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Siemens-Managerin
Die Angst vor der Digitalisierung nehmen

Siemens-Arbeitsdirektorin Janina Kugel sieht den Einsatz von Robotern in den Industrieländern nicht als Bedrohung für Arbeitsplätze. Zwar würden die Möglichkeiten für ungelernte Arbeiter sinken. Die Zahl der Facharbeiter steige aber eher, sagte sie im Interview der Woche im DLF. Die Digitalisierung als industrielle Revolution müsse erklärt werden, damit sie jeder verstehe.

Janina Kugel im Gespräch mit Klemens Kindermann |
    Mitglied des Vorstands der Siemens AG und Arbeitsdirektorin Member of the Managing Board of Siemens AG, Human Resources
    Janina Kugel ist seit Februar 2015 Mitglied des Siemens-Vorstandes, Leiterin Personalwesen und verantwortlich für 350.000 Mitarbeiter weltweit. (www.siemens.com/press)
    Klemens Kindermann: Frau Kugel, der britische Wissenschaftler Alan Turing, auch bekannt aus dem Film "The Imitation Game", hat die Frage gestellt: Können Computer künftig ein Gespräch so führen, dass der Dialogpartner sie für einen Menschen hält? Das ist der sogenannte "Turing-Test" und damit hat künstliche Intelligenz allerdings bis heute ein Problem, trotz des enormen Aufschwungs. Sind also Menschen immer noch unersetzlich? Müssen wir uns gar keine Sorgen machen, dass Roboter uns irgendwann die Arbeit abnehmen?
    Janina Kugel: Also, erstens einmal bin ich tatsächlich noch ein echter Mensch, ja, also ich spreche eigentlich auch noch ganz normal. Aber Sie werden lachen: ich glaube, es gibt tatsächlich Dialoge, zum Beispiel, wenn ich auf einem wahrscheinlich noch relativ analogen Wege meine analoge Tageszeitung unterbreche und dort mit jemandem spreche, ist das kein Mensch. Und die üblichen Standardfragen werden mir aber genauso beantwortet, dass ich tatsächlich das Gefühl haben könnte, wenn ich nicht darüber nachdenke, da hat jemand mit mir gesprochen und hat mir zugehört. Also, ich glaube tatsächlich, dass der Weg der künstlichen Intelligenz immer weiter vorangetrieben wird. Das wird immer, wenn Sie so möchten, besser werden. Es ist natürlich vollkommen klar, dass alles, was Emotionen, Spontaneität und dergleichen betrifft, noch viele Jahre dauern wird, bis wir da hinkommen. Und ich würde es mir natürlich auch wünschen, dass es in einem ehrlichen wirklichen Dialog auch immer noch mal menschlich sein wird. Aber ich kann Ihnen nur sagen, meine Kinder sprechen mit Siri – es ist ganz interessant, was die so antwortet.
    Janina Kugel, Arbeitsdirektorin der Siemens AG, und der Leiter der DLF-Wirtschaftsredaktion, Klemens Kindermann
    Janina Kugel, Arbeitsdirektorin der Siemens AG, und der Leiter der DLF-Wirtschaftsredaktion, Klemens Kindermann (Deutschlandradio/ Nils Heider)
    Technologischer Fortschritt im Privatleben normal
    Kindermann: Dazu kommen wir vielleicht am Schluss unseres Gesprächs noch. Diese Vision einer menschenleeren Werkhalle, wo also die Roboter sagen, wo es langgeht, die ist also gar keine Vision, sondern wird irgendwann in naher Zeit Realität?
    Kugel: In naher Zeit nicht. Wenn ich eine Glaskugel hätte, dann, glaube ich, könnte ich Ihnen viele, viele Dinge irgendwie wirklich vorhersagen. Es wird aber ein Fortschritt sein, der weitergeht. Ich glaube, dass, was die Menschen ja üblicherweise beschäftigt, ist diese Angst: Ändert sich was von heute auf morgen? Kann ich diese Veränderung tatsächlich eigentlich auch noch mitmachen? Kann ich sie mitgestalten? Erlebe ich das dann noch selber? Und ich glaube, die Angst, die würde ich nehmen können und sagen: Es wird nicht von heute auf morgen irgendwas dramatisch. Aber vielleicht – um nicht jetzt immer so fiktiv in diesen Werkshallen zu sprechen –, also auch heute schon gibt es in den Werken Tätigkeiten, wo ein Roboter oder eine Maschine mit einem Mensch nebeneinander her arbeitet. Und die merken dann auch zum Beispiel, dass da ein Mensch ist und dass man sich jetzt eben nicht weiterbewegen kann oder die Handbewegung nicht machen kann, weil ein Mensch da eine Interaktion hat, die nicht vorhergesehen war – also insofern, künstliche Intelligenz auch noch einmal weiter. Aber ich glaube, im Privatleben verwenden wir viel, viel häufiger Dinge und den technologischen Fortschritt in einer normalen Selbstverständlichkeit, meistens ohne Angst. Und so was wird natürlich auch im Berufsleben stattfinden.
