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Silikon-Implantate
Mit Spinnenseide zu mehr Verträglichkeit

Spinnenseide hat hervorragende Wundheilungseigenschaften und wirkt entzündungshemmend. Das macht die dünnen Fäden auch für medizinische Anwendungen interessant - zum Beispiel für Brustkrebspatientinnen, die ein Silikonimplantat erhalten.

    Tautropfen hängen an einem Spinnennetz
    Ganz besondere Fäden: Spinnenseide. (picture alliance / dpa - Ralf Hirschberger)
    "Die hat jetzt hier gerade einen Mehlwurm gekriegt, und der wird jetzt gerade hier schnabuliert.Diese Gattung heißt Nephila edulis, die essbare Radnetzspinne, die kommt aus Australien und macht so leicht goldene Netze. Hier sieht man's auch, die schimmern ganz toll und man kann hier auch mit dem Finger ... jetzt stören wir sie beim Essen."
    Thomas Scheibel zieht den Zeigefinger zurück. Die Spinne ist mit ihrer Mahlzeit an den Rand ihres Netzes gekrabbelt. Sie ist an Besucher gewöhnt - denn ihr Zuhause ist ein kleines Holzhaus im Foyer des Instituts für Biomaterialien an der Universität Bayreuth. Darin können Besucher zwischen ein paar Grünpflanzen sehen, womit die Wissenschaftler in den Laboren arbeiten.
    Thomas Scheibel und sein Team haben herausgefunden, wie sie Spidroine, die Proteine, aus denen der Seidenfaden der Spinnen besteht, künstlich herstellen können. Diese Proteine wollen sie jetzt für biotechnologische Anwendungen nutzen.
    "Wir versuchen bei den Anwendungen, die Eigenschaften, die wir in der Natur kennen, wieder sinnvoll einzusetzen. Die Mechanik auf der einen Seite und auf der anderen Seite die gute Verträglichkeit mit dem Körper und die Wundheilungseigenschaften."
    Bakterien finden keinen Halt auf Spinnenseide
    Einige Beispiele für solche Anwendungen liegen neben dem Holzhaus in hüfthohen Glasvitrinen. Ein Seil aus Spinnenseide, Staubsaugerbeutel mit Spinnenseiden-Filter oder Hautcremes, die Spidroine enthalten.
    Spinnenseide ist nicht nur extrem belastbar und flexibel, sondern auch besonders glatt. So glatt, dass sie entzündungshemmend wirken kann, weil Bakterien auf einer Oberfläche aus Spidroinen keinen Halt finden. Auch andere Zellen rutschen ab, wenn die Forscher nicht nachhelfen.
    "Das heißt, wir können mittlerweile mit Strukturen, die wir auf die Oberfläche aufbringen oder die wir mit der Seide generieren, steuern, welche Zellen auf eine Seidenoberfläche gehen und welche davon fernbleiben."
    Das macht Spinnenseide auch für medizinische Anwendungen interessant. Zum Beispiel für Brustkrebspatientinnen, die nach einer Brustentfernung ein Silikonimplantat erhalten. Um ein solches Implantat bildet ein gesunder Körper eine Schicht aus Bindegewebe, weil das Silikon als körperfremd erkannt wird. Doch bei Brustkrebspatientinnen, die außerdem Chemotherapie erhalten haben, reagiert das Immunsystem zu stark. Bei jeder vierten Patientin wird die Schicht immer dicker, verhärtet und entzündet sich. Um eine solche Kapselfibrose zu verhindern, könnten die Silikonkissen mit Spinnenseide beschichtet werden, die so glatt ist, dass die Kapselbildung reduziert wird.
    "Wenn wir keine Hautzellen, keine Wundgewebszellen auf die Oberfläche bringen, dann wird da auch weniger Bindegewebe gebildet, die Fibrose geht nach unten."
    Die Forscher transplantierten spidroin-beschichtete Silikonkissen unter die Haut von Ratten. Dann untersuchten sie ein Jahr lang, ob die Beschichtung Einfluss auf die Bildung der Bindegewebskapseln hatte. Der Effekt war gut messbar.
    "Die ersten Ergebnisse waren sehr vielversprechend. Wir haben Fibrose, aber die ist stark reduziert, bis um das fünfzehnfache zu den Vergleichstieren."
    Tests an menschlichen Probanden stehen bevor
    Auch die Entzündungssignale im Blut der Tiere waren deutlich niedriger, die Spinnenseide für den Körper also gut verträglich. Als nächstes sollen die beschichteten Implantate an menschlichen Probanden getestet werden. Für Thomas Scheibel und sein Team Erfolg und Ansporn zugleich. Sie werden weiter daran arbeiten, die Einfälle der Natur für neue Anwendungen nutzbar zu machen und mit entsprechenden synthetischen Materialien vielleicht sogar zu übertreffen.
    "Das spannende ist natürlich, dass Naturmaterialien immer auf verschiedene Funktionen gleichzeitig optimiert wurden. Im Umkehrschluss heißt das aber wieder, jede der Einzelfunktionen ist nicht bis zum Schluss ausgereizt. Was wir jetzt bei Anwendungen machen können, ist, uns auf einzelne Eigenschaften besonders zu konzentrieren. Und wir können jetzt in diesen Einzeleigenschaften die Naturmaterialien noch bei weitem übertreffen und damit neue Anwendungen schaffen."