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Siegfried Jacobsohn - Ein Leben für die Weltbühne

In vollster Unabhängigkeit und Rücksichtslosigkeit konnte ich meine Meinung sagen. Es brauchte mich nicht zu berühren, dass dem Blatt von einem Theater nach dem anderen die Referentenkarten und die Inserate entzogen wurden; dass die Objekte der Kritik den Verleger geradezu anflehten, eine solche Freimütigkeit nicht zu dulden, dass die Gerichte aufgeboten wurden - mit einem Wort: dass ich in kürzester Zeit über die Maßen verhasst war. Sie tobten. Ich schrieb weiter.

Stefan Berkholz | 06.03.2000
    Theißen: Siegfried Jacobsohn schrieb das über seine journalistischen Anfänge im Berlin des Kaiserreichs. In diesen Sätzen wird ein Bis und ein aufklärerisches Selbstverständnis deutlich, wie man es heute unter Journalisten kaum mehr findet. Der 1881 geborene Siegfried Jacobsohn wurde zum Erfinder und Herausgeber der Weltbühne, jenem Blatt, das wie kein anderes der Weimarer Republik ihre Verlogenheit, ihre Korrumpierbarkeit und ihre Duldsamkeit gegenüber dem rechten Terror vorhielt. Ein Verleger mit Vorbildcharakter. "Siegfried Jacobsohn - Ein Leben für die Weltbühne. Eine Berliner Biographie" ist ein im Bleicher Verlag erschienener Band überschrieben, in dem Stefanie Oswalt die Biographie des leidenschaftlichen Verlegers erzählt. Stefan Berkholz:

    Beitrag Stefan Berkholz

    Berkholz: Gern wäre Siegfried Jacobsohn mit seiner Liebe zum Theater alt geworden. Er war ein Schöngeist, ein Sprachtüftler, ein Theaterkritiker, der hoffte, die Welt als Kunsthistoriker erziehen zu können. Es blieb ein Traum, die Zeit änderte sich, der Erste Weltkrieg kam dazwischen und danach die politische Standortbestimmung in der Weimarer Republik. Auch Jacobsohn, kurz S.J. genannt, konnte sich nicht entziehen, obwohl ihn "die Politik anekelte", wie er einmal, vor dem Ersten Weltkrieg, bekannte. Kurt Tucholsky, sein Freund und wichtigster Mitarbeiter, beklagte noch in den 20er Jahren das Gemüt seines Lehrmeisters.

    "Kommt dazu, dass ich bei S.J. ja auch nur fest sitze, soweit mein anständiger Stil in Frage kommt (gesinnungsmäßig sind wir so weit auseinander ... er hat keine, oder wenn, dann eine ganz brav bürgerliche - von dem Neuen weiß er gar nichts) - kurz: die Situation ist nicht sehr amüsant."

    Berkholz: Siegfried Jacobsohn war einer der herausragenden Publizisten seiner Zeit, heiter, sonnig, frohgemut, so ganz anders als der melancholische, pessimistische Tucholsky. Durch Zufall und die Zeitumstände geriet Jacobsohn in die Politik und bezog dann doch klar Stellung, gab radikalen, parteiunabhängigen Positionen breiten Raum in seinem Blatt, zu Beginn der Weimarer Republik. Ein Jude, nicht gläubig, aber auch nicht angepasst, 1881 geboren, 1926, im Alter von 45 Jahren, gestorben. "Beinahe wie ein Idyll" wirke Jacobsohns Lebensgeschichte "vor dem Hintergrund der folgenden historischen Entwicklung", meint die Autoren Stefanie Oswalt. Aus ihrer Dissertation ist nun diese erste Biographie zu Leben und Werk Siegfried Jacobsohns entstanden. Damit hat der Anreger und Entdecker und Förderer von Kurt Tucholsky, Alfred Polgar, Julius Bab und all den anderen Autoren endlich den Platz in der Geschichtsschreibung, der ihm zusteht.

    "Ein Blatt: jung, tapfer, farbig, ohne Profitsucht, ohne alle Konzessionen, ganz durchglüht von einem Willen, meinem Willen, wo jeder sagen kann, was ihm die andern Blätter aus Dummheit oder Feigheit verwehren; das sich der keimenden Kräfte in Dichtung und Kritik mit Leidenschaft annimmt. Ich habe, glaube ich, besondere Erziehertalente, aber auch eine so wütende Sachlichkeit, dass ich nie zögern werde, Schriftsteller zu drucken, die mehr sind und mehr können als ich."

    Berkholz: So träumte Jacobsohn im Mai 1905 von seinem Projekt. Es wurde Wirklichkeit, ein paar Monate später, das "Blättchen" wurde sein Leben (und Schicksal). Aus der Not heraus geboren - denn Jacobsohn hatte sich durch einen merkwürdigen Plagiatsfall in der Berliner Kulturwelt als Theaterkritiker unmöglich gemacht. Also Flucht aus Berlin, eine längere Reise durch Österreich, Italien, Frankreich - und dann ein eigenes Forum gegründet, nicht mehr abhängig sein von Auftraggebern. Jacobsohn wurde der ideale Redakteur, ein Anreger und Mentor, der seinesgleichen suchte, Belege lassen sich reihenweise zitieren. Und unerschütterlich blieb sein Glaube an die Kraft der Worte, an die Macht von Vernunft und Aufklärung. Im Mai 1920 setzte er seine Vision fürs nächste Jahrhundert ins Blatt. Einem jungen Abonnenten in Hannover teilte Jacobsohn öffentlich mit:

