"Mit ihrem iPhone ist sie Block-Chef. Lässt es fallen. Display ist zersplittert. Aber Hauptsache Whatsapp."
Vor genau einem Jahr hat Manuel Jungclaussen seinen ersten Plattenvertrag unterschrieben. Der 17-jährige Rapper nennt sich "Sierra Kidd" und kommt gebürtig aus Emden in Niedersachsen. Angefangen hatte alles vor drei Jahren. Damals nannte er sich noch, weniger massentauglich, "Zwille".
"Also ich hab damals immer so Musik gemacht, für mich selbst. In meinem Zimmer, so in meinem kleinen Kämmerchen. Dann immer so was aufgenommen und das immer auf YouTube gestellt und irgendwann kam eben ein Manager, der das gehört hat und entdeckt hat. Dann hat der mich nach Frankfurt eingeladen und dann saß ich halt bei ganz vielen Labels. Hab mir das dort angehört und so was. Am Ende hab ich mich dann für mein jetziges Label, für Indipendenza entschieden. Ja und dort bin ich glücklich, dort mach ich Musik und es scheint ein bisschen zu funktionieren."
Generation XOXO
"Okay, halb eins. Zehntes Glas. Paar Mädchen wollen mich ansprechen und machen etwas, damit mir der Schädel platzt. Eine am Handy hat meine Visage als Display. Bin Fame..."
In seinen Songs erzählt "Sierra Kidd" von seiner Generation. Whatsapp, Liebeskummer, XOXO, Mobbing. Er ist ein Sprachrohr, verbalisiert die Gefühle und Probleme seiner Altersgenossen.
"Ich wurde damals immer richtig krass geärgert in der Schule von so einem Jungen und der kam dann halt irgendwann an zu mir. Ich bin irgendwie durch meine Stadt gelaufen. Dann hat er mich so angehalten. Ich dachte: Hey, jetzt will der wieder was sagen. Und ich guck ihn so an und dann gibt er mir die Hand und sagt: Guck, ich hab durch deine Musik erst mitgekriegt, was ich Dir angetan hab. Das tut mir wirklich leid. Vor all seinen Freunden. Da hab ich auch gesagt: Guck mal, Respekt! So, das ist ein gerader Mann. Also ich genieß das eher, als das ich da jetzt irgendwie sag: Oh mein Gott, diese ganzen falschen Leute. Sondern ich gebe denen dann auch die Hand und sag: Gut, wenigstens kein Stress mehr."
"Ich tu, als verletzen die Wörter mich kaum. Egal was ich versucht hab, sie hören nicht auf. Gib mir ein bisschen mehr Zeit, ich bin viel zu allein. Alles um mich ist kalt..."
Rock am Ring und Splash
Inzwischen spielt Sierra Kidd auf den großen Bühnen. Vor ein paar Wochen durfte er bei "Rockim Park" und "Rock am Ring" auftreten. Sein Festival-Sommer geht bald auf dem "Splash" weiter. Manuel Jungclaussen ist eine Art moderner Soap-Star. Wer ihn bei Facebook, Twitter oder auf seinem YouTube-Account verfolgt, weiß, wie er sich gerade fühlt oder dass er mit seiner Freundin gleich in den Regionalexpress steigen wird oder welche SMS er sich so mit seinen Leuten schreibt. In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch hat er übrigens gar nicht geschlafen. 945 Menschen gefällt das. Der 17-Jährige nimmt uns nicht nur in seinen Songs mit durch sein Leben, durch seine Gefühlswelt. Und erreicht damit, was Marketing-Strategen sonst lange planen.
"Ich weiß halt ganz genau, was man auf Facebook posten muss, damit man Likes bekommt. Ich weiß, was man posten muss, damit es was bringt. So Verkäufe oder Zahlen oder so. Ich weiß, was man posten muss, nur um etwas zu posten. Um die Reichweite zu steigern. Einfach, weil ich halt damit aufgewachsen bin. Ich hab das mein ganzes Leben schon gemacht sozusagen."
"Und er sendet dir ein XO, XO, XO..."
"Ja, es gibt da so Kleinigkeiten. Zum Beispiel, wenn ich ein Zitat von mir poste, bringt das viele Likes. Wenn ich so Bilder poste, bringt das halt viel mehr Reichweite, als wenn ich nur einen ganz normalen Post mache. Wenn man Posts macht, immer ganz kleine Wörter. So, damit die riesigen Posts, wenn man mal einen macht, auch gehört werden. Weil dann denken die: Okay, gut! Der postet sonst immer nur kleine Sachen. Das muss was wichtiges sein. Wenn du die ganze Zeit große Posts machst, dann lesen die das irgendwann nicht mehr, weil es einfach zu viel Text wird und das wird zu anstrengend. Das sind so Kleinigkeiten."
"Ich bin doppelt so alt wie du"
Manuel schlägt hohe Wellen in der Hip-Hop Szene. Magazine im Print und im Internet berichten über ihn. Es gibt durchweg Lob. Auf dem Debütalbum „Nirgendwer" tritt unter anderem auch das große Vorbild von Manuel auf. Prinz Pi gibt sich die Ehre. Andere Musikerkollegen erkundigen sich inzwischen, wie Sierra Kidd es schafft, seine mehr als 75.000 Facebook-Follower in Schach zu halten.
"Sonst so die Leute in meinem Umfeld. RAF, Chakuza und so was, die haben alle sich mal erkundigt und gefragt: Ey, wie macht man das denn dort. Auch so Sachen wie YouTube oder so. Die rufen mich auch manchmal an und sagen: Guck mal, das ist jetzt vielleicht blöd, das ich dich das fragen muss. Weil, ich bin doppelt so alt wie du."
Sierra Kidd hat nach dem Hauptschulabschluss erst einmal mit der Schule aufgehört, ist alleine nach Berlin gezogen und will die ganz große Karriere. Er lebt den Traum vieler 17-jähriger. Seine Musik wird vielleicht mitwachsen. So kann die Soap weitergehen. XOXO.