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Silke Burmester
"Journalismus ist nicht objektiv"

Unsere Kolumnistin Silke Burmester blickt heute anders auf die Welt als vor 20 oder 30 Jahren. Persönliches Befinden schlägt sich auch bei Journalisten auf ihre Arbeit nieder. Es gilt: "Sich zu vergegenwärtigen, wer spricht und vor welchem Hintergrund er oder sie das tut, hilft, zu verstehen."

Von Silke Burmester |
    Porträt von Silke Burmester
    @mediasres-Kolumnistin Silke Burmester (imago / Sven Simon)
    Hallo liebe Hörerinnen und Hörer dieser kleinen Kolumne,
    wir alle diskutieren ja gerade stark darüber, welche Formen von Kritik angebracht sind, und wo die Grenzen des Anstands verletzt werden, Stichwort Hatespeech.
    Neulich zum Beispiel warf mir jemand vor, ich schreibe, was ich schreibe, doch nur, weil ich in der Menopause sei. Da könnte man jetzt einwenden, das sei erstens niveaulos und zweitens sexistisch.
    "Gucken, in welcher Lebenssituation sich ein Mensch befindet"
    Aber wissen Sie was, liebe Hörerinnen und Hörer? Ich kann den Einwand gut nachvollziehen. Wenn er auch nicht nett ist - aber das ist eine andere Sache. Ich finde es vollkommen berechtigt, darauf zu gucken, in welcher Lebenssituation sich ein Mensch befindet. Ich finde das richtig, wenn ich das Denken, Handeln und die Motivation einer Person erklären und verstehen will. Diese Herangehensweise gilt auch für Journalisten. Und ihre Berichterstattung.
    Nehmen Sie mich. Ich bin 52 Jahre alt. Die Wechseljahre sind noch nicht so richtig da, aber natürlich betrachte ich die Welt in diesem Alter anders als vor 20 oder 30 Jahren. Mein Körper hat zu schrumpeln begonnen. Es ist klar, das wird nicht mehr besser. Mein Denken beginnt um das absehbare Ende der eigenen Existenz zu kreisen, nicht mehr um ihr Erwachen.
    Stellen Sie sich vor, ich bekäme den Auftrag, über die Digitalisierung der Arbeitswelt zu berichten. Es ist doch völlig klar, dass meine Perspektive auf das Thema, also die einer Person, die vom Wandel nicht so betroffen sein wird, eine andere ist, als die von jemandem, der noch 40 Jahre Berufsleben vor sich hat.
    Schriebe ein 30-jähriger Kollege oder eine Kollegin diesen Text, wäre er oder sie automatisch näher an den Fragen, die dem Thema immanent sind. Denn die Fragen nach den Folgen des Wandels, nach denen, ob die Menschen, die heute einen Beruf erlernt haben, morgen noch davon leben können, oder ob sie von Sozialleistungen abhängig sein werden – diese Fragen sind seine. Mir geht das doch am Mors vorbei. Andererseits bin ich unter Umständen viel geeigneter, über das Aussortiertwerden von Frauen ab 50 zu schreiben, als eine 30-Jährige.
    "Wenn ein Bayer Kreuze fordert, wundert mich das kaum"
    Sie sehen: Journalismus ist nicht objektiv. Objektivität ist eine große Mär. Allerdings gehört es zu unserem Berufsprofil, dass wir einen möglichst hohen Grad an Objektivität herzustellen versuchen. Dass wir Sachverhalte von uns abkoppeln und neutral zu betrachten versuchen. Und dennoch: Unser Denken ist bestimmt von unserer Situation, unserer Biografie und Sozialisation. Sie formen unsere Perspektive, unsere Wahrnehmung und unsere Einordnung. Und da können Überlegungen, ob jemand in den Wechseljahren ist, als Hardrock-Fan mit Glatzenbildung zu tun hat oder im Elfenbeinturm sozialisiert ist, absolut hilfreich sein.
    Der Vorwurf des Sexismus ist schnell formuliert. Genauso wie der des Rassismus, wenn man die Herkunft benennt. Aber natürlich verstehe ich die artikulierte Akzeptanz von Kreuzen an Behördenwänden viel besser, wenn ich weiß, dass ein Bayer spricht. Wenn ein Bayer Kreuze fordert, wundert mich das kaum. Erführe ich, dass es ein Friese ist, hätte ich keine Erklärung parat.
    "Ich bin entschlossen, eine renitente Alte zu werden"
    Sie sehen, liebe Hörerinnen und Hörer, sich zu vergegenwärtigen, wer spricht und vor welchem Hintergrund er oder sie das tut, hilft, zu verstehen. Ich werde mir diese Herangehensweise nicht nehmen lassen. Von niemandem. Auch nicht von denen, die sich angesprochen fühlen.
    Wenn Sie nun annehmen, ich sei so krawallig, weil die Wechseljahre ihre Arme nach mir ausstrecken, so kann ich Ihnen sagen, so war ich schon immer. Entsprechend greift auch die Annahme nicht, das würde sich bald legen. Im Gegenteil. Ich bin entschlossen, eine renitente Alte zu werden.
    Das muss Sie aber nicht ärgern. Sie können einfach das Radio abschalten. Es gilt das alte Sprichwort: Jeder ist seines Glückes Schmied.