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Sieben Jahre Syrienkrieg
"Der UN-Sicherheitsrat ist für mich ein Unsicherheitsrat geworden"

Der syrische Oppositionsvertreter in Deutschland, Sadiqu Al-Mousllie, gibt auf: "Ich möchte nicht einer von denen sein, die bewusst noch sich mitschuldig machen", sagte er im Dlf. Die Weltgemeinschaft habe eine Koalition gegen den IS aus dem Nichts gestampft, aber keinen Schritt gemacht, um Zivilisten in Syrien zu schützen.

Sadiqu Al-Mousllie im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Sadiqu Al-Mousllie im schwarzen Sakko und weißem Hemd vor einem Türeingang mit arabischen Schriftzügen. Er blickt in die Kamera.
    Der Arzt Sadiqu Al-Mousllie hat sein Amt als Mitglied des oppositionellen Syrischen Nationalrats in Deutschland niedergelegt. Dies sei keine Kapitulation, doch er könne "in diesem Gebiet gerade nicht mehr helfen". (dpa / Stefan Jaitner)
    Jasper Barenberg: Am 7. Jahrestag des Krieges in Syrien fliehen Menschen aus den östlichen Vororten von Damaskus. Seit drei Wochen bombardieren und belagern syrische Regierungstruppen die Region Ost-Ghouta. Sie haben das Gebiet inzwischen in drei Teile gespalten. Etwa 1250 Todesopfer haben Aktivisten bisher gezählt, darunter mehr als 250 Kinder.
    Zum 7. Jahrestag des Krieges in Syrien erreicht uns hier im Deutschlandfunk auch eine Mail von Sadiqu Al-Mousllie, über Jahre Mitglied des Syrischen Nationalrates, einer der wichtigsten Oppositionsgruppen. Darin schreibt er: "Wir machen uns alle mitschuldig, wenn wir weiter zuschauen. Auch ich bin mitverantwortlich, aber leider nicht in der Lage, politisch mehr zu tun. Aus diesem Grund werde ich meine Tätigkeit für die syrische Opposition offiziell einstellen."
    Viele Interviews hat uns Sadiqu Al-Mousllie in den vergangenen Jahren gegeben. Er lebt und arbeitet seit vielen Jahren als Zahnarzt in Braunschweig, wo wir ihn auch jetzt erreichen, denn natürlich wollen und müssen wir über diese Entscheidung sprechen und über die Gründe dafür. Einen schönen guten Morgen, Sadiqu Al-Mousllie.
    Sadiqu Al-Mousllie: Guten Morgen, Herr Barenberg.
    "Ich möchte nicht mitverantwortlich dafür sein"
    Barenberg: Herr Al-Mousllie, was Sie schreiben, klingt auf den ersten Blick wie eine Art Kapitulation vor der ungebremsten Gewalt in diesem Krieg. Ist das so?
    Al-Mousllie: Es ist keine Kapitulation; es ist mehr eine Feststellung für mich, dass ich in diesem Gebiet gerade nicht mehr helfen kann. Und ich möchte nicht mitverantwortlich dafür sein. Ich möchte nicht, dass die Geschichte, die ohnehin schon seit sieben Jahren auch über viele Leute schreibt, die vielleicht mehr tun konnten oder könnten und bis jetzt nichts getan haben, ich möchte nicht einer von denen sein, die bewusst noch sich mitschuldig machen.
    "Wir haben alle an die UN geglaubt"
    Barenberg: Sie schreiben: "Fest steht, die Weltgemeinschaft war und ist unfähig, den Frieden herbeizuführen." Gegen wen vor allem richtet sich diese Anklage?
    Al-Mousllie: Es richtet sich gegen eine Weltordnung, die leider keine Weltordnung mehr ist. Wir haben alle an die UN geglaubt. Wir haben nun mal keine andere Institution auf der Welt, auch heute nicht, und wir hoffen natürlich, dass die UN in irgendeiner Weise sich wieder aufrappelt, damit auch die Mitglieder des Sicherheitsrates wieder zusammenarbeiten. Aber wir sehen, dass auch gerade die UN, die helfen sollte in solchen Situationen, gerade der Sicherheitsrat ist für mich hier ein Unsicherheitsrat, ein Unsicherheitsfaktor geworden, der für diese Bevölkerung in Syrien seit sieben Jahren (und ab heute sind wir im 8. Jahr) nichts getan hat, nichts Fassbares.
    "Wie kann man die Bevölkerung so sich selbst überlassen"
    Barenberg: Sie nennen ja ausdrücklich Deutschland, die USA, Frankreich und auch Großbritannien. Glauben Sie, dass diese Länder überhaupt in der Lage sein können, in der Lage gewesen wären zu einem bestimmten Punkt, ein Ende der Gewalt zu erreichen oder gar zu erzwingen?
