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"Sie versucht, niemanden vor den Kopf zu stoßen"

Angela Merkel hat eine Bundestagsmehrheit hinter sich, die für den Erhalt des Euro steht. Dennoch lebe die Euro-Rettungspolitik mehr vom Prinzip Hoffnung als von gelösten Problemen, sagt Professor Werner Patzelt, Politikwissenschaftler an der TU Dresden.

Werner Patzelt im Gespräch mit Friedbert Meurer | 17.09.2012
    Friedbert Meurer: Einmal im Jahr stellt sich Bundeskanzlerin Angela Merkel den Fragen der Hauptstadtpresse. Der Saal ist dann wie immer gerappelt voll. Fragebedarf gibt es diesmal genug: zum Euro, zur Rente, zum Islam und wohl auch zu ihrer eigenen Machtperspektive. Dass in einem Jahr Schwarz-Gelb bei der Bundestagswahl noch einmal die Mehrheit erhält, glauben in Berlin die wenigsten. Alle munkeln von einer Wiederauflage der Großen Koalition.
    Mitgehört hat Professor Werner Patzelt, Politikwissenschaftler an der TU Dresden. Guten Tag, Herr Patzelt.

    Werner Patzelt: Guten Tag, Herr Meurer!

    Meurer: Lassen Sie uns kurz mit dem Auftritt der Kanzlerin beginnen. Steht sie im Zenit ihrer Macht?

    Patzelt: Sie steht hoch in öffentlichem Ansehen, sie steht hoch in öffentlicher Macht und sie tut alles, um diese Macht auch nicht sich entgleiten zu lassen.

    Meurer: Was tut Sie da?

    Patzelt: Sie verfolgt eine pragmatische Politik. Sie verbindet Widersprüchliches in einer Position des "sowohl als auch" und sie versucht, niemanden vor den Kopf zu stoßen und in den wichtigen Politiklinien dann trotzdem so viel Klarheit zu haben, dass erkennbar ist, was sie eigentlich anstrebt, wenngleich sie es nicht immer, weil sie ja Unterstützung etwa unter den anderen Euro-Staaten braucht, durchsetzen kann.

    Meurer: Ist ihr ganz großes Kapital, dass die Mehrheiten im Bundestag stehen für den Euro, dass es im Augenblick so aussieht, als könne die Euro-Krise bewältigt werden?

    Patzelt: Diese stehenden Mehrheiten scheinen, mir eher ein gemischter Segen für die Kanzlerin zu sein, denn weil sie sich bislang auf eine fast Allparteienkoalition im Bundestag verlassen konnte, war sie auch in den internationalen Verhandlungen wesentlich leichter, um es etwas hart zu sagen, erpressbar. Sie konnte im Unterschied zur griechischen Regierung sich nie dahingehend einlassen, dass sie sich zwar den Argumenten ihrer Kollegen nicht verschließen wolle, aber nicht dafür garantieren könne, dass eine bestimmte Position Deutschlands, meistens mit Zugeständnissen verbunden, auch innenpolitisch durchsetzungsfähig wäre. Infolgedessen ist das eher ein gemischter Segen, aber natürlich tut man sich leichter beim Regieren, wenn man zumindest mit dem eigenen Parlament halbwegs koordiniert und im Vertrauen auf stehende Mehrheiten handeln kann.

    Meurer: Wo droht ihr Gefahr, von den Euro-Kritikern in den eigenen Reihen, oder beispielsweise gerade auch von der CSU, wenn das mit dem Betreuungsgeld nicht klappen sollte?

    Patzelt: Das Betreuungsgeld ist eines der innenpolitischen Probleme, die einem Kanzler immer wieder in die Quere kommen können und wichtigere Dinge zu überlagern vermögen. Mir scheint aber, dass die größte Gefahr, die der Kanzlerin droht, das fällig werden der eingegangenen Bürgschaften oder eines Teils von ihnen sein wird, denn dann werden die Deutschen und andere freilich auch bemerken, dass die scheinbare Entspannung an der Euro-Front wirklich nur eine scheinbare ist und dass diese ganze Euro-Rettungspolitik doch mehr vom Prinzip Hoffnung als von schon gelösten Problemen lebt.