    Eintönige Jobs durch Maschinen ersetzen
    Kindermann: Wenn Sie sagen, das geht nicht so schnell – es gibt ja eine Studie, die immer wieder zitiert wird, nach der in den industrialisierten Ländern die Hälfte aller Arbeitsplätze bis 2025 wegfallen könnte. Das wäre ja dann doch schon sehr schnell?
    Kugel: Das wäre sehr schnell. Ich glaube auch nicht, dass es die Hälfte aller Arbeitsplätze sein wird. Wird es Jobs geben, die verschwinden? Ja. Wird es dafür Neue geben, die entstehen? Auch ja. Wenn Sie jetzt aber zehn, 50 oder 100 Jahre zurückdenken, was Menschen damals gemacht haben und was dann auch tatsächlich sich aber auch an den Arbeitsbedingungen für die Menschen durch den technologischen Fortschritt verbessert hat, so würde ich das wiederum sehr positiv sehen und würde wieder sagen: Es gibt auch heute viele Tätigkeiten, die, glaube ich, zum Einen für den Menschen nicht unbedingt extrem angenehm sind, zum Anderen relativ eintönig sind. Und wenn wir die ersetzt bekommen könnten, dann sind, glaube ich, alle diejenigen, die diese Jobs machen, auch dann tatsächlich froh.
    Sukzessive Adaption des technologischen Fortschritts
    Kindermann: Frau Kugel, gehen wir mal auf ihr Unternehmen, auf Siemens. Sie als Arbeitsdirektorin, als Personalchefin, verantwortlich für weltweit rund 350.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Sie müssen sich ja Gedanken machen über diesen Wandel der Berufsbilder. Welche wird es nicht mehr geben?
    Kugel: Da bin ich wieder bei der Glaskugel von gerade eben. Ich kann nicht sagen, welche es nicht mehr geben wird. Ich kann Ihnen nur sagen, welche verändern sich. Und wir gehen zum Beispiel sukzessive in alle unsere Ausbildungsberufe rein. Also, wenn ich jetzt über Ausbildung spreche, dann kennen wir ja alle den Begriff des Azubis. Also das heißt, sie können irgendwas lernen, sei es jetzt Industriekaufmann, Bürokaufmann, Mechatroniker, Elektriker und dergleichen. Und da gibt es Tätigkeiten, die durch die Digitalisierung tatsächlich ersetzt werden. Als Beispiel: Fräsen, Bohren und dergleichen wird heute durch das, was wir im Sprachgebrauch "Additive Manufacturing" nennen, also sprich das, was auch im Normalgebrauch unter 3D-Druck bekannt ist. Was heute 3D gedruckt werden kann, musste früher gedreht, geschliffen und dergleichen werden. Das heißt, unsere Auszubildenden lernen, damit umzugehen, unsere Facharbeiter in den Werken natürlich eben auch und so adaptieren wir sukzessiv für die jeweiligen Berufsgruppen auch den technologischen Fortschritt.
    Kindermann: Wird denn die Zahl der Facharbeiter bei Ihnen sinken?
    Kugel: Nein, wird sie nicht. Die wird eher steigen.
    Qualifizierte Berufsausbildung für den Einstieg
    Kindermann: In den USA gibt es bei der Öl- und Gasindustrie einen kontinuierlichen Rückgang der Facharbeiter, hochbezahlter Facharbeiter. Seit 2014 sind 50.000 bis 80.000 Beschäftigte weggefallen. Sie sind ja auch dort tätig. Es gibt schon Effekte oder nicht?
