, viel mehr, als man eigentlich überhaupt ausstellen kann. Relativ wenig Objekte. Wir haben aber zum Beispiel drei Kostüme, die sie auf der Bühne hatte, einmal als Polly in der Dreigroschenoper und dann auch noch als Haitang im Kreidekreis, als Originalkostüme erhalten.

    Müller-Ullrich: Über sie heißt aber nicht von ihr im Sinne von Briefen und Nachlass. Das ist ja wohl, da sie auf tragische Weise umgekommen ist – sie hat nämlich vor den Nazis fliehen müssen und ist dann mehr oder weniger in die Fänge des russischen Gulag geraten.

    Neher: Richtig. Das ist auch konfisziert worden nach einem Urteil. Aller Besitz, den sie drüben hatte, an Schmuck und anderen Gegenständen, der ist konfisziert worden und ist auch nicht wieder aufgetaucht. Was aufgetaucht ist, oder zumindest hat ihr Sohn das gefunden, als er 1990 im KGB-Archiv war, waren noch Briefe von ihr. Die werden auch ausgestellt. Carola ist 1959 rehabilitiert worden und diese Urkunde hat dann auch ihr Sohn bekommen, vom Obersten Gericht. Das hebt das Urteil vom 16. Juli ‘37 auf, wegen, wie es so schön heißt, Nichtbestehens einer Straftat. Und es sind bei diesen Unterlagen dort noch Briefe. Das Interessante ist wirklich, dass sie auch als Gefangene vom Gefängnis aus protestiert gegen bestimmte Behandlungen. Sie schreibt an Beria, sie schreibt an Molotow, sie fordert ihre Uhr, die man ihr zum Schluss abgenommen hat, ein. Bis zum Schluss leistet sie Widerstand und ist nicht eigentlich nur ein gebrochenes Opfer.

    Müller-Ullrich: Was ist ihre kulturgeschichtliche Bedeutung?

    Neher: Sie zählt in den frühen 20er-Jahren zu einem modernen Typ von Schauspieler, der sehr stark körperbetont, sehr stark mimisch ist und zu den ersten mit gehörte, die Tonfilme machen. Die Dreigroschenoper ist nach einer bestimmten Methode dann verfilmt worden, die schon Techniken verwendet, wie sie später auch in Hollywood verwendet werden.

    Müller-Ullrich: Ist sie auch eine Heroin der Frauenbewegung? Kann man sie als solche brauchen? Normalerweise heften sich ja begehrende Männerblicke an sie.

    Neher: Ja. Sie schätzte ganz besonders Rollen von starken Frauen, nicht nur bei Brecht. Brecht schrieb ja für sie Stücke wie zum Beispiel die Johanna der Schlachthöfe, wo sie als aufrechte Kämpferin ist, oder in Happy End, oder sie spielte gerne die Kleopatra in Shaw’s Cäsar und Kleopatra. Sie trat auch in ähnlichen Rollen ausgesprochen als die Starke oft in Hosenrollen auf, als eine, die sich durchsetzt.

    Müller-Ullrich: Micha Neher, vielen Dank für dieses Zeugnis über Ihre Tante Carola Neher, den Bühnenstar der 20er-Jahre und die Ausstellung, die ihr zu Ehren jetzt im Münchner Theatermuseum zu sehen ist.


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