Friedbert Meurer: Auf Sizilien sind gestern wieder Bootsflüchtlinge aus Afrika gestrandet. Über 200 waren es. Sie haben die waghalsige Fahrt über das Mittelmeer riskiert, weil sie in Europa auf ein besseres Leben hoffen. Die Europäische Union hat längst die Einreise für afrikanische Einwanderer massiv erschwert, doch die riskieren immer mehr. Selbst eine weite Seereise wie die von Mauretanien zu den Kanarischen Inseln beispielsweise. Die Überfahrt dauert fünf Tage und fünf Nächte und ihren Ausgangspunkt nehmen viele Boote von der mauretanischen Hafenstadt Nuadibu. – Rupert Neudeck, Leiter der Organisation Grünhelme, ist aus Nuadibu in Mauretanien zurückgekehrt. Dort gibt es ein Projekt der Organisation Grünhelme. Ich habe Rupert Neudeck gefragt, ob er mit eigenen Augen hat sehen können, wie Afrikaner an Bord von Flüchtlingsschiffen in Nuadibu gehen.
Rupert Neudeck: Man kann es nicht nur sehen, man kann auch sagen: Wenn ich selbst dort hätte eine Pirogge mieten wollen, mit 20 anderen zusammen, und 2000 Dollar hätte – und die habe ich gehabt -, hätte ich in der Nacht noch rausgehen können nach Gran Canaria, nach Teneriffa oder Lanzarote. Das sind die drei Zielorte, die die afrikanischen Klandestinen, also die Heimlichen, die dort illegal zu Zehntausenden in der Hafenstadt schon herumsitzen, ansteuern. Die nennen übrigens diesen Ort schon nach einem Wort, das wir in Europa kaum aussprechen, das wir noch nicht so richtig geschnallt haben: Schengen. Sie wollen nach Schengen. Das Wort hat sich bei jungen Afrikanern rumgesprochen. Und Schengen beginnt bei Gran Canaria, Teneriffa, Lanzarote oder auch Lampedusa, Malta oder auch Finnland, ist egal. Alles ist Schengen und sie wollen unbedingt in den gelobten Kontinent Europa.
Meurer: Wie erkennt man als Außenstehender diese Piroggen, diese Boote?
Neudeck: Das ist ganz einfach. In dem Riesenhafenbecken liegen etwa 200, 300 von solchen Piroggen und man sieht in einigen der Läden am Hafen, dass sich einige junge Leute dort aufhalten, die erkennbar nicht unbedingt Mauretanier sind, die also von anderen Ländern kommen, wie zum Beispiel Guinea, dem Nachbarland, oder Mali, dem Senegal oder Kamerun oder Nigeria. Aus 15 afrikanischen Ländern sammeln sich in dieser Hafenstadt Nuadibu Zehntausende von jungen Afrikanern, die mit geballten Fäusten in der Tasche eigentlich nur eines wollen: Sie möchten gerne raus aus dem Elend ihrer Herkunft und möchten gerne nach Europa.
Meurer: Tut die mauretanische Regierung irgendetwas, um diese hoch riskanten Fahrten bis zu den Kanarischen Inseln, die fünf Tage und Nächte dauern, zu unterbinden?
Neudeck: Sie macht ganz wenig. Sie sperrt manchmal den Hafen ab mit ihrer Polizei, aber jeder weiß, wie man da trotzdem rein kommt. Sie kann es eigentlich nicht. Aber es ist mittlerweile ein Hubschrauber dieser europäischen Task Force über den Gewässern zu sehen, der also diese Boote situieren soll, der sie markieren soll, der die Informationen weitergeben soll, aber alles das ist eigentlich völlig überflüssig und vergeblich, weil man kann diese Völkerwanderung, die in Afrika auf dem Weg ist, nicht stoppen dadurch, dass man allein die Grenzkontrollen, ob zu Wasser, zu Lande oder in der Luft, stärker macht. Das ist unmöglich. Man wird es nicht verhindern, dass weiter mehrere Hunderte oder Tausende von jungen Afrikanern auf diesen Ferieninseln der Europäer landen werden.
