Fiedler: Fordern und Fördern ist nach wie vor richtig
Jobst Fiedler war als Mitglied der Hartz-Kommission an der Ausarbeitung der Arbeitsmarktreform beteiligt. Der emeritierte Professor der Hertie School of Governance Berlin blickt auf eine langjährige Karriere in Politik, Verwaltung, Privatwirtschaft und Hochschule zurück.
"Das Konzept Fördern und Fordern oder Fordern und Fördern ist nach wie vor richtig. Selbsthilfe und Unterstützung durch Vermittler - das muss Hand in Hand gehen. Und irgendwo ist ein gesellschaftlicher Punkt dahinter: Diese insgesamt vielen Milliarden, die ausgegeben werden dafür, dass jeder in eine Grundsicherung kommt, die verlangen als Gegengewicht gegenüber der Solidargemeinschaft, dass auch eigene Anstrengungen unternommen werden. Jetzt sind aus meiner Sicht im Moment die Voraussetzungen dafür, dass das ein Zwischenzustand bleibt und dass man heraus sich entwickeln kann, besser denn je. Es kommen sechs- bis siebenhunderttausend Arbeitsplätze, also Beschäftigte jedes Jahr hinzu - schon seit 2014. Es sind 1,2 Millionen Stellen unbesetzt. Es scheitert also nicht am Arbeitsmarkt an sich. Und nur weil er gut ist, deswegen dieses Grundprinzip aufzugeben, halte ich nicht für richtig."
Betzelt: Wir müssen weg von einer Misstrauens- und Kontrollbeziehung
Sigrid Betzelt ist Professorin für Sozialwissenschaften an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Ingo Bode kritisiert sie in einer aktuellen Publikation der Friedrich-Ebert-Stiftung ("Angst im Sozialstaat. Hintergründe und Konsequenzen"), dass Hartz IV Ängste mobilisiert hat, die die Gesellschaft destabilisieren.
"Ich bin keineswegs für eine einfache Abschaffung von Hartz IV. Denn das ist das letzte Sicherungssystem gegen Armut und Arbeitslosigkeit, was wir haben. Und wenn man das abschaffen würde, gäbe es gar nichts. Aber ich bin schon für wichtige Reformen, die ich für notwendig halte. (…) Generell denke ich, dass die Orientierung gegenüber hilfesuchenden Bürgern und Bürgerinnen sich verändern müsste, weg von einer Misstrauens- und Kontrollbeziehung, die wir haben durch dieses strikte, strenge Sanktionsregime, wo unter das Existenzminimum sanktioniert wird, hin zu einem würdevollen und autonomieschonenden Umgang mit Bürgerinnen und Bürgern, die auch mit Rechten ausgestattet sind."