Vor vierzig Jahren war Silke Maier-Witt eine der am meisten gesuchten Personen Deutschlands. Die RAF-Terroristin spionierte vor der Entführung von Hanns-Martin Schleyer die Fahrstrecke des damaligen Arbeitgeberpräsidenten aus, auch wirkte sie bei der Vorbereitung von Banküberfällen mit. Und sie war es auch, die am 19. Oktober 1977 per Telefon der französischen Zeitung "Libération" mitteilte, dass die Terroristen - so wörtlich - "die klägliche und korrupte Existenz" von Hanns-Martin Schleyer "beendet" hätten.
Die Stasi besorgte den Unterschlupf in der DDR
Doch trotz der größten Fahndung in der Geschichte der Bundesrepublik konnten sie und ein Großteil der zweiten Generation der RAF damals nicht gefasst werden. Sie waren abgetaucht. Heute weiß man, dass sie Unterschlupf in der DDR fanden. Die Staatssicherheit hatte es eingefädelt - und über viele Umwege ging es letztlich im Sommer 1980 nach Prag, bevor die Einreise in die DDR möglich wurde:
"Für mich war es immer so: Die Außenpolitik der DDR ist okay - anti-imperialistisch. Aber die DDR selber war jetzt nicht so attraktiv."
Das alte, gewalttätige Leben verdrängt
Silke Maier-Witt ist heute 67 - und sie gehört zu den wenigen RAF-Mitgliedern, die sich öffentlich äußern. Die Staatssicherheit ermöglichte zehn West-Terroristen ein neues Leben - sie schuf akribisch genau neue Legenden für ein Dasein im real existierenden Sozialismus. Aus Silke Maier-Witt wurde Angelika Gerlach und später - nachdem ihre Tarnung aufzufliegen drohte - Sylvia Beyer. Und so unwirklich es klingt, sie habe damals ihre neue Identität angenommen, sagt sie heute. Das alte, gewalttätige Leben verdrängt:
"Ich war in einer Laufgruppe, ich bin damals jeden Tag in Neubrandenburg zehn Kilometer gelaufen. Am Wochenende bin ich zu Wettbewerben gefahren. Ich habe mich voll auf dieses Leben in der DDR mit neuen Freunden konzentriert."
Bevor eine Identität aufflog, wurde eine neue geschaffen
Die West-Terroristen kamen aus der Illegalität, oft war kein Studium oder keine Ausbildung vorhanden. Die Staatssicherheit schröpfte sie und die anderen als Informationsquellen ab. Sie wurden allesamt als inoffizielle Mitarbeiter der Stasi geführt. Es gab Hinweise von DDR-Bürgern, die die Gesichter auf Fahndungsplakaten, die im West-Fernsehen zu sehen waren, erkannten. Es gab auch Verdachtsmomente bei westlichen Geheimdiensten, doch bevor eine Identität aufflog, wurde eine neue geschaffen. Im Falle von Silke-Maier-Witt sogar eine Nasenkorrektur von oben angeordnet. Ihr verdecktes Leben ging stets weiter - zehn lange Jahre lang:
"Mich hat am Anfang schon eher geärgert, dass die DDR-Bürger immer rumnörgelten. Man ging dann unter Murren zum 1. Mai auf die Straße, aber niemand hat dann mal laut etwas gesagt."
Eintritt in die SED gegen den Willen der Stasi
Sie trat sogar in die SED ein, gegen den Willen der Stasi, die ein unauffälliges Leben forderte. Sie hatte sogar Kontakt zu anderen versteckten RAF-Terroristen - beispielsweise zu Susanne Albrecht. Als die Mauer 1989 fiel, realisierte sie anfangs nicht die Tragweite dieses historischen Ereignisses.
Doch in den Folgemonaten wurde die Zusammenarbeit zwischen West- und Ost-Behörden immer enger. Im Sommer 1990 wurden nach und nach alle zehn West-Terroristen mit DDR-Legende verhaftet. An ihrem letzten Tag in der DDR arbeitete sie für "VEB Pharma", ein Unternehmen, welches schon erste Kontakte mit westlichen Investoren hatte.
"Dann kamen wir mit diesen Investoren zurück - und da standen da zwei Herren: 'Sie wissen, warum wir hier sind?' Da habe ich ja gesagt. Ich habe mir dann gedacht, das muss ich mir jetzt einprägen. Das ist jetzt das Ende meiner Zeit in der DDR. Dann war es das."
Nach vier Jahren Haft 1995 vorzeitig entlassen
Silke Maier-Witt wurde 1991 zu zehn Jahren Haft verurteilt und 1995 vorzeitig entlassen. Ihr neues Leben, so sagt sie, begann erst nach dem Gefängnis. Sie lebt heute als Rentnerin überwiegend in Mazedonien, engagiert sich dort schon lange Zeit als Mitarbeiterin in Friedensprojekten.
Sie hat sich öffentlich von der RAF distanziert, aber nie den direkten Kontakt mit den Opfern des deutschen Herbstes gesucht. Sie sei schuldig, sagt sie - aber ihre persönliche Aufarbeitung sei noch nicht zu Ende.
"Zu rechtfertigen, dass man jemanden für Ideologie umbringt, dass das nicht geht. Dass es manchmal schwierig ist, etwas Ungerechtes auszuhalten. Aber selber zum Täter zu werden - das ist dann keine Lösung."