Meurer: An der Stelle, Herr Neudeck, setzen Sie an mit der Organisation Grünhelme. Sie haben ein Sozialzentrum in der Hafenstadt Nuadibu gegründet, zusammen mit der Katholischen Kirche, mit dem Bistum, das es erstaunlicherweise in Mauretanien gibt. Mauretanien ist ein islamisches Land. Was ist das für ein Projekt?
Neudeck: Das ist ein Projekt, das der Pfarrer, ein junger nigerianischer Pater, der Gerome heißt, uns eigentlich aufgeschwatzt hat, weil er gesagt hat, wir müssen diese jungen Leute hier beschäftigen, wir müssen ihnen eine Ausbildung geben. Diese jungen Leute haben nicht nur den Traum, unbedingt auf dieser gefährlichen Fünf-Tage-, Fünf-Nächte-Fahrt, die auch manchmal tödlich enden kann, nach Europa zu kommen, sondern wir müssen ihnen ein Angebot machen auf Ausbildung. Deshalb hat er alles getan in diesem Ausbildungszentrum, in diesem großen Sozialzentrum. Mehrere Räume sind den ganzen Tag über besetzt mit Kursen. Da ist ein Computer-Kurs, da ist ein Krankenschwester-Ausbildungskurs, da ist ein Englisch-Kurs, da ist ein Spanisch-Kurs, ein Französisch-Kurs. Wir wollen demnächst noch eine Solaranlage dort hinbringen, nicht allein wegen des Stroms, den er eigentlich nicht braucht, weil er kriegt den von der Stadt, aber er möchte gerne auch noch Solateure ausbilden, das heißt also Solartechniker. Er möchte gerne eigentlich Berufsausbildung dort machen, weil nur dadurch kann er es erreichen, dass einige von diesen jungen Leuten innerlich umkehren und nicht sich auf diese gefährliche, manchmal tödliche Fahrt begeben.
Meurer: Aus welchen Ländern kommen diejenigen, die dort die Kurse in dem Zentrum besuchen?
Neudeck: Aus fast allen Nachbarländern Afrikas. Wir müssen ja wissen, dass in afrikanischen Ländern außer Südafrika und den drei Ländern des Maghreb, also Nordafrikas, fast alle diese Länder wirtschaftlich praktisch keinen Anschluss an den globalisierten Weltmarkt haben. In diesen Ländern tobt aber eine Bevölkerungsentwicklung, die dazu führt, dass alle 30 Jahre diese Bevölkerung verdoppelt wird. Das heißt, junge Leute kommen aus den Schulen oder kommen aus den Dörfern und haben keinen Platz, haben keine Zukunft, haben keine Perspektive. Diese jungen Leute sind manchmal auch arm dran, weil sie selbst aus eigener Kraft gar nicht sagen können, ich gehe zurück in mein Dorf nach Nigeria, nach Guinea, nach Ghana, nach Kamerun, weil sie von ihrer Familie, von dem Clan oder von dem Dorf ausgerüstet worden sind mit dem Geld und sie sollen was bringen, sie sollen nämlich das bringen, von dem sie gehört haben, dass man das in Europa machen kann. Dadurch, dass man dort arbeitet, kann man Geld schicken, um diese Familie zu verbessern.
Meurer: Wenn die jetzt eine Ausbildung in Mauretanien bekommen, in diesem Sozialzentrum oder andernorts, haben sie denn dann auch eine Möglichkeit, hinterher zum Beispiel in Mauretanien Geld zu verdienen?
Neudeck: Das haben sie, weil diese Regierung eigentlich nicht sehr scharf darauf ist zu sehen, ob jemand illegal ins Land kommt, wenn er dann Afrikaner ist. Dann ist er erst mal ein afrikanischer oder ein islamischer Bruder oder eine Schwester. Das heißt, man kann dort auch arbeiten. Und wenn man eine Ausbildung hat, ist die Möglichkeit, die Bedingung der Möglichkeit natürlich sehr groß, dass man dort auch etwas tun kann, aber das ist nicht garantiert. Manche dieser jungen Leute sagen uns auch, dass sie mit einer solchen Ausbildung, wenn sie sie dann bekämen, einer Ausbildung zum Bautechniker oder zum Elektrotechniker oder zum Schneider oder zum Tischler, auch in ihr Land zurückgehen würden, um das dort anzuwenden. Das ist, glaube ich, eine interessante Entwicklung.
