Beatrix Novy: "Notes on Light" von Kaija Saariaho, dirigiert von Christoph Eschenbach. Ihm ist der Ernst von Siemens Musikpreis zugesprochen worden. Das ist im deutschsprachigen Raum die höchste Auszeichnung für Leistungen auf dem Gebiet der Musik. Auch die höchstdotierte nebenbei, 250.000 Euro, was ihr den Namen Nobelpreis der Musik unweigerlich eintrug. Der Preis wird jährlich alternierend an Dirigenten beziehungsweise Solisten, auch mal an Musikwissenschaftler vergeben. Dieses Jahr war ein Dirigent an der Reihe, die Entscheidung wurde heute bekannt: Christoph Eschenbach ist es, Jahrgang 1940, mit einem erstaunlichen Werdegang vom Kriegswaisenkind zum gefeierten Pianisten, dann zum Dirigenten.
O-Ton Christoph Eschenbach: "Die Musik hat mir die Sprache wiedergegeben und den inneren Ausdruck wiedergegeben. Die Flucht aus den furchtbaren Eindrücken, das Ventil nach außen, sie in Ausdruck zu verwandeln, diese Eindrücke, war das Urerlebnis, das mir die Musik gegeben hat. Die Musik war das Urvehikel dafür und so ist es immer noch geblieben. Es ist der Ausdruck jeglicher Eindrücke."
Novy: Christoph Eschenbach, er bekommt den Ernst von Siemens Musikpreis. Über seine Meriten weiß Peter Ruzicka besser bescheid, zumal er in der Jury saß. Frage an ihn, wie es zur Entscheidung kam.
Peter Ruzicka: Wir waren uns sehr schnell einig, dass das eine richtige Wahl ist, Christoph Eschenbach diesen Preis zu verleihen. Wir kennen ihn seit Jahrzehnten, nicht nur als Pianisten - so hat er ja seine Karriere begonnen -, sondern zunehmend auch als bedeutenden Dirigenten im Konzertbereich in der Oper. Wir haben besonders gewichtet, dass er für die Neue Musik auch stets ein Ansprechpartner war, und das ist für uns besonders wichtig, diese Öffnung dem Neuen gegenüber. Ich kenne ihn persönlich auch seit Jahrzehnten und habe immer bewundert seine Neugier auf die Musik, die er noch nicht kannte.
Novy: Versuchen wir uns doch, Christoph Eschenbach ein bisschen vorzustellen. Sie sind selbst Komponist, haben also auch noch ein besonderes Interesse an der Aufführung Neuer Musik. Was prägt ihn denn eigentlich als Dirigent, oder was charakterisiert ihn besonders? Wie klingen bei ihm zuerst mal die älteren Meister, wie klingt bei ihm ein Mozart, ein Beethoven, ein Mahler?
Ruzicka: Seine Musik spricht zum Hörer, er entwickelt eine musikalische Rhetorik, die unmittelbar an den Hörer heranreicht, und wie immer ist es schwierig, einen Interpreten anhand von einzelnen Aufnahmen zu charakterisieren. Aber es ist diese Universalität, und wenn ich auf den Gesichtspunkt Neue Musik zurückkommen darf: Wenn er ein neues Stück einstudiert und aufführt, dann geschieht das genauso authentisch, und auch da spricht man zurecht dann von der Verwirklichung einer Klangrede.
Novy: Er hat lange mit Karajan zusammengearbeitet in früheren Zeiten und das habe ihn auch geprägt, glaube ich gelesen zu haben. Ist das so?
Ruzicka: Ja, da hat es sehr viele Projekte gegeben, manche nicht ganz zu Ende geführt. Die Beethoven-Konzerte sollten alle fünf aufgenommen werden, es sind nur zwei erschienen. Karajan war dann manchmal ein bisschen unstet in seiner Auswahl des Repertoires und der Realisierungen. Aber es hat sehr viele Tourneen gegeben und das mag ihn auch geprägt haben.
"Er war ein Kämpfer von Anbeginn"
Novy: Er ist Jahrgang 1940, war das mit zehn Jahren schon, was man ein Wunderkind nennt. Seine Jugend war furchtbar und ist ein anschaulicher Beleg, finde ich, für die heilende Kraft der Musik, wenn man sie heute vergleicht mit den Flüchtlingskindern unserer Tage, die alleine und traumatisiert nach Deutschland kommen. So allein war Christoph Eschenbach als Kind auch.
Ruzicka: So ist es. Ja, das sind sehr tragische Jahre gewesen, die Vertreibung.
Novy: Sein Vater im Krieg umgekommen, die Mutter vorher schon gestorben.
Ruzicka: Er war ein Kämpfer von Anbeginn. Er musste sich das Metier hart erarbeiten, war dann ein Wunderkind, auch mit der Krise, die jedes Wunderkind hat, hat sich daraus dann die persönliche Handschrift als Interpret, damals ja ausschließlich als Pianist erarbeitet. Ich kenne ihn seit ungefähr 1970. Da war er natürlich als Pianist schon durchgesetzt und hat auf den großen Podien gespielt. Aber er hatte immer für mich den Nimbus des sehr Besonderen und des Universellen und das mag auch der Grund gewesen sein, dass damals sehr viele Produktionen entstanden sind mit bedeutenden Dirigenten, nicht nur Karajan.
Christoph Eschenbach fördert junge Interpreten
Novy: Er fördert auch junge Künstler?
Ruzicka: Ja. Etwa Lang Lang ist ein Pianist, der von ihm, man könnte sagen, in Europa entdeckt worden ist. Die ersten Konzerte hat er mit ihm gegeben. Ich war damals selbst dabei in Hamburg. Er hat ein Gespür dafür, wobei diese Interpretationen dann auch ein Geben und Nehmen waren, keineswegs so, dass da einfach nur begleitet wird schematisch, sondern die haben, Lang Lang und er, auch sehr intensiv gearbeitet. Ich finde das sehr sympathisch, dass ein Dirigent, der durchgesetzt ist, jungen Künstlern beisteht, ihre internationale Karriere zu begründen.
Novy: Ist das also nicht unbedingt die Norm?
Ruzicka: Ja. Ein Dirigent kann es sich einfach machen und kann einfach nur von seiner Agentur oder den Veranstaltern berühmte Gastsolisten bekommen als Partner. Aber wenn man dann für doch längere Zeit hinter einem jungen Interpreten steht, ihn an mehreren Orten durchsetzt und an ihn glaubt, ihm das auch vermittelt, dann ist das sicherlich ein Bonus.
Novy: Sagt der Komponist Peter Ruzicka, langjähriger Hamburger Intendant und demnächst Geschäftsführer der Salzburger Osterfestspiele, über Christoph Eschenbach, den Dirigenten, der den Ernst von Siemens Musikpreis bekommt.
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