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Signal auf Rot

Der 27. Oktober sollte ein besonderes Datum werden für die Deutsche Bahn AG. Ein langer Reformprozess sollte abgeschlossen sein, das ehemalige Staatsunternehmen zu einem Teil an die Deutschen Börse gebracht werden. Doch je näher das Datum rückte, um so lauter wurde die Kritik an dem Zeitplan.

Von Helmut Frei und Susanne Harmsen |
    Einerseits spielte dabei die Frage der Sicherheit eine Rolle. An zwei ICEs waren dieses Jahr Risse in den Achsen entdeckt worden. Andererseits gab es ganz klare wirtschaftliche Bedenken. Im Zuge der weltweiten Finanzkrise hatten die Börsen eine selten gesehene Talfahrt hinter sich. Der einstmals geplante Privatisierungserlös von rund acht Milliarden Euro war angesichts dieser Umstände nicht mehr zu erzielen. Schätzungen lagen eher bei vier Milliarden. Viel zu wenig. Und so stoppten Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee und Bundesfinanzminister Peer Steinbrück und das Projekt auf der Zielgerade:

    " Der Börsengang ist verschoben, wir glauben, dass es nicht verantwortbar wäre, einen solchen Börsengang zu einem Zeitpunkt in Gang zu setzen, zu dem das gesamte Bahnumfeld relativ ungünstig ist. Und man in der Tat nicht einen Preis für Bundesvermögen erzielt, der eigentlich zu rechtfertigen gewesen wäre. "

    Einen Börsengang werde es in dieser Legislaturperiode nicht mehr geben, hieß es.

    Ein Regierungssprecher legte nach und sagte, wahrscheinlicher sei sogar der Gang an die Börse im Jahr 2010 oder 11. Ein schwerer Schlag für den Bahnchef, dessen Vertrag im Mai 2011 aus Altersgründen ausläuft und der sein berufliches Schicksal eng mit dem Börsengang verknüpft hat.

    Ein schwerer Schlag aber auch für ein Reformprojekt, das bereits 1994 begonnen hatte. Damals hatte der Deutsche Bundestag beschlossen, aus der einstigen Reichsbahn der DDR und der Deutschen Bundesbahn eine Aktiengesellschaft im Eigentum des Bundes zu machen, die DB AG. Beide alten Staatsbahnen schrieben rote Zahlen: für den Bundeshaushalt ein Fass ohne Boden. Ziel der DB AG war also, eine effektivere Bahn zu organisieren, um langfristig kein Staatsgeld mehr zuschießen zu müssen. Außerdem sollten mehr Menschen und Güter auf der Schiene fahren und private Bahnen als Wettbewerber zum Zug kommen. Bundestagsmitglied und FDP-Verkehrsexperte Horst Friedrich ist mit dem Ergebnis nach 14 Jahren nicht ganz zufrieden:

    " Was mich im Endeffekt ärgert, ist, dass wir als Gesetzgeber Bund, der regelmäßig so knapp vier Milliarden Euro an die Bahn zahlt, für den Erhalt des Netzes und für Neubaumaßnahmen, bis jetzt nicht belastbar wissen, wie das Netz tatsächlich ausschaut. Ich habe aber jetzt schon Probleme, Einfluss zu nehmen, was denn tatsächlich gebaut wird, obwohl ich finanziere. Und das ist alles zu kleinkariert. "

    Als Starthilfe wurde die neugegründete Deutsche Bahn AG von umgerechnet rund 30 Milliarden Euro Schulden befreit und von allen Verpflichtungen für die Beamtenpensionen der Eisenbahner. Die Bahn AG hat seitdem über die Hälfte der Belegschaft abgebaut und rund 7000 Kilometer Schienennetz. Dadurch sei sie effektiver geworden, wie Vorstandschef Hartmut Mehdorn verkündet:

    " Also ich denke, wir haben eigentlich alle Ziele, die wir hatten mit der Bahnreform, die haben wir alle übererfüllt. Und darauf kann man zu Recht stolz sein. Darauf können auch die Deutschen stolz sein, nicht nur wir bei der Bahn. "

    Mehr Verkehr auf die Schiene verlagert hat die DB AG aber nicht. Das liegt unter anderem daran, dass sie 7000 private Gleisanschlüsse von Unternehmen gekappt hat, die ihre Güter nun per LKW transportieren müssen. Das erledigt meist die zum DB-Konzern zugekaufte Firma Schenker. So rechnet die Bahn AG diese Transporte weiter für sich ab, obwohl sie über die Straße rollen. Und auch der Wettbewerb auf der Schiene ist über die Jahre nicht zustande gekommen. Obwohl er politisch gewollt war.

