Die Entscheidung für Melinda Nadj Abonjis Roman "Tauben fliegen auf" ist wie alle Entscheidungen von Literaturjurys zwar nicht unumstritten – hätte man nicht Thomas Lehrs aufwendig recherchierten und überaus ambitioniert erzählten Roman "September. Fata Morgana" über das Netzwerk des internationalen Terrors auszeichnen müssen? - aber eines dokumentiert das gestrige Ergebnis gewiss: den Sieg der Literaturkritik über das Marketing.
Als vor sechs Jahren der Deutsche Buchpreis vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels ins Leben gerufen wurde, versprach sich die Branche vor allem eine Belebung des Geschäfts. So ist es dann zwar auch gekommen, nichts dagegen – aber jedes der ausgezeichneten Bücher – allen voran Uwe Tellkamps Bestseller "Der Turm" – verkaufte sich mit Preis nicht nur mit Abstand besser als hätte es keinen Literaturpreis gegeben -, diese ausgezeichneten bestanden auch auf intellektuellem Niveau einer Prüfung über die Saison hinaus.
Was sich schon bei früheren Entscheidungen der vornehmlich mit Literaturkritikern und nur einem Buchhändler besetzten siebenköpfigen Jury andeutete, ist in diesem Jahr vollends deutlich geworden. Mit Melinda Nadj Abonji wurde nicht nur eine weithin nahezu unbekannte Autorin aus der Schweiz ausgezeichnet, ihr Roman ist alles andere als leichte Kost für den schnellen Verbrauch. Wie andere seriös, auf der Basis von literaturkritischen und nicht marktorientierten Gedanken arbeitende Jurys in Deutschland hat man sich zu einer Entscheidung durchgerungen, die sich nicht zum Spektakel, sondern zum Diskurs eignet.
In ihrem in einem österreichischen Kleinverlag erschienenen Roman "Tauben fliegen auf" arbeitet die 1968 geborene Autorin eigene Lebenserfahrungen auf durchaus autobiografische Weis auf. Melinda Nadj Abonji wurde als Kind einer ungarischen Minderheit in der serbischen Vojvodina geboren, die Familie emigrierte in die Schweiz und baute sich - so steht es zumindest im Roman – einen gastronomischen Betrieb auf. Das Ringen um eine neue Identität ohne seine Herkunft, seine verlorene Heimat und vergangene Sprache zu verleugnen in einem Land, das sich nach außen weltoffen gibt, nach innen aber denen, die aus der Fremde gekommen sind, eine Integration nach Kräften erschwert, ist das Thema dieses mit Dringlichkeit und Erzähllust geschaffenen Romans, von dem man nur hoffen kann, dass er auch bei deutschen Lesern ankommt, die es gewohnt sind, ihr Augenmerk gerade heute, 20 Jahre nach dem politisch manifestierten Erlangen der Deutschen Einheit, vornehmlich auf die Geschicke und Geschichte des eigenen Landes zu richten.
Was die Entscheidung, dieses Buch mit dem Deutschen Buchpreis auszuzeichnen, so spannend macht, ist der aktuelle Kontext, in dem sie steht. Auch andere Romane, die in diesem Jahr auf der mit sechs Titeln bestückten Shortlist zum Deutschen Buchpreis standen, stammen von Autoren, die nicht dort leben, wo sie aufgewachsen sind, die im heutigen Alltag nicht die Sprache sprechen, die sie in ihrer Kindheit und in ihren Familien gelernt haben, von Autoren, die um eine geistige und persönlichen Identität in einem Land ringen, dass noch nicht ihres ist.
Es sind Bücher, die den kulturellen Dialog zwischen Angehörigen unterschiedlicher Nationen und Religionen befördern, indem sie davon erzählen, wie dieser Dialog gefährdet, wenn nicht verhindert wird. Vor dem Hintergrund der verfahrenen Rezeption des Buches von Thilo Sarrazin erscheint die Belletristik von Autoren wie Melinda Nadj Abonji, Jan Faktor, Thomas Lehr oder Doron Rabinovici – andere Kandidaten für den Deutschen Buchpreis - in einem Licht, das nicht aus Scheinwerfern kommt, wohl aber aus einer Leselampe, die dazu beiträgt, dass unser Leseherbst 2010 nicht nur aus Einzelerlebnissen besteht, sondern aus Büchern, die miteinander korrespondieren, ohne dass ihre Erschaffer das selbst im Schilde führten, als sie sie schrieben.
