Zaimoglus Stück beginnt da, wo Hebbels "Nibelungen" enden: am Hof von Etzel nach dem Gemetzel. Etzel ist voller Trauer und Agonie, doch es gibt ja noch den Schatz in Worms, auf den er einen (Erb-) Anspruch zu haben glaubt. Er macht sich auf den Weg und trifft in Worms auf Brunhild - und auf Siegfrieds Eltern, die den Schatz ebenfalls für sich beanspruchen…. Wird das ein Stück über den Schatz der deutschen Kultur, den die Deutschen exklusiv für sich haben möchten - der böse Etzel aber auch?? Das würde doch zu Zaimoglu passen…
Diesmal keine "Überschreibung", wie wir es von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel etwa bei Shakespeare gewohnt sind, sondern eine Fortschreibung. Die beiden Autoren interessieren sich für das Erbe, das der deutsche Recke Siegfried hinterließ - und da schwingt natürlich schon das "kulturelle Erbe" mit. Zu diesem zählt fraglos die Nibelungensage. Wem gehört sie eigentlich? Zunächst einmal reklamiert die Stadt Worms den heißen Stoff für sich - sie nutzt die Festspiele seit Jahren zur wirtschaftlichen Wertschöpfung.
Jürgen Prochnow als harter Hund
Aber auch der Hunnenkönig Etzel macht nun, bei Zaimoglu, gewisse Ansprüche geltend. Bevor er nach Worms kommt, auf der Suche nach dem Rheingold, muss er in der Aufführung ziemlich lange um seinen eigenen Erben trauern, seinen (und Kriemhilds) Sohn Ortlieb, der von Hagen erschlagen wurde. Die Aufführung beginnt mit einer bombastischen filmischen Reprise des Gemetzels an Etzels Hof, dann betritt Etzel mit dem toten Kind im Arm die Bühne, eine Art Pietà in männlicher Besetzung.
Jürgen Prochnow, bekanntgeworden als U-Boot-Kommandant bei Wolfgang Petersen, wird den ganzen Abend lang den aufgeklärten harten Hund geben, den reflektierten Despoten. Es ist klar, dass mit dem Konflikt Worms-Etzel auch ein subtiler Kulturkampf mitverhandelt wird, dass Etzel zumindest partiell für Recep Erdogan steht. Weite Teile des Anfangs sind bei Zaimoglu und Senkel der Auseinandersetzung mit dem Christentum gewidmet - gespielt wird ja an der Längsseite des romanischen Kaiserdoms. "Ein Gott, der seinen Sohn opfert - ist das gerecht?" Recep Etzel stellt die richtigen Fragen, und er verspricht, das wehrlose Christentum zu unterwerfen.
Politischer Konkurrenzkampf
Regisseur Roger Vontobel grundiert diesen Clash of Cultures vor allem musikalisch: Ein mongolischer Kehlkopf-Artist erzeugt mal sehr hohe, mal sehr tiefe und vor allem - sehr fremde Sounds, die, sobald die Deutschen ins Spiel kommen, eher hardrockig gekontert werden. Zaimoglus Stückvorlage ist sprachlich leider viel zu pathetisch und zudem dramaturgisch überlastet - mit viel zu viel Personal und Handlungssträngen.
Hier kann Dietrich von Bern nicht sagen: "Mir schmeckt der Wein." Er sagt: "Noch freu ich mich, wenn der Wein an meinem Gaumen schäumt." So schäumen denn auch die Sprache und die wabernde Handlung, die uns immer wieder nahelegt, dass Frauen intelligente Wesen sind, während dumme Männer ihrem politischen Konkurrenzkampf frönen.
Große Besetzung - kleine Erkenntnis
Im einzelnen: In Worms residiert Brunhild, gegeben von der Power-Schauspielerin Ursula Strauss. Ein noch immer ungebändigtes Teufelsweib, das ja sexuell von Siegfried und Gunter weidlich ausgenutzt wurde. Ihr Sohn Burkhardt ist der einzige Hoffnungsträger des darniederliegenden Burgunderreichs - aber wessen Sohn ist er eigentlich? Siegfrieds? Gunthers?
Vor den Toren von Worms liegt der andere, niederländische Teil der Family mit eher kleinem Heer, nämlich Siegfrieds tapsige Eltern und ihre beiden Enkel. In der ganzen Region hat jedoch Gewaltherrscher Etzel das Sagen und begehrt nun Siegfrieds Tochter Swanhild zu heiraten, nach der Mutter also die Tochter. Die aber will lieber mit ihrem präsumptiven Bruder Burkhardt ins Bett; nach einer Romeo-und-Julia-Balkonszene verschwindet sie mit ihm hinter der Kirchentüre. Inzest im Kaiserdom, unglaublich…
Kinobilder und Pyrotechnik
Trotz großer Besetzung wird das alles nichts Rechtes. Brunhild hat nervöse Zuckungen, und Siegfrieds Vater ist bei Bruno Cathomas ein an Krücken laufender Bärenfelljäger. Wolfgang Pregler gibt die burgundische Königinmutter Ute sehr tantenhaft - hier verdient man halt sein Sommertheater-Zubrot. Am Ende sterben alle an vergiftetem Fleisch - außer Etzel, Dietrich, einem Racheengel (oder ist es der Engel der Geschichte?) und Hoffnungsträger Burkhardt.
Regisseur Vontobel arbeitet mit großen, kinohaften Bildern und viel Pyrotechnik - der böse Etzel lässt einen Siegfried-Sohn in einen Feuergraben stoßen. Einmal gerät sogar der romanische Dom ins Wanken, allerdings nur durch Videotechnik. Die Chance, tatsächlich den Zusammenstoß westlicher und östlicher Kultur und Religion theatralisch zu diskutieren, wird hier jedenfalls verpasst. Die bundesrepublikanische Elite, das sind die Premierengäste, schaut sich an, wie sich hunnische, burgundische und niederländische Eliten bekriegen. Ob man daraus etwas lernt, ist ziemlich ungewiss.