    Kugel: Es gibt Effekte, aber Sie sprachen mich ja auf die Facharbeiter an. Hätten Sie mich jetzt gefragt, wie sehen bei Siemens in der Zukunft zum Beispiel die Einsatzmöglichkeiten für ungelernte Arbeiter aus, dann würde ich sagen, das ist eine Zahl, die sinken würde und sowohl in Deutschland als auch zum Beispiel in den USA. Vielleicht mal ein Beispiel, weil Sie die USA gerade genannt haben: Dort haben wir an einem unserer Standorte für "Power and Gas" zum Beispiel einfach nach Fachkräften gesucht, die eben in diesem Energieumfeld tatsächlich für uns tätig werden können und haben nicht diejenigen gefunden mit der Qualifizierung, die wir finden wollten, sodass wir zwischenzeitlich - und Sie kennen ja auch das Thema duale Ausbildung, das ist ja zwischenzeitlich ein weiterer Exportschlager Deutschlands geworden - ….
    Kindermann: … darauf kommen wir auch noch, weil ich Sie noch über Donald Trump fragen möchte ….
    Kugel: Ja, genau, dass wir wirklich dann eben gesagt haben: Dann müssen wir die Leute dort vor Ort selber qualifizieren. Und das ist, glaube ich, eigentlich für mich ein ganz wichtiger Appell: Der technologische Fortschritt – vor allem für Hochtechnologieunternehmen wie unseres – wird dann funktionieren können und wird auch meines Erachtens nach sehr gut funktionieren, solange wir alle eine Grundausbildung haben. Und insofern immer mal wieder mein Plädoyer auch zurück an alle diejenigen, die in die Schulen gehen: Eine qualifizierte Berufsausbildung ist, meines Erachtens, definitiv die beste Fahrkarte dafür, auch später erfolgreich einen Beruf ergreifen zu können.
    Globale Arbeiter als Botschafter
    Kindermann: Der Erfolg populistischer Bewegungen in Europa, auch in den USA, wird ja auch damit erklärt, dass es eine große Unsicherheit gibt wegen des Tempos dieser Globalisierung – darüber haben wir eben gesprochen. Kann ein Unternehmen wie Siemens hier auch einen Beitrag leisten, Ängste vor zu schnellen, vor zu unerwartbaren Veränderungen zu nehmen? Also: kann Siemens vermitteln, dass Globalisierung beherrschbar ist?
    Kugel: Ja, können wir und müssen wir auch.
    Kindermann: Wie machen Sie das?
    Kugel: Und wenn ich sage "wir", dann meine ich damit auch andere Unternehmen. Wir sind ein globales Unternehmen und wir arbeiten global. Das heißt, viele unserer Mitarbeiter werden erleben, dass ihre direkten Kollegen, mit denen sie an Themen, an Aufgaben zusammenarbeiten, nicht unbedingt nur diejenigen sind, die neben ihnen sitzen, ja, sondern die einfach an anderen Stellen sind. Oder Kundenanforderungen aus anderen Ländern, die zum Beispiel bei uns in den Werken hier auch umgesetzt werden, die sowohl in der Fabrik, also sprich in der Produktion, aber auch im Engineering – also: Engineering sind die Ingenieure, die zum Beispiel zeichnen, wie wird eine Turbine aussehen, wie wird ein Motor aussehen und dergleichen.
    Die erleben das ja schon tagtäglich und merken dann auch, was möglich ist und was auch durch den technologischen Fortschritt möglich ist. Und die sind auch diejenigen, die erzählen können – dann zum Beispiel zu Hause – und sagen: 'Weißt du was, das ist gar nicht so schwierig, dieses 3D-Druck ist so und so, damit konnten wir dieses oder jenes herbekommen.' Oder was sich ja viele Menschen auch noch vorstellen können, also Ingenieure, die große Zeichnungen machen von irgendwelchen ganz schwierigen Maschinenbauteilen. Heute finden sie in der Produktion genau diese Bilder einfach auf einem Bildschirm und sie können das tatsächlich einfach vergrößern und drehen, damit sie genau wissen, bevor sie das montieren, wie sieht das denn tatsächlich aus, wie sieht das in der Vergrößerung aus.