    Die Bahnchefs der vergangenen 14 Jahre haben jedoch Einflussnahmen der Politik immer zurückgewiesen mit dem Verweis auf ihre Mission, ein wirtschaftlich gesundes, selbständiges Unternehmen aufzubauen. Doch obwohl der Bund weiter alle Investitionen ins Netz finanziert und die Länder ihren Regionalverkehr bestellen und bezahlen, hat die DB AG wieder Schulden von rund 18 Milliarden Euro. Auch deshalb drängte der Vorstand so auf den Börsengang, um frisches Geld in den Konzern zu bekommen, vorzugsweise für neue Investitionen im Ausland. Jeder fünfte Bahnmitarbeiter ist schon heute nicht mehr in Deutschland tätig. Die Politiker hätten klein beigegeben und den Bahnchefs freie Fahrt gelassen, obwohl die DB AG dem Bund und damit auch den Bahnkunden gehört, bemängelt Karl-Dieter Bodack von der Bürgerinitiative "Bahn für alle":

    " Das ist eine starke Negativwirkung der Bahnreform, dass viele Städte, ja ganze Regionen den Fernverkehr verloren haben. Nun müssen die Kunden mit Nahverkehrszügen von Potsdam beispielsweise nach Berlin oder von Magdeburg nach Leipzig fahren, um an einen Fernverkehrszug zu kommen. "

    Vor einigen Tagen verlangte der Verkehrsclub Deutschland von der Deutschen Bahn, die für Mitte Dezember angekündigten Preiserhöhungen von rund vier Prozent zurückzunehmen. Denn in den Geschäftsberichten, mit denen die Bahn an die Börse gehen wollte, waren hervorragende Gewinne ausgewiesen.

    Die Bahn ist trotz Finanzkrise weiter auf Erfolgskurs, ließ Bahnchef Mehdorn verkünden, das werde auch von zukünftigen Investoren honoriert - Tatsächlich hat der Umsatz in den ersten neun Monaten dieses Jahres um 953 Millionen Euro zugelegt. Auf 23,8 Milliarden Euro. Der Gewinn ist vor Steuern auf über zwei Milliarden Euro gestiegen.

    Um gute Geschäftszahlen für Aktionäre zu erreichen, habe es in den letzten Jahren kaum Investitionen gegeben, zum Beispiel in neue Wagen, und so wenig Instandhaltung wie möglich. Diese bisherigen Gewinne an Effizienz forderten Einbußen auf anderen Gebieten, kritisieren Gewerkschaftsvertreter, zum Beispiel von Transnet. Der Pressesprecher der Initiative "Bahn von unten", Hans-Gerd Öfinger:

    " Es wurde schon auf Teufel komm raus eingespart bei Mensch und Material mit entsprechenden nachteiligen Konsequenzen. Das spüren Beschäftigte, das spüren aber auch Kunden, dass sich da einiges verschlechtert hat, deswegen, weil das Management auf Teufel komm raus schwarze Zahlen produzieren will und nicht mehr investiert, dort wo es notwendig ist, um den Betriebsablauf auch längerfristig nachhaltig zu gewährleisten. "

    Freitag, 24. Oktober. Drei Tage vor dem geplanten Börsengang: Karl Friedrich Rausch, im Vorstand der Deutschen Bahn AG für den Personenfernverkehr zuständig, gibt eine kurze Erklärung ab.

    " Wir haben heute von der Industrie eine Empfehlung bekommen, die Inspektionsintervalle für unsere ICE-T-Flotte deutlich zu reduzieren. Wir müssen deswegen ab heut Nacht einen Großteil, der Flotte außer Betrieb nehmen, solange bis die Achsen einer Ultraschallüberprüfung unterzogen worden sind. "

    Zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate musste die Deutsche Bahn einen Schaden an einem ihrer Schienenstars feststellen. Einem ICE-T mit Neigetechnik. Bei diesen Hochgeschwindigkeitszügen sorgt eine komplizierte Steuerung und Mechanik dafür, dass sie sich wie Motorräder in die Kurve legen können. Dadurch können sie die Gleisbögen, die dafür allerdings speziell präpariert werden müssen, mit höherer Geschwindigkeit passieren als Züge ohne Neigetechnik.

