Tobias Armbrüster: Die Bundestagswahl, ist die schon gelaufen – zumindest einer hat das am Wochenende schon so festgestellt: FDP-Chef Christian Lindner hat in einem Zeitungsinterview gesagt, der Platz Eins für Angela Merkel und die CDU, der stehe jetzt schon fest. Den Vorsprung der Union, den könne die SPD nicht mehr aufholen. Tatsächlich liegt die SPD zurzeit bei den Umfragen wieder genau da, wo sie kurz vor der Kandidatenkür von Martin Schulz auch schon war, bei 23 Prozent nämlich. Das ist Tiefpunkt, und viele fragen sich, wie die SPD das in sieben Wochen noch aufholen will angesichts einer Union, die – auch das interessant – in den Umfragen bei 38 Prozent liegt, also 15 Punkte Vorsprung. Wir wollen das besprechen mit dem Politikwissenschaftler und Parteienforscher Uwe Jun von der Universität Trier. Schönen guten Morgen!
Uwe Jun: Guten Morgen, Herr Armbrüster!
Armbrüster: Herr Jun, ist das so: Ist die Wahl um das Kanzleramt schon gelaufen?
Jun: Das wäre zu früh zu sagen, weil der Wähler ja letztendlich dann doch noch ein gewisses Mitspracherecht hat. Allerdings muss man sagen, es wird sehr schwer für die SPD, denn bisher hat es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch keine Partei geschafft, die sowohl bei der Sonntagsfrage, die Sie gerade schon erwähnt haben, wie auch bei der Frage nach der Direktwahl des Bundeskanzlers, weit zurück lag, dann diesen Rückstand noch aufzuholen. Daran können Sie ersehen, dass die Einschätzung von Christian Lindner also durchaus einen historischen Hintergrund hat.
"Schulz hat eine Mitverantwortung zu tragen"
Armbrüster: Kann man denn dem Kandidaten Martin Schulz dabei irgendetwas vorwerfen? Hat er diesen Fehler verursacht oder diese Entwicklung?
Jun: Schulz ist mitverantwortlich für diesen Wahlkampf. Er hat eben auch entsprechend damit auch die Verantwortung zu tragen. Auch wenn natürlich andere die Operationalisierung des Wahlkampfes durchführen, so hat er unter anderem auch mit zu verantworten, dass nach der Landtagswahlniederlage im Saarland Schulz auch wochenlang massenmedial nicht mehr präsent war, er keine Aufmerksamkeit auf sich zog und der sogenannte Schulzeffekt ja dann innerhalb kürzester Zeit verpufft ist.
Armbrüster: Was könnte denn die SPD jetzt sieben Wochen vorher noch aus diesem Umfragetief rausholen? Gibt es da irgendwelche Rezepte aus der Vergangenheit, die man hervorholen könnte?
Jun: Eigentlich in der Form gar nichts, weil, wie gesagt, wir haben eine Situation, die die SPD in der Vergangenheit auch nie bewältigt hat, wenn sie soweit zurücklag und wenn, wie gesagt, selbst auch in der Direktwahlfrage sie so weit zurücklag. Jetzt könnte man sich erinnern an Gerhard Schröder: Der lag auch mal 2002, 2005 weit zurück und hat noch aufgeholt, aber der lag immer in der Direktwahlfrage vor Edmund Stoiber oder Angela Merkel und hat dann versucht, stark zu personalisieren.
Auch das würde jetzt im Moment wenig greifen, noch zu personalisieren, weil die Kanzlerin sehr populär ist. Da ist also nicht viel. Da kann man vielleicht hoffen, dass externe Effekte eintreten. Man kann versuchen zu emotionalisieren, aber wir erinnern uns: 2002 waren das schon zwei gewaltige Themen, nämlich der Irakkrieg beispielsweise und eben auch die Flut an der Oder und an der Elbe, die damals erheblich Gerhard Schröder Rückenwind gebracht haben. Also, die Situation ist insgesamt alles andere als hoffnungsvoll für die SPD.
"Die CDU hat der SPD immer mehr Themen abgegraben"
Armbrüster: Oder kann man möglicherweise auch für die Partei etwas fatalistischer sagen: Die Zeit für sozialdemokratische Politik ist eigentlich vorbei, die Themen, die diese Partei setzen möchte, die kommen einfach bei vielen Leuten nicht mehr an, und da hat die Union einfach nicht nur die besseren Rezepte, sondern auch die besseren Themen?