Meurer: Rupert Neudeck, Vorsitzender der Hilfsorganisation Grünhelme. Danke schön für Ihren Besuch und das, was Sie uns über Mauretanien berichten konnten.
Neudeck: Danke.
Rupert Neudeck: Man kann es nicht nur sehen, man kann auch sagen: Wenn ich selbst dort hätte eine Pirogge mieten wollen, mit 20 anderen zusammen, und 2000 Dollar hätte – und die habe ich gehabt -, hätte ich in der Nacht noch rausgehen können nach Gran Canaria, nach Teneriffa oder Lanzarote. Das sind die drei Zielorte, die die afrikanischen Klandestinen, also die Heimlichen, die dort illegal zu Zehntausenden in der Hafenstadt schon herumsitzen, ansteuern. Die nennen übrigens diesen Ort schon nach einem Wort, das wir in Europa kaum aussprechen, das wir noch nicht so richtig geschnallt haben: Schengen. Sie wollen nach Schengen. Das Wort hat sich bei jungen Afrikanern rumgesprochen. Und Schengen beginnt bei Gran Canaria, Teneriffa, Lanzarote oder auch Lampedusa, Malta oder auch Finnland, ist egal. Alles ist Schengen und sie wollen unbedingt in den gelobten Kontinent Europa.
Meurer: Wie erkennt man als Außenstehender diese Piroggen, diese Boote?
Neudeck: Das ist ganz einfach. In dem Riesenhafenbecken liegen etwa 200, 300 von solchen Piroggen und man sieht in einigen der Läden am Hafen, dass sich einige junge Leute dort aufhalten, die erkennbar nicht unbedingt Mauretanier sind, die also von anderen Ländern kommen, wie zum Beispiel Guinea, dem Nachbarland, oder Mali, dem Senegal oder Kamerun oder Nigeria. Aus 15 afrikanischen Ländern sammeln sich in dieser Hafenstadt Nuadibu Zehntausende von jungen Afrikanern, die mit geballten Fäusten in der Tasche eigentlich nur eines wollen: Sie möchten gerne raus aus dem Elend ihrer Herkunft und möchten gerne nach Europa.
Meurer: Tut die mauretanische Regierung irgendetwas, um diese hoch riskanten Fahrten bis zu den Kanarischen Inseln, die fünf Tage und Nächte dauern, zu unterbinden?
Neudeck: Sie macht ganz wenig. Sie sperrt manchmal den Hafen ab mit ihrer Polizei, aber jeder weiß, wie man da trotzdem rein kommt. Sie kann es eigentlich nicht. Aber es ist mittlerweile ein Hubschrauber dieser europäischen Task Force über den Gewässern zu sehen, der also diese Boote situieren soll, der sie markieren soll, der die Informationen weitergeben soll, aber alles das ist eigentlich völlig überflüssig und vergeblich, weil man kann diese Völkerwanderung, die in Afrika auf dem Weg ist, nicht stoppen dadurch, dass man allein die Grenzkontrollen, ob zu Wasser, zu Lande oder in der Luft, stärker macht. Das ist unmöglich. Man wird es nicht verhindern, dass weiter mehrere Hunderte oder Tausende von jungen Afrikanern auf diesen Ferieninseln der Europäer landen werden.
Meurer: An der Stelle, Herr Neudeck, setzen Sie an mit der Organisation Grünhelme. Sie haben ein Sozialzentrum in der Hafenstadt Nuadibu gegründet, zusammen mit der Katholischen Kirche, mit dem Bistum, das es erstaunlicherweise in Mauretanien gibt. Mauretanien ist ein islamisches Land. Was ist das für ein Projekt?