    Bereits am 9.Juli war ein ICE bei der Ausfahrt aus dem Kölner Hauptbahnhof entgleist. Dank der geringen Geschwindigkeit kam es nicht zur Katastrophe. Zwar steht die amtliche Einschätzung durch die Staatsanwaltschaft noch aus, aber inzwischen verdichten sich die Hinweise auf das Ursachenbündel. Sehr wahrscheinlich war eine Achse, die zwei Räder miteinander verbindet, gebrochen. Ein so genannter Ermüdungsbruch.

    Das könnte einerseits mit Materialfehlern in den innen hohlen Wellen aus Spezialstahl zusammenhängen und andererseits mit den extremen Belastungen, denen Hochgeschwindigkeitszüge ausgesetzt sind. Etwa beim Übergang von einer konventionellen Fahrbahn mit Schotterbett auf eine neue, sogenannte feste Fahrbahn aus Beton, auf der die Schienen befestigt sind. Rollt ein Zug mit hoher Geschwindigkeit über eine Nahtstelle zwischen diesen beiden Fahrbahnen, kommt es zu einer kurzen Erschütterung. Der Fahrgast merkt davon nichts.

    Besonders strapaziert werden die Drehgestelle mit den Rädern und damit auch die Achsen jedoch in Kurven. Aber vor allem, wenn sie über Weichen rollen. Und Weichen gibt es in Deutschland besonders viele, an die 86 Tausend. Denn hierzulande kreuzen sich nahezu ständig Gleise für den ICE mit Strecken des Nah- und Güterverkehrs, passieren Hochgeschwindigkeitszüge die Gleisanlagen von Bahnhöfen.

    In Frankreich, wo es ein weitgehend autarkes TGV-Netz gibt, ist das anders, genauso in Japan. Dort begann 1964 mit dem Shinkansen die Ära der Hochgeschwindigkeitszüge. Und von Anfang an verfolgten die japanischen Bahngesellschaften kompromisslos das Prinzip der Entmischung des sehr schnellen und langsameren Eisenbahnverkehrs. Bis jetzt hat mit dem Shinkansen und verwandten Zügen alles ohne größere Störungen funktioniert. Sieht man einmal von der Einstellung des Bahnbetriebs bei drohender Erdbebengefahr ab. In Japan inspizieren Spezialisten der Bahngesellschaften ihre Gleisanlagen und Signale penibelst; und sie nehmen jeden einzelnen Hochgeschwindigkeitszug genauer unter die Lupe als ihre Kollegen in Europa. So zumindest hat es Prof. Ullrich Martin in Japan beobachtet. Er ist Chef des Instituts für Eisenbahn- und Verkehrswesen an der Universität Stuttgart:

    " Die Systeme werden intensiver geprüft im Vorfeld, ausgelöst, auch wenn vielleicht keine unmittelbare Notwenigkeit besteht. Also die vorausschauende Instandhaltung ist also ein sehr wichtiger Aspekt im japanischen Konzept des Hochgeschwindigkeitsverkehrs. Das ist sicherlich ein Punkt, über den man auch bei der DB AG nachdenken kann. Und möglicherweise wird das auch schon getan. "

    Fest steht: die Deutsche Bahn AG muss umdenken. Bis zur Kölner Entgleisung hat sie mit gerade einmal 20 ausgebildeten Leuten die vorgeschriebenen Ultraschallprüfungen für die 137 Hochgeschwindigkeitszüge der Typen ICE 3 und der Neigezugvariante ICE-T bestritten. Und ein Zug besteht ja aus mehreren Waggons mit vielen Drehgestellen und Achsen, die alle überprüft werden müssen. Nun sollen 115 Fachleute dazu kommen, um die vom Eisenbahnbundesamt verordneten häufigeren Kontrollen bewerkstelligen zu können.

    Diese zusätzlichen Fachleute werden in Schnellkursen, die einige Wochen dauern, für ihre verantwortliche Aufgabe geschult. Ob das eine Lösung ist, muss sich nicht nur der DB-Vorstand fragen lassen. Vor allem die DGB-Gewerkschaft Transnet hat unter ihrem früheren Chef Norbert Hansen, der inzwischen auf die Arbeitgeberseite wechselte und Personalvorstand der Deutschen Bahn wurde, der Bahnführung den Rücken freigehalten für eine Unternehmenspolitik der Kostensenkung. Im Jargon des Managements heißt das: durchschnittliche Produktivitätssteigerung pro Mitarbeiter.