Jun: Es sind vielleicht nicht die besseren Themen, aber die CDU hat die Bundeskanzlerin, die deutlich populärer ist als ihre Herausforderer, und das ist natürlich richtig: Der Korridor der SPD im Parteienwettbewerb ist immer enger geworden dadurch, dass die Union ihr immer mehr die Themen abgegraben hat. Wir sprachen ja schon häufig von einer sogenannten Sozialdemokratisierung der CDU, und das meint genau dieses, dass die CDU viele Themen, die früher die SPD besetzt hat, nun besetzt oder ihr ganz nahe gekommen ist, dass der Wähler kaum noch Differenzen erkennt zwischen diesen beiden Parteien, und dann kommt hinzu, dass die SPD auch mittlerweile kein thematisches Alleinstellungsmerkmal mehr hat. Es gibt kein einziges Thema, wo man die SPD unmittelbar mit verbindet. Selbst das Thema soziale Gerechtigkeit, was relativ diffus ist, wird zwar … Da hat die SPD noch Kompetenzvorteile, aber dort gibt es auch schon Punkte oder Wähler, die da entweder bei der Linken, bei den Grünen oder bei der CDU Vorteile sehen.
Armbrüster: Könnte man denn sagen, wäre es der Partei möglicherweise besser ergangen, wenn sie diese Rolle als Juniorkoalitionspartner in einer großen Koalition vor vier Jahren gar nicht angetreten hätte?
Jun: Das ist natürlich jetzt Spekulation. Das kann man im Nachhinein nicht sagen, weil möglicherweise die CDU ja auch in einer anderen Konstellation – dann wäre ja nur eine Konstellation mit den Grünen übriggeblieben – eine ähnliche Politik verfolgt hätte und damit ähnlich Positionen besetzt hätte, die jetzt der Sozialdemokratie nahestehen, und dann müsste man auch sagen, die Grünen haben bisher nie eine Koalition mit dem stärkeren Koalitionspartner von sich aus verlassen. Das heißt, die SPD hätte dann genauso wenig eine Machtoption.
"Der Wähler lässt sich von Situationen leiten"
Armbrüster: Kann man der SPD denn angesichts dieser Entwicklung überhaupt raten, noch mal eine Rolle als sozusagen Nummer Zwei in einer Regierung anzustreben?
Jun: Ich denke, dass wird die SPD selbst sich gut überlegen. Es hängt sehr vom Wahlergebnis ab. Sollte tatsächlich das Wahlergebnis von 2013 unterboten werden, dann wird auch in der SPD eine breite Diskussion stattfinden, ob man tatsächlich noch in eine solche Koalitionskonstellation eintreten will oder ob man das nicht doch dann lieber lässt und in die Opposition geht. Ob das dann der SPD nützt und ob sie sich da dann regenerieren kann, das hängt auch viel vom Wettbewerber, also der Union, ab, wie die dann mit einer anderen Konstellation, Koalition, Politik betreibt und ob es ihr weiterhin gelingt, der SPD sämtliche Themen zu nehmen oder ihr zumindest kaum Spielraum im Parteienwettbewerb oder nur einen geringen Spielraum im Parteienwettbewerb zu lassen.
Armbrüster: Wenn ich Sie dann richtig verstehe, Herr Jun, dann sagen Sie, die SPD hat – muss man leider so sagen – keine Chance bei der nächsten Wahl, und sie muss mehr oder weniger drauf warten, dass Angela Merkel irgendwann ihren Hut nimmt. Ab dann kann es wieder aufwärts gehen.
Jun: Jetzt spitzen Sie natürlich zu absichtlich. Ich würde sagen, sie hat eine geringe Chance. Also, die Chancen sind tatsächlich nicht allzu günstig. Eine geringe Chance ist immer, weil der Wähler ist ja durchaus- oder wir wissen, dass der Wähler sehr volatil ist. Er lässt sich von Situationen leiten. Momentaufnahmen spielen eine wichtige Rolle und sollte da etwas zugunsten der SPD … Da fehlt mir allerdings im Moment auch die Fantasie, konkret zu benennen, was das ist, aber es könnte durchaus sein, dass so etwas noch eintritt. Dann wären die Chancen durchaus noch da, aber Sie haben zunächst erst mal recht: Es könnte erst wieder dann eine größere Chance für die SPD eintreten, ein größeres Gelegenheitsfenster, wieder Wahlen zu gewinnen, wenn Angela Merkel nicht mehr Spitzenkandidatin der Union ist.
Armbrüster: Sagt hier bei uns im Deutschlandfunk der Politikwissenschaftler Uwe Jun von der Universität Trier. Vielen Dank, Herr Jun, für Ihre Zeit heute Morgen!
Jun: Danke Ihnen!
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