    "Sie bestaunen meinen "unermüdlichen Optimismus", "jede einmal auf 32 Seiten die Wahrheit zu sagen und sagen zu lassen", fragen sich aber, da es "offenbar gar nichts nützt", ob Sie weiter abonnieren sollen oder nicht. Das muss ich Ihnen überlassen. Wir verzagen nicht, weil wir glauben, dass auf dieser Welt (...) nichts, einfach nichts umsonst verrichtet ist und dass unsre Wahrheit unmerklich und langsam doch in Kanälchen und Netze fließt und eines Tages, an einem Tage des 21. Jahrhunderts, einen unwiderstehlichen Strom bilden wird. Man kann keinen Gegner überzeugen, und der Gegner sind viele. Aber vielleicht wecken wir einen stillen, zu stillen Freund auf oder bringen einen verrannten zur Besinnung oder feuern einen entmutigten wieder an. Optimisten sind wir durchaus nicht. Wir tun unsre Pflicht als Arbeiter, blicken vorwärts und hoffen, dass unsre Urenkel unser Andenken segnen werden."

    Berkholz: Aus der "Schaubühne", dem kritischen Blatt für die Theaterfreunde, war die "Weltbühne" geworden, im April 1918 erfolgte die Umbenennung. Ein Forum für Intellektuelle, radikal unabhängig, streitbar. Und immer in der Minderheit, nie mehr als zwölf- oder fünfzehntausend Stück verkaufend. Von Carl von Ossietzky, nach Jacobsohns Tod dann weitergeführt bis zum Machtantritt der Nazis. Am 16. Januar 1919, einen Tag nach der Ermordung Rosa Luxemburgs, stehen in der "Weltbühne" Jacobsohns programmatische Sätze für eine Neubestimmung.

    "Meine Lieben, jetzt muss man wirklich Politik machen! Jetzt hat der Geist zu verhüten, dass seine Todfeinde wieder ans Ruder kommen. Schon rühren sie sich ringsum und verkünden, es sei früher schließlich gar nicht so schlimm gewesen, und man solle natürlich revoltieren, aber nicht grade bei ihnen. Aber grade bei ihnen! Was an meinem Teil liegt, so will ich, bei der grauenhaften Vergesslichkeit des genus homo, unablässig auf die Verbrecher weisen, die uns in diesen Jammer gebracht haben, seien sie Offiziere oder Großfabrikanten, Diplomaten oder Beamte, Zeitungsschreiber oder Agrarier, Lakaien oder Blaublütler. Mit ihnen ist der blaublütige Bourgeois schuldig, der sich wedelnd alles gefallen ließ. (...) Die neue Verfassung, die wir erhalten sollen und die uns die bitter nötige Freiheit gewährleistet, scheint mir immerhin wichtiger als alles schlechte Theater der Residenz und die Vorbedingung für alles Gute."

    Berkholz: Eine glückliche Lebensgeschichte, fasst die Biographin zusammen, eine "Berliner Biographie" nennt sie ihr Buch im Untertitel, eine "deutsch-jüdische Erfolgsgeschichte". Der Antisemitismus, der Jacobsohn auch schon traf, konnte ihm die Ruhe nicht rauben. Welchen Anwürfen (aus unterschiedlichster Richtung) er ausgesetzt war und was für eine unabhängige (und lächelnde) Position er sich bewahrte, geht aus einer Notiz in der "Weltbühne" vom November 1926 hervor:

    "Das "Israelitische Familienblatt", dieses traurige Papier, bemerkt in aller Entschiedenheit: "Dass die 'Weltbühne' den Reichswehrminister ständig angreift, ist mit deren radikalpazifistischer Tendenz zu erklären. Siegfried Jacobsohn ist ein unabhängiger Publizist, für dessen Tätigkeit das deutsche Judentum nicht einzustehen hat." Das walte Jehova! Es hat offenbar nur für seine abhängigen einzustehen. Nichts kläglicher als diese braven Knaben, die ewig dafür um Entschuldigung bitten, dass sie geboren und beschnitten geboren sind."

    Berkholz: Stefanie Oswalt hat eine ordentliche und fundierte, eine tiefschürfende Arbeit vorgelegt. Sympathisierend, doch mit einem (eigenen) Standpunkt versehen, akademisch, doch zumeist flüssig geschrieben, weitgehend nüchtern und sachlich. Die vorliegende Sekundärliteratur ist gerecht bewertet, die Quellen sind umfassend ausgeschöpft. Das Leben und Werk Siegfried Jacobsohns ist in eine anschauliche Fassung gebracht. Eine Lücke ist damit geschlossen.

    Theißen: Stefan Berkholz über Stefanie Oswalt, "Siegfried Jacobsohn - Ein Leben für die Weltbühne. Eine Berliner Biographie". Der Band ist im Bleicher Verlag in Gerlingen erschienen, umfasst 293 Seiten und kostet DM 48,--.

    Regie: Musik

    Theißen: Die Musik, die wir gerade angespielt haben, ist der Jazz-Suite von Dmitri Schostakowitsch entnommen. Schostakowitsch, so heißt es, habe auf den Vorwurf, solche leichten, populären Sachen zu schreiben, mit Tschechows Worten pariert:

    "Ich schreibe alles, ausgenommen Denunziationen."