    Mehrere Anfragen per Telefon und Mail an die Transnet-Pressestelle zur Personalentwicklung in den ICE-Wartungswerken blieben unbeantwortet. Oder sie wurden mit der lapidaren Bemerkung eines Transnet-Sprechers beschieden, dieses Feld sei vermintes Gebiet, und dazu dürfe er sich nicht äußern. Der Kollege von der Lokführergewerkschaft blieb ebenfalls stumm.

    Indes lassen die Turbulenzen um den ICE nach Ansicht mancher Branchenkundiger auch einige Fehlentwicklungen der Bahnreform erkennen. Als Vorgänger von Bahnchef Hartmut Mehdorn hatte schon der Stuttgarter Industrielle Heinz Dürr die Parole ausgegeben, Züge müssten wie Autos entwickelt und hergestellt werden. Die Deutsche Bahn AG verabschiedete sich also weitgehend von der engen Zusammenarbeit mit der Bahnindustrie, was Prof. Ullrich Martin kritisiert:

    " Wenn man sich anschaut die Komplexität des Systems Eisenbahn, dann wird man sehr schnell verstehen, dass es sehr sinnvoll ist, bei der Neu- und Weiterentwicklung auch der Fahrzeuge einen engen Kontakt zwischen dem späteren Betreiber, dem Besteller der Fahrzeuge, kontinuierlich aufrecht zu erhalten und dem Hersteller dieser Fahrzeuge. Das war über viele, viele Jahrzehnte eigentlich der normale Weg. Und in der Vergangenheit hat man versucht, diesen Weg zu verlassen und hat sich auf die Bestellung der Systeme beschränkt. Das führte dazu, dass also keine hinreichende Kommunikation zwischen dem Anwender des Systems und den verschiedenen Herstellern vorhanden war, verbunden mit einem Know-how-Verlust auf beiden Seiten, sowohl beim Betreiber als auch beim Hersteller. "

    Auch hier ist Japan ein Gegenbeispiel. Dort sind die großen Bahngesellschaften teilweise eng mit Firmen verbunden, die neue Superzüge entwickeln und herstellen. Und in Staaten mit aufstrebenden Eisenbahnen wie Spanien und Russland wird Wert darauf gelegt, dass sich die Herstellerfirmen von modernen Zügen auch an der Wartung beteiligen. In Deutschland verzichtet die Deutsche Bahn im Tagesbetrieb möglichst auf das Fachwissen aus der Industrie. Vielleicht ein schwerer Fehler, wie sich jetzt angesichts der Risse in ICE-Achsen erweisen könnte. Es stellt sich nämlich die Frage, ob die Probleme früher hätten erkannt werden können.

    Für den Know-how-Verlust, den der Stuttgarter Eisenbahnprofessor Martin beklagt, ist der ICE-T ein gutes Beispiel. Entwickelt wurde die Neigetechnik, die in den Drehgestellen dieses ICE eingebaut ist, schon vor rund 20 Jahren von einem Tochterunternehmen des Fiat-Konzerns. Fiat Ferroviaria baute Schienenfahrzeuge und wurde 2000 vom französischen Konzern Alstom übernommen. Alstoms eisenbahntechnisches Spitzenprodukt ist der französische TGV, die Neigetechnik spielt allenfalls eine Nebenrolle. Nicht wenige bahntechnisch erfahrene Fiat-Ingenieure schieden aus.

    Das Ergebnis dieser Amputation bekommen Stammkunden der Bahn wie Josef Lenz zu spüren. Der Architekturprofessor aus Stuttgart lehrt in Konstanz und pendelt normalerweise einmal die Woche zwischen beiden Städten. Dabei nimmt er für den größten Teil der Strecke den ICE-T. Durchaus nicht alle Fahrgäste finden es gut, dass der Zug wie ein Rennwagen durch die Kurve flitzen muss, um den Fahrplan einzuhalten:

    " Also ich persönlich bin nicht so empfindlich wie manche der Mitfahrer. Oder wenn meine Frau immer mitgefahren ist, die spürte diese Neigung, so dass sie eben dann ein unangenehmes Gefühl hatte. Wenn die Neigetechnik funktionieren würde, dann würde man es vielleicht stärker spüren. Aber dadurch, dass sie ja meistens nicht so funktioniert, fährt der Zug ja auch nicht schneller als die anderen Züge das tun. "

    Tatsächlich funktioniert die Neigetechnik auf der Strecke Stuttgart - Zürich, auf der auch Josef Lenz unterwegs ist, oft nicht. Und die Schweizerischen Bundesbahnen beschwerten sich bei der DB AG, weil Anschlüsse in Zürich nicht mehr zu erreichen waren. Das Problem verschärft sich dadurch, dass die Umläufe auch des ICE-T so knapp kalkuliert sind, dass tagelang keine Zeit bleibt, eine defekte Neigetechnik instand zu setzen. Solche Klagen fechten den Vorstand der DB AG offenbar nicht an. Dabei häufen sich derzeit wieder einmal die Pannen. So müssen nun auch die Achsen neuer Züge der Berliner S-Bahn in kürzeren Intervallen gründlich untersucht werden. Oder ein Beispiel aus Bayern. Dort hatte die DB AG bereits im Sommer für den 14. Dezember den Start neuer Züge in der Gegend um Augsburg angekündigt. "Fugger-Express" heißt das Projekt. Jetzt stellt sich heraus, dass die von Alstom entwickelten Züge vorerst nicht in Betrieb gehen dürfen. Und die Deutsche Bahn AG muss wieder einmal anderswo Lokomotiven abziehen, um in Bayerisch Schwaben ein Ersatzangebot auf die Schiene zu stellen.

    Ob nun die Verantwortung bei Alstom liegt oder woanders, die Deutsche Bahn wusste scheinbar nicht um die Probleme, die da auf sie zukommen. Die Kommunikation zwischen dem Staatskonzern und seinen Lieferanten ist gestört. Für die Sicherheit und den Qualitätsstandard deutscher Vorzeige-Züge ist das keine gute Voraussetzung.

    Das sieht auch Ullrich Martin von der Universität Stuttgart so. Er fürchtet aber außerdem um die Rolle, die das klassische Eisenbahnland Deutschland künftig mit seiner Eisenbahnindustrie spielen kann. Vor allem, wenn es um Aufträge im Ausland geht. In Libyen muss sich sein Institut mit der Entwicklung eines Ausbildungskonzepts für Eisenbahner bescheiden, während das große Geschäft der Planung und Realisierung andere machen:

    " Die Eisenbahn boomt nicht nur in Europa, die boomt in der ganzen Welt zurzeit. Und wir müssen bedauerlicherweise feststellen, dass die klassischen Eisenbahnländer, wo das Know-how zuhause war, muss man heute schon sagen, sind schlicht und einfach in vielen Stellen, wo an anderen Stellen in der Welt die Eisenbahn entwickelt wird, nicht mehr dabei. Schauen wir zum Beispiel nah Libyen. Libyen besitzt momentan noch keine Eisenbahn, ist aber entschlossen, ein solches Transportsystem zu etablieren. Und die Eisenbahn in Libyen wird momentan von Chinesen und Russen gebaut. "

    Wie aber soll man Ländern auf dem Sprung ins Eisenbahnzeitalter die komplizierte Neigetechnik nahebringen, wenn sie zum einen schon hierzulande nicht genügend betriebssicher ist und zum andern ihr Einsatz doch sehr begrenzt bleibt:

    " Wenn man mal in den Norden Deutschlands gehen, wo wir lange gerade Strecken haben, dort wäre das geradezu sträflich, wenn man dort Neigetechnik einsetzt, weil sie bringt keinen zeitlichen Vorteil, sie hat einen erhöhten technischen Aufwand, erhöhten Wartungsaufwand - und die Entwicklung muss ja auch bezahlt werden. Und wenn ich das nicht in einen Fahrzeitgewinn umsetzen kann, dann lohnt dieser Einsatz nicht. Auf der anderen Seite gibt es Strecken, zum Beispiel die Saalebahn, wo sich das Gleis unmittelbar an dem Felsen entlang schlängelt, hier kann das einen sehr großen Vorteil bringen, nicht nur deshalb, weil die Reisenden dann schneller da sind, sondern wenn die Züge schneller fahren, dann schaffen sie auch schneller einen Umlauf, bis sie wieder zum Ausgangsbahnhof zurückkehren. Ich brauch dann, um diesen Verkehr zu realisieren, eine geringere Anzahl von Zügen und eine geringere Anzahl von Personal. "

    Das wiederum senkt die Kosten, erhöht möglicherweise den Gewinn und dürfte potentielle Investoren freuen. Wenn er denn dann ansteht der geplante Börsengang. In ein paar Jahren.