    Und damit werden unsere Mitarbeiter auch zu denjenigen, die die Botschaft ganz einfach nach draußen tragen können und sagen können: So funktioniert das. Und das ist mir ein wichtiger Punkt. Wenn wir über Digitalisierung sprechen, über Industrie 4.0, dann ist das eine weitere industrielle Revolution, wie wir sie auch aus den letzten Jahrhunderten immer mal wieder kennen. Alle Veränderungen machen üblicherweise Menschen Angst. Es ist aber, glaube ich, wichtig und unsere Aufgabe, das so zu erklären, dass jeder das auch verstehen kann: Was bedeutet das für mich in meinem Beruf, in meinem Leben? Und das wäre, glaube ich, genau, wenn uns das gelänge, dann würden wir auch vielen der populistischen Bewegungen den Wind aus den Segeln nehmen.
    Teams, Dialog, gemeinsame Entwicklungen
    Kindermann: Wie sieht das eigentlich aus, haben die Beschäftigten da Anteil daran? Also, bestimmen die mit oder ist das eine Sache, die der Konzern steuert? Also haben zum Beispiel die Gewerkschaften Mitsprache bei diesen ganzen Veränderungsprozessen?
    Kugel: Also, unsere Mitarbeiter ... wenn Sie sagen, steuert der Konzern das? Dann sind wir ja alle Mitarbeiter, mich eingeschlossen. Und das heißt, wenn wir darüber zum Beispiel sprechen: Was sind denn die Tätigkeiten, die sich verändern? Dann sind es natürlich genau diejenigen, die heute in diesen Jobs leben, die aber auch wissen, was entwickelt sich vorwärts, die das mit uns gemeinsam definieren. Und wenn ich sage "mit uns", dann ist das mein Team, das grundsätzlich das ganze Thema Ausbildung und Weiterbildung steuert. Das heißt, wir reden mit den Fachleuten: Wo geht die Reise denn hin? Und in Deutschland ist Mitbestimmung ein gesetzlich verankertes Thema, und insofern sind diese Dialoge sicherlich auch Dialoge, die wir in Deutschland mit den Arbeitnehmern führen.
    Flexibilisierung von Arbeitszeit und ihre Grenzen
    Kindermann: Reden wir mal kurz über ganz praktische Änderungen. Geht die Ära der Präsenzkultur in den Betrieben zu Ende?
    Kugel: Das kommt drauf an, wo Sie sind und in welchen Betrieben die Ära der Präsenzkultur in eine deutlich höhere Flexibilisierung der Arbeitszeiten übergeht. Bei Siemens: Ja, vertreten wir definitiv, vertrete ich persönlich auch sehr, sehr stark – Flexibilität der Arbeitszeit. Heißt aber nicht, dass man nicht zum Beispiel auch ins Büro kommen darf, wenn man das ganz gerne möchte. Flexibilität heißt, ich kann es in bestimmten Bedingungen mir eben auswählen, wann und wo ich arbeiten möchte.
    Kindermann: Was ist mit Ruhezeiten, vorgeschriebenen Ruhezeiten?
    Kugel: Die wird es immer geben. Die muss es in bestimmten Berufsgruppen sicherlich auch immer geben. Also, denken wir mal an die klassischen Schichtmodelle, wo wir aber auch zum Beispiel wollen, dass ... Nehmen wir mal an: Sie steigen in den Bus oder in den Zug oder in ein Flugzeug, da wollen Sie ja auch, dass das natürlich sicher vonstattengeht und dass der oder die Fahrerin oder Pilotin natürlich auch sicher weiß, was sie tun wollen. Es ist aber auch so, dass viele unserer Arbeitsgesetze aus einer Zeit resultieren, die definitiv Flexibilität und Digitalisierung noch nicht auf dem Schirm hatte. Und wo wir definitiv auch daran arbeiten müssen, dass sich diese Rahmenbedingungen so flexibilisieren, dass es besser wird. Da gibt es unterschiedliche Studien. Ich habe gerade am Montag eine vom Ifo-Institut gelesen: Viele der Arbeitnehmer wollen Flexibilisierung haben. Flexibilität heißt aber nicht: 24 Stunden am Tag erreichbar sein müssen. Das ist immer eine große Diskussion, die man auch differenzieren muss.
    Kindermann: Das Smartphone dürfen die Mitarbeiter auch mal weglegen?
    Kugel: Genau, da gibt es auch so einen Knopf, den kann man ausschalten.
    Kindermann: Und Sie sind damit einverstanden?
    Kugel: Ja, stellen Sie sich vor, das mache ich sogar selber.
    Weiterqualifizierung: "Sache des jeweiligen Individuums"
    Kindermann: Was halten Sie, Frau Kugel, von einem Rechtsanspruch von Beschäftigten auf Qualifizierung, als Voraussetzung zum Beispiel auch für eine Verlängerung des Arbeitslosengeldes I?
