Archiv

"Silk Road" in Köln
Perversionen und Absurditäten des Darknets

Das Darknet: Schon der Name klingt nach Verschwörung und kriminellen Machenschaften. In diesem weiten mathematischen Raum im Internet, der von normalen Suchmaschinen nicht beleuchtet wird, tauschen Kriminelle, Aktivisten oder Journalisten ihre Daten aus. Die Regisseurin Angela Richter hat dieses abstrakte Phänomen nun ins Scheinwerferlicht der Theaterbühne gezogen.

Von Christoph Ohrem |
    Die Theater-Regisseurin Angela Richter.
    Theaterregisseurin Angela Richter wagt sich in die illegalen Untiefen des Darknet. (imago / Horst Galuschka)
    Dunkle Bühne. Langsam glimmen rote Glühlampen auf – als Ketten von der Decke hängend. Bis die ganze Bühne zwielichtig rot schimmert.
    Der Whistleblower Edward Snowden mahnt: Wir seien im Internet einer Überwachungsdiktatur unterworfen. Im sogenannten Deep Web beziehungsweise Darknet allerdings könnten wir nicht überwacht werden. Darknet? Deep Web? Was ist das eigentlich? Ohne Erklärbär funktioniert so ein Theaterabend nicht.
    Wobei die beiden Erklärbären bei "Silk Road" Hunde sind, Schnüffler des FBI.
    "Wir müssen uns, wir sind so spezialisiert, wir müssen uns ein bisschen auf Ihr Niveau herunterschrauben, damit Sie uns folgen.
    Stellen Sie sich mal so einen Russen vor, der nach dem Trinken das Glas an die Decke schmeißt. Klirr! Clearnet. Oben.
    Deep Web. Unten. Tief und dunkel.
    Uwe sehr gut. Sehr, sehr gut beschrieben."
    Diese und weitere clowneske Erklärungen zu Beginn reichen aus, um den Theaterabend zu verstehen. Einfach ist das alles nämlich nicht.
    Clear Web vs. Deep Web
    Das sogenannte Clear Web bildet – wie bei einem Eisberg – den sichtbaren Teil des Internets. Das Deep Web hingegen liegt unter der Oberfläche. Wie bei einem Eisberg der weitaus größte Teil. Für herkömmliche Suchmaschinen sind diese Daten unauffindbar.
    Ein Teil des Deep Web ist das Darknet. Um hierhin zu gelangen, braucht man einen speziellen Browser – den so genannten Tor-Browser. Dieser verschlüsselt private Daten, Nachrichten und Aktionen beim Surfen – man ist anonym. Die frei erhältliche Software kann jeder gratis auf seinem Computer installieren. Jeder. Das nutzen auch Kriminelle, was die Berichterstattung darüber bestimmt.
    Angela Richter: "Wenn wir vom Darknet als dem kriminellen Raum sprechen, der er auch ist, dann ist das nur ein ganz winzig kleiner Anteil."
    "Silk Road"-Regisseurin Angela Richter. Dunkle Baseballjacke, roter Lippenstift, Hornbrille.
    Richter: "Der größte Darknet-Anteil ist etwas, das nicht sichtbar ist. Das heißt Aktivisten, die sich da verabreden, um etwas auszutauschen. Vielleicht Flüchtlinge, die sich ihren Weg aus dem Land bahnen. Oder auch Journalisten und ihre Quellen. Ein Teil davon ist auch das ganze Material, was Geheimdienste sich hin und herschieben. Also es ist ein riesiger, riesiger mathematischer Raum, der erst einmal gar nichts ist, außer, dass er sozusagen frei ist."
    Das passt thematisch sehr gut ins Programm der Regisseurin und Netzaktivistin Angela Richter. Aber: ein abstraktes und für den Laien schwer nachvollziehbares System auf der Bühne darzustellen, führt in ein Dilemma.
    Richter: "Die Fundstücke, die wir gefunden haben, sind eben die, die gefunden werden wollen. Und das sind natürlich die Verbrecher."
    Greifbare Geschichten auf der Bühne
    Gleichzeitig sind diese Geschichten aus dem Darknet auch die greifbarsten.
    Richter: "Davon haben wir jetzt ein paar Beispiele herausgenommen, die man auch ganz gut theatral verwursten kann, sage ich jetzt mal. Was viel schwieriger ist, ist dieser ideelle Raum. Den zu benennen oder den bildhaft zu zeigen, ist so gut wie unmöglich."
    Angela Richter im Spagat. Auf der einen Seite lässt sie etwa den Schauspieler Yuri Englert live im Darknet surfen:
    "Wir gehen in das Hidden Wiki. Das geben wir ein. Das Hidden Wiki ist sozusagen ein Fahrplan, ein Telefonbuch für das Internet beziehungsweise das Deep Web."
    Die Bildschirmoberfläche erscheint auf der riesigen Leinwand im Bühnenhintergrund.
    Drogenhandel im Darknet
    "Hier, sehen Sie jetzt, sind wir auf der Drogenwebseite. Wir haben Opium. Hier wird noch angegeben, was wahres Opium ist, und wie man es am besten raucht, um den besten Rausch zu bekommen."
    "Silk Road" – Titelgeber des Abends – war die Plattform, die diese Form des Drogenhandels im Darknet weltweit bekannt gemacht hat. Neben den – Moral außen vorgelassen – Verlockungen lässt Angela Richter auf der anderen Seite im Sprechchor Texte von Netzaktivisten rezitieren, um den ideellen Raum anzudeuten.
    "Das Internet ist eine Bedrohung für die menschliche Zivilisation. Diese Verwandlung hat sich still und heimlich vollzogen. Die moderne Zivilisation ist binnen weniger Jahre in einen postmodernen Überwachungs-Albtraum geschlittert, aus dem es für niemanden, außer den Gewieftesten, ein Entrinnen gibt."
    Angela Richter schafft in "Silk Road" zum Teil sehr starke Bilder der Perversionen und Absurditäten des Darknets. Und weist in appellativischen Passagen auf dessen emanzipatorische Möglichkeiten hin. In guten Momenten erschöpft sich das Stück nicht in Aufklärungsarbeit, sondern schafft gelungene Theatermomente – und macht Lust auf mehr.
    Richter: "Ich hoffe schon, dass die Leute, die drin waren, zumindest einmal probieren, es zu benutzen. Ich nutze das ganz banal. Und manchmal habe ich dann doch Lust darin rumzustöbern. Also in den kriminellen Seiten. Ich gebe es zu."