Die Aufgabe der Literaturkritik ist es, derartige Denkprozesse zu initiieren. Die Jury zum Deutschen Buchpreis hat ihre Aufgabe in diesem Jahr bestens erledigt. Die Entscheidung gestern Abend für Melinda Nadj Abonji war gut.
Als vor sechs Jahren der Deutsche Buchpreis vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels ins Leben gerufen wurde, versprach sich die Branche vor allem eine Belebung des Geschäfts. So ist es dann zwar auch gekommen, nichts dagegen – aber jedes der ausgezeichneten Bücher – allen voran Uwe Tellkamps Bestseller "Der Turm" – verkaufte sich mit Preis nicht nur mit Abstand besser als hätte es keinen Literaturpreis gegeben -, diese ausgezeichneten bestanden auch auf intellektuellem Niveau einer Prüfung über die Saison hinaus.
Was sich schon bei früheren Entscheidungen der vornehmlich mit Literaturkritikern und nur einem Buchhändler besetzten siebenköpfigen Jury andeutete, ist in diesem Jahr vollends deutlich geworden. Mit Melinda Nadj Abonji wurde nicht nur eine weithin nahezu unbekannte Autorin aus der Schweiz ausgezeichnet, ihr Roman ist alles andere als leichte Kost für den schnellen Verbrauch. Wie andere seriös, auf der Basis von literaturkritischen und nicht marktorientierten Gedanken arbeitende Jurys in Deutschland hat man sich zu einer Entscheidung durchgerungen, die sich nicht zum Spektakel, sondern zum Diskurs eignet.
In ihrem in einem österreichischen Kleinverlag erschienenen Roman "Tauben fliegen auf" arbeitet die 1968 geborene Autorin eigene Lebenserfahrungen auf durchaus autobiografische Weis auf. Melinda Nadj Abonji wurde als Kind einer ungarischen Minderheit in der serbischen Vojvodina geboren, die Familie emigrierte in die Schweiz und baute sich - so steht es zumindest im Roman – einen gastronomischen Betrieb auf. Das Ringen um eine neue Identität ohne seine Herkunft, seine verlorene Heimat und vergangene Sprache zu verleugnen in einem Land, das sich nach außen weltoffen gibt, nach innen aber denen, die aus der Fremde gekommen sind, eine Integration nach Kräften erschwert, ist das Thema dieses mit Dringlichkeit und Erzähllust geschaffenen Romans, von dem man nur hoffen kann, dass er auch bei deutschen Lesern ankommt, die es gewohnt sind, ihr Augenmerk gerade heute, 20 Jahre nach dem politisch manifestierten Erlangen der Deutschen Einheit, vornehmlich auf die Geschicke und Geschichte des eigenen Landes zu richten.
Was die Entscheidung, dieses Buch mit dem Deutschen Buchpreis auszuzeichnen, so spannend macht, ist der aktuelle Kontext, in dem sie steht. Auch andere Romane, die in diesem Jahr auf der mit sechs Titeln bestückten Shortlist zum Deutschen Buchpreis standen, stammen von Autoren, die nicht dort leben, wo sie aufgewachsen sind, die im heutigen Alltag nicht die Sprache sprechen, die sie in ihrer Kindheit und in ihren Familien gelernt haben, von Autoren, die um eine geistige und persönlichen Identität in einem Land ringen, dass noch nicht ihres ist.
Es sind Bücher, die den kulturellen Dialog zwischen Angehörigen unterschiedlicher Nationen und Religionen befördern, indem sie davon erzählen, wie dieser Dialog gefährdet, wenn nicht verhindert wird. Vor dem Hintergrund der verfahrenen Rezeption des Buches von Thilo Sarrazin erscheint die Belletristik von Autoren wie Melinda Nadj Abonji, Jan Faktor, Thomas Lehr oder Doron Rabinovici – andere Kandidaten für den Deutschen Buchpreis - in einem Licht, das nicht aus Scheinwerfern kommt, wohl aber aus einer Leselampe, die dazu beiträgt, dass unser Leseherbst 2010 nicht nur aus Einzelerlebnissen besteht, sondern aus Büchern, die miteinander korrespondieren, ohne dass ihre Erschaffer das selbst im Schilde führten, als sie sie schrieben.
Die Aufgabe der Literaturkritik ist es, derartige Denkprozesse zu initiieren. Die Jury zum Deutschen Buchpreis hat ihre Aufgabe in diesem Jahr bestens erledigt. Die Entscheidung gestern Abend für Melinda Nadj Abonji war gut.