Neudeck: Das ist ein Projekt, das der Pfarrer, ein junger nigerianischer Pater, der Gerome heißt, uns eigentlich aufgeschwatzt hat, weil er gesagt hat, wir müssen diese jungen Leute hier beschäftigen, wir müssen ihnen eine Ausbildung geben. Diese jungen Leute haben nicht nur den Traum, unbedingt auf dieser gefährlichen Fünf-Tage-, Fünf-Nächte-Fahrt, die auch manchmal tödlich enden kann, nach Europa zu kommen, sondern wir müssen ihnen ein Angebot machen auf Ausbildung. Deshalb hat er alles getan in diesem Ausbildungszentrum, in diesem großen Sozialzentrum. Mehrere Räume sind den ganzen Tag über besetzt mit Kursen. Da ist ein Computer-Kurs, da ist ein Krankenschwester-Ausbildungskurs, da ist ein Englisch-Kurs, da ist ein Spanisch-Kurs, ein Französisch-Kurs. Wir wollen demnächst noch eine Solaranlage dort hinbringen, nicht allein wegen des Stroms, den er eigentlich nicht braucht, weil er kriegt den von der Stadt, aber er möchte gerne auch noch Solateure ausbilden, das heißt also Solartechniker. Er möchte gerne eigentlich Berufsausbildung dort machen, weil nur dadurch kann er es erreichen, dass einige von diesen jungen Leuten innerlich umkehren und nicht sich auf diese gefährliche, manchmal tödliche Fahrt begeben.
Meurer: Aus welchen Ländern kommen diejenigen, die dort die Kurse in dem Zentrum besuchen?
Neudeck: Aus fast allen Nachbarländern Afrikas. Wir müssen ja wissen, dass in afrikanischen Ländern außer Südafrika und den drei Ländern des Maghreb, also Nordafrikas, fast alle diese Länder wirtschaftlich praktisch keinen Anschluss an den globalisierten Weltmarkt haben. In diesen Ländern tobt aber eine Bevölkerungsentwicklung, die dazu führt, dass alle 30 Jahre diese Bevölkerung verdoppelt wird. Das heißt, junge Leute kommen aus den Schulen oder kommen aus den Dörfern und haben keinen Platz, haben keine Zukunft, haben keine Perspektive. Diese jungen Leute sind manchmal auch arm dran, weil sie selbst aus eigener Kraft gar nicht sagen können, ich gehe zurück in mein Dorf nach Nigeria, nach Guinea, nach Ghana, nach Kamerun, weil sie von ihrer Familie, von dem Clan oder von dem Dorf ausgerüstet worden sind mit dem Geld und sie sollen was bringen, sie sollen nämlich das bringen, von dem sie gehört haben, dass man das in Europa machen kann. Dadurch, dass man dort arbeitet, kann man Geld schicken, um diese Familie zu verbessern.
Meurer: Wenn die jetzt eine Ausbildung in Mauretanien bekommen, in diesem Sozialzentrum oder andernorts, haben sie denn dann auch eine Möglichkeit, hinterher zum Beispiel in Mauretanien Geld zu verdienen?
Neudeck: Das haben sie, weil diese Regierung eigentlich nicht sehr scharf darauf ist zu sehen, ob jemand illegal ins Land kommt, wenn er dann Afrikaner ist. Dann ist er erst mal ein afrikanischer oder ein islamischer Bruder oder eine Schwester. Das heißt, man kann dort auch arbeiten. Und wenn man eine Ausbildung hat, ist die Möglichkeit, die Bedingung der Möglichkeit natürlich sehr groß, dass man dort auch etwas tun kann, aber das ist nicht garantiert. Manche dieser jungen Leute sagen uns auch, dass sie mit einer solchen Ausbildung, wenn sie sie dann bekämen, einer Ausbildung zum Bautechniker oder zum Elektrotechniker oder zum Schneider oder zum Tischler, auch in ihr Land zurückgehen würden, um das dort anzuwenden. Das ist, glaube ich, eine interessante Entwicklung.
Meurer: Rupert Neudeck, Vorsitzender der Hilfsorganisation Grünhelme. Danke schön für Ihren Besuch und das, was Sie uns über Mauretanien berichten konnten.
Neudeck: Danke.