    Al-Mousllie: Wir müssen jetzt ein bisschen zurückschauen auf 2015, und da bin ich nicht alleine, wenn ich sehe, dass die Weltgemeinschaft, auch repräsentiert in den genannten Ländern, und auch andere in der Lage waren, eine Koalition aus dem Nichts zu stampfen, um IS zu bekämpfen in Syrien, aber nicht in der Lage waren, seit 2011 eine Resolution herauszubringen beziehungsweise einen Schritt zu machen, um die Zivilisten zu schützen in Syrien. Das ist für mich ein großes Fragezeichen: Wie kann man so etwas machen und dann die Bevölkerung in Syrien so sich selbst überlassen beziehungsweise einem Diktator und einer großen Todesmaschinerie aus Russland überlassen, aber gleichzeitig für die eigenen Interessen natürlich, was ich ja auch verstehe, zu kämpfen.
    "Durch zögerliches Handeln Fehler größer gemacht"
    Barenberg: Auf der anderen Seite, das erwähnen Sie in Ihren Zeilen auch, dass es den Gegnern der Revolution gelungen ist, die Bewegung der Menschen, sage ich jetzt einmal, mit Extremisten zu infizieren. Heißt das auch, dass Sie eingestehen müssen, dass die Oppositionsgruppen nicht in der Lage gewesen sind, in vielen Jahren eine geschlossene und kraftvolle Stimme der Opposition hervorzubringen?
    Al-Mousllie: Die Opposition hat auch viele Fehler gemacht im Laufe ihrer Arbeit. Die haben sich neu formiert und es war immer bekannt, dass in Syrien eine oppositionelle Gruppe beziehungsweise ein Oppositioneller nicht viel zu sagen hat, beziehungsweise die meisten waren im Ausland oder in den Gefängnissen. Das heißt, die mussten sich neu formieren und sich auch erst mal finden.
    Die Fehler, die die Opposition gemacht hat, sind nicht mehr oder weniger als andere Oppositionen auf dieser Welt, die genauso in solchen Situationen agieren. Das Problem ist, dass die Weltgemeinschaft in diesem Fall durch ihr zögerliches Handeln diese Fehler größer gemacht hat und nicht gerade dazu beigetragen hat, eine politische Linie so verfolgen zu lassen, weil die Spieler in Syrien auch jeder sein eigenes Interesse verfolgt hat. Damit hat natürlich auch die syrische Bevölkerung stark darunter gelitten.
    Warnung für Hilfe für den Wiederaufbau
    Barenberg: Sie haben Russland angesprochen und wie sehr der Kreml inzwischen die Geschicke auch in Syrien bestimmt und dominiert. Nach der ganzen militärischen und politischen Hilfe seitens Russlands, ist für Sie etwas anderes denkbar, so bitter das sein mag, als dass wir am Ende ein Land in Trümmern haben, aber in der Hand wieder von Baschar al-Assad?
    Al-Mousllie: Es sieht so aus, als ob Baschar al-Assad noch eine Weile bleibt. Aber wir wissen auch, dass die syrische Bevölkerung noch nicht ihr letztes Wort gesprochen hat. Ich möchte nur vor einem warnen, dass man je in der Zukunft auf die Idee käme, noch mal zu denken, dass jede Hilfe, die nach Syrien gehen würde, dann wirklich ein Wiederaufbau wäre. Denn Baschar al-Assad hat von vornherein ein Ziel gehabt, und das Ziel war Vertreibung von Menschen aus diesem Land, damit er sich selbst noch stärker macht. Wir wissen, dass ein Herr Fabrice Blanche – das ist einer aus Frankreich, der sehr stark für Assads Strategie wirbt beziehungsweise ein Befürworter Assads – vor zwei Tagen gesagt hat, die Strategie Assads war seit Anfang der Revolution, Leute zu vertreiben aus Syrien, um auch eine demographische Veränderung herbeizuführen. Und wir haben bis jetzt sieben Millionen Syrer, die raus aus Syrien gegangen sind, und weitere drei sollen mindestens folgen. Wir stehen hier vor einer konfessionellen Säuberung in Syrien, und das in 2018.
    "Leider Gottes bekommen die Aufmerksamkeit nur die Waffen"
    Barenberg: Zum Schluss noch kurz, Herr Al-Mousllie, wenn ich Sie darum bitten darf. Sie sind ja überzeugt, dass die Syrer weiter für ein pluralistisches, demokratisches und freies Syrien kämpfen werden und das auch verdienen. Woher nehmen Sie jetzt noch Ihre Zuversicht?
    Al-Mousllie: Weil ich die syrische Bevölkerung kenne, und der Großteil der syrischen Bevölkerung ist davon überzeugt. Leider Gottes bekommen die Aufmerksamkeit nur die Waffen beziehungsweise auch zurzeit die Kämpfenden, und das muss sich ändern im Laufe der Zeit.
    Barenberg: Sadiqu Al-Mousllie beendet seine Tätigkeit offiziell für die syrische Opposition. Ich danke Ihnen für das Gespräch heute Morgen, Herr Al-Mousllie.
    Al-Mousllie: Bitte schön, Herr Barenberg.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.