    Kugel: Naja, ich bin ja nun Arbeitsdirektorin und nicht Politikerin und dementsprechend würde ich mich jetzt auch, ehrlich gesagt, nicht in die Wahlkampfthematiken der unterschiedlichen Parteien involvieren wollen. Mein Ziel ist es, Menschen in Beschäftigung zu bringen, Menschen in Beschäftigung zu halten und alles dafür tun zu können, dass sie auch tatsächlich weiterhin arbeiten können.
    Kindermann: Aber ist Weiterqualifizierung eine Sache der Arbeitsagentur oder ist es nicht eine Sache des Betriebes, von Ihnen, des Unternehmens?
    Kugel: Das ist eine Sache des jeweiligen Individuums. Und das würde ich jetzt nicht auf ein oder zwei, sage ich jetzt mal, Unternehmen oder Agenturen oder was auch immer Sie angesprochen haben, beschränken, sondern sagen: Es ist unsere Aufgabe als Arbeitgeber, unsere Mitarbeiter und zukünftigen Mitarbeiter zu qualifizieren. Es ist Aufgabe der Arbeitsagentur, sich um diejenigen zu kümmern, die heute nicht in Lohn und Brot stehen.
    Kindermann: Aber ist es nicht eigentlich eine gute Idee zu sagen: 'Also, wenn wir schon mehr Arbeitslosengeld I zahlen, dann muss dafür auch eine Leistung erbracht werden' – zum Beispiel eine Qualifizierung?
    Kugel: Da rede ich dann mit Ihnen darüber, wenn ich in der Politik bin – noch bin ich das nicht.
    Kindermann: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk, mit Janina Kugel, Mitglied des Vorstandes und Arbeitsdirektorin der Siemens AG. Und, Frau Kugel, der Vorstandsvorsitzende Ihres Unternehmens – Joe Kaeser – hat bei der Jahreskonferenz der Siemens-Betriebsräte gesagt, dass diejenigen, die beim Umbau der Wirtschaft durch den technischen Fortschritt und die Digitalisierung nicht mitkommen würden, versorgt werden müssen. Und an anderer Stelle sprach er davon, dass es - Zitat – "eine Art Grundeinkommen" geben werde, geben müsse. Ist ein solches Grundeinkommen eine Folge der Digitalisierung?
    Beschäftigung ermöglichen ist Gesellschaftsaufgabe
    Kugel: Erst einmal muss ich darüber grinsen, dass Sie bei der Betriebsrätekonferenz irgendwie anwesend waren, wo doch eigentlich üblicherweise nur Siemens-Mitarbeiter inklusive der Betriebsräte dabei sind …
    Kindermann: … manchmal, Frau Kugel, dringt auch von Betriebsrätekonferenzen etwas nach draußen. Das wissen Sie aber …
    Kugel: … und dann haben Sie ja so schön gesagt, dass der Joe Kaeser von einer "Art Grundeinkommen" gesprochen hat. Es ist unsere Aufgabe – und wenn ich von "unserer Aufgabe" spreche, dann spreche ich von den Unternehmen, von der Gesellschaft, von den Politikern –, Menschen so zu qualifizieren, dass sie in Beschäftigung bleiben können und dass sie dafür die notwendige Qualifizierung haben. Grundeinkommen, obwohl es unterschiedliche Pilotversuche gibt, wie ja zum Beispiel auch in Finnland einer läuft, ist meines Erachtens nach nicht die Debatte, mit der wir dem Thema der Digitalisierung und Industrie 4.0 begegnen sollten. Und ich glaube, wir können ja dann auch noch mal darauf zurückgehen, dass es in Deutschland – anders als in manch anderen Ländern dieser Welt – grundsätzlich ein System der Sozialversicherungen gibt, was für bestimmte Notsituationen, in denen Leute nicht in der Beschäftigung tatsächlich sein können, wie sie vielleicht ganz gerne würden, dann auch noch mal Sorge trägt.
    Kindermann: Also: die Digitalisierung schluckt Arbeitsplätze und der Staat kümmert sich dann um das Problem?
