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Sieben Leben, sieben Schicksale

75 Jahre nach den Novemberpogromen 1938 erinnert der Schriftsteller und Historiker Doron Rabinovici mit dem Theaterprojekt "Die letzten Zeugen" an das Schicksal der Überlebenden. Gemeinsam mit Schauspielern erinnern sich die Zeitzeugen auf der Bühne - ein Sessel blieb bei der Premiere aber leer.

Von Stefanie Panzenböck |
    Das Nachsprechen der Worte wird zum Widerstand gegen das Vergessen. Das zeigen Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann und der Schriftsteller und Historiker Doron Rabinovici in ihrem Theaterprojekt "Die letzten Zeugen".

    Über der Mitte der Bühne hängt eine weiße Gazé-Wand. Dahinter: sieben Stühle in einer Reihe. Auf ihnen sitzen die Überlebenden: Rudolf Gelbard und Marko Feingold, die in mehrere Konzentrationslager verschleppt worden waren, Lucia Heilman, die von ihrem Nachbarn versteckt wurde, Ari Rath, der 1938 nach Palästina flüchten konnte, Vilma Neuwirth, die als Tochter einer Christin und eines Juden erfahren musste, wie schnell Nachbarn zu Denunzianten wurden und Schoschana Rabinovici, die gemeinsam mit ihrer Mutter das Wilnaer Getto und mehrere Konzentrationslager überlebt hat. Projekt-Autor Doron Rabinovici ist ihr Sohn. 2011 begleitete er sie in die litauische Hauptstadt Vilnius, wo sie als neunjährige ins Getto getrieben worden war.

    Nichts von dem, was damals passiert war, habe seine Mutter Schoschana vergessen, sagt Doron Rabinovici.

    "Interessanterweise erinnert sie Details besser als die historischen Forschungen vorher ergaben. Und beim genaueren Recherchieren kam heraus: Sie hatte recht."

    Einer der sieben Stühle hinter der Gazé-Wand bleibt leer, über der Lehne hängt ein Tuch: ein Symbol für die Romni Ceija Stojka, die im Januar dieses Jahres verstorben ist. Sie überlebte Auschwitz, Ravensbrück und Bergen-Belsen.

    Alle Zeuginnen und Zeugen haben im Laufe der Jahre Bücher, Filme und andere Dokumente über ihr Überleben in den Lagern und Verstecken veröffentlicht. An diesem Abend übergeben sie das Wort, also ihre eigenen Worte, an die Schauspielerinnen Dörte Lyssewski und Mavie Hörbiger sowie an deren Kollegen Peter Knaack und Daniel Sträßer.

    Die Akteure sitzen am rechten Bühnenrand. Nacheinander treten sie an ein Pult und lesen Stück für Stück die Erinnerungen der Zeuginnen und Zeugen. Die Texte verweben sich ineinander, reißen plötzlich ab, bilden ein großes Ganzes. Zwischen den Überlebenden und der Gazé-Wand sitzt eine junge Frau und schreibt auf einer langen Papierrolle alles Gelesene auf.

    Es geht an diesem Abend nicht um virtuose Schauspielkunst, die Burgtheaterstars maßen sich nicht an, in Rollen zu schlüpfen. Vielmehr werden sie zu Vertreterinnen und Vertretern einer Generation, die zuhört und weitererzählt. Schauspielerin Mavie Hörbiger liest aus Vilma Neuwirths Erinnerungen:

    "Die nichtjüdischen Nachbarn veränderten sich von einem Tag zum anderen. Aus jeder nichtjüdischen Wohnung kamen auf einmal nur noch Uniformierte. Über Nacht trugen alle SA-Uniformen und Stiefel. Wie haben uns später oft den Kopf darüber zerbrochen, woher sie diese Uniformen so schnell hatten."

    Während die Schauspieler lesen, wird das Gesicht des Menschen, aus dessen Erinnerungen sie gerade vortragen, auf die weiße Gazé-Wand projiziert, groß und grau-weiß, im Profil oder frontal. Darüber legen sich Bilder von ausgemergelten KZ-Häftlingen und Aufnahmen der Häuser, in denen die NS-Opfer vor ihrer Verfolgung und Deportation gelebt hatten.

    Den letzten Teil ihrer Geschichte lesen die Überlebenden selbst. So geht zum Beispiel der Schauspieler Daniel Sträßer hinter die Gazé-Wand und reicht dem hundertjährigen Marko Feingold die Hand, führt ihn nach vor zum Pult. Der Mensch wird sichtbar. Er tritt auf und erzählt seine Geschichte zu Ende. Die Gräueltaten, von denen die Rede war, lassen sich jetzt einer Person zuordnen, die sie alle ertragen musste - eine einfache Geste, die symbolisch für den ganzen Abend steht: Es geht darum, den Menschen hinter der Geschichte zu erkennen.

    Die Bühnenarbeit ist gelungen: Der Vortrag der Schauspieler fügt sich lückenlos in die Präsenz der Zeitzeugen. Die einen hätten ohne die anderen den Abend nicht meistern können.

    Ein Wermutstropfen allerdings bleibt: Nach der Aufführung lassen Rabinovici und Hartmann als zweiten Teil des Projekts das Publikum zu Wort kommen. Das Ergebnis: eine Reihe peinlicher Fragen, die man sich und den Überlebenden gern erspart hätte.

    Doch davon abgesehen war es ein würdevoller, bewegender und aufwühlender Abend, abseits wohlfeiler Betroffenheitstheatralik.