    Meurer: Ob die CDU die nächste Bundestagswahl gewinnt, Werner Patzelt, hängt auch von der CSU ab, und über das Wochenende hat Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner angekündigt, sie wechselt nach der Wahl nach München, zurück in ihre Heimat, in den Landtag. Beobachter sagen, da liegt ihre große Zukunft. Wie geschickt, glauben Sie, ist dieser Schachzug?

    Patzelt: Es kommt für die CSU darauf an, sich nach der verheerenden nicht Wahlniederlage, aber nach den verheerenden Stimmenverlusten bei der letzten Landtagswahl wieder zu konsolidieren. Die Freien Wähler sind stark geworden und binden ein großes Maß an Stimmen, die früher der CSU zustande kamen. Klarheit in CSU-Positionen ist durch die sprunghafte Politik des CSU-Parteivorsitzenden auch ein Stück weit geschwunden. Infolgedessen kommt es für die CSU darauf an, sich zu konsolidieren. Dazu braucht es einen Generationenwechsel. Dazu macht es sich gut, wenn eine Frau an der Spitze steht, weil das bekanntermaßen derzeit allenthalben Argumentationsvorteile gibt. Und die Kanzlerin wird natürlich eine Stabilisierung der CSU oder alles, was sie zu versprechen scheint, mit großem Wohlgefallen sehen, denn die notwendigen Stimmenprozente bei der Bundestagswahl sind bislang immer wieder aus Bayern gekommen und darauf zählt die Kanzlerin weiterhin.

    Meurer: Soll Ilse Aigner zur neuen CSU-Vorsitzenden aufgebaut werden? Soll sie sogar Ministerpräsidentin werden, falls die CSU die Landtagswahl überhaupt gewinnt?

    Patzelt: Der ganze Wechsel von Ilse Aigner nach Bayern macht im Grunde nur dann Sinn, wenn sie den bayrischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden in beiden Funktionen beerbt. Dazu hat sie sozusagen auch alles Recht, weil sie ja dem führenden oberbayrischen Bezirksverband angehört, der besonders viele Federn bei der letzten bayrischen Landtagswahl lassen musste. Und nach Bayern zu gehen, ohne an die Spitze von Partei und Staat gelangen zu wollen, das wäre ein ganz fataler und gerade unsinniger politischer Zug.

    Meurer: Formal hat sich Horst Seehofer noch nicht erklärt, das wird er jetzt in den nächsten Tagen in Kloster Banz tun. Aber es besteht wohl kein Zweifel, dass er als Spitzenkandidat in einem Jahr für die Landtagswahl antritt?

    Patzelt: Das wird er wohl machen müssen, denn alles andere wäre auch ein Eingeständnis des Scheiterns. Außerdem hat er doch auch einiges politisches Kapital aufgebaut und man kann eine Bundeslandwirtschaftsministerin nicht plötzlich in einen bayrischen Landtagswahlkampf schicken und mitten in einer Wahlperiode sozusagen einen Ministerpräsidenten ablösen. Das würde die politische Konkurrenz auch sofort als Zeichen der Schwäche auffassen. Es ist freilich so, dass Seehofer eine Art lahme Ente geworden ist, und er wird zu versuchen haben, seiner Partei einen letzten guten Dienst dadurch zu erweisen, dass er das nächste Wahlergebnis, auch in Perspektive auf die Neubesetzung an der Partei- und Staatsspitze, mit einem guten Ergebnis einfährt.

    Meurer: Erleben wir auch, oder wird es einen Machtkampf geben, erleben wir den schon zwischen Seehofer und Ilse Aigner auf der einen Seite und Markus Söder und Christine Haderthauer auf der anderen?

    Patzelt: Der Machtkampf wird wohl eher zwischen Frau Aigner und Frau Haderthauer und Herrn Söder sein. Das ganze Schachspiel, so hat es den Anschein, wird nur dann zu einem guten Ende geführt werden können, wenn Haderthauer und Söder ihre Ambitionen vertagen und zunächst einmal Frau Aigner an die Macht lassen.

    Meurer: Das war Werner Patzelt, Politikprofessor an der TU Dresden, zur Pressekonferenz der Kanzlerin und zu den Machtperspektiven bei der CSU. Schönen Dank, Herr Patzelt, und auf Wiederhören.

    Patzelt: Gern geschehen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.