    Kugel: Eben nicht. Sondern es ist Aufgabe der Gesellschaft, Menschen, unter anderem Unternehmen, unter anderem auch Siemens, dafür zu sorgen, dass Beschäftigung möglich ist. Und in sofern möchte ich ganz ehrlich sagen: wir hatten vorher über das Thema Populismus gesprochen – Sie können nicht eine Weiterentwicklung der gesamten Gesellschaft, eine Weiterentwicklung einer ganzen kompletten Industrie, so wie sie auf uns kommen wird, dann in irgendwelche Kästchen packen und sagen: 'Der Eine ist für das verantwortlich, der Andere ist für das verantwortlich und der Dritte ist für was anderes verantwortlich'. Es ist gut, dass es Länder und Bereiche gibt, in denen man auch über so etwas nachdenkt. Weil ich immer glaube, wenn Umbrüche stattfinden, dann muss man sich immer überlegen, was könnten Innovationen sein. Ich bin aber nicht diejenige, die jetzt ein Plädoyer für ein Grundeinkommen zu dem jetzigen Zeitpunkt – von all dem, was ich weiß – geben werde.
    Kindermann: Haben Sie denn den Eindruck, dass die Politik mit dieser rasanten Entwicklung der Digitalisierung Schritt hält? Man müsste ja da auch schon Konzepte erwarten, möglicherweise Visionen? Bill Gates schlägt eine Robotersteuer zum Beispiel vor.
    Kugel: Ich glaube, dass die Politik an manchen Stellen schnell genug ist. Ich glaube, dass es an anderen Stellen sicherlich auch schneller gehen könnte. Das sind unter anderem Dinge, in denen wir zum Beispiel auch im Dialog mit der Politik stehen. Insbesondere natürlich auch mit der deutschen Politik, aber auch innerhalb der Europäischen Union, aber auch innerhalb der anderen Länder, mit denen wir uns irgendwie beschäftigen.
    Flüchtlingsarbeit bedeutet Integration in die Arbeit
    Kindermann: Frau Kugel, 2015 war das Jahr der großen Flüchtlingswelle, das Jahr des "Wir schaffen das" von Kanzlerin Merkel. Letzten Herbst hat die Bundeskanzlerin die Chefs der großen deutschen Konzerne eingeladen ins Kanzleramt, damit die auch mehr Flüchtlinge auch wirklich beschäftigen. Wie sieht das aktuell bei Siemens aus? Wie viele Flüchtlinge beschäftigen Sie?
    Kugel: Wir waren bei Siemens, was das Thema der Flüchtlingsintegration angeht, schon vor dem Sommer 2015, vor der noch sehr, sehr positiven Willkommenskultur in Deutschland, schon lange aktiv. Weil natürlich als globales Unternehmen das, was heute Europa oder insbesondere Deutschland unter dem Thema Flüchtlinge diskutiert, in anderen Ländern – wie sie sich vorstellen können – schon seit Jahrzehnten gang und gäbe ist und dort andere Länder auch sehr, sehr viel mehr Menschen aufnehmen, als das zum Beispiel proportional in Deutschland schon stattgefunden hat. Wir beschäftigen uns damit nach wie vor. Wir glauben aber auch, dass Integration für uns als Unternehmen bedeutet, Integration in die Arbeit. Und das bedeutet, Integration in die Arbeit, die wir bei Siemens anbieten. Jetzt hatten wir das ja schon mal, das sind üblicherweise recht hochqualifizierte technologische Berufe. Das heißt, wir fangen früh damit an und finden geeignete Praktikanten, auch in Zusammenarbeit zum Beispiel mit der Bundesagentur für Arbeit und deren jeweiligen Filialen. Und wir haben das Ziel, dass wir in sogenannten "Vorbereitungsklassen" Leuten, die wir mit einer Grundqualifizierung finden, ihnen zum Beispiel so viel Deutsch auch noch mit beibringen und so viel Grund-Re-Qualifizierung an dessen, was sie vielleicht noch tun können, dass sie dann zum Beispiel bei uns ganz normal in die Ausbildungsberufe mit einsteigen können.
    Praktika, Vorbereitungsklassen, Ausbildung
    Kindermann: Können Sie uns eine Vorstellung von dem Volumen geben? Wie viele sind im Praktikum, wie viele sind in diesen Vorbereitungsklassen?
