Wer den Gurdwara der Sikhs im Kölner Stadtteil Buchforst betritt, einen Tempel, der steht einem prächtig dekorierten Altar gegenüber - wie ein kleiner Palast inmitten des Gebetsraums.
Daneben liegen etwa ein Dutzend Trommeln, die die Sikhs Dhadd nennen – im Rhythmus dieser Trommeln werden bei den Gottesdiensten lyrische Verse rezitiert. Heute aber bleiben sie stumm – nur wenige Gemeindemitglieder sitzen entlang der Wände und beten, die Gesänge kommen aus einem Lautsprecher.
"Es gibt nur einen Guru"
Früher war der Tempel eine Brotfabrik - geblieben sind davon nur die weiß gekachelten Innenwände, an denen heute Schilder mit religiösen Versen zu lesen sind. Sie wurden von den zehn Gurus der Sikh-Religion verfasst. Diese Gurus haben die monotheistische Religion vor rund 500 Jahren in Indien begründet.
Reihe "Wir sind die Sonstigen – kleine Religionen in Deutschland"
In Deutschland leben Christinnen und Christen, Konfessionslose und Religionsfreie, Muslime und Jüdinnen, Buddhistinnen und Hindus. Und "Sonstige". So werden kleinere Religionsgemeinschaften in Statistiken oft bezeichnet. Doch wer verbirgt sich dahinter? Wir haben Drusen und Jainas getroffen, ein daoistisches Zentrum und einen Sikh-Tempel besucht, mit Mandäern, Jesidinnen und Bahá’i gesprochen – und nach langer Suche sogar jemanden gefunden, der sein Leben am Shintoismus ausrichtet.
In Deutschland leben Christinnen und Christen, Konfessionslose und Religionsfreie, Muslime und Jüdinnen, Buddhistinnen und Hindus. Und "Sonstige". So werden kleinere Religionsgemeinschaften in Statistiken oft bezeichnet. Doch wer verbirgt sich dahinter? Wir haben Drusen und Jainas getroffen, ein daoistisches Zentrum und einen Sikh-Tempel besucht, mit Mandäern, Jesidinnen und Bahá’i gesprochen – und nach langer Suche sogar jemanden gefunden, der sein Leben am Shintoismus ausrichtet.
"Im Grunde genommen gibt es nicht zehn Gurus, es gibt nur einen Guru. Die Methode und die Lehre ist die einzige, es haben sich lediglich die physischen Formen geändert", erklärt Damandeep Singh. Der 28-jährige Wirtschaftsingenieur ist Mitbegründer des Sikh-Verbands Deutschland.
"Der Guru war stets der Eine. Und das ist von Guru Nanak gewesen bis zum zehnten Meister Guru Gobind Singh. Die werden alle mit der Anrede Guru bezeichnet, weil sie die gleiche Vision mit sich getragen haben. Das gleiche Licht wurde übertragen und weitergegeben, in zehn körperlichen Formen. Und in dieser Zeitspanne von 239 Jahren wurden diese relevanten Lehren, die relevant für die spirituelle Welt sind, zusammengestellt."
Diese Lehren finden sich in der heiligen Schrift der Sikhs. Sie heißt Guru Granth Sahib und ist in einer eigens dafür geschaffenen Schrift* verfasst, Gurmukhi.
"Also, das wird im Kindesalter schon beigebracht. Klar, man kann es jetzt heute ein bisschen weniger als die deutsche Sprache, was man täglich in der Schule lernt, aber es ist schon als Priorität gesehen in den Familien, dass die Kinder die Gurmukhi lernen, auch allein, um die Gebete jeden Tag zu rezitieren. Also, ich habe es auch früher in der Gemeinde gelernt, und ich finde es auch wichtig, dass meine Kinder es lernen", erzählt Gurmit Kaur. Die 36-jährige Kauffrau für Bürokommunikation ist Damandeep Singhs Schwester, hat aber nicht erst seit ihrer Heirat einen anderen Nachnamen. Denn bei den Sikhs tragen alle Männer den Nachnamen Singh, was Löwe bedeutet, und alle Frauen den Namen Kaur, Prinzessin. Eine Abgrenzung vom in Indien vorherrschenden Kastensystem, in dem die Kastenzugehörigkeit – und damit der soziale Status – am Namen ablesbar sind. Durch die Namen Singh und Kaur unterstreichen die Sikhs ihren Grundsatz der Gleichheit aller Menschen.
Sikhs als Suchende
Auch an anderen Aspekten merkt man der Sikh-Religion an, dass sie im Kontext des Hinduismus entstanden ist. So ist es Ziel der Sikhs, den Kreislauf der Wiedergeburten zu verlassen – was auch andere indische Religionen anstreben. Sikhs suchen nach Erleuchtung, damit ihre Seelen eins werden können mit Gott.
"Das Wesentliche in der Sikhi, da geht es um geistige Entwicklung, spirituelle Aufklärung", sagt Damandeep Singh. "Und die Akzeptanz in sich als Suchender - Sikh bedeutet ja per Definition lebenslang erkenntnisorientierter spiritueller Schüler oder Sucher."
Wer aufhöre, sich im Studium der Schriften weiterzuentwickeln, höre auch auf, ein Sikh zu sein, so Damandeep Singh. Von größter Bedeutung sei daher: "Dass man realisiert, dass man hier ist, um sich weiterzuentwickeln. Um die Kernessenz, die essenzielle Form, die wir tatsächlich sind, dass wir nicht dieser Körper sind, dass wir uns nicht mit diesem Körper identifizieren sollen, sondern mit der essenziellen Substanz, die in diesem Körper hausiert, die religionslos, kastenlos, geschlechtslos ist, und zu erkennen, wer wir in unserer wahren Form sind."
Turban, Armreif, Dolch
Auch gute Taten zur Verbesserung des Karmas sind von großer Wichtigkeit: Sei es durch kostenlose Speisungen im Gurdwara oder durch den bewaffneten Dienst an der Gemeinschaft. Denn mit der Taufe und dem Eintritt in die Khalsa-Gemeinschaft übernehmen Sikhs auch die Pflicht, Schwächere notfalls mit Gewalt zu beschützen. Viele Sikhs verdeutlichen dies durch einen kleinen Dolch, den sie immer bei sich tragen. Und der ist nicht das einzige äußerliche Merkmal, das für Fragen sorgt, sagt Gurmit Kaur:
"Zum Beispiel hier das Armband, was auffällt, die Kopfbedeckung. Und dann wird auch oft gefragt: Ach, Frauen tragen auch einen Turban? Oder auch bei den Kindern im Kindergarten: Warum trägst Du so ein Eisenarmband, was heißt das?"
Der Armreif steht für die unendliche Verbindung mit Gott. Der kunstvoll gebundene Turban bedeckt das lange Haar der Sikhs – bei den meisten Männern und auch bei einigen Frauen. Die Männer fallen überdies durch ihre Bärte auf.
Damandeep Singh: "Wenn man den Willen Gottes akzeptiert, akzeptiert man den Körper auch als Teil der Natur. Die Haare werden nicht geschnitten, aber sie werden gekämmt zweimal am Tag, sodass das abgestorbene Haar, das sich von der Haarwurzel getrennt hat, entfernt wird."
Fachkräfte und Flüchtlinge
Weltweit gibt es etwa 25 Millionen Sikhs – die meisten von ihnen leben in der nordindischen Provinz Punjab. In Deutschland sind es knapp 25.000 – genug, um in fast jeder größeren Stadt einen oder mehrere Gurdwaras zu unterhalten.
"Jeder Sikh der Einwanderergeneration hat eine eigene Geschichte. Unser Vater zum Beispiel, der kam '76 hierher, aber jetzt nicht politisch verfolgt, sondern einfach aus wirtschaftlichen Gründen. Er hatte in Indien studiert und ist hierhergekommen, um hier eine Existenz zu gründen", sagt Damandeep Singh.
Ähnlich wie er kommen auch seit den 2000er-Jahren viele gut ausgebildete Sikhs nach Deutschland – vor allem Ingenieure und IT-Experten.
Damandeep Singh: "Andererseits gab es viele, die nach 1984 als Sikhs als Minderheit in Indien verfolgt wurden. Da kam eine sehr große Welle danach auch hierher, die dort geflüchtet sind."
Im Jahr 1984 erlebte Indien eine Gewaltspirale: Erst wurde das höchste Heiligtum der Sikhs, der goldene Tempel von Amritsar, von indischen Truppen blutig erstürmt, nachdem militante Sikh-Separatisten dort einen unabhängigen Staat ausgerufen hatten. Als Reaktion darauf erschossen zwei Sikh-Leibwächter die indische Ministerpräsidentin Indira Gandhi. Dies führte wiederum zu Massakern, bei denen Tausende zu Tode kamen.
Anschlag auf Gurdwara in Essen
Aber ob als Flüchtling oder Fachkraft – Sikhs machen auch in Deutschland Erfahrungen mit Ausgrenzung, sagt Damandeep Singh:
"Also das Problem ist ganz klar sehr präsent, dass man bei der Jobsuche manchmal gar nicht erst angenommen wird ohne jeglichen Grund, obwohl man qualifiziert ist für die Stelle. Oder junge Sikhi-Jungen haben auch sehr oft Probleme in der Schule. Also es gibt da eine breite Spanne an Beispielen, von den Extremfällen, wo Sikh-Jungen bespuckt wurden, mit einer Schere gedroht wurde, deren Haar zu schneiden, den Turban zu entfernen oder wo es auch wirklich vulgär wird oder sie körperlich bedroht werden."
2016 wurde ein Gurdwara in Essen zum Ziel eines islamistischen Sprengstoffanschlags, drei Menschen wurden teils schwer verletzt. Damandeep Singh will sich davon nicht einschüchtern lassen, Gurmit Kaur aber ist verunsichert:
"Es kann immer irgendwo was passieren. Aber man muss halt weiter. Es geht weiter. Wenn es kommt, dann geht’s hoffentlich noch gut vorbei. Klar, wenn man mal in der Gemeinde ist, dann denkt man: O Gott, nicht dass hier jetzt jemand bewaffnet reinkommt oder so, ne, aber man ist nirgendwo sicher."
Diskriminierung in Deutschland
Und um der Diskriminierung in Schule und Arbeitsleben etwas entgegenzusetzen, hat Damandeep Singh im Jahr 2013 den Sikh-Verband Deutschland mitbegründet. Mit Informationsmaterial und YouTube-Videos wollen sie über ihren Glauben aufklären, um Vorurteile abzubauen. Gurmit Kaur wünscht sich: "Dass man da ein bisschen schon im Kindesalter aufklärt, damit die Sikh-Kinder ihre Kultur halt auch weiter ausleben können. Wenn man gemobbt wird, das bringt einen psychisch bis zum geht nicht mehr runter, es ist sehr, sehr schwer für Kinder."
Zudem setzt sich der Sikh-Verband dafür ein, dass junge Sikhs die traditionelle Rolle als Beschützer der Schwachen eines Tages auch in Deutschland ausfüllen können. Damandeep Singh: "Wir sehen einen Trend jetzt bei der dritten Generation der Sikhs in Deutschland, dass viele Sikh-Jungen, junge Männer sehr motiviert sind, bei der Bundeswehr oder bei der Polizei zu arbeiten."
Bislang ist das aufgrund der Uniformvorschriften allerdings nicht möglich. Das Problem: der Turban. Staaten wie Großbritannien und Kanada haben hierfür bereits Lösungen gefunden, denn die Sikhs sind durchaus bereit, den Turban in Form und Farbe der Uniform anzupassen - aber ihn abzulegen und gegen eine deutsche Polizeimütze einzutauschen, das kommt für die meisten Sikhs nicht in Frage.
*Hier hieß es ursprünglich, Gurmukhi wäre eine Sprache. Es ist aber eine Schrift, worauf uns eine Nutzerin und Wissenschaftlerin hinwies.