    Kugel: Also, wir haben über hundert Leute derzeit in Praktika. Wobei ein Praktikum natürlich auch immer ein natürliches Ende hat, das geht wieder raus. Wir sind im zweiten Jahr in der Integration in Vorbereitungsklassen, sind dort heute auch über hundert. Und wie viele tatsächlich dann bei uns in den jeweiligen Ausbildungsberufen angefangen haben, kann ich Ihnen gar nicht mehr sagen. Aber auch noch mal ein Plädoyer: Bei uns steht in der Personalakte nicht drin: "Flüchtling". Da steht Ihr Name, da stehen viele andere Dinge, da steht auch Ihre Staatsangehörigkeit. Also das heißt, ich verwehre mich immer mal wieder auch auf die Anfrage von Medien, die kommen und sagen: "Frau Kugel, wie viele Flüchtlinge beschäftigen Sie?" Dass ich ihnen dann sage: "Was ist denn ein Flüchtling? Also, wenn sie vor fünf oder vor zehn Jahren in ein Land gekommen sind, werden sie dann unter der Kategorie Flüchtling geführt, weil ihre Eltern sich irgendwann mal entschlossen hatten, dass sie fliehen mussten?" Und dementsprechend ist das für uns einfach nur ganz klar: Es ist Integration und die funktioniert auch. Und da möchte ich übrigens auch noch mal wirklich ein Lob aussprechen an all unsere Mitarbeiter …
    Kindermann: … bevor Sie das tun: ist das nicht vielleicht doch ein bisschen wenig, was Sie als Konzern als Integrationsleistung vollbringen?
    Kugel: Integration in die Arbeit bedeutet, die richtigen Qualifizierungen dafür zu haben, tatsächlich auch arbeiten zu können oder in die Ausbildung zu gehen. Und es geht nicht darum, in irgendeiner Weise, sage ich jetzt mal, eine Hilfsleistung oder ein Almosen zu erbringen, um das jetzt mal so ein bisschen provokativ zu sagen. Was ich nicht erwähnt habe, sind natürlich all diejenigen Dinge, die wir tun, die unsere Mitarbeiter tun in der Freiwilligkeit, Menschen zum Beispiel bei der Integration, die außerhalb des Arbeitslebens stattfindet, zu begleiten. Das heißt: das sind die Deutschkurse, das sind die Behördengänge, das ist aber auch, sage ich jetzt mal, Ersthilfe bei dem Ankommen immer mal wieder gewesen. Das läuft natürlich alles.
    Kindermann: Wie wichtig sind denn Deutschkenntnisse in Ihrem Unternehmen?
    Kugel: Wie wichtig sind Deutschkenntnisse im Unternehmen? Das sind unterschiedliche Fragen. Wie wichtig sind Deutschkenntnisse, um eine Berufsausbildung mit dem jeweiligen Zertifikat, zum Schluss tatsächlich zu erreichen? Da müssen sie ungefähr 15.000 Wörter auf Deutsch können. Wenn sie die nicht können, werden sie dem Unterricht in der Berufsschule nicht folgen können. Wir haben genügend Mitarbeiter – wie Sie sich vorstellen können: es sind nicht alle 350.000 Deutsche oder der deutschen Sprache mächtig, arbeiten auch nicht alle davon in Deutschland -, die in Berufen sind, in denen das nicht notwendig ist.
    Diskriminierungsfrei arbeiten in einem Weltkonzern
    Kindermann: Dann kommen wir jetzt zum Einwanderungsdekret von US-Präsident Donald Trump. Das ist ja vorläufig gestoppt, die Einreiseverbote gegen Flüchtlinge und Bürger aus mehrheitlich muslimischen Ländern. Wie wichtig ist eine offene Arbeitsgesellschaft für einen globalisierten Konzern wie Siemens?
    Kugel: Enorm wichtig, und zwar nicht nur für einen Konzern wie uns, sondern für die Zusammenarbeit unter Menschen und, ganz ehrlich gesagt, für die Menschlichkeit als solche.
    Kindermann: Siemens beschäftigt in den USA 50.000 Mitarbeiter, an mehr als 60 Produktionsstandorten. Wie groß ist da durch diese aktuelle Einwanderungspolitik die Verunsicherung?
    Kugel: Die ist gar nicht hoch. Weil für uns immer schon gegolten hat und gilt, dass die Werte, die wir als Unternehmen haben und die Werte zum Beispiel der Frage, wo kommen unsere Mitarbeiter her, an wen glauben unsere Mitarbeiter, wie sehen die aus, welche sexuelle Orientierung haben sie, ist für uns ein Grundwert, dass wir sagen: Mensch ist Mensch! Und wir verurteilen definitiv jegliche Diskriminierung in jeglicher Hinsicht. Und das ist, glaube ich, einfach ein Wert, den die Mitarbeiter von uns wissen und kennen. Und sie wussten dann sicherlich auch damit, dass das immer das Ziel ist und der Wert ist, der dem Unternehmen wert und teuer ist, unabhängig von politischen Entwicklungen.
    Kindermann: Aber die Mitarbeiter sind ja auch betroffen möglicherweise von dieser Einwanderungspolitik?
    Kugel: Bislang sind wir in der Situation, dass wir niemanden haben, der davon tatsächlich direkt betroffen ist.
    Großes Interesse an deutschen Ausbildungsangeboten
    Kindermann: Die Bundeskanzlerin hat jetzt gerade bei ihrer Visite in den USA die duale Berufsausbildung – und damit kommen wir wieder an den Anfang des Gesprächs – in den Vordergrund gestellt. Eigentlich ist das ja bei Staatsbesuchen mehr so ein Thema in Entwicklungs- und Schwellenländern, wenn ich das mal sagen darf. Kann man jetzt damit in den USA wirklich punkten?
    Kugel: Ich glaube, dass das ein Thema ist – und Sie haben das ja selbst gerade schon angedeutet –, üblicherweise ein Dialog, den wir in den Entwicklungsländern führen. Fairerweise muss man aber auch sagen, dass in den deutschsprachigen europäischen Ländern das Thema Ausbildung seit Jahren und Jahrzehnten bekannt ist, jetzt auch, wenn Sie in unsere direkten Nachbarländer gehen, in vielen anderen Ländern, inklusive der USA, aber noch nicht so bekannt und vor allem nicht gesellschaftlich etabliert ist. Die interessieren sich alle dafür. Die Kanzlerin hat das bei ihrem Besuch beim Präsidenten in den USA erwähnt, aber auch Barack Obama hatte schon eine Initiative und auch wir – das sagte ich ja schon eingangs – haben diese Initiative schon vor vielen Jahren in irgendeiner Weise gestartet. Wir sind immer daran interessiert, zu sagen: Qualifizierung und Weiterbildung und Ausbildung bedeutet nicht nur Schulabschluss und dann eventuell auch noch Studium. Sondern es gibt eben – wie in Deutschland gut bekannt – relativ viele Ausbildungen dazwischen, die nicht in der Schule gelernt werden und auch nichts mit dem Studium zu tun haben und doch zu einem guten Verdienst führen können.
    Qualifizierte Kräfte als Kriterium
    Kindermann: Frau Kugel, jetzt muss ich Ihnen noch eine Frage stellen, weil die Studie diese Woche kam: "Thomas, 53 Jahre alt, Westdeutscher" – so sieht das durchschnittliche Vorstandsmitglied von börsennotierten Unternehmen aus, ergibt die Studie der AllBright-Stiftung. Also, unter den Vorstandsmitgliedern der 160 Unternehmen in den Indizes der Frankfurter Börse Dax, MDax, SDax sowie TecDax, sind nur 46 Frauen …
    Kugel: Ich kenne sie alle!
    Kindermann: ... lauter "Thomas‘se, 53 Jahre". Ist da also kein Fortschritt festzustellen?
    Kugel: Na ja, also: "Thomas" heiße ich nicht, männlich bin ich nicht, weiß bin ich nicht. Also, insofern, wenn man das als Fortschritt bezeichnen will … Nein, Spaß beiseite: ich glaube tatsächlich – und ich kenne die Studie und ich kenne auch die AllBright Stiftung –, wir sind in Deutschland sicher noch lange nicht da angekommen, wo wir anfangen könnten. Und ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, die Frage ist natürlich immer eine, die gerne mir gestellt wird, wie wahrscheinlich vielen anderen meiner weiblichen Kolleginnen auch. Ich sage immer: Wissen Sie, ungefähr die Menschheit besteht aus 50 Prozent Frauen, wie 50 Prozent Männern. Je nachdem, wo Sie sind, geht es mal ein paar Prozentpunkte hoch und runter. Und deshalb glaube ich, sollten wir einfach immer nur darüber nachdenken können, dass sie überall gleich Qualifizierte in jeglicher Hinsicht finden.
    Kindermann: Frau Kugel